Urteil des AG Essen vom 03.02.1988

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Amtsgericht Essen, 20 C 691/87
Datum:
03.02.1988
Gericht:
Amtsgericht Essen
Spruchkörper:
Abteilung 20 C
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 C 691/87
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 40,00 DM nebst 4 % Zinsen
seit dem
07.10.1987 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 4/5 und die Beklagte
zu 1/5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Am 26.02.1987, dem Tag, an dem nach karnevalistischer Tradition die sogenannte
"Weiberfastnacht" gefeiert wurde, betrat der Kläger das Altenessener Reisebüro im
Einkaufszentrum F. Der Kläger war äußerst gepflegt gekleidet und trug eine Krawatte.
Der Kläger wollte bei der Firma I in P durch eine Verabredung mit einem Vertreter einer
holländischen Firma wegen des Abschlusses einer Transportversicherung
wahrnehmen.
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Als der Kläger das Reisebüro betreten hatte, trat die Beklagte auf ihn zu und versuchte,
ohne den Kläger zu fragen, ihm die Krawatte abzuschneiden, die dabei so beschädigt
wurde, daß sie nicht mehr tragbar ist. Hierin hatte der Kläger nicht eingewilligt.
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Die Beklagte bot dem Kläger daraufhin sofort an, sich im Einkaufszentrum eine neue
Krawatte zu kaufen. Dies lehnte der Kläger jedoch ab. Zu einem Treffen zwischen dem
Kläger und dem Interessenten in P kam es an jenem Tage nicht mehr.
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Der Kläger behauptet unter Bezugnahme auf eine Quittung vom 20.12.1986, die
zerstörte Krawatte habe 98,00 DM gekostet.
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Aufgrund des Vorfalles habe er eine Ausfallzeit von zwei Stunden gehabt, weil der
Termin an jenem Tage nicht mehr zustande gekommen sei, da der Interessent abgereist
sei. Unstreitig wurde der Termin dann 14 Tage später nachgeholt.
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Wegen doppelter Fahrt- und Zeitkosten verlangt der Kläger 100,00 DM und regt an, daß
das Gericht gemäß § 287 ZPO diesen Betrag schätzen solle.
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Der Kläger behauptet, er arbeite ständig mit Bankkredit zu - 10 % Zinsen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 198,00 DM nebst 10 % Zinsen seit Zustellung des
Mahnbescheides, das ist der 07. 10. 1987 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte bestreitet, daß der in der Quittung ausgewiesene Betrag von 98,00 DM
sich auf den Kaufpreis für die zerstörte Krawatte bezöge. Sie bestreitet des weiteren,
daß der Kläger überhaupt versucht habe, an dem fraglichen Tage noch den Termin in P
wahrzunehmen. Er sei noch eine halbe Stunde nach diesem Vorfall wieder in dem
Reisebüro erschienen. In dieser Zeit habe er kaum von F nach P und zurückfahren
können. überdies sei nicht ersichtlich, wieso der Kläger nicht mit einem abgeschnittenen
Schlips den Termin habe wahrnehmen können. Es entspreche nämlich allgemeiner
Gepflogenheit am Weiberfastnachtstag, Herren die Schlipse abzuschneiden. überdies
habe sie wohl kaum den Kläger unter Ausnutzung einer körperlichen überlegenheit zur
Duldung des Abschneidens gezwungen. Der Kläger habe vielmehr die Möglichkeit
gehabt, dieser Handlung zu widersprechen und sie zu verhindern.
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Die Beklagte ist daher der Ansicht, sie könne sich auf den Rechtfertigungsgrund der
mutmaßlichen Einwilligung berufen.
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Im übrigen sei ihm auch ein Mitverschulden vorzuwerfen, da er das Angebot zum
sofortigen Erwerb einer neuen Krawatte nicht angenommen habe.
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Im übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist nur teilweise begründet.
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1.
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Die Beklagte hat das Eigentum des Klägers an der Krawatte verletzt und damit den
objektiven Tatbestand des § 823 Absatz 1 BGB verwirklicht. Dieses Verhalten ist auch
rechtswidrig gewesen. Dabei kann dahinstehen, ob aus Gründen der Sozialadäquanz,
des verkehrsrichtigen Verhaltens ausnahmsweise die Rechtswidrigkeit der
Eigentumsverletzung nicht indiziert wird, da die Beklagte bei ihrem Tun unstreitig
bewußt und damit vorsätzlich hinsichtlich des objektiven Tatbestandes gehandelt hat. In
diesem Falle ist es aber nach der herrschenden Rechtsprechung, der sich das Gericht
anschließt, unzweifelhaft, daß nicht aus Gründen der Sozialadäquanz dem
verwirklichten Erfolg der Unrechtsgehalt abgesprochen werden kann.
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Rechtfertigungsgründe standen im übrigen der Beklagten nicht zur Seite. Unstreitig
geschah die Zerstörung der Krawatte ohne Einwilligung des Klägers. Auch für die
Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung ist kein Raum. Denn eine mutmaßliche
Einwilligung im Zivilrecht kommt nur dann als Rechtfertigung in Betracht, wenn das
betroffene Opfer nicht in der Lage ist, ausdrücklich die Einwilligung selbst zu erklären.
Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall gewesen (vgl. Soergel/Zeuner, BGB, 11.
Auflage, § 823, Randnummer 199). Die Beklagte hat auch schuldhaft gehandelt. Wenn
auch im Zivilrecht grundsätzlich der Vorsatz die Rechtswidrigkeit des Verhaltens
mitumfassen muß (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 45.Auflage 1986, § 276 Anm. 3 a.E.), so
hat dennoch die Beklagte schon aufgrund ihres eigenen Vortrages zumindestens
fahrlässig gehandelt. Denn die irrtümliche Annahme einer Einwilligung führt weder zur
Rechtfertigung noch zum Schuld- ausschluß, soweit diesbezüglich nicht ebenfalls
Fahrlässigkeit ausgeschlossen ist (BGH 1M, § 823 Nummer 2 Hb; Soergel-Zeuner,
a.a.O., § 823 Randnummer 195; Münchener Kommentar-Mertens, BGB, 2.Auflage 1986,
§ 823 Randnummer 33).
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Die Beklagte selbst hat nicht dargelegt, daß sie selbst bei äußerster Anspannung der
Sorgfaltspflichten nicht das Fehlen der Einwilligung hat erkennen können. Schon leichte
Fahrlässigkeit reicht zur Verwirklichung des Verschuldenstatbestandes aus, § 276 BGB.
Die Umstände im einzelnen darzulegen, hätte der Beklagten oblegen, da sie insofern
hinsichtlich des Irrtums über vorhandene Rechtfertigungsgründe die Beweislast und
damit auch die Darlegungslast trägt (vgl. BGHZ 69, 143).
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2.
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Ist damit die Beklagte dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, so ist jedoch
in der Höhe dem Antrag des Klägers nicht zu folgen.
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a)
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Soweit die Krawatte zerstört ist und Ersatz des Substanz- schadens verlangt wird, so ist
Entscheidungsreife gemäß § 286 ZPO nicht gegeben, da die Beklagte den
Zusammenhang der Quittung über 98,00 DM mit dem gekauften Binder bestritten und
der Kläger daraufhin keinen weiteren Beweis angetreten hat. Dennoch ist. sein
Anspruch nicht wegen Beweisfälligkeit abzu weisen, da insoweit Entscheidungsreife
zumindestens gemäß § 287 Absatz 1 ZPO vorliegt. Die Voraussetzungen dieser Norm,
die dem Gericht ein Schätzungsermessen nach freier Überzeugung einräumen, sind
gegeben. Dabei wird in Kauf genommen, daß das Ergebnis der richterlichen Schätzung
nicht unbedingt mit dem einer durchermittelten Schadensfeststellung übereinstimmt
(Zöller-Stephan, ZPO, 15.Auflage 1987, § 287 Randnummer 1). Die Parteien streiten
über die Höhe eines Schadens, so daß der Tatbestand des Absatzes 1 der Norm erfüllt
ist. Des weiteren erforderte - was ein unbeschriebenes Tatbestandsmerkmal darstellt
(Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, Seite 60) die Feststellung der tatsächlichen
Schadenshöhe nach der gegebenen Prozeßlage einen unverhältnismäßig hohen
Aufwand. Ein Sachverständigengutachten, das als einzig sichere
Überzeugungsgrundlage noch dienen könnte, eventuell Im Rahmen des
Schätzungsvorganges, § 287 Abstz 1 Satz 2 ZPO, würde Kosten verursachen, die den
Wert des zerstörten Objekts sicher bei weitem Oberträfen.
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Nach dem richterlichen Hinweis im Termin ist die Ausübung des Schätzungsermesens
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ohne weitere Substantiierungsanforderung oder Aufforderung zu weiteren Beweisantritt
nicht überraschend im Sinne des § 278 Absatz 3 ZPO.
Aufgrund seiner eigenen Sachkunde und entsprechend den Ausführungen im Termin
hält das Gericht einen Schadensbetrag von 40,00 DM für ausreichend und angemessen.
Dabei hat das Gericht berücksichtigt, daß nach dem eigenen Vortrag des Klägers die
Krawatte mindestens schon drei Monate alt war. Insofern hätte ein Abzug neu für alt
ohnehin gemacht werden müssen, weil dies ein Schadensfaktor bei der
Schadensberechnung darstellt. Da Textilien nach Tragen einen außergewöhnlich
hohen Wertverlust erleiden, ist der angenommene Wert trotz des von dem Kläger
angegebenen Kaufpreises von 98,00 DM ausreichend, um sein Interesse zu
befriedigen. Demgegenüber ist dem Kläger aber kein Mitverschulden gemäß § 254
Absatz 1 BGB vorzuwerfen, das darin gelegen haben könnte, daß er überhaupt eine
Krawatte an jenem Tag getragen hat. Zwar mag es allgemeiner Tradition entsprechen,
am Altweiberfastnachtstage Herren Krawatten abzuschneiden, doch beschränkt sich
diese Sitte jedenfalls im Essener Raum darauf, an der Arbeitsstätte oder bei Bekannten,
nicht aber gänzlich Fremden, die Krawatte abzuschneiden. Die Beklagte, die für die
Voraussetzungen des § 254 Absatz 1 BGB darlegungs- und beweispflichtig gewesen
wäre, hat nicht im einzelnen dargelegt, worauf das Verschulden des Klägers bei der
Herbeiführung des Schadens hätte beruhen sollen. Insoweit ist selbstverständlich eine
Schätzung zu den Grundlagen des Mitverschuldens dem Gericht verwehrt (Schneider ,
a.a.O., Seite 63). Diesbezüglich reicht der Vortrag der BekIagten, der Kläger hätte sich
doch wohl wehren können, nicht zur substantiierten Darlegung eines
Mitverschuldenstatbestandes aus, da sich ihr Vorbringen auf bloße Vermutung stützt.
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b)
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Soweit der Kläger jedoch 100,00 DM für Fahrt- und Zeitkosten verlangt, ist der Anspruch
insoweit als nach eigenem Vortrag unsubstantiiert zurückzuweisen.
30
aa)
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Der Kläger hat nicht schlüssig dargelegt, welche Schadenspositionen insbesondere
welche Fahrtkosten und welche Kosten aufgrund Zeitausfalles ihm entstanden sind. Es
ist festzustellen, daß nur Fahrtkosten für eine Fahrt geltend gemacht werden könnten, da
eine Fahrt ohnehin von ihm im eigenen Interesse hätte bezahlt werden müssen. Eine
weitere Fahrt ist -wenn überhaupt- durch das Verhalten der Beklagten begründet
gewesen.
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bb)
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Des weiteren ist der bloße Zeitverlust nicht als Vermögenswert kommerzialisiert und
deswegen ist die verlorene Zeit als solche nicht schadensersatzfähig (Palandt-
Heinrichs, a.a.O., Vorbemerkung vor § 249 Anmerkung 2 beet ff).
34
cc)
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Hinsichtlich der Fahrt- und Zeitkosten kommt auch eine Entscheidung des Gerichts
unter Ausübung des Schätzungsermessens gemäß § 287 Absatz 1 ZPO nicht in
Betracht. Denn dem Gericht fehlen für die Bemessung des Schadensersatz betrages
jegliche Grundlagen. Es kann weder aus eigener Sachkunde noch aufgrund vom Kläger
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beigebrachter Eckdaten einen Schadensbetrag schätzen.
dd)
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Des weiteren hat der Kläger insoweit gegen seine Schadensminderungspflicht, § 254
Absatz 2 Satz 1 BGB, nach dem unstreitigen Sachverhalt verstoßen, da er zum einen
nicht das , Angebot der Beklagten angenommen hat, kurzfristig im Einkaufszentrum
einen Schlips zu kaufen, was ohne großen Zeitaufwand hätte geschehen können, und
zum anderen hat der Kläger nicht dargelegt - was angesichts der Sachlage ihm oblägen
hätte -, weshalb er nicht ohne eine Krawatte den Termin in P hätte wahrnehmen können.
Daß das bloße Abschneiden der Krawatte nicht zu einem der Beklagten anzulastenden
Terminversäumnis in P hat führen können, versteht sich in diesem Zusammenhang von
selbst. Es lag im Risikobereich des Klägers für eine entsprechende Zeitplanung (Fahrt F
- P) zu sorgen.
38
c)
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Soweit der Kläger einen Zinsbetrag von 10 % als Verzugszins gemäß §§ 284 Absatz 1
Satz 2, 286 Absatz 1 BGB in Höhe von 10 % verlangt, hat er hierfür trotz des Bestreitens
der Beklagten keinen Beweis angetreten. Er hat den Nachteil der Beweisfälligkeit zu
tragen. Deswegen ist ihm nur der gesetzliche Verzugszins in Höhe von 4 % gemäß §
288 Absatz 1 BGB zuzusprechen.
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Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§
92 Absatz 1, 708 Nummer 11, 713 ZPO.
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C
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