Urteil des AG Essen vom 15.03.2017

AG Essen (zahlung, diebstahl, schaden, bedingung, belohnung, beurteilung, essen, verbindung, adäquanz, freiwillig)

Amtsgericht Essen, 10 C 591/74
Datum:
21.11.1974
Gericht:
Amtsgericht Essen
Spruchkörper:
Abteilung 10
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 C 591/74
Tenor:
Der Vollstreckungsbefehl des Amtsgerichts Essen vom 24. Juli/ 12.
August 1974 - #### - wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der durch die Säumnis des
Beklagten verursachten, die der Beklagte trägt, werden der Klägerin
auferlegt.
Das Urteil ist rechtskräftig und vollstreckbar.
Tatbestand:
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Am 15.März 1974 entwendete der Beklagte in einem Kaufhaus der Klägerin Waren zu
einem Gesamtkaufpreis von 33,40 DM. Bei dem Diebstahl wurde er von der Verkäuferin
E beobachtet und anschließend durch einen von ihr herbeigerufenen Hausdetektiv
überführt. Die Klägerin erhielt die gestohlenen Waren zurück. Der Beklagte gab den
Diebstahl zu und bestätigte das auch schriftlich. Ferner unterzeichnete er ein
"Schuldanerkenntnis" (in dem es heißt: "Ich bekenne, der Firma L AG DM 50,-- zu
schulden, die ich bis zum 22.3.1974 bezahlen werde. Mir ist eröffnet worden, daß die
Firma L AG.- trotz ... meines Zahlungsversprechens strafrechtliche Schritte gegen mich
unternehmen wird."
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Die Klägerin hat sich ihren Angestellten gegenüber arbeitsvertraglich verpflichtet, dem
Angestellten, der einen Ladendiebstahl aufdeckt, eine Prämie von 50,--DM zu zahlen.
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Dem entsprechend ist dieser Betrag auch hier an die Angestellte E gezahlt worden. Mit
ihrer Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Ersatz des ihr durch diese Zahlung
entstandenen Schadens in Anspruch. Sie meint, dieser Schaden sei eine adäquat
kausale Folge des Diebstahls und der Eigentumsverletzung durch den Beklagten.
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Die Klägerin hat zunächst beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 50, -- DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu
zahlen.
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Der Beklagte ist durch vollstreckbaren Zahlungsbefehl vom 24.7./12.8. 1974
entsprechend verurteilt worden. Nachdem der Beklagte hiergegen rechtzeitig Einspruch
eingelegt hat, beantragt die Klägerin nunmehr,
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den Vollstreckungsbefehl aufrechtzuerhalten.
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Der Beklagte beantragt,
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den Vollstreckungsbefehl aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Er meint, die Zahlung der vorher versprochenen Fangprämie sei kein adäquat kausal
verursachter Schaden des Diebstahls.
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Außerdem sei er bereits hinreichend durch die Geldstrafe von 300, -- DM bestraft
worden, zu der er im Strafverfahren wegen des Diebstahls verurteilt worden ist..
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist nach dem eigenen Vortrag der Klägerin aus §§ 781, 241, 305,823 Abs. 1
und § 249 BGB in Verbindung mit § 242 StGB nicht begründet und der
Vollstreckungsbefehl daher aufzuheben.
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Das vom Beklagten unterzeichnete "Schuldanerkenntnis" stellt
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kein abstraktes Schuldanerkenntnis im Sinne des § 781 BGB dar. Es sollte hierin kein
neuer abstrakter Schuldgrund geschaffen werden. Vielmehr sollte der Beklagte die yon
der Klägerin wegen Diebstahls und Eigentumsverletzung geltend gemachte
Schadensersatzforderung anerkennen. Diese Erklärung des Beklagten ist im
Zusammenhang mit dem gleichzeitig unterschriebenen Geständnis des Diebstahls zu
sehen. Ferner ist in der Erklärung auch selbst durch den Hinweis auf eine
Strafverfolgung auf den Diebstahl Bezug genommen.
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Es liegt nur ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis vor.
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Durch dieses wird hier der Einwand des Beklagten, er sei aus rechtlichen Gründen zur
Zahlung des "anerkannten" Betrages nicht verpflichtet, nicht ausgeschlossen. Denn im
Hinblick auf die weitreichende Bedeutung eines Anerkenntnisses werden nur die
tatsächlichen und rechtlichen Einwendungen ausgeschlossen, die der Anerkennende
bei Abgabe des Anerkenntnisses auch genau gekannt hat (vgl. BGH MDR 1968, 485 f).
Diese erforderliche Kenntnis, daß er zur Zahlung der geforderten Fangprämie nicht
verpflichtet war, hatte der Beklagte nicht, als er das "Schuldanerkenntnis" unterschrieb.
Das ergibt sich einmal aus der konkreten Situation, in der sich der Beklagte als soeben
gestellter Dieb befand, und zum anderen daraus, daß die Frage eines derartigen
Schadensersatzanspruchs in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich
beantwortet wird.
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Der rechtskundige Beklagte konnte in der geschilderten Situation in keiner Weise
ermessen, ob der Klägerin der geltend gemachte Anspruch zusteht.
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Ein Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit § 242
StGB ist nicht begründet, weil der Schaden, den die Klägerin durch Zahlung .einer
Fangprämie in Höhe von 50,-- DM an ihre Angestellte erlitten hat, keine durch den
Diebstahl oder die Eigentumsverletzung adäquat kausal verursachte Folge ist. Zwar ist
einfache Kausalität gegeben, da der Diebstahl eine nicht hinweg zudenkende
Bedingung für die Zahlung der Fangprämie und den der Klägerin hieraus entstandenen
Schaden ist; doch fehlt es an der Adäquanz. Auf den ersten Blick scheinen zwar auch
deren Voraussetzungen gegeben zu sein, wie in der Rechtsprechung und Literatur
vertreten wird (vgl. Amtsgericht München NJW 1973, 1044 ff; Amtsgericht Mainz MDR
1974, 506; Il/ Müller, NJW 1973, 358; Creutzig, NJW 1973, 1593 f). Denn es ist nicht
besonders eigenartig, nicht ganz unwahrscheinlich und nicht nach dem regelmäßigen
Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassen, daß sich die Klägerin gegenüber ihren
Angestellten arbeitsvertraglich verpflichtet hat, für das Stellen eines Diebes eine
Fangprämie zu zahlen, und daß sie daher im Falle eines Diebstahls durch die Zahlung
der Prämie entsprechend ihrer Verpflichtung einen Schaden erleidet. Vielmehr
entspricht das sogar der Lebenserfahrung, da immer mehr Kaufleute sich ihren
Angestellten gegenüber zur Zahlung derartiger Fangprämien verpflichtet haben. Doch
wird diese formale Betrachtung, die lediglich rein logisch abstrakt auf das
Zahlenverhältnis der Häufigkeit des Eintritts eines derartigen Erfolges abstellt und beim
Vorliegen eines entsprechenden Zahlenverhältnisses allein auf Grund dessen die
Adäquanz bejaht, der Bedeutung der Adäquanz nicht gerecht. Denn das
Zahlenverhältnis allein ist nicht maßgebend; vielmehr müssen mit einer wertenden
Beurteilung aus der Vielzahl der Bedingungen im naturwissenschaftlich
philosophischen Sinne diejenigen ausgeschieden werden, die bei vernünftiger
Beurteilung der Dinge nicht mehr als haftungsbegründende und haftungsausfüllende
Umstände betrachtet werden können. Mit einer wertenden Beurteilung muß die Grenze
gefunden werden, "bis zu der dem Urheber einer Bedingung eine Haftung für ihre
Folgen billigerweise zugemutet werden kann" (vgl. BGHZ 3, 267; 18, 288; Erman-Sip,
BGB, 5. Autl., § 249 Randnummern 16, 18). Diese wertende Beurteilung führt hier dazu,
daß dem Beklagten, der durch den Diebstahl eine Bedingung für den der Klägerin durch
Auszahlung der Fangprämie entstandenen Schaden gesetzt hat, eine Haftung für diese
Folgen der Bedingung billigerweise nicht zugemutet werden kann.
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Neben dem Diebstahl liegt eine weitere Bedingung für den Schaden der Klägerin darin,
daß sie sich gegenüber ihren Angestellten arbeitsvertraglich verpflichtet hat, für die
Ergreifung eines Diebes eine Fangprämie von 50,-- DM zu zahlen.
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Ihr Schaden ist also auch durch ihren eigenen freiwilligen Entschluß verursacht worden.
Sofern der Schaden auch auf einem freien Willensentschluß des Geschädigten beruht,
so ist anerkannt, daß eine Zurechnung der Schadensfolge dann nicht gerechtfertigt ist,
wenn der Entschluß des Verletzten, der eine neue Schadensgefahr schafft, durch den
haftungsbegründenden Vorgang nicht herausgefordert ist, das Verhalten des die
Erstursache Setzenden vielmehr lediglich den äußeren Anlaß und nur die Gelegenheit
für den Verletzten darstellt, zusätzlich ein der Verletzung fremdes Schadensrisiko
einzugehen (BGHZ 57, 29 ff). Eine derartige Herausforderung ist hier nicht gegeben. Sie
wird bereits dadurch ausgeschlossen, daß die Klägerin den Entschluß zur Aussetzung
der Fangprämie bereits lange Zeit vor Begehung des Diebstahls durch den Beklagten
gefaßt hat. Aber auch wenn man insoweit die Möglichkeit einer Verletzung .im Falle
ihres späteren Eintritts mit einer bereits eingetretenen Verletzung gleichgestellt, so
fordert es allein die abstrakte Möglichkeit in Verbindung mit der Tatsache, daß dieser
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Diebstahl dann später tatsächlich stattfand, nicht heraus, bereits vor Begehung oder
Bekanntwerden der Planung eines Diebstahls für die Aufdeckung eines solchen
potentiellen Falles vertraglich eine Fangprämie zu versprechen.
Die Klägerin konnte auch ohne, die Zusage einer solchen Belohnung erwarten, daß ihre
Angestellten auf mögliche Diebstähle achteten und bei der Aufdeckung mitwirkten (vgl.
Amtsgericht München NJW 1972,2038). Denn hierzu sind sie auf Grund des
Arbeitsvertrages verpflichtet. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese vertragliche
Verpflichtung allein bei den Angestellten tatsächlich kaum eine Bereitschaft zur
Mitwirkung bei der Aufdeckung von Diebstählen hervorruft (so Amtsgericht München
NJW 1973, 1044 ff.) und diese lieber ihre vertraglichen Verpflichtungen verletzen und
sich darüber hinaus unter Umständen sogar strafbar machen, als daß sie wegen des
damit verbundenen Ärgers und der Mühen ihren Verpflichtungen nachkommen. Auch
wenn das richtig ist und die Angestellten nur im Falle einer zuvor ausgesetzten
Belohnung bei der Aufdeckung von Diebstählen bereit sind mitzuwirken, so kann das
nicht dem Beklagten angelastet werden. Wenn die Klägerin Arbeitskräfte beschäftigt, die
ihren genannten vertraglichen Verpflichtungen zuwider/handeln, und wenn sie deshalb
eine Fangprämie aussetzt, um sie hierdurch zu einer Mitwirkung zu veranlassen, so fällt
das in ihren Risikobereich und kann nicht dem Beklagten zugerechnet werden.
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Er kann billigerweise nicht für Pflichtverletzungen herangezogen werden, die die
Angestellten der Klägerin möglicherweise begehen, für die sie das kaufmännische
Risiko trägt und auf die er keinen Einfluß hat.
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Bei der gebotenen wertenden Beurteilung der beiden Schadensursachen, der
arbeitsvertraglichen Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung einer Fangprämie und des
Diebstahls, zeigt sich, daß das Schwergewicht hier auf der erstgenannten Bedingung
ruht. Ohne daß die Klägerin hätte wissen können, ob und wann es zu dem vorliegenden
Diebstahl kommen würde, hat sie freiwillig den Entschluß gefaßt, ihren Angestellten die
Zahlung einer Fangprämie arbeitsvertraglich zuzusagen. Damit hat die Klägerin den
Rechtsgrund für diese Zahlung freiwillig und bereits lange vor der schädigenden
Handlung gesetzt. Die schädigende Handlung durch den Beklagten löste lediglich die
Konkretisierung und Individualisierung der Zahlungspflicht aus (vgl. Wälde, NJW 1972,
2294 f). Der innere Zusammenhang zwischen der Gewährung der Belohnung und der
durch die Schädigung geschaffenen Gefahrenlage ist durch die freiwillige
Entschließung der Klägerin zur Zahlung der Belohnung weitgehend durchbrochen
(Amtsgericht München NJW 1972,2038). Durch das Aussetzen der Belohnung soll
verhindert werden, daß ein Dieb mit der gestohlenen Ware entkommt. Sie dient damit
der Verhinderung des Schadenseintritts, ist aber nicht Schadensfolge (Amtsgericht
München a.a.O.).
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In den modernen Kaufhäusern und Geschäften, so auch in denen der Klägerin, wird das
Warenangebot heute bewußt in einer wissenschaftlich ergründeten Art und Weise
präsentiert, die den Kunden besonders zum Kauf anregen soll.
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Diese Form der Warenpräsentation wirkt aber gleichzeitig auch besonders
diebstahlstimulierend. Ebenso wie der Kaufmann die Vorteile aus dieser Art des
Warenangebots durch erhöhten Umsatz genießt, hat er billigerweise auch das Risiko,
das in der von ihm selbst geschaffenen besonderen Diebstahlsgefahr liegt, zu tragen.
Das heißt, die Aufwendungen für die Minderung dieser Gefahr fallen in seinen
Risikobereich und ihm daher zur Last.
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Eine Verpflichtung zur Erstattung einer Fangprämie, zu deren Zahlung sich ein
Kaufmann gegenüber seinen Angestellten vertraglich verpflichtet hat, um sie sich später
vom Dieb zurückzuholen, hätte in Wahrheit den Charakter einer Privatstrafe.
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(Wälde a.a.O.). So wird sie auch im allgemeinen und auch hier vom Beklagten
empfunden. Dem Beklagten kann billigerweise eine Haftung für den Ersatz der
Fangprämie, für deren Zahlung der Diebstahl eine Ursache ist, die die Klägerin aber
freiwillig auf Grund eigenen Entschlusses ausgesetzt hat und deren Aussetzung im
Rahmen ihres Risikobereiches lag, nicht zugemutet werden.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91, 700, 344 ZPO.
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Rechtskraft und Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 510 c, 704 ZPO.
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