Urteil des AG Essen vom 05.06.1998

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Amtsgericht Essen, 20 C 117/98
Datum:
05.06.1998
Gericht:
Amtsgericht Essen
Spruchkörper:
Abteilung 20 C
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 C 117/98
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 187,00 DM nebst 4 % Zinsen
seit dem 01.08.97 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von der Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß § 313 a Absatz
1
1 ZPO abgesehen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte nach dem unstreitigen Sachverhalt gemäß § 4
Absatz 1 MB/KK 76 in Verbindung mit Tarifgruppe B, Ziffer 1.1. ein Anspruch auf
Erstattung der vollen Kosten für die nach augenärztlicher Verordnung erworbene
Brillenfassung der mitversicherten Ehefrau zu, weshalb noch ein weiterer Betrag von
187,00 DM - über bereits erstattete 200,00 DM hinaus - zu leisten ist.
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Der Versicherungsfall nach § 1 Absatz 2 MB/KK 76 ist eingetreten, weil die versicherte
Person sich einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung - nämlich einer
augenärztlichen Untersuchung mit Sehkorrektur durch eine Brille - hat unterziehen
müssen. Nach Ziffer 1.1.1 der maßgeblichen Tarifgruppe B des zwischen den Pateien
vereinbarten Krankenversicherungsvertrages gehören zu den zu erstattenden
Aufwendungen auch Hilfsmittel wie Brillengläser und Brillenfassungen. In den
vorgenannten I Tarifbedingungen heißt es hierzu:
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"Brillenfassungen werden bis zu den Kosten der mittleren Preislage ... erstattet. Die
jeweiligen Beträge, bis zu denen der Versicherer bei Brillenfassungen von solchen
mittlerer Preislage ausgeht ..., werden in den Jahresmitteilungen bekanntgegeben.
Sie können auch beim Versicherer erfragt werden."
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Ob der hier formulierte Ausschluß unwirksam ist, weil er jeglich Präzision vermissen läßt
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und damit gegen das Transparenzgebot - einem tragenden Prinzip des AGBG (Palandt-
Heinrichs, BGB, 57. Auflage 1998, § 9 AGBG, Randnummer 15) - verstoßen könnte,
kann offen bleiben. Festzuhalten ist allerdings, daß nicht die Beklagte einseitig zu
bestimmen hat, welche Brillenfassungen nach der zitierten mittleren Preislage
zuzuordnen ist, denn in dem zitierten Tarif ist lediglich davon die Rede, daß sie - die
Beklagte - jeweils in ihren Jahresmitteilungen bekannt gebe, von welchen Beträgen sie
selbst "ausgehe". Einer solchen Formulierung ist schon grammatikalisch reine
Unverbindlichkeit beizumessen, was sich durch die von der Beklagten praktizierten
Übung bestätigt. Die Mitteilung über den von ihr für erstattungsfähig gehaltenen Betrag
von 200,00 DM erscheint nämlich in ihrer Hauspostille "dialog" ("Ihre
Krankenversicherung informiert"), die durch grafisch und optisch lockere Aufbereitung
sowie durch Werbung für andere Versicherungszweige ("Neues
Beamtenanwärterprodukt") den Eindruck des Unverbindlichen her- vorruft. Der Hinweis
auf den erstattungsfähigen Betrag bei Brillenfassungen ist grafisch nach Art eines
Aufklebers gestaltet, der sich schräg versetzt zu den anderen Artikel befindet und so den
Eindruck aufkommen läßt, ein Informationszettel sei hier nachträglich "geklebt" worden.
Unter diesen Umständen kann von einem Bestimmungsrecht der Beklagten (§ 315
Absatz 1 BGB) nicht ausgegangen werden. Tatsächlich spricht alles dafür, daß die
Tarifbestimmungen mit der Festlegung der "mittleren Preislage" einen objektiven
Beurteilungsmaßstab festgelegt haben, weshalb § 315 BGB unanwendbar ist
(vergleiche Palandt-Heinrichs, am angegebenen Ort, § 315 BGB, Randnummer 6).
Der Begriff der mittleren Preislage ist kaum wirklich festzulegen. Es ist nicht zuerkennen,
ob es um Brillenfassung mittlerer Preislage eines einzelnen Optikers geht, hier also der
Firma Optik F GmbH, bei der die mitversicherte Ehefrau des Klägers die Brillenfassung
erworben hat, oder um eine Preislage, die nach Befragung aller Optiker eines
bestimmten Einzugsgebietes - Wohnsitzgebiet des Versicherungsnehmers oder
Gesamtgebiet der Bundesrepublik Deutschland? - zu bestimmen ist. Stets fragt es sich
hierbei auch, wo die mittlere Preislage anfängt und wo sie aufhört. Bemerkenswert ist es
allerdings, daß die Beklagte selbst ausführt, es gebe schon "sehr gute Gestelle ...
zwischen 50,00 DM und 150,00 DM". Da die zitierte mittlere Preislaqe nichts mit der
Qualität der Gestelle zu tun hat,bedeutet dies, daß die hier zitierten Preise auch nach
der Vorstellung der Beklagten unterhalb der "mittleren Preis- lage" anzusiedeln sind.
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Da wirkliche Beurteilungskriterien nicht vorliegen, läßt sich das Gericht - ohne auf die
Frage des Verstoßes gegen das Transparenzgebot eingehen zu müssen, dessen
Verletzung von dem Kläger sinngemäß gerügt wird - von folgender Überlegung leiten.
Die sogenannte mittlere Preislage erfaßt eine gewisse Bandbreite von Preisen für
Brillenfassungen, welche die Beklagte zu tragen bereit ist. Die Erstattungspflicht der
Beklagten endet erst jenseits der mittleren Preislage. Dies bedeutet, daß es auch
Brillengestelle geben muß, deren Preise jenseits der mitt leren Preislage anzusiedeln
sind. Einer höheren Preislage sind diesen Umständen exklusive und besonders
exklusive Brillengestelle wie etwa Designerfassungen einschließlich der Marken
Fassungen bestimmter Modehersteller sowie Goldfassungen oder Gestelle aus edlem
Material zuzuordnen. Vergleicht man solche Fassungen mit der vorliegenden Fassung,
welche die Firma F mit einem Betrag von 387,00 DM in Rechnung gestellt hat, dann
wird es deutlich, daß der Betrag von 387,00 DM die mittlere Preislage nicht übersteigt.
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Die nach alledem berechtigte Klageforderung, gerichtet auf Erstattung restlicher
Versicherungsleistungen in Höhe von 187,00 DM ist gemäß §§ 284 Absatz 1 Satz BGB
ab 01.08.97 zum gesetzlichen Zinssatz von 4 % zu verzinsen. Verzug ist durch
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Selbstmahnung eingetreten, nachdem die Beklagte bereits mit Leistungsabrechnung
vom 24.03.97 die Erstattung eines über 200,00 DM hinausgehenden Betrages
abgelehnt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nummer
11, 711, 713 ZPo.
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