Urteil des AG Essen vom 06.03.1986

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Amtsgericht Essen, 12 C 227_85
Datum:
06.03.1986
Gericht:
Amtsgericht Essen
Spruchkörper:
Abt. 12
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 C 227_85
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 500,00 DM nebst 4 % Zinsen
seit dem 22.04.1985 zu zahlen; die weitergehende Klage wird
abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Der Kläger fordert restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 19.12.1984
etwa um 11.50 Uhr in Essen. Damals verursachte ein bei der Beklagten gegen die
Folgen der gesetzlichen Haftpflicht pflichtversicherter Pkw allein einen Schaden am
Pkw des Klägers. Am Pkw des Klägers wurde die Front mit Schwerpunkt links
beschädigt, zur Reparatur sind laut einem in den Einzelwerten bis auf den Minderwert
zwischen den Parteien nicht streitigen Gutachten vom 21.12.1984 Netto 5597,98 DM,
Brutto 6381,70 DM erforderlich. Im vorliegenden Rechtsstreit streiten die Parteien nur
noch um die Höhe des eingetretenen Minderwertes. In dem vom Kläger vorprozessual
eingeholten Gutachtens bezifferte der Gutachter den Minderwert auf 800,00 DM. Die
Beklagte bezahlte vorprozessual 500,00 DM. Beim Pkw des Klägers handelt es sich um
einen ###, erstzugelassen am 03.08.84, zum Unfallzeitpunkt gelaufen 15.500 km, in
erster Hand und unfallfrei. Zum Zeitpunkt des Unfalles hatte der Pkw einen Wert von
25000,00 DM.
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Der Kläger behauptet, an seinem Pkw sei ein Minderwert von mindestens
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1000,00 DM, eher 1500,00 DM oder 1650,00 DM, eingetreten, nämlich 5 % der Summe
von Fahrzeugwert und Reparaturkosten.
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Mit der am 22.04.85 zugestellten Klage begehrte der Kläger zunächst weitere
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300,00 DM, nunmehr beantragt er,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine in das Ermessen des
Gerichts (§ 287 ZPO) gestellte Wertminderung zu zahlen, mindestens aber
einen Betrag von 1000,00 DM, abzüglich gezahlter 500,00 DM, nebst 4 %
Zinsen seit dem Tage der Zustellung,
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hilfsweise,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit
dem Tage der Klagezustellung zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hälft dafür, ein höherer Minderwert als 500,00 DM, nämlich der bezahlte
Betrag, sei am Pkw des Klägers nicht eingetreten.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze
Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholen eines schriftlichen Gutachtens der
Sachverständigen Q, für dessen Ergebnis auf Blatt 69 ff. der Akte Bezug genommen
wird. Beide Parteien haben es trotz Auflage des Gerichtes unterlassen, etwa
vorhandene Lichtbilder des beschädigten Pkw zur Akte zu reichen, oder eine
Reparaturrechnung vorzulegen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist im wesentlichen begründet.
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Die Beklagte schuldet gemäß §§ 7 StVG, 3 Pflichtversicherungsgesetz, 249 Satz 2, 849,
246 BGB, 287 ZPO Zahlung noch weiterer 500,00 DM Minderwert nebst der Zinsen in
gesetzlicher Höhe aus § 849 BGB. Denn das Gericht schätzt, dass insgesamt am Pkw
des Klägers ein Minderwert in Höhe von 1000,00 DM durch den Unfall eingetreten ist, §
287 Absatz 1 ZPO.
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1.
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Das Gericht sah sich nicht in der Lage, den Minderwert anhand eines bestimmten
Rechenmodells bestimmen zu können.
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a)
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Der BGH hat zurecht, was danach aber näherer Begründung nicht mehr bedarf, die
Rechenmodelle des 13. Verkehrsgerichtstages bzw. die Schweizer Formel der
Minderwertberechnung verworfen, BGH Versicherungsrecht 1980, 46, 47.
21
b)
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Demgegenüber hat zwar der BGH die Methoden Ruhkopf/Sahm bzw. die Methode
Halbgewachs als geeignet bezeichnet, bei Pkw-Schäden "eine brauchbare
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Bewertungsgrundlage" abzugeben (BGH aaO). Diese Auffassung des BGH ist irrig, wie
das Oberlandesgericht Hamburg überzeugend nachgewiesen hat (Versicherungsrecht
81, 1186). Denn beide in dem gleichen Satz vom BGH als geeignet, eine brauchbare
Bewertungsgrundlage zu erbringen, bezeichneten Methoden ergeben bei ihrer
Anwendung auf denselben Fall höchst unterschiedliche, um hunderte von Prozenten
voneinander abweichende Ergebnisse. Das kann nicht gut brauchbar genannt werden.
Auch der vom Gericht bestellte Sachverständige hat nach Diskussion einiger weiterer
Verfeinerungen der vorgenannten Theorien ausgeführt, dass nach seiner langjährigen
Erfahrung " es im Prinzip keine festgeschriebene Methode oder Formel gibt, die bei
jedem Kraftfahrzeugschaden zur Ermittlung des Minderwerts herangezogen werden"
könne. Diese Auffassung teilt das erkennende Gericht. Das Gericht ist seit einer Vielzahl
von Jahren in einer entsprechenden Spezialabteilung mit Unfallsachen befasst und hat
aus der Vielzahl von entsprechenden Fällen, die es inzwischen zu entscheiden hatte,
den Schluß gezogen, dass eine einheitliche, für alle Fälle brauchbare Methode nicht
aufgestellt werden kann. Es scheint vielmehr so zu sein, dass seit den beiden oben
erwähnten Entscheidungen des BGH und des Oberlandesgerichts Hamburg nicht mehr
ernsthaft versucht wird, eine Theorie der Minderwertbestimmung aufzustellen.
Zumindest ist die Beschreibung von Heinrichs (Palandt-Heinrichs, 45. Auflage, § 251
Anmerkung 4 ) zutreffend, dass sich eine "allgemein anerkannte Schätzungsmethode
noch nicht durchgesetzt hat". Vielmehr werden in der Praxis in den verschiedenen
Gerichtsbezirken unterschiedliche Methoden mit unterschiedlichem
Ausformulierungsgrad und unterschiedlicher Effizienz angewandt.
2.
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Im vorliegenden Fall besteht zwischen den Parteien kein Streit darüber, dass der
eingetretene Unfallschaden wertrelevant ist. Es handelt sich mit Sicherheit nicht um
einen Bagatellunfall oder einen der sonstigen Fälle, für die in der Rechtsprechung
erörtert wird, dass überhaupt kein Minderwert eintreten könne. Zwischen den Parteien
besteht auch kein Streit darüber, dass die Wertminderung sofort mit dem Unfall (BGHZ
35, 396) eingetreten ist. Weiter sind sich die Parteien darüber einig, dass die vom
Gutachten vorgeschlagene Reparatur zu einer technisch vollständigen
Schadensbeseitigung führt. Es verbleibt daher nur eine merkantile Wertminderung.
Schon nach dem Begriff dieser Art der Wertminderung handelt es sich um eine solche,
die auf den Verkaufswert des Fahrzeugs abstellt. Ein konkreter Verkauf hat nicht
stattgefunden, so dass nur eine Schätzung der Wertminderung in Betracht kommt. Jede
theoretische Berechnung eines solchen Minderwertes kann allenfalls annähernde, aber
notwendigerweise eben nur irreale Werte durch ein allenfalls in sich stimmiges Schema
errechnen. Wirklich geeignet wäre dem Begriff der Wertminderung nach nur eine
Marktanalyse durch eine Meinungsumfrage. Der vom Gericht bestellte Gutachter hat die
Kosten einer solchen Umfrage auf über
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10.000,00 DM veranschlagt. Beide Parteien haben gemäß Erörterung in der letzten
mündlichen Verhandlung keinen Wert darauf gelegt, dass ein solches – allein
geeignetes – Marktforschungsgutachten in Auftrag gegeben wird.
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3.
27
Das Gericht hatte aber gemäß der Leitlinie des BGH (Versicherungsrecht 1980, 46, 48)
mit sachverständiger Hilfe versucht, den Minderwert für den konkreten Fall zu ermitteln.
Der BGH hält dies "im allgemeinen" für geboten, "gelegentlich wohl auch durch
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Zuziehung eines Gebrauchtwagenhändlers". Der vom Gericht beauftragte
Sachverständige für Kraftfahrzeuge hat das Einschalten eines
Gebrauchtwagenhändlers für ungeeignet gehalten: Der Handel werde sich unter
Umständen " zu sehr von eigenen kaufmännischen Interessen leiten lassen", seine
Auskünfte könnten eventuell nicht mehr objektiv sein. Andererseits hat der
Sachverständige auch bezweifelt, dass eine Meinungsumfrage sinnvoll sei.
Insbesondere hat der Sachverständige dafürgehalten, die Befragten würden immer nur
fiktive Werte angeben können, es sei ein unrealistisches Antwortverhalten zu erwarten.
Das ist zwar sicherlich zu Teilen richtig, verkennt aber, dass die ausgefeilte Technik
moderner Umfragen doch zu soweit brauchbaren Ergebnissen führen wird, dass sie
Grundlage einer Schätzung nach § 287 ZPO ohne weiteres sein können. Das ist in
anderen Rechtsgebieten, beispielsweise im gewerblichen Rechtsschutz, nicht
zweifelhaft. Auch dort sind Umfragen anzustellen, die in gewissem Sinne irreal sind,
weil es bei den Umfragen nicht zu konkreten Geschäftsabschlüssen oder ähnlichen
konkreten Vorfällen kommt.
4.
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Im vorliegenden Fall schätzt das Gericht unter Würdigung aller Umstände den
eingetretenen Minderwert auf 1000,00 DM.
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a)
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Der vorprozessual vom Kläger eingeschaltete Gutachter hat den Minderwert mit 800,00
DM veranschlagt. Der Gutachter hat hierzu angegeben, dass er nach der Entschließung
des 13. Verkehrsgerichtstages rechnerisch 516,81 DM berechnet habe, dass jedoch
diese Formel nicht alle erforderlichen Faktoren berücksichtige und nur eine Rechenhilfe
sei. Unter Berücksichtigung des örtlichen Marktes und der Einschätzung des
Gesamtschadens halte er beim Wiederverkauf den Minderwert von 800,00 DM für
realistisch.
32
b)
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Demgegenüber hat offenbar die Beklagte präzise den Betrag zugrunde gelegt, da sich
aus der vom Gutachter des Klägers erwähnten rein rechnerischen Berechnung ergab.
34
c)
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Der vom Gericht beauftragte Sachverständige wiederum hat nach längerer Diskussion
der Untauglichkeit aller Theorien im einzelnen untersucht, welche der
Schadenspositionen "wertminderungsrelevant" seien und sodann ohne rechnerisch
nähere Darlegung ausgeführt, dass der Minderwert durch den Frontschaden "unter
Berücksichtigung aller beeinflussenden Faktoren" 650,00 DM betrage.
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Diese Ausführung des Gutachters haben das Gericht, wie es mit den Parteien erörtert
hat, nicht überzeugen können. Es fehlt jede nachvollziehbare Bestimmung des Wertes.
Es werden allein die Umstände aufgezählt, die tatsächlich vorliegen, die auch zwischen
den Parteien so nicht streitig sind, und danach wird, ohne argumentativ erkennbare
Verknüpfung, ein Minderwert angegeben. Dieses Verfahren ist nicht geeignet, dem
Gericht nachvollziehbar die Bestimmung eines Minderwertes auch nur schätzungsweise
zu erlauben.
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Es war nicht angemessen, nunmehr noch durch weitere Anhörung des Gutachters oder
ergänzendes Gutachten weitere Kosten zu verursachen. Das wäre nicht mehr
verhältnismäßig im Sinne des § 287 ZPO gewesen. Erst recht gilt dies angesichts der
relativen Untauglichkeit aller Wertminderungsbestimmungstheorien.
38
d)
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Das Gericht sah sich daher gezwungen, den Minderwert selbst zu schätzen. Hierbei war
folgendes maßgebend. In den Reparaturarbeiten sind erhebliche
Rückverformungsarbeiten der Front enthalten. Diese Arbeiten wie auch die zur
Schadensbeseitigung erforderlichen Eingriffe in das selbsttragende Karosseriegefüge
an der Front (Radhaus und Abschlussblech) bedeuten, zusammenhängend mit der
Notwendigkeit, das Fahrzeug zu richten und zu vermessen, einen erheblichen Eingriff.
Nach dem Gutachten sind Schäden an Gelenkwelle, Lenkgetriebe, Motor und Achse
aufgetreten. Insgesamt handelt es sich danach doch um einen ganz erheblichen
Schaden. Bei der notwendigen Offenbarung im Verkaufsfalle, von der alle Parteien und
die Gutachter übereinstimmend zu Recht ausgehen, muss dies im Vergleich mit
unbeschädigten Fahrzeugen zu einem erheblichen Nachlass führen, wenn der Pkw
noch verkaufbar sein soll. Es ist weiter zu bedenken, dass der Fahrzeugtyp dem
Kaufpreis und Wert nach im oberen Bereich angesiedelt ist. Bei Preisen gebrauchter
Pkw von rund 25.000,00 DM können Käufer sehr wählerisch sein und unter einem
breiten Angebot aussuchen. Gebrauchtwagenkäufer werden sich bei den
Verhandlungen über den Minderwert auch nicht daran orientieren, was die
"minderwertrelevanten" Arbeiten sind. Eine solche, von den Verkehrssachverständigen
leider inzwischen allgemein geübte Einschätzungspraxis verkennt grundlegend, dass
der Gebrauchtwagenmarkt nicht auf den Handel unter Sachverständigen beschränkt ist.
Die üblichen Schadensgutachten erlauben dem normal informierten
Gebrauchtwagenkäufer diese Unterteilung überhaupt nicht. Die Gutachten sind nämlich
für den nicht mit ihnen vertrauten Normalbürger relativ unleserlich. Es handelt sich um
ein Computerprogramm, das mit einer Vielzahl von Abkürzungen und verwirrend vielen
Zahlen arbeitet. Dem Gericht ist aus einer Anzahl von Vernehmungen bekannt, dass bei
der Abwicklung von Verkäufen beschädigter Fahrzeuge regelmäßig nur das Vorblatt mit
den Ergebnissen berücksichtigt wird. allenfalls in Einzelfällen könnte ein gut
argumentierender Verkäufer es erreichen, dass einzelne Schadenspositionen bei der
Minderwertschätzung unberücksichtigt bleiben. Das setzt aber eine gewisse
Marktgängigkeit des Fahrzeugs voraus. Demgegenüber wird nämlich der Käufer nicht
unverständlich darauf hinweisen, dass auch Arbeiten, die sich auf den Einbau neuer
Ersatzteile beschränken, in den ordnungsgemäßen Verbund der ursprünglichen
Ganzheit des Autos eingegriffen haben und dass – je mehr solche Eingriffe vorliegen –
um so höher ein gewisses Restrisiko zu veranschlagen ist, selbst wenn sich technisch
nach Ausführung der Reparatur ein Minderwert nicht ergibt. Außerdem ist bei der
Minderwertberechnung nach Einschätzung des Gerichtes nicht etwa von den
Nettokosten auszugehen, sondern von den hier auf rund 6400,00 DM zu
veranschlagenden Bruttokosten der Reparatur. Selbst wenn hiervon die Lackierung
abgezogen wird, verbleibt ein Betrag von rund 5000,00 DM. Das Gericht schätz nach
alledem, dass 20 % dieses Betrages der eingetretene Minderwert ist.
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Wegen der Abweisung des weitergehenden Ermessensantrages beruht die
Kostenentscheidung auf § 92 Absatz 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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