Urteil des AG Essen-Steele vom 22.06.2005

AG Essen-Steele: vollmacht, anrechenbare kosten, rechtsschutzversicherung, vertretung, nebenintervention, versuch, entstehung, vollstreckbarkeit, gebühr, rechtskraft

Amtsgericht Essen-Steele, 8 C 89/05
Datum:
22.06.2005
Gericht:
Amtsgericht Essen-Steele
Spruchkörper:
allgemeine Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 C 89/05
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Leitsätze:
Rechtsanwaltshonorar bei Fehlen der Deckungszusage der
Rechtsschutzversicherung.
Schadensminderungspflicht des Rechtsanwaltes
Rechtskraft:
ja
Tenor:
hat das Amtsgericht Essen-Steele
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
durch den Richter am Amtsgericht
für R e c h t erkannt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 186,82 Euro nebst 5
Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basissatz seit dem 10.
Dezember 2004 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der durch die
Nebenintervention verursachten Kosten trägt der Beklagte. Die durch die
Nebenintervention entstandenen Kosten trägt die Streitgehilfin des
Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar
Entscheidungsgründe:
1
Die Klage ist begründet.
2
Die Kläger haben gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung der der Höhe nach
unstreitigen außergerichtlichen Kosten in Höhe von 186,82 Euro aus der
Kostenrechnung vom 10.11.2004 aus dem zwischen den Parteien geschlossenen
Geschäftsbesorgungsvertrag.
3
Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die der Höhe nach richtig berechneten Kosten
für die außergerichtliche Tätigkeit der Kläger angefallen sind und dem Grunde nach vom
Beklagten dem Kläger zu erstatten sind.
4
Der Beklagte und die Streitgehilfin können sich auch nicht darauf berufen, daß die
Kläger das geforderte Honorar deshalb nicht verlangen können, weil sie ihre
Schadensminderungspflicht gegenüber dem rechtsschutzversicherten Beklagten
verletzt haben und es sich deshalb bei den geforderten Gebühren um solche handelt,
die nicht entstanden wären, wenn die Kläger den Beklagten bei der Mandatserteilung
umfassend über die entstehenden Gebühren aufgeklärt hätten.
5
Dabei ist zunächst festzuhalten, daß die Kläger den Beklagten bei mindestens einem
Besprechungstermin an dem weitere potenzielle Mandanten der Kläger teilgenommen
haben, die - wie der Beklagte selbst - von ihrem Arbeitgeber, der ..., eine
Änderungskündigung erhalten haben, über das weitere Vorgehen insbesondere über
die voraussichtlich für die Tätigkeit der Kläger entstehenden Gebühren informiert
worden sind, wobei dargestellt wurde, daß im außergerichtlichen Bereich nach dem
RVG eine Geschäftsgebühr entstehe und im gerichtlichen Bereich voraussichtlich eine
Terminsgebühr und eine Verfahrensgebühr anfallen würde. Auch sind die Teilnehmer
der Besprechung, so auch der Beklagte, darauf hingewiesen worden, daß die hälftige
Geschäftsgebühr aufs gerichtliche Verfahren angerechnet werden.
6
Dabei ist ebenfalls davon auszugehen, daß der Beklagte den Klägerin bei
Mandatserteilung erklärt hat, daß er rechtsschutzversichert und zunächst mit seinem
Arbeitgeber eine außergerichtliche Lösung anzustreben sei, mithin bedeutete es, keine
Pflichtverletzung, daß der Kläger dem Beklagten zunächst zur Erteilung einer Vollmacht
zur außergerichtlichen Vertretung veranlaßt hat und nicht zunächst - wie die Beklagte
und die Streitgehilfin meint - sofort sich Prozeßvollmacht habe erteilen lassen.
7
Zwar war den Klägern bekannt, daß der Beklagte rechtsschutzversichert ist. Den
Klägern war nicht bekannt, daß die Rechtsschutzversicherung des Beklagten die
Gebühren für die außergerichtliche Tätigkeit nicht erstatten würde, wenn ihnen anstelle
der möglichen sofortigen Erteilung der Prozeßvollmacht zunächst eine Vollmacht zur
außergerichtlichen Vertretung erteilt würde und, falls eine solche außergerichtliche
Lösung nicht zustande käme, im Falle der weiteren Erteilung einer Prozeßvollmacht und
Durchführung des Klageverfahrens, die nicht anrechenbaren bereits entstandenen
außergerichtlichen Gebühren von der Rechtsschutzversicherung des Beklagten nicht
erstattet würden. Von einem solcher Handhabung haben die Kläger, wie sie im Termin
ausgeführt haben, bei Ausführung des Mandats keine Kenntnis gehabt.
8
Ohne gesonderten Auftrag ist der Rechtsanwalt auch nicht verpflichtet, von der
Rechtsschutzversicherung die Deckungszusage für die Kosten des Verfahrens zu
besorgen, zumal durch diesen Auftrag eigene Gebühren entstehen, die durch die
Gebühren im Verfahren nicht abgegolten werden (vgl.
Gerold/Schmidt/vanEicken/Madert, 12. Aufl. § 118 Rdnr. 15). Einen solchen
gesonderten Auftrag hatten die Kläger nicht. Vielmehr wußte der Beklagte durch die
Hinweise der Kläger bei der Besprechung, daß auch bei Klageauftrag nicht
anrechenbare Kosten für die zunächst gewünschte außergerichtliche Tätigkeit
entstehen können, wobei der Beklagte ausdrücklich zunächst wünschte, daß in jedem
Fall die Kläger sich um eine außergerichtliche Einigung vorrangig sich bemühen sollten.
9
Zwar verletzt der Anwalt dann nach Auffassung des Gerichts seine
Schadensminderungspflicht, wenn er von vornherein weiß, daß die Gebühren geringer
gewesen wären, wenn er sich anstelle einer Vollmacht zur außergerichtlichen Regelung
sofort eine Prozeßvollmacht hätte erteilen lassen, weil in diesem Falle die
Anrechenbarkeit der Tätigkeit für die außergerichtlichen nichtanrechenbaren Gebühren
entfallen wären. Zurecht weist deshalb die Streitgehilfin darauf hin, daß der Anwalt
verpflichtet ist, für das erstrebte Ziel den kostengünstigsten Weg des Mandanten zu
wählen, zumal dieser bei Bestehen einer Rechtsschutzversicherung davon ausgeht,
daß diese Versicherung sämtliche Kosten übernimmt, die der Anwalt für seine Tätigkeit
beanspruchen kann. Die Kläger wären daher verpflichtet gewesen, falls sie hiervon
Kenntnis gehabt hätten, den Beklagten darüber zu unterrichten, daß gegebenenfalls bei
bestimmten Fallkonstellationen, insbesondere bei der Erteilung einer Vollmacht
zunächst für die außergerichtliche Regelung - und im Falle des Scheiterns - bei
Erteilung einer nachfolgenden Prozeßvollmacht die Rechtsschutzversicherung des
Beklagten, die nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten nicht übernehmen
würde. Daß die Kläger hiervon Kenntnis hatten, ist nicht dargelegt, zumal nach dem
Sachvortrag der Kläger andere Rechtsschutzversicherer ohne weiteres die
vorhandenen außergerichtlichen Kosten der Mandanten in vergleichbaren Fällen
übernommen haben und die Rechtsschutzversicherung des Beklagten bei Erteilung des
Mandats gegenüber dem Kläger nicht zu erkennen gegeben hat, daß sie in einem
solchen Falle die sofortige Erteilung einer Prozeßvollmacht fordern und bei Erteilung
einer Vollmacht zunächst zur außergerichtlichen Streitbeilegung die nicht
anrechenbaren Kosten bei Durchführung des Prozeßverfahrens für die
außergerichtliche Tätigkeit nicht erstattet. Die Kläger waren auch nach Sinn und Zweck
des neuen RVG gehalten, zunächst eine außergerichtliche Einigung herbeizuführen,
zumal diese auch dem ausdrücklichen Wunsch des Beklagten entsprach. Die
Vorgehensweise entspricht mithin nicht nur dem Willen des Beklagten sondern auch
dem Willen des Gesetzgebers nach dem neuen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Der
Beklagte ist auch auf die Anrechnung der hälftigen Gebühr im gerichtlichen Verfahren
hingewiesen worden.
10
Die Kläger haben auch nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, in dem
sie den Beklagten nicht darauf hingewiesen haben, daß die sofortige Erteilung einer
Prozeßvollmacht zu geringeren Gebühren führen würde, selbst wenn vor
Klageerhebung der Versuch einer außergerichtlichen Lösung versucht werde. Zwar ist
richtig, daß die sofortige Erteilung einer Prozeßvollmacht die Kläger nicht daran
gehindert hätte, vor Klageerhebung eine außergerichtliche Einigung zu versuchen und
auch zu erreichen.
11
Ein solcher Hinweis wäre über die allgemeinen Hinweise der Kläger über die
entstehenden Gebühren, die erfolgt sind, jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn in jedem
Falle die sofortige Erteilung einer Prozeßvollmacht dem Interesse des Beklagten an
einer zunächst zu versuchenden außergerichtlichen Regelung nicht zuwider gelaufen
wären und dadurch auch zwingend geringere Gebühren für den Beklagten entstanden
wären, ohne daß die Ziele der Mandatserteilung des Beklagten dadurch verletzt oder
gefährdet würden.
12
Zwar ist die Argumentation der Streitgehilfin richtig, daß die Kläger bei der Durchführung
der Vergleichsverhandlungen nicht hätten offen legen müssen, ob sie zur
außergerichtlichen Vertretung des Mandanten berechtigt sind oder auch bereits
13
Prozeßvollmacht haben. Auch besteht kein Zweifel, daß bei sofortiger Erteilung der
Prozeßvollmacht im Fall der Durchführung des darin bereits enthaltenen Klageauftrags
die nunmehr geltend gemachten Gebühren nicht angefallen wären. Dies war jedoch für
die Kläger insoweit nicht voraussehbar, da - wo sie zu Recht darauf hinweisen, bei der
Erteilung einer Vollmacht zunächst zur außergerichtlichen Einigung die Gebühren für
die anwaltliche Tätigkeit mit 2,8 geringer gewesen wären, als wäre eine solche
Einigung zustande gekommen, wenn sofort Prozeßvollmacht erteilt worden wäre. Dann
wäre nämlich neben der Verfahrensgebühr in Höhe von 1,3 Euro noch die
Terminsgebühr in Höhe von 1,2 und die Einigungsgebühr in Höhe von 1,0, mithin 3,5 an
Gebührenaufkommen entstanden.
Durch die außergerichtliche Interessenwahrnehmung sind damit keine unnötigen bereits
bei Mandatserteilung voraussehbaren Kosten verursacht worden, da durch einen
sofortigen Prozeßauftrag möglicherweise höhere Kosten, nämlich Gebühren in Höhe
eines Gebührensatzes von 3,5 entstanden wären. Die Kläger und auch der Beklagte
gingen bei Mandatserteilung davon aus, daß eine außergerichtliche Einigung durchaus
möglich und wahrscheinlich ist, Gegenteiliges haben weder der Beklagte noch die
Streitgehilfen hierzu vorgetragen. Ob dies dann tatsächlich nicht der Fall gewesen ist,
weil eine außergerichtliche Einigung nicht zustande gekommen und trotzdem
Prozeßvollmacht seitens des Beklagten erteilt werden mußte, war bei Mandatserteilung
nicht voraussehbar und die Erteilung einer Prozeßvollmacht hätte auch nicht zwingend
zur Entstehung geringerer Gebühren führen müssen, selbst wenn die Kläger eine
entsprechende Einigung bei Erteilung einer Prozeßvollmacht vor Klageerhebung erzielt
hätten. Hat der Rechtsanwalt nämlich den Auftrag zur Durchführung eines gerichtlichen
Verfahrens, so entstehen Gebühren nach dem Teil III des Vergütungsverzeichnisses.
Führt der Rechtsanwalt, nachdem ihm der Klageauftrag erteilt worden ist, mit der
Gegenseite oder einem Dritten eine Besprechung im Hinblick auf die Vermeidung oder
Erledigung des gerichtlichen Verfahrens, so wird hierdurch die 1,2 Terminsgebühr
aufgelöst. Damit steht fest, daß - wären die außergerichtlichen
Vergleichsverhandlungen erfolgreich verlaufen - die Rechtsschutzversicherung
Gebühren in Höhe von 3,5 hätte zahlen müssen, weil im Fall der bloßen
außergerichtlichen Interessenwahrnehmung an Gebühren lediglich 2,8 im Falle einer
außergerichtlichen Einigung entstanden wären. Welche Gebühren tatsächlich anfallen,
haben die Kläger bei Mandatserteilung nicht voraussehen können, waren jedenfalls an
den Auftrag des Beklagten gebunden, zunächst eine außergerichtliche Einigung zu
versuchen, so daß die Erteilung einer außergerichtlichen Vollmacht zunächst
sachgerecht war und zu diesem Zeitpunkt auch nicht absehbar war, ob im Fall eines
Scheiterns der Einigung höhere Gebühren entstehen, weil anschließend noch die
Erteilung einer Prozeßvollmacht erforderlich gewesen wären oder ob im Falle einer
sofortigen Erteilung einer Prozeßvollmacht die Gebühren höher gewesen wären, wenn
vor Klageerhebung trotz Erteilung einer sofortigen Prozeßvollmacht noch eine
außergerichtliche Einigung erfolgt wäre. Diese Feststellungen können, wie die Kläger
richtig vortragen - nur in der Rückbetrachtung getroffen werden, sind jedoch bei
Mandatserteilung nicht voraussehbar, so daß die Kläger in der Tat, wenn sie sich sofort
Prozeßvollmacht erteilen lassen und dann vor Klageerhebung eine außergerichtliche
Einigung mit der Wirkung erzielt wird, dann höhere Gebühren anfallen, wenn der
Mandant zunächst eine Vollmacht zur außergerichtlichen Regelung erteilt hätte, die
Streitgehilfin möglicherweise eingewandt hätte, daß nach dem Willen des Gesetzgebers
zunächst eine außergerichtliche Einigung hätte versucht werden müssen und deshalb
die Erteilung einer Vollmacht zur außergerichtlichen Regelung genügt und im Interesse
des Mandanten gewesen wäre, daß erstrebte Ziel mit möglichst niedrigen
14
Anwaltsgebühren zu erreichen. Aus alledem folgt, daß ein Verstoß der Kläger gegen
ihre Schadensminderungspflicht nicht vorliegt, mit der Folge, daß die Klage begründet.
Die Nebenentscheidungen sind aus §§ 286, 288 BGB berechtigt.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 101 ZPO; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Ziff, 11, 713 ZPO.
16