Urteil des AG Eschwege vom 24.10.2007

AG Eschwege: öffentliche ordnung, unterbringung, kostenvorschuss, räumung, entziehen, lebenserwartung, hund, tod, rasse, dokumentation

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Gericht:
AG Eschwege
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 M 2862/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 885 ZPO, § 4 GvKostG, § 9
Anl 1 Nr 707 GvKostG, § 180
GVollzGA
Räumungsvollstreckung: Kostenvorschuss für lebenslange
Unterbringung zurückgelassener Tiere
Tenor
Die zuständige Gerichtsvollzieherin wird angewiesen, die
Herausgabevollstreckung nicht von einer Zahlung eines Vorschusses in Höhe von
200.000,– Euro für die Unterbringung der Hundes des Schuldners abhängig zu
machen.
Eine Kostenentscheidung findet nicht statt.
Gründe
Die Gläubigerin hat einen Titel auf Räumung des vom Schuldner bewohnten
Anwesens in Eschwege-Niddawitzhausen erstritten. Dem Schuldner gehören
(mindestens) sechs Kamphunde der Rasse "Fila Brasileiro". Die zuständige
Gerichtsvollzieherin hat die Durchführung der Räumungsvollstreckung von der
Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von 200.000,– Euro abhängig gemacht.
Die Gerichtsvollzieherin legt dar, dass das Ordnungsamt die Tiere nicht abholen
werde. Entsprechend der Regelungen des Tierschutzgesetzes käme auch eine
Vernichtung des Räumungsgutes gem. § 885 Abs. 4 ZPO nicht in Frage, so dass
für eine wohlmöglich bis zum natürlichen Tod der Tiere dauernde Unterbringung zu
sorgen sei. Bei der anzunehmenden restlichen Lebenserwartung der Tiere von bis
zu 10 Jahren und einem anzunehmenden Kostenaufwand von 7,– Euro pro Tag und
Hund sei daher die Zahlung einer Kostenvorschusses in Höhe von 200.000,– Euro
erforderlich.
Gegen diese Entscheidung der Gerichtsvollzieherin richtet sich das vorliegende
Rechtsmittel.
Das zulässige Rechtsmittel ist erfolgreich. Die von der Gerichtsvollzieherin
vertretene Rechtsansicht überdehnt die zu beachtenden Interessen des
Tierschutzes.
In der Vergangenheit war bei ähnlichen Fallkonstellationen auf Mitteilung der
Vollstreckungsorgane das Ordnungsamt eingeschritten und hatte die Tiere in
Verwahrung genommen. Wahrscheinlich aus Gründen der allgemein knappen
Haushaltsmittel besteht diese Bereitschaft des Ordnungsamtes heute nicht mehr.
Verschiedene Verwaltungsgerichte haben auch diese Rechtsauffassung der
Ordnungsämter bestätigt und eine Verpflichtung des Ordnungsamts, tätig werden
zu müssen, verneint (vgl. VGH Mannheim NJW 1997, 1798).
Bei den Zivilgerichten hingegen besteht die überwiegende Meinung, dass es
ausreichend sei, das Ordnungsamt von der Räumung in Kenntnis zu setzen und
dass die Ordnungsämter verpflichtet seien, für die Unterbringung und Pflege
"zwangsgeräumter Tiere" Sorge zu tragen (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1997, 1789).
Allein die Ansicht der Zivilgerichte vermag zu überzeugen. Es mag zwar sein, dass
das Ordnungsamt nach den derzeitigen Regelungen des Verwaltungsrechts ein
Ermessenspielraum hat, ob es auf den Hinweis des Vollstreckungsorgans tätig wird
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Ermessenspielraum hat, ob es auf den Hinweis des Vollstreckungsorgans tätig wird
oder nicht. Die "öffentliche Gefahr", dass nach einer Räumung Tiere ohne
ordnungsgemäße Unterbringung zurückbleiben, gehört jedoch zur Risikosphäre
der Allgemeinheit und nicht mehr zur Risikosphäre des Vermieters und Gläubigers.
Hätte der Schuldner seine Räumungsverpflichtung von sich aus erfüllt, und würde
nun mit seinen Tieren durch die Straßen laufen, würde diese Risikoabgrenzung
ohne weiters geltend. Es gibt keine Gründe dies bei einer Zwangsräumung
abweichend zu sehen. Trotz der begrenzten Mittel darf sich die öffentliche Hand
nicht der ihr obliegenden Aufgaben entziehen und diese Aufgabe auf den
Gläubiger abwälzen.
Die Anforderung eines Kostenvorschusses in Höhe von 200.000,– Euro käme
zudem einer Enteignung der Gläubigerin gleich, da das zu räumende
Hausgrundstück kaum einen solchen Verkehrswert erreicht. Jeder
Räumungsverpflichtete könnte sich dauerhaft der Vollstreckung entziehen, wenn
er nur genügend Tiere bei sich aufnimmt. Die sich hieraus ergebenden
Konsequenzen würden den Rechtsfrieden intensiv erschüttern und die öffentliche
Ordnung würde nachhaltiger beeinträchtigt als durch die im öffentlichen Raum
verbleibenden Tiere.
Sehr befremdlich ist auch, dass bei der von der Gerichtsvollzieherin vertretenden
Rechtsansicht der Schutz des Tieres höher angesiedelt würde, als der Schutz des
Menschen. Es frage sich nämlich, warum der Gläubiger für die lebenslange
Unterbringung der Tiere aufkommen soll, wenn eine solche umfassende Fürsorge
dem zu räumenden Menschen nicht zukommt.
Der angeforderte Kostenvorschuss für die Unterbringung der Tiere ist daher von
der Gläubigerin nicht zu erbringen. Eine Kostenentscheidung findet bei dem sog.
einseitigen Verfahren nicht statt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.