Urteil des AG Erkelenz vom 22.10.2003

AG Erkelenz (mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, grobe fahrlässigkeit, grobes verschulden, karte, betrag, fahrzeug, konto, eingabe, zpo, kenntnis)

Amtsgericht Erkelenz, 14 C 221/01
Datum:
22.10.2003
Gericht:
Amtsgericht Erkelenz
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 C 221/01
Normen:
BGB §§ 812, 676 f, 676 g, 676 h; ZPO § 286 Abs. 1
Leitsätze:
Es spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine sorgfaltswidrige
Aufbewahrung der PIN, wenn diese im DES3-Verfahren erstellt wurde,
ausgeschlossen werden kann, dass ein unbefugter Dritter die Eingabe
der PIN durch den Berechtigten beobachtet hat und keine Fehleingabe
erfolgt ist.
Die Bank ist nicht verpflichtet, eine Überziehung des Kontos zu
verhindern.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelasssen, eine Vollstreckung der Beklagten
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aus
diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, ween nicht die
Beklagte vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto, auf dem am 15.11.2000 ein
Guthaben von umgerechnet 154,37 EUR vorhanden war. Die Klägerin verfügte für
dieses Konto über eine sogenannte "E. Service Card", zu deren Benutzung die Beklagte
der Klägerin eine sog. PIN, eine "Geheimzahl", überlassen hatte. Geldabhebungen
unter Benutzung dieser PIN nahm sie nie vor; da das Konto nur der Abwicklung
bestimmter Zahlungen diente.
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Am 15.11.2000 wurde um 20.10 Uhr an einem Geldautomaten in M.-R. unter
Verwendung der bereits beim ersten Versuch zutreffend eingegebenen PIN ein Betrag
von 2.000,00 DM (=1.022,58 EUR), der dem täglichen Verfügungslimit entsprach,
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abgehoben.
Die Klägerin behauptet, sie habe den Brief mit der PIN inhaltlich nicht zur Kenntnis
genommen, sondern unmittelbar nach Erhalt vernichtet. Sie habe am 15.11.2000 ihr
Fahrzeug vor einem Fitness-Studio in W. geparkt und einige Sachen hineingebracht.
Dabei sei ihre Handtasche, in der sich auch die ServiceCard befunden habe, im
Fahrzeug verblieben. Als sie nur wenige Minuten später wieder an ihr Fahrzeug
gekommen sei, habe sie bemerkt, dass die Tasche aus dem Auto entwendet worden
sei. Sie habe gegen 20.00 Uhr versucht, die Karte sperren zu lassen, sei aber mit dem
Computer der Beklagten nicht zurecht gekommen. Die Sperrung sei daher erst um 20.30
Uhr möglich gewesen. Sie behauptet, die PIN müsse von dem oder den unbekannten
Tätern entschlüsselt worden sein. Sie ist der Ansicht, an dem Vorfall treffe sie kein
grobes Verschulden, weshalb die Beklagte ihr Konto zu unrecht mit dem Betrag von
1.022,58 EUR belastet habe. Ferner meint sie, die Beklagte habe allenfalls das
Guthaben auszahlen dürfen, da keine Vereinbarung über einen Kredit bestanden habe.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.022,58 EUR nebst 5% Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 30.12.2000 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, eine Entschlüsselung der PIN sei technisch unmöglich. Sie
vertritt daher die Ansicht, die Klägerin müsse grob fahrlässig PIN und Karte gemeinsam
aufbewahrt haben oder die PIN jemandem mitgeteilt haben. Sie meint, die Klägerin
habe schon grob fahrlässig gehandelt, als sie die Karte im Fahrzeug zurückließ; dies sei
nach ihren Nutzungsbedingungen ein Regelbeispiel für grobe Fahrlässigkeit.
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Das Gericht hat Beweis erhoben auf Grund des Beweisbeschlusses vom 18.5.2001, Bl.
53 d.A., durch Vernehmung eines Zeugen und durch Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich der Beweisthemen wird auf den
Beweisbeschluss und hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Sitzungsniederschrift vom 8.8.2001, Bl. 119 ff. d.A. und das Gutachten des
Sachverständigen T. vom 13.5.2003, Bl. 203 ff. d.A., Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage bleibt der Sache nach ohne Erfolg, denn der Klägerin steht gegen
die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Rückzahlung der
einbehaltenen 2.000,00 DM zu.
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Die Beklagte war berechtigt, den Betrag von 2.000,00 DM der Klägerin zu belasten,
behält diesen Betrag also nicht ohne rechtlichen Grund, und ist demnach nicht nach §
812 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Rückzahlung verpflichtet. Nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme steht fest, dass entweder die Klägerin selbst die streitbefangene
Abhebung vorgenommen hat oder eine Person, die durch die Klägerin unter grober
Verletzung der vertraglichen Pflichten Kenntnis von der PIN erlangt hat; jeder andere
Geschehensablauf ist demgegenüber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
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auszuschließen.
Soweit die Klägerin selber über den Betrag verfügt haben sollte, ist zwischen den
Parteien ein Darlehensvertrag über den das Guthaben übersteigenden Betrag zustande
gekommen; soweit die Klägerin einem Dritten die Verfügung vertragswidrig ermöglicht
hat, haftet sie der Beklagten gegenüber unter dem Gesichtspunkt der positiven
Vertragsverletzung.
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Es kann hier dahinstehen, ob schon im Zurücklassen der Tasche mit der Karte im
Fahrzeug für nur wenige Minuten ein grob fahrlässiges Verhalten gesehen werden
kann, denn jedenfalls kann der Abheber des Geldes mit der Karte nur Geld abgehoben
haben, wenn ihm die PIN durch ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten der
Klägerin bekannt war.
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Dies ergibt sich insbesondere aus den überzeugenden Ausführungen des
Sachverständigen T.. Der Sachverständige hat zunächst nachvollziehbar die Funktion
des Geldautomatensystems dargelegt und dann ausgeführt, dass die PIN nicht auf der
Karte gespeichert wird, sondern nach dem sog. DES3-Verfahren erzeugt wurde. Es
seien bislang keine erfolgreichen Angriffe aus in diesem Verfahren verschlüsselte
Systeme bekannt. Es sei daher nicht möglich, dass die PIN aus der Karte ausgelesen
werde.
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Ein Erraten der PIN sei nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10.000 möglich und
daher - insbesondere wenn keine Fehlversuche vorlägen - ebenfalls unwahrscheinlich.
Das Ausspähen der PIN ist - wie der Sachverständige zutreffend feststellt - nach den
eigenen Angaben der Klägerin ausgeschlossen, weil diese vor der streitbefangenen
Abhebung niemals die PIN gebraucht hat uns daher auch nicht bei der Eingabe
derselben beobachtet werden konnte. Ein Ausspähen der Schlüsseldaten in der
Autorisierungszentrale sei ebenfalls nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen.
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Danach steht fest, dass eine Entschlüsselung der PIN gerade nicht möglich ist; die
Eingabe der PIN um 20.10 Uhr am 15.11.2000 kann daher nur durch eine zumindest
grob fahrlässige Mitwirkung der Klägerin ermöglicht worden sein.
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Dem stehen die Bekundungen des Zeugen Q. nicht entgegen. Dieser hat zwar
bekundet, dass der PIN-Brief nach Öffnung vernichtet worden sei und dass eigentlich
auch keine Notwendigkeit bestanden habe, sich die PIN zu notieren. Dies schließt aber
nicht aus, dass die Klägerin gleichwohl sich die PIN gemerkt und später - ohne Kenntnis
des Zeugen Q. - notiert hat.
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Schließlich stehen die zahlreichen von der Klägerin zitierten Entscheidungen ebenfalls
nicht entgegen, insbesondere nicht das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach zum
Aktenzeichen 2 S 288/99. Entweder beziehen sich derartige Entscheidungen auf andere
Schlüsselverfahren (so die Entscheidung des Landgerichts Mönchengladbach) oder der
Sachverhalt ist in anderer Hinsicht nicht vergleichbar. Soweit in neuerer
Rechtsprechung ein Anscheinsbeweis für grobe Fahrlässigkeit verneint wird, beruht
dies auf der Annahme, dass bei den heutigen Geldautomaten und sonstigen
Zahlungsterminals nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch der sorgfältig
handelnde Kunde bei der PIN-Eingabe beobachtet wird (vgl. LG Osnabrück, 7 S
641/02). Dies ist hier aber gerade ausgeschlossen, weil die PIN vor der streitigen
Abhebung niemals benutzt wurde und daher auch nicht ausgespäht worden sein kann.
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Die Beklagte trifft an diesem Schaden auch kein Mitverschulden; insbesondere war sie
berechtigt, die Auszahlung auch dann vorzunehmen, wenn das Konto keine
entsprechende Deckung aufweist. Zwar war die Klägerin ihrerseits verpflichtet, nur
innerhalb des ihr zur Verfügung stehenden Rahmens Geld abzuheben. Die Beklagte ist
aber nicht gehindert, aus technischen Vereinfachungsgründen allein das tägliche
Verfügungslimit mit der Kundenkarte auf wie hier 2.000,00 DM zu beschränken, ohne
jeweils auch die Kontodeckung zu prüfen.
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Der Klägerin steht ein Anspruch danach nicht zu; die Klage war abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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