Urteil des AG Eilenburg vom 15.03.2017

AG Eilenburg: wartezeit, messung, fahrverbot, beendigung, fahrlässigkeit, unfall, atemalkoholmessgerät, einzelrichter, kontrolle

Leitsatz:
1. Bei einer Verurteilung wegen eines Verstosses gegen § 24
Abs. 1 StVG, dem eine Atemalkoholmessung mit einem standar-
disierten Messverfahren (hier: Dräger Alcotest 7110 Eviden-
tial) zugrundeliegt, muss der Tatrichter in den Urteils-
gründen Ausführungen zur Ordnungsgemäßheit des Messverfah-
rens machen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen Messfeh-
ler vorliegen.
2. Die Nichteinhaltung der Wartezeit von mindestens 20 Minuten
zwischen Trinkende und erster Atemalkoholmessung führt zur
Unverwertbarkeit der Messung.
3. Eine Verwertbarkeit der Messung kann nicht dadurch herbei-
geführt werden, dass von dem gewonnenen Messwert ein Si-
cherheitsabschlag vorgenommen wird.
4. Von der Verhängung eines Fahrverbotes kann abgesehen wer-
den, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und der tatrichter-
lichen Entscheidung mindestens zwei Jahre vergangen sind
und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im
Straßenverkehr festgestellt worden ist.
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Oberlandesgericht
Dresden
Senat für Bußgeldsachen
- Der Einzelrichter -
Aktenzeichen: Ss (OWi) 32/05
6 OWi 252 Js 53992/03 AG Eilenburg
13 OWi Ss 32/05 GenStA Dresden
Beschluss
vom 08. Februar 2005
in der Bußgeldsache gegen
U
geboren am
wohnhaft:
Verteidiger: Rechtsanwalt H R
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird
das
Urteil
des
Amtsgerichts
Eilenburg
vom
30. September 2004 mit den Feststellungen aufge-
hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen fahrlässigen
Verstoßes gegen eine Vorschrift der Straßenverkehrsordnung,
in
dem
er
ein
Kraftfahrzeug
mit
einer
Atemalkoholkonzentration von mehr als 0,25 mg/l, nämlich
0,46 mg/l,
führte"
zu
einer
Geldbuße
von
250,00 Euro
verurteilt, ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat
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angeordnet und die Privilegierung des § 25 Abs. 2 a StVG
gewährt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betrof-
fene am 9. Februar 2003 mit einem Kraftfahrzeug in Eilen-
burg öffentliche Straßen. Als bei einer um 00:30 Uhr durch-
geführten polizeilichen Verkehrskontrolle Alkoholgeruch be-
merkbar war, wurde der Betroffene um 00:45 Uhr einer Atem-
alkoholmessung unterzogen. Die Messung wurde mit einem ge-
eichten Atemalkoholmessgerät Dräger Alcotest 7110 Evidenti-
al durchgeführt und ergab eine Atemalkoholkonzentration von
0,46 mg/l.
Gegen das Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Be-
troffenen, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt
wird.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die
Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung
und Zurückverweisung.
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht
stand.
1.
Bei der Bestimmung der Atemalkoholkonzentration mit
dem Messgerät Dräger Alcotest 7110 Evidential handelt
es sich um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (allgemein
zu standardisierten Messverfahren BGH, Beschluss vom
19. August 1993, BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081; spe-
ziell
für
Atemalkoholmessung
BGH,
Beschluss
vom
03. April 2001, BGHSt 46, 358 = NJW 2001, 1952; Bay-
ObLG NZV 2000, 295). In diesen Fällen reicht es grund-
sätzlich aus, dass das angewandte Messverfahren und
das Messergebnis mitgeteilt wird. Gleichwohl muss sich
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der Tatrichter im Einzelfall von der Beachtung der
Verfahrensbestimmungen - wie etwa der Kontroll- und
Wartezeiten (vgl. OLG Dresden NStZ 2004, 352) überzeu-
gen. Im Urteil muss er hierzu aber nur dann Ausführun-
gen machen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlie-
gen, dass diese nicht eingehalten worden sind (vgl.
BayObLG NJW 2003, 1752; BGH NJW 1993, 3081 (3082); OLG
Dresden,
Beschluss
vom
03. Januar 2005,
Az.:
Ss [OWi] 629/04). Werden deshalb weder konkrete An-
haltspunkte für einen Messfehler ersichtlich noch
Messfehler von dem Betroffenen oder einem anderen Ver-
fahrensbeteiligten behauptet, muss der Tatrichter im
Urteil nicht feststellen, dass die Bedingungen für ein
ordnungsgemäßes Messverfahren gewahrt worden sind (OLG
Dresden,
Beschluss
vom
03. Januar 2005,
Az.:
Ss [OWi] 629/04).
Im vorliegenden Fall sind Anhaltspunkte dafür vorhan-
den, dass die zwingend notwendige Wartezeit von min-
destens 20 Minuten zwischen Trinkende und Messbeginn
nicht eingehalten worden sein könnte. Das angegriffene
Urteil teilt mit, dass der Betroffene um 00:30 Uhr ei-
ner polizeilichen Kontrolle unterzogen worden ist. Die
erste Atemalkoholmessung wurde nach den Urteilsgründen
um 00:45 Uhr durchgeführt. Das Trinkende hat das Amts-
gericht nicht festgestellt.
Die fehlenden Feststellungen führen zur Aufhebung des
angegriffenen Urteils, weil eine Nichteinhaltung der
Wartezeit die Unverwertbarkeit der Atemalkoholmessung
zur Folge hat (OLG Dresden NStZ 2004, 352; BayObLG DAR
2005, 40).
Eine eigene Sachentscheidung gemäß § 354 Abs. 1 StPO,
§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist dem Senat gleichwohl ver-
wehrt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine
neue Hauptverhandlung noch Aufschlüsse zum Trinkende
zu erbringen vermag, weil sich der Betroffene zum Ort
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der Alkoholaufnahme und zu der von ihm anschließend
befahrenen Strecke eingelassen hat.
2.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Fol-
gendes hin:
a)
Sollte das Amtsgericht in der neuen Hauptverhand-
lung die Einhaltung der Wartezeit von mindestens
20 Minuten nicht feststellen können, wird eine
Verwertbarkeit auch nicht dadurch herbeigeführt
werden können, dass das - auch sachverständig be-
ratene - Gericht von dem gewonnenen Messwert ei-
nen Sicherheitsabschlag vornimmt.
Bei der Bemessung des in § 24a Abs. 1 StVG nor-
mierten Atemalkohol-Grenzwertes hat der Gesetzge-
ber die Ergebnisse des Gutachtens des Bundesge-
sundheitsamtes "Beweissicherheit der Atemalkohol-
analyse " (Unfall- und Sicherheitsforschung Stra-
ßenverkehr, hrsg. von der Bundesanstalt für Stra-
ßenwesen, H.86 [1992], S. 14) zugrundegelegt und
ist dabei ausdrücklich davon ausgegangen, dass
zuverlässige Messergebnisse nur gewonnen werden
können, wenn die verwendete Messmethode den im
Gutachten genannten Anforderungen genügt (BT-Drs.
13/1439, S. 4; vgl. auch BGHSt 46, 358 [363]).
Danach ist eine Wartezeit von mindestens 20 Minu-
ten
zwischen
Beendigung
der
Alkoholaufnahme
(Trinkende) und Beginn der Messung notwendig. Nur
so konnte von der Berücksichtigung - zusätzlicher
- Sicherheitsabschläge abgesehen werden. Im Übri-
gen liegen keine gesicherten Anhaltspunkte dafür
vor, in welcher Höhe Sicherheitsabschläge bei ei-
ner Unterschreitung der Wartezeit festzusetzen
wären. Die Einhaltung der für eine ordnungsgemäße
Messung notwendigen Verfahrensbestimmungen stellt
auch keine unzumutbaren Anforderungen an die Pra-
xis (OLG Dresden NStZ 2004, 352).
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b)
Soweit das Amtsgericht in der neuen Hauptverhand-
lung erneut zu der Überzeugung einer zumindest
fahrlässigen Begehungsweise kommt, wird es die
Merkmale der inneren Tatseite, sofern sie sich
nicht von selbst aus der Sachverhaltsschilderung
ergeben, durch tatsächliche Feststellungen zu be-
legen haben. Insbesondere sind die Rechtsbegriffe
Vorsatz und Fahrlässigkeit in ihre tatsächlichen
Bestandteile
aufzulösen
(KK-Engelhardt,
StPO,
5. Aufl., § 267 Rdn. 10).
Im vorliegenden Fall hat sich das Amtsgericht le-
diglich auf die Feststellung beschränkt, dass An-
haltspunkte für vorsätzliches Verhalten nicht be-
standen hätten.
c)
Bei einer erneuten Verurteilung werden zwischen
dem Verkehrsverstoß und dem neuen tatrichterli-
chen Urteil zwei Jahre vergangen sein. Das Amts-
gericht wird deshalb zu prüfen haben, ob von der
Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen ist.
Nach der gesetzgeberischen Intention hat das
Fahrverbot in erster Linie eine Erziehungsfunkti-
on und ist als "Denkzettel- und Besinnungsmaßnah-
me" gedacht und ausgeformt (vgl. BVerfGE 27, 36
[42]). Von ihm soll eine warnende Wirkung auf den
Betroffenen ausgehen, sich künftig verkehrsord-
nungsgemäß zu verhalten, um sich nicht wieder der
besonders lästigen oder gar beruflich und wirt-
schaftlich beeinträchtigenden Wirkung eines be-
fristeten Verbotes auszusetzen. Dabei setzt der
Gesetzgeber auf den normalerweise ablaufenden
Lernprozess des Kraftfahrers, der im möglichst
zeitnahem Abstand zum Verkehrsverstoß einsetzen
soll, um so eindringlich und nachhaltig wie mög-
lich zu wirken. In der obergerichtlichen Recht-
sprechung ist allerdings anerkannt, dass das
Fahrverbot seinen Sinn verloren haben kann, wenn
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zwischen dem Verkehrsverstoß und der Verhängung
der Maßnahme ein erheblicher Zeitraum liegt und
in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten
im Straßenverkehr festgestellt worden ist. Die
Oberlandesgerichte gehen dabei von einem Mindest-
zeitraum von zwei Jahren aus (OLG Dresden, OLG-
NL 2003, 167 m. w. N.).
III.
Die Zurückverweisung erfolgt an dieselbe Abteilung des
Amtsgerichts, weil kein triftiger Grund vorliegt, die Sache
an eine andere Abteilung oder ein anderes Amtsgericht zu
verweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
Gorial
Richter am Oberlandesgericht