Urteil des AG Duisburg vom 10.12.2002

AG Duisburg: niederlassung, handelsregister, sachwalter, verordnung, staat, feststellungsklage, beschwerdefrist, insolvenz, anerkennung, bezirk

Amtsgericht Duisburg, 62 IN 190/02
Datum:
10.12.2002
Gericht:
Amtsgericht Duisburg
Spruchkörper:
62. Abteilung des Amtsgerichts
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
62 IN 190/02
Normen:
EulnsVO Art. 3, Art. 16, Art. 17, Art. 27; EGInsO Art. 102; InsO § 35, § 80,
§ 89, UmwG § 20
Leitsätze:
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch ein deutsches Gericht
erfasst nach deutschem Recht das gesamte in- und ausländische
Vermögen des Schuldners, sofern nicht ausnahmsweise ein auf
Inlandsvermögen beschränktes Partikularin-solvenzverfahren stattfindet.
Diese Auslandswirkung der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens
wird auf Grund der EuInsVO (Art. 16, 17) in allen EU-Mitgliedsstaaten –
mit Ausnahme Dänemarks, vgl. EuInsVO, Erwägungsgründe Nr. 33 –
ohne weitere Förmlichkeiten anerkannt. Damit unterliegt das gesamte
schuldnerische Vermögen in der Europäischen Union dem
Insolvenzbeschlag nach deutschem Recht. Auch das Verbot der
Einzelzwangsvollstreckung in die Insolvenzmasse (§ 89 InsO) gilt
unmittelbar.
Vermögensgegenstände, die durch Verschmelzung auf den Schuldner
übergegangen sind, gehören auch dann zur Insolvenzmasse, wenn sie
dem äußeren Anschein nach, etwa durch Weiterverwendung der
bisherigen Firma oder durch nicht berichtigte Eintragungen in
öffentlichen Registern, noch immer dem Vermögen des erloschenen
übertragenden Rechtsträgers zugeordnet werden.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der im Handelsregister
des...
eingetragenen B....
wrden die Feststellungsanträge der Beschwerdeführerin vom
08.12.2002 auf ihre Kosten zurückgewiesen.
G r ü n d e
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I.
Konzerns, übernahm im Frühjahr 2002 auf Grund eines Verschmelzungsvertrags vom
13. 3. 2002 das Vermögen der N-GmbH in Würzburg als Ganzes. Die Verschmelzung
wurde am 14. 6. 2002 durch Eintragung in das Handelsregister der übernehmenden
Gesellschaft wirksam (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2, § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Die
übertragende N-GmbH unterhielt in Kifissia, Griechenland, eine Niederlassung, die, wie
die Beschwerdeführerin behauptet, nach der Verschmelzung von der Schuldnerin unter
der alten Bezeichnung mit einem Niederlassungszusatz fortgeführt wird. Außerdem
besitzt die Schuldnerin nach Angaben der Beschwerdeführerin Vermögen in der
griechischen Stadt Megalopolis.
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Am 1. 9. 2002 hat das Amtsgericht Duisburg auf Antrag der Schuldnerin über ihr
Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet, die Eigenverwaltung angeordnet und
Rechtsanwalt S zum Sachwalter ernannt. Der Eröffnungsbeschluss wurde am 5. 9. 2002
der Schuldnerin zugestellt sowie am 3. 9. 2002 im Internet (www.insolvenzen.nrw.de)
und am 13. 9. 2002 in Nr. 172 des Bundesanzeigers öffentlich bekanntgemacht. Am 22.
11. 2002 hat die erste Gläubigerver-sammlung stattgefunden.
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Die Beschwerdeführerin ist eine Kommanditgesellschaft griechischen Rechts. Sie hat
mit einem am 8. 12. 2002 bei Gericht eingegangenen Schreiben ihres
Verfahrensbevollmächtigten "Beschwerde" gegen den Eröffnungsbeschluss eingelegt,
"soweit dieser die Insolvenz der Fa. N-GmbH mit umfasst". Sie beantragt, den
Eröffnungsbeschluss abzuändern und festzustellen, dass (a) der Eröffnungsbeschluss
vom 1. 9. 2002 seine Wirkungen nur in Deutschland und nur für das hier befindliche
Schuldnervermögen entfalte und (b) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Bezug auf
das in Griechenland befindliche Vermögen der N-GmbH unzulässig sei.
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Sie behauptet, aus der Vermittlung von Arbeitskräften stünden ihr gegen die N-GmbH
Forderungen von mindestens 260.107,00 EUR zu. Da diese Gesellschaft, die in
Griechenland weiterhin geschäftlich tätig sei, die Forderungen unter Hinweis auf das in
Deutschland über das Vermögen der Schuldnerin eröffnete Insolvenzverfahren nicht
erfülle, beabsichtige die Beschwerdeführerin, bei den griechischen Gerichten
Sicherungsmaßnahmen in das dort befindliche Vermögen der N-GmbH zu beantragen.
Sie ist der Ansicht, die Wirkungen des vorliegenden Insolvenzverfahrens erstreckten
sich nicht auf das Vermögen der Schuldnerin in Griechenland. Eine solche Wirkung
könne nur im Rahmen eines Sekundärinsolvenzverfahrens nach Art. 3 der Verordnung
(EG) Nr. 1346/2000 des Rates der Europäischen Union vom 29. 5. 2000 über
Insolvenzverfahren (EuInsVO) eintreten.
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II.
Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss im Sinne des § 34 Abs. 2, § 6 InsO zu
werten. Ziel einer solchen Beschwerde könnte nur die Aufhebung des gesamten
Eröffnungsbeschlusses sein. Hierauf zielt die Eingabe jedoch ersichtlich nicht ab.
Zudem wäre die Eingabe als sofortige Beschwerde offensichtlich unzulässig, weil nach
§ 6 Abs. 1, § 34 Abs. 2 InsO allein dem Schuldner die Beschwerde gegen den
Eröffnungsbeschluss zusteht und auch die zweiwöchige Beschwerdefrist bei Einlegung
des Rechtsmittels seit mehr als zwei Monaten abgelaufen war (§ 569 Abs. 1 ZPO, § 4, 9
Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 InsO). Der Sache nach strebt die Beschwerdeführerin eine
gerichtliche Entscheidung über den räumlichen und sachlichen Geltungsbereich des
Eröffnungsbeschlusses vom 1. 9. 2002 an. Es geht ihr nicht um die Zuordnung
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bestimmter einzelner Vermögensgegenstände zur Insolvenzmasse, sondern um eine
allgemeine Feststellung über die rechtliche Tragweite des Eröffnungsbeschlusses. Ob
ein solches Rechtsschutzbegehren im Rahmen einer zivilgerichtlichen
Feststellungsklage zulässig wäre, ist hier nicht zu entscheiden. Im vorliegenden Fall
erscheint schon aus Gründen der Sachnähe eine Entscheidung des Insolvenzgerichts
geboten.
III.
des Eröffnungsbeschlusses vom 1. 9. 2002 erstrecken sich aus der Sicht des deutschen
und des europäischen Rechts auch auf das gesamte Vermögen der Schuldnerin in
Griechenland einschließlich der Vermögensgegenstände, die der dortigen
Niederlassung unter der Bezeichnung "N-GmbH" zugeordnet sind.
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1. Nach § 35 InsO, Art. 102 Abs. 3 Satz 2 EGInsO erfasst die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens durch ein deutsches Gericht das gesamte in- und ausländische
Vermögen des Schuldners. Das deutsche Insolvenzrecht nimmt insoweit eine weltweite
Geltung in Anspruch (vgl. BGHZ 68, 16, 17f. = NJW 1977, 900; BGHZ 95, 256 = NJW
1985, 2897; BGHZ 134, 79 = NJW 1997, 524; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar zur
InsO, 2. Aufl. 2001, Art. 102 EGInsO RdNr. 38ff.; Hess, InsO, 2. Aufl. 2001, Art. 102
EGInsO RdNr. 60ff.; Kübler/Prütting/Kemper, InsO, Art. 102 EGInsO RdNr. 168, 185).
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Diese Auslandswirkung wird in Griechenland rechtlich anerkannt. Als Mitgliedsstaat der
Europäischen Union unterliegt Griechenland der auch von der Beschwerdeführerin
herangezogenen, am 31.5.2002 in Kraft getretenen EuInsVO. Diese in allen
Mitgliedsstaaten unmittelbar geltende Verordnung sieht in Art. 16 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1
vor, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 EuInsVO
zuständiges Gericht eines Mitgliedsstaates in allen übrigen Mitgliedsstaaten ohne
weitere Förmlichkeiten anerkannt wird, sobald die Entscheidung im Staat der
Verfahrenseröffnung wirksam geworden ist. Bei dem vorliegenden, vom Amtsgericht
Duisburg eröffneten Verfahren handelt es sich entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführerin nicht um ein Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 2
EuInsVO, sondern um ein Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (zur
Terminologie vgl. Art. 3 Abs. 3, Art. 27 Satz 1 EuInsVO). Es ist von dem Gericht eröffnet
worden, in dessen Bezirk die Schuldnerin den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen
Interessen hat. Das Amtsgericht Duisburg ist auch nach deutschem Recht örtlich
zuständig (§ 3 Abs. 1 Satz 2 InsO), weil die Schuldnerin, wie es der
Eröffnungsbeschluss feststellt, zu den zentralistisch organisierten Kernbereichen des
Konzerns der B-AG gehört und sich ihre wesentlichen zentralen Leitungs- und
Verwaltungseinrichtungen in der Konzernzentrale in Oberhausen befinden.
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Die Anerkennung des in Deutschland eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens in anderen
EU-Mitgliedsstaaten bedarf keiner weiteren Förmlichkeiten (Art. 17 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1
EuInsVO). Damit unterliegt allein auf Grund des Eröffnungsbeschlusses vom 1. 9. 2002
das gesamte Vermögen der Schuldnerin in der Europäischen Union dem
Insolvenzbeschlag nach deutschem Recht (§§ 80 ff InsO). Insbesondere gilt das Verbot
der Einzelzwangsvollstreckung in die Insolvenzmasse während des eröffneten
Verfahrens (§ 89 InsO) unmittelbar auch zugunsten des schuldnerischen Vermögens in
Griechenland. Auch griechische Insolvenzgläubiger der Schuldnerin können ihre
Forderungen nur nach den Vorschriften des deutschen Insolvenzrechts verfolgen (§ 87
InsO). Wenn sie ihre Forderungen beim Sachwalter anmelden (§§ 174, 270 Abs. 3 Satz
2 InsO, Art. 32 EuInsVO), nehmen sie nach Prüfung der Forderungen unter den
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Voraussetzungen der §§ 187 ff InsO an der Verteilung teil.
2. Der Umstand, dass die Schuldnerin in dem Namen ihrer Niederlassung in
Griechenland nach Angaben der Beschwerdeführerin weiterhin die Bezeichnung "N-
GmbH" verwendet, spaltet das dieser Niederlassung zugeordnete Vermögen nicht von
der Insolvenzmasse des am 1. 9. 2002 eröffneten Verfahrens ab. Die
Beschwerdeführerin hat selbst auf den Verschmelzungsvertrag vom 13. 3. 2002
hingewiesen. Mit der Eintragung dieser Verschmelzung in das Handelsregister der
übernehmenden Gesellschaft am 14. 6. 2002 ist die N-GmbH erloschen und ihr
gesamtes Vermögen im In- und Ausland einschließlich der Verbindlichkeiten im Wege
der Gesamtrechtsnachfolge auf die Schuldnerin übergegangen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 2
UmwG). Eine rechtlich selbständige N-GmbH gibt es nicht mehr. Dass die Schuldnerin
diesen Namen, weil er in Griechenland bekannt ist, in der Bezeichnung ihrer dortigen
Niederlassung weiterführt (vgl. für Zweigniederlassungen in Deutschland § 13 Abs. 4
Satz 1 HGB), ist für die rechtliche Zuordnung von Vermögensgegenständen ohne
Bedeutung. Alle Gegenstände, die in Griechenland oder anderswo dem äußeren
Anschein nach dem Vermögen der nicht mehr existierenden N-GmbH zugeordnet
werden, etwa in öffentlichen Registern eingetragene Grundstücke oder ähnliche
Gegenstände, gehören rechtlich zum Vermögen der Schuldnerin und damit zur
Insolvenzmasse.
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3. Der Beschwerdeführerin bleibt es unbenommen, ihrerseits in Griechenland ein
Partikularinsolvenzverfahren in Form des Sekundärinsolvenzverfahrens zu beantragen,
soweit die Schuldnerin in Griechenland eine Niederlassung unterhält (Art. 3 Abs. 2, Art.
2 lit. h, Art. 27 ff EuInsVO). Die Wirkungen eines solchen Verfahrens beschränken sich
allerdings auf das Vermögen der Schuldnerin in Griechenland (Art. 3 Abs. 2 Satz 2
EuInsVO) und kommen allen Insolvenzgläubigern innerhalb und außerhalb
Griechenlands zugute (Art. 32 EuInsVO).
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