Urteil des AG Duisburg vom 28.04.2010

AG Duisburg (vergütung, gesetzliche grundlage, sachliche zuständigkeit, höhe, schuldner, zuständigkeit, festsetzung, sache, konkurs, rücknahme)

Amtsgericht Duisburg, 62 IN 145/09
Datum:
28.04.2010
Gericht:
Amtsgericht Duisburg
Spruchkörper:
62. Abteilung des Amtsgerichts
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
62 IN 145/09
Normen:
InsO § 21 Abs. 2 Nr. 1, § 64 Abs. 1
Leitsätze:
1.
Das Insolvenzgericht ist für die Festsetzung der Vergütung und der zu
erstattenden Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters gegen den
Schuldner nach Grund und Höhe auch dann sachlich zuständig, wenn
es nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt.
2.
Der vorläufige Insolvenzverwalter ist ein besonderer, im
Sicherungsinteresse der Gläubigergesamtheit von Amts wegen
eingesetzter Verfahrensbeteiligter eigener Art.
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
In dem Insolvenzöerffnungsverfahren wird der sofortigen Beschwerde
der Schuldnerin vom 06.04.2010 gegen den Beschluss vom 08.03.2010
nicht abgeholfen (§§ 6, 4 InsO, § 572 Abs. 1 ZPO) und die Sache dem
Landgericht Duisburg zur Entscheidung vorgelegt.
G r ü n d e
1
I.
2
Nach Rücknahme der Eröffnungsanträge des ehemaligen Geschäftsführers und der
Gesellschafterin der schuldnerischen GmbH hat das Insolvenzgericht mit dem
angefochtenen Beschluss vom 8.3. 2010 entschieden, dass die Schuldnerin die
Vergütung und Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters in Höhe von insgesamt
12.765,34 EUR zu tragen hat. Hiergegen hat die Schuldnerin, nunmehr vertreten durch
ihre Liquidatorin, die ehemals antragstellende Gesellschafterin R, sofortige Beschwerde
eingelegt. Sie rügt die sachliche Unzuständigkeit des Insolvenzgerichts für die
getroffene Vergütungsentscheidung und macht ferner Einwendungen gegen die
angesetzte Berechnungsgrundlage und die Höhe des Vergütungssatzes geltend.
3
II.
4
Die sofortige Beschwerde ist zwar statthaft (§6 Abs.1, §21 Abs.2 Nr.1, §64 Abs.3 InsO)
und auch im übrigen zulässig (§4 InsO, §569 ZPO), kann aber in der Sache keinen
Erfolg haben. Die Gründe der angefochtenen Entscheidung gelten unverändert fort. Die
Beschwerdebegründung gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung der Sach- und
Rechtslage.
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A. Das Amtsgericht Duisburg als Insolvenzgericht ist im vorliegenden Fall für die
Festsetzung der Vergütung und der zu erstattenden Auslagen (künftig nur noch:
Vergütung) des vorläufigen Insolvenzverwalters gegen die Schuldnerin nach Grund und
Höhe sachlich zuständig, denn diese Entscheidung ist auch nach Rücknahme des
Eröffnungsantrags vom Insolvenzgericht zu treffen.
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1. Die sachliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts für diese Entscheidung ergibt sich
unmittelbar aus §21 Abs.2 Nr.1 i.V.m. §64 Abs.1 InsO. Danach setzt das
Insolvenzgericht die Vergütung und die zu erstattenden Auslagen des vorläufigen
Insolvenzverwalters durch Beschluss fest. Allein diese Regelung ist einschlägig. Sie gilt
auch, wenn das Insolvenzverfahren wegen Rücknahme des Eröffnungsantrags nicht
eröffnet wird.
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2. Die von §21 Abs.2 Nr.1 i.V.m. § 64 Abs.1 InsO abweichende Auffassung des
Bundesgerichtshofs, die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters könne, wenn
das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden sei, nicht vom Insolvenz-gericht festgesetzt
werden, sondern der vorläufige Insolvenzverwalter sei wegen seines materiell-
rechtlichen Vergütungsanspruchs gegen den Schuldner auf den ordentlichen
Rechtsweg zu verweisen (BGH, Beschluss vom 3. 12. 2009 – IX ZB 280/08, NZI2010,
98f. = ZIP 2010, 89f. = ZInsO 2010, 107 f.), ist unzutreffend.
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Der Bundesgerichtshof führt zur Begründung seine Auffassung im wesentlichen aus, die
Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters könne nur aufgrund einer
entsprechenden Kostengrundentscheidung gegen den Schuldner festgesetzt werden.
Eine solche Entscheidung zugunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters könne jedoch
nicht das Insolvenzgericht erlassen, weil es hierfür keine gesetzliche Grundlage gebe.
Im Insolvenzeröffnungsverfahren stünden sich nur der antragstellende Gläubiger und
der Schuldner ähnlich wie die Parteien eines Zivilprozesses gegenüber; der vorläufige
Insolvenzverwalter sei nicht Partei des Verfahrens.
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Diese Argumentation ist nicht überzeugend. Sie ist zu Recht auf einhellige Kritik
gestoßen (vgl. Riewe NZI 2010, 131 ff., 134; Uhlenbruck NZI 2010, 161 ff.; Mitlehner
EWiR 2010, 195 f.).
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a) Der Bundesgerichtshof erwähnt in dem gesamten Beschluss mit keinem Wort die
gesetzliche Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO mit ihrer Verweisung auf § 64 InsO.
Dies ist zumindest methodisch ungewöhnlich. In dem von ihm entschiedenen Fall hatten
nämlich beide Vorinstanzen die genannte Rechtsgrundlage der sachlichen
Zuständigkeit ausdrücklich angesprochen (AG Duisburg, Nichtabhilfebeschluss vom
18.8. 2008 – 64 IN 65/06, ZInsO 2010, 635; LG Duisburg, Beschluss vom 10. 10. 2008 –
7 T 175/08, juris).
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b) Eine Vernachlässigung dieser gesetzlichen Regelung ist sachlich nicht gerechtfertigt.
Sedes materiae ist ausschließlich § 21 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 64 Abs. 1 InsO (ebenso
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Uhlenbruck NZI 2010, 161, 162, 165; Riewe NZI 2010, 131, 133; Mitlehner EWiR 2010,
195, 196). Danach setzt das Insolvenzgericht die Vergütung und die zu erstattenden
Auslagen des vorläufigen Insolvenz-verwalters durch Beschluss fest. Eine
Unterscheidung zwischen später eröffneten und nicht eröffneten Verfahren macht das
Gesetz nicht. Sie lässt sich auch weder aus der Systematik des Gesetzes noch aus dem
Zweck oder der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. Begr. RegE InsO, 2002, BT-
Drucks. 12/2443, S. 115 ff.) herleiten.
Mit der Bestimmung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO haben die Gesetzgebungsorgane das
Ergebnis einer Rechtsentwicklung kodifiziert, die unter der Geltung der Konkursordnung
(§ 106 KO) und der Vergleichsordnung (§ 11 VglO) zur Rechtsfigur des
konkursrechtlichen Sequesters und des vorläufigen Vergleichsverwalters geführt hatte
(vgl. dazu BGHZ 35, 13 = BGH NJW 1961, 1304, 1305; BGHZ 86, 190 = NJW 1983,
887, 888; Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl. 1973, § 106 Anm. 12; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11.
Aufl. 1994, § 106 RdNr. 6, 7; Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, § 106 KO
Anm. 4; Bley/Mohrbutter, VglO, 7. Aufl. 1979, § 11 RdNr. 7; Erster Bericht der
Kommission für Insolvenzrecht, hrsgg. vom BMJ, 1985, S. 101 ff.; Uhlenbruck KTS 1990,
15 ff.). Auf sie wurden die Bestimmungen über den Konkurs- oder Vergleichsverwalter
unter Berücksichtigung des Sicherungszwecks der Bestellung sinngemäß angewandt.
Hierzu gehörten auch die Regelungen über die Vergütung und über die Zuständigkeit
des Konkurs- oder Vergleichsgerichts zu ihrer Festsetzung. Bei allem Meinungsstreit um
Einzelheiten der Höhe und der Kostenschuldnerschaft war allgemein anerkannt, dass
die Vergütung des Sequesters oder vorläufigen Vergleichsverwalters vom Konkurs-
oder Vergleichsgericht festgesetzt wurde (§ 85 Abs. 1 KO analog; vgl. auch § 11 Abs. 2,
§ 43 Abs. 2 VglO). Dabei wurde nicht danach unterschieden, ob das Verfahren letztlich
eröffnet worden war oder nicht (Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl. 1973, § 106 Anm. 12, 14;
Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 106 RdNr. 6a, 20, 20d; Kilger/Schmidt,
Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, § 106 KO Anm. 4, Stichwort: Vergütung;
Bley/Mohrbutter, VglO, 7. Aufl. 1979, § 11 RdNr. 9 b Abs. 2).
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An diese Rechtslage knüpft § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO mit der Verweisung auf § 64 Abs. 1
InsO an (vgl. Begr. RegE InsO, 2002, BT-Drucks. 12/2443, S. 115 ff.). Der selbe
Rechtsgedanke liegt auch dem § 25 Abs. 2 InsO zugrunde, der dem starken vorläufigen
Insolvenzverwalter in Fällen, in denen es nicht zur Eröffnung kommt und deshalb die
angeordneten Sicherungsmaßnahmen aufgehoben werden, ausdrücklich die Aufgabe
zuweist, aus dem von ihm verwalteten Vermögen die entstandenen Kosten zu
berichtigen; hierzu gehören auch seine Vergütung und seine Auslagen (Begr. RegE
InsO, 2002, BT-Drucks. 12/2443, S. 118; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 25 RdNr.
18). Das Gesetz setzt in § 25 Abs. 2 InsO die Vergütungsfestsetzung des
Insolvenzgerichts und dessen entsprechende Zuständigkeit als selbstverständlich
voraus (so auch Uhlenbruck NZI 2010, 161, 162).
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c) Die genannten besonderen Regelungen des Insolvenzverfahrensrechts haben nach §
4 InsO Vorrang vor den allgemeinen zivilprozessrechtlichen Regelungen über
Kostengrundentscheidung und Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 91 ff., 103 ff. ZPO). Die
entgegengesetzten Erwägungen des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 3. 12. 2009
treffen nicht den Kern der Sache. Zwar ist der vorläufige Insolvenzverwalter ohne
Zweifel weder Partei im Streit zwischen einem antragstellenden Gläubiger und dem
Schuldner über die Zulässigkeit und Begründetheit des Eröffnungsantrags noch im Fall
des Eigenantrags die Gegenpartei des Schuldners. Er ist jedoch ein besonderer, im
Sicherungsinteresse der Gläubigergesamtheit von Amts wegen eingesetzter
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Verfahrensbeteiligter eigener Art (vgl. auch Uhlenbruck NZI 2010, 161, 163), der unter
den Parteien eines Zivilprozesses keine Entsprechung hat. Deshalb sind auf ihn im
insolvenzgerichtlichen Verfahren die kostenrechtlichen Regelungen des
Zivilprozessrechts nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar.
Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs kommt es weder auf den
Anwendungsbereich des § 54 Nr. 2 InsO an noch darauf, dass die Insolvenzordnung
keine insolvenzgerichtliche Kostengrundentscheidung zugunsten des vorläufigen
Insolvenzverwalters vorsieht. Eine solche Entscheidung ist (entgegen der
differenzierenden Ansicht von Frind, ZInsO 2010, 108 f.) nicht erforderlich. Das Gesetz
setzt in § 21 Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2 InsO unmittelbar voraus, dass die Vergütung des
vorläufigen Insolvenz-verwalters immer aus dem Vermögen des Schuldners zu leisten
ist (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 249 zu Nr. 3, S. 262 zu Nr. 3); dies hat der
Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen klargestellt (vgl. BGHZ 175, 48 Tz.
27 ff., 34 ff. = NJW 2008, 583, 585 = NZI 2008, 170, 173 = ZIP 2008, 228; BGH NZI
2010, 98 f. Tz. 11 = ZIP 2010, 89 f. = ZInsO 2010, 107 f.; vgl. auch Uhlenbruck NZI 2010,
161, 162). Eine gerichtliche Entscheidung ist nur hinsichtlich der Höhe der Vergütung
gesetzlich geboten; die Entscheidung über den Grund hat allenfalls deklaratorische
Bedeutung, ein gerichtlicher Entscheidungsspielraum besteht insoweit nicht (vgl. Riewe
NZI 2010, 131, 134; Uhlenbruck NZI 2010, 161, 165; Mitlehner EWiR 2010, 195, 196).
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Aus der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vergütung des
konkursrechtlichen Sequesters (BGH, Beschluss vom 23. 7. 2004 – IX ZB 256/03, juris =
ZInsO 2010, 108; BGH, Urteil vom 13. 12. 2007 – IX ZR 196/06, BGHZ 175, 48 = NJW
2008, 583 = NZI 2008, 170 = ZIP 2008, 228), auf die er sich im Beschluss vom 3.12.
2009 beruft, lassen sich für die Rechtslage nach der Insolvenzordnung in diesem
Zusammenhang keine Erkenntnisse gewinnen. Weder die
Gesamtvollstreckungsordnung, die in den entschiedenen Fällen maßgebend war, noch
die zu ihrer Ergänzung herangezogene Konkursordnung oder die konkursrechtliche
Vergütungsverordnung (abgedruckt in: Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, Anhang III)
enthielten eine ausdrückliche Regelung über den Sequester und seine Vergütung (vgl.
§ 106 KO, § 2 Abs. 3 GesO). Angesichts der Bestimmung des § 13 GVG mag es deshalb
entgegen der damals allgemein herrschenden Rechtsauffassung noch vertretbar
gewesen sein, die Zuständigkeit des Konkurs- oder Gesamtvoll-streckungsgerichts zur
Festsetzung der isolierten Sequestervergütung zu verneinen. Nach Schaffung der
ausdrücklichen und klarstellenden Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO ist dies nicht
mehr der Fall.
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B. In der Sache selbst gibt die Beschwerdebegründung ebenfalls keinen Anlass, die
angefochtene Entscheidung abzuändern. Hinsichtlich der Berechnungsgrundlage der
Vergütung wiederholt sie im wesentlichen wörtlich die Stellungnahme des
schuldnerischen Verfahrensbevollmächtigten vom 7.1. 2010 und ergänzt sie lediglich an
einigen Stellen durch sachlich unerhebliche Zusätze. Auch die Einwendungen gegen
den angesetzten Vergütungssatz in Höhe von 55 % des Regelsatzes sind nicht
gerechtfertigt. Mit der Hervorhebung der "unklaren Lage" des schuldnerischen
Unternehmens sowie der Unkenntnis und Hilflosigkeit der Gesellschafterin während der
Amtszeit des vorläufigen Insolvenzverwalters bestätigt die Beschwerdebegründung,
dass die Schuldnerin nicht nur rechtlich führungslos war, sondern auch
schwerwiegende und fortgeschrittene organisatorische Auflösungserscheinungen
aufwies. Diese erforderten einen erheblichen Mehraufwand des vorläufigen
Insolvenzverwalters, für den er angemessen zu vergüten ist.
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