Urteil des AG Duisburg vom 24.02.2010

AG Duisburg (ampel, verhältnis zu, fahrzeug, geschwindigkeit, höhe, verkehrsunfall, gefahr, zeitpunkt, gefährdung, stillstand)

Amtsgericht Duisburg, 50 C 2567/09
Datum:
24.02.2010
Gericht:
Amtsgericht Duisburg
Spruchkörper:
50. Abteilung des Amtsgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
50 C 2567/09
Rechtskraft:
seit 16.04.2010
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten abgeschlossenen
Vollkaskoversicherung geltend.
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Die Klägerin schloss am 01.10.2008 eine Haftpflicht- und eine Vollkasko-versicherung
mit einer Selbstbeteiligung von 300,00 € für ein Fahrzeug ab. Diesem Vertrag lagen die
Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrt-versicherung (AKB) vom 01.04.2008
zugrunde.
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Der Unfall, an dem die Klägerin beteiligt war, ereignete sich am 31.12.2008 gegen 12:29
Uhr in Mülheim an der Ruhr auf der Straße W in Fahrtrichtung A . Die Klägerin befuhr
diese Straße mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. An der
Einmündung W (auf der rechten Seite aus der Fahrtrichtung der Klägerin) befindet sich
eine Ampelanlage. Dort überfuhr die Klägerin die Lichtzeichenanlage, obwohl diese für
sie Rotlicht zeigte, und stieß mit einem von rechts kommenden Fahrzeug zusammen.
Das Fahrzeug der Klägerin wurde dabei schwer beschädigt.
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Mit Schreiben vom 12.03.2009 rechnete die Beklagte den Schaden ab und zahlte an die
Klägerin einen Betrag von 3.261,05 €. Dabei ging die Beklagte von einem gutachterlich
ermittelten Wiederbeschaffungswert von 10.252,10 € aus und brachte einen Restwert
von 3.130,00 € in Abzug. Den verbleibenden Betrag kürzte sie um 50 % wegen einer
grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles. Zudem brachte sie noch die
Selbstbeteiligung von 300,00 € in Abzug.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 31.03.2009 forderte die Klägerin die Zahlung von
weiteren 3.261,05 €.
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Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Es liege nämlich
kein in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten vor, welches weit über das
gewöhnliche Maß hinausgehe. Hierzu behauptet sie, aufgrund der Sonneneinstrahlung
habe sie bei der Lichtzeichenanlage Grünlicht wahrgenommen. Erst als sie unter der
Lichtzeichenanlage vorbeigefahren sei und ein Fahrzeug von rechts habe kommen
sehen, habe sie erkannt, dass kein Grünlicht, sondern tatsächlich Rotlicht angezeigt
worden sei. Ein Abbremsen des Fahrzeugs bis zum Stillstand, um das wahrgenommene
Grünlicht zu kontrollieren, sei nicht notwendig und hätte zu einer Gefährdung des
nachfolgenden Verkehrs geführt. Ein Aussteigen aus dem Fahrzeug zur Überprüfung
der Ampelanlage sei ebenfalls nicht zumutbar, zumal erneut die Gefahr eines
Rotlichtverstoßes bestanden hätte, sobald sie sich wieder in ihre ursprüngliche
Sitzposition begeben hätte.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.261,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.04.2009 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin habe schon deshalb grob fahrlässig
gehandelt, weil sie ihre Fahrweise nicht an die tatsächlichen Verhältnisse angepasst
habe. Bei ausreichender Beobachtung und Kontrolle der Lichtzeichenanlage und einer
Verminderung der Geschwindigkeit hätte die Klägerin den Unfall vermeiden können.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von weiteren
3.261,05 € zu. Insbesondere folgt dieser nicht aus der Vollkaskoversicherung in
Verbindung mit § 13 Abs. 5 AKB.
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Die Beklagte beruft sich zu Recht auf eine mindestens hälftige Leistungsfreiheit
aufgrund des grob fahrlässigen Verhaltens der Klägerin. Die vorgenommene Kürzung
entspricht jedenfalls der Schwere des hier gegebenen Verschuldens. Nach § 81 Abs. 2
VVG ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des
Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen, wenn
der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt.
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Unstreitig ist die Klägerin trotz einer für sie Rot anzeigenden Lichtzeichenanlage in den
Kreuzungsbereich eingefahren und hat dadurch den Verkehrsunfall verursacht.
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Die Klägerin hat hier in objektiver und subjektiver Hinsicht grob fahrlässig gehandelt.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten
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Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im
gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen
Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in
subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches
Maß erheblich übersteigt (BGH NJW 2003, 1118, 1119 m.w.N.).
Ein objektiv schwerer Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten liegt hier vor. In objektiver
Hinsicht ist das Überfahren einer roten Verkehrsampel wegen der besonderen
Gefahrenträchtigkeit ein schwerwiegender Verkehrsverstoß. Es gehört zu den
wichtigsten Grundregeln des Straßenverkehrs, dass Lichtsignale von Verkehrsampeln
strikt befolgt werden. Ampelanlagen werden grundsätzlich nur an besonders
verkehrsreichen oder gefährlichen Kreuzungen, Einmündungen oder Engstellen
aufgestellt. Sie dienen dem Zweck, einen geordneten Verkehrsablauf zu ermöglichen
und damit auch dem Schutz der Verkehrsteilnehmer, die darauf vertrauen dürfen, dass
Lichtsignale einer Verkehrsampel befolgt werden. Das Überfahren eines Rotlichts stellt
deshalb einen besonders grobe Verstoß gegen die Regeln des Straßenverkehrs dar
(vgl. OLG Hamm r + s 1994, 46, 47).
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Für die subjektive Seite des Schuldvorwurfs ist gemäß § 81 VVG der Versicherer
darlegungs- und beweispflichtig. Auch wenn die Grundsätze des Anscheinsbeweises in
Bezug auf die subjektive Seite nicht anwendbar sind (BGH NJW 2003, 1118, 1119), ist
es Sache des Versicherungsnehmers, ihn entlastende Tatsachen vorzutragen. Das
entspricht dem allgemeinen prozessualen Grundsatz, wonach die nicht beweisbelastete
Partei ausnahmsweise eine Substantiierungslast treffen kann. Ein solcher Fall liegt vor,
wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden
Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während
sie der anderen Partei bekannt sind und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind (BGH
NJW 2003, 1118, 1119 m.w.N.). Bei einem Verkehrsunfall wird diese Konstellation
regelmäßig gegeben sein. An der Beweislast ändert dies nichts (OLG Hamm VersR
2002, 603). Insoweit sind die konkreten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.
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Hier liegt auch in subjektiver Hinsicht ein unentschuldbares – das gewöhnliche Maß
erheblich übersteigendes – Fehlverhalten vor, das die Voraussetzungen der groben
Fahrlässigkeit erfüllt.
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Ein Augenblicksversagen ist auszuschließen. Die Klägerin hat die Ampel nicht etwa
infolge einer momentanen Unachtsamkeit übersehen, sondern die Ampel bemerkt und
wahrgenommen.
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Auch sonstige Umstände, welche die Annahme eines geringeren Verschuldens
rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Für die Beurteilung eines in subjektiver Hinsicht
grob fahrlässigen Verhaltens zu einem bestimmten Zeitpunkt ist nicht entscheidend,
dass die Klägerin 28 Jahre lang unfallfrei gefahren ist. Selbst wenn dies der Fall
gewesen sein sollte, ist es möglich, dass sie am 31.12.2008 auch in subjektiver Hinsicht
grob fahrlässig gehandelt hat.
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Es kann offen bleiben, ob die Klägerin tatsächlich aufgrund der tiefstehenden Sonne die
Ampel als grün wahrgenommen hat. Das Gericht hat schon erhebliche Zweifel, dass die
Sonne überhaupt so tief gestanden hat, dass sie die Ampel angeleuchtet hat. Der
Verkehrsunfall ereignete sich bereits gegen 12.30 Uhr und zu diesem Zeitpunkt steht die
Sonne – auch im Winter – üblicherweise noch nicht tief am Horizont. Doch selbst unter
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Zugrundelegung dieses Sachverhaltes hat sich die Klägerin in besonderem Maße
unachtsam verhalten. Nach ihrem eigenen Vortrag hat sie sich der vermeintlich grünen
Ampel trotz der tiefstehenden Sonne mit 50 km/h genähert. Sollte die Sonne am
Unfalltag gegen 12:30 Uhr tatsächlich so tief gestanden haben, dass die Klägerin die
Ampelanzeige nicht richtig wahrgenommen hat, so hätte sie ihre Geschwindigkeit
bereits bei der Zufahrt auf den Kreuzungsbereich deutlich verringern müssen. Die
Klägerin durfte sich unter diesen Umständen gerade nicht auf ihre subjektive
Einschätzung verlassen und in den Kreuzungsbereich einfahren.
Nur durch ein deutliches Herabsetzen der Geschwindigkeit hätte die Klägerin
sicherstellen können, noch vor dem Einfahren in den Kreuzungsbereich die
Ampelphase zu kontrollieren bzw. erneut zu überprüfen. Dies war gerade vor dem
Hintergrund einer tiefstehenden Sonne angezeigt, da die Klägerin nicht darauf vertrauen
durfte, dass die Ampel tatsächlich grün zeigte und sie das Grünlicht nicht allein aufgrund
der Sonneneinstrahlung wahrgenommen hatte. Vielmehr hätte die Klägerin die
Möglichkeit in Betracht ziehen müssen, dass sie sich aufgrund der tiefstehenden Sonne
täuscht.
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Ein Abbremsen bis zum Stillstand und auch das Aussteigen aus dem Fahrzeug wäre
nicht notwendig gewesen, da die Klägerin die rote Ampel hätte rechtzeitig erkennen
können, wenn sie langsamer gefahren wäre. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, dass
sie das Rotlicht der Ampel noch erkannt habe, als sie erneut auf die Ampel geschaut
habe, bevor ihr Fahrzeug mit dem anderen Fahrzeug zusammengestoßen sei. Insofern
sind ihre Ausführungen, dass die Gefahr bestanden hätte, die Ampelphase erneut falsch
einzuschätzen, nachdem sie ihre Sitzposition wieder eingenommen hätte, schon
deshalb nicht nachvollziehbar.
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Eine Verringerung der Geschwindigkeit war der Klägerin auch zumutbar, denn nach § 3
Abs. 1 S. 2 StVO hat der Fahrzeugführer seine Geschwindigkeit insbesondere den
Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie seinen persönlichen
Fähigkeiten und Eigenschaften anzupassen. Dies hat die Klägerin gerade nicht getan.
Inwieweit dadurch eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs eingetreten wäre, hat
die Klägerin schon nicht ausreichend dargelegt. Insbesondere hätte bei den hier
vorliegenden Umständen auch kein verkehrsbehinderndes Langsamfahren ohne
triftigen Grund gem. § 3 Abs. 2 StVO vorgelegen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 S. 1
und 2 i.V.m. § 709 S. 2 ZPO.
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Streitwert: 3.261,05 €
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