Urteil des AG Düsseldorf vom 12.03.2004
AG Düsseldorf: ordre public, internationale zuständigkeit, anerkennung, anhörung, gesellschaft, mitgliedstaat, geschäftsführer, niederlassung, england, bilanz
Amtsgericht Düsseldorf, 502 IN 126/03
Datum:
12.03.2004
Gericht:
Amtsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Richter
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
502 IN 126/03
Tenor:
wird auf die Beschwerde des englischen Insolvenzverwalters X vom
23.07.2003 gegen den Eröffnungsbeschluß vom 10.07.2003 das
Insolvenzverfahren gemäß Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 1 EGInsO zugunsten
der Verfahrenseröffnung vom 16.05.2003 vor dem High Court of Justice
in Leeds (Az.: No 861-867/03) eingestellt.
Auf den am 08.03.2004 gestellten Antrag des englischen
Insolvenzverwalters X wird mit separatem Beschluss gemäß Art. 3 Abs.
2 EUInsVO über das Vermögen der Schuldnerin das
Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet.
G r ü n d e
1
I.
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Am 16.05.2003 wurden für die Schuldnerin sowie zwei weitere ebenfalls im
Handelsregister des Amtsgericht X eingetragene Gesellschaften vor dem High Court of
Justice in Leeds Anträge auf Eröffnung sogenannter Administration-Verfahren gemäß §
8 des Insolvency Acts 1986 gestellt, wobei der dortige Antragsteller nicht
Geschäftsführer der Schuldnerin war. Die Schuldnerin selbst sowie die weiteren
Gesellschaften sind Mitglieder eines europäischen Konzerngebildes. Die
Gesellschafterin der Schuldnerin ist im (zumindest anteiligen) Anteilsbesitz einer
englischen Company. Das Gericht in Leeds erließ am gleichen Tage für diese Company
und auch für die drei in X ansässigen Gesellschaften Administration Orders und
bestellte unter anderem den Beschwerdeführer zum joint administrator. In der
Entscheidung führte das Gericht unter anderem aus, dass aufgrund der vorgelegten
Unterlagen die EUInsVO einschlägig sei und die Verfahren Hauptverfahren (main
proceedings) im Sinne des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO seien (ZIP 2003, 1362 f.).
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Mit Schreiben vom 17.05.2003, bei Gericht am 19.05.2003 eingegangen, stellte die
alleinige Geschäftsführerin der Schuldnerin in Düsseldorf für die Schuldnerin sowie die
beiden weiteren Gesellschaften Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren. Der
Eröffnungsantrag, dem allein die Bilanz zum 31.12.2002 beigefügt war, bestand aus
dem einzigen Satz, dass für die Gesellschaft wegen Überschuldung Insolvenzantrag
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gestellt werde. Ein Hinweis auf die in England anhängigen Verfahren erfolgte nicht.
Mit Beschluss vom 19.05.2003 wurde Rechtsanwalt Dr. X zum vorläufigen
Insolvenzverwalter bestellt und ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet. Mit Schriftsatz
vom 04.06.2003 machte dieser unter Beifügung einer Kopie der Administration Order die
Verfahrenseröffnung in Leeds aktenkundig.Unter dem 06.06.2003 erließ der zum
damaligen Zeitpunkt zuständige Richter einen Klarstellungsbeschluss, wonach der
Beschluss des High Court of Justice in Leeds deswegen keine Bindungswirkung
entfalten würde, da diese Entscheidung die Vorschriften der EUInsVO weder erwähnte
noch beachtete (ZIP 2003, 1363).
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Mit Schriftsatz vom 12.06.2003 wurde seitens der englischen Insolvenzverwalter der
Antrag gestellt, den Beschluss des High Court of Justice in Leeds öffentlich
bekanntzumachen und diesen in die öffentlichen Register einzutragen. Dem Antrag war
eine deutsche Übersetzung des englischen Beschlusses beigefügt. Dieser Antrag
wurde mit Beschluss vom 23.06.2003 von dem zum damaligen Zeitpunkt zuständigen
Richter zurückgewiesen, indem auf die Gründe des Beschlusses vom 06.06.2003
verwiesen wurde, die weiterhin zutreffen würden.
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Mit Schriftsatz vom 09.07.2003 regte der vorläufige Insolvenzverwalter die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens an. Dem Eröffnungsgutachten war ein Rechtsgutachten von Prof.
Dr. X vom 03.07.2003 beigefügt, welches sich unter anderem zur Frage der
Anwendbarkeit der Europäischen Insolvenzordnung und zur Frage der Zuständigkeit
verhielten (Zuständigkeitsfragen nach der Europäischen Insolvenzordnung, ZIP 2003,
1725 ff).
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Mit Beschluss vom 10.07.2003 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt
Dr. X zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beschluss wurde den damaligen
Verfahrensbevollmächtigen der englischen Insolvenzverwalter am 21.07.2003
zugestelllt. Mit Schriftsatz vom 23.07.2003 legte der englische Insolvenzverwalters X
unter Berufung auf einen Verstoß gegen Art 3 Abs. 2 EUInsVO außerordentliche
Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss ein. Die weitere Begründung sollte einem
späteren Schriftsatz vorbehalten bleiben. Ohne die angekündigte weitere Begründung
abzuwarten, half der zum damaligen Zeitpunkt zuständige Richter der Beschwerde nicht
ab und legte die Akten dem Landgericht Düsseldorf vor. Zur Begründung wurde
ausgeführt, der Beschwerdeführer sei nicht beschwerdeberechtigt, da der Beschluss
des Insolvenzgerichts in Leeds ausweislich des Gutachtens des Prof. Dr. X vom
03.03.2003 zumindest bezüglich der Schuldnerin nichtig sei und der Beschwerdeführer
deshalb keine Rechte aus dieser Entscheidung ableiten könne. Weiter wurde auf den
Klarstellungsbeschluss vom 06.07.2003 Bezug genommen.
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Die angekündigte weitere Begründung, der unter anderem
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Zeugenaussagen des anwaltlichen Beraters der englischen Gesellschaft, des
Antragstellers in Leeds sowie das nunmehr abgefasste Urteil des High Court of Justice
beigefügt waren, ging am 21.08.2003 bei Gericht ein.
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Mit Beschluß vom 23.10.2003 wurde vom Landgericht Düsseldorf -Einzelrichterin- der
Nichtabhilfebeschluß vom 29.07.2003 aufgehoben und die Sache zur erneuten
Durchführung des Nichtabhilfeverfahrens an das Amtsgericht Düsseldorf
zurückgegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die sofortige Beschwerde
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statthaft sei (§§ 34 Abs. 2 InsO, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und zur Aufhebung des
Beschlusses führe, da -neben weiteren Bedenken- die Geschäftsführerin der
Schuldnerin zum Zwecke der Sachaufklärung nicht gehört worden sei. Erst danach
könne festgestellt werden, ob der Insolvenzantrag unter Verletzung deren rechtlichen
Gehörs in Leeds gestellt worden sei.
Nachdem der Beschwerdeführer, der Insolvenzverwalter und die Geschäftsführerin der
Schuldnerin Gelegenheit zur Stellungnahme zum Beschluß des Landgericht Düsseldorf
erhalten hatten, wurde nach Wechsel im richterlichen Dezernat mit Beschluß vom
12.01.2004 zur Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben über die Frage, ob die
Geschäftsführerin der Schuldnerin den Antragsteller in Leeds ermächtigt hat, auch für
die hiesige Schuldnerin Insolvenzantrag zu stellen. Wegen des Ergebnisses der
Anhörung bzw. Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 02.02.2004
Bezug genommen (Bl. 357-368 der Akte).
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Mit Schriftsatz vom 08.03.2004 stellt der Beschwerdeführer Antrag auf Eröffnung eines
Sekundärinsolvenzverfahren.
13
II.
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Die gemäß Art 102 § 3 Abs. 1 Satz 3 EGInsO zulässige Beschwerde ist begründet und
führt zur Einstellung des Insolvenzverfahrens.
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Soweit zunächst von dem zum damaligen Zeitpunkt zuständigen Richter dem
Eröffnungsbeschluss des High Court of Leeds deswegen keine Bedeutung zugemessen
worden ist, weil dieser unter Nichtbeachtung der EUInsVO ergangen sein soll, trifft dies
nicht zu. Denn der genannte Eröffnungsbeschluss verweist ausdrücklich auf die
Vorschriften der EUInsVO. Die Kritik von X (Vier Entscheidungen englischer und
deutscher Gerichte zur europäischen internationalen Zuständigkeit zur Eröffnung von
Hauptinsolvenzverfahren, DZWIR 2003, 397, 400 f.) ist insoweit berechtigt. Auch die
sodann erlassenen Beschlüsse, die zum Teil fehlerhaft ergangen sind (Nichtabhilfe
ohne Abwarten der angekündigten Begründung bzw. ohne weitere Fristsetzung zur
Nachreichung, vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl. 2003, § 572 Rdnr. 8) und sich
pauschal auf den Beschluss vom 06.06.2003 beziehen, rechtfertigen keine andere
Beurteilung der Rechtslage.
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Das Verfahren war gemäß Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 1 EGInsO einzustellen. Danach darf
ein ein bereits eröffnetes Insolvenzverfahren nicht fortgesetzt werden, wenn in einem
anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits ein Hauptinsolvenzverfahren
eröffnet worden ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Denn über das
Vermögen der Schuldnerin ist am 16.05.2003 vor dem High Court of Justice in Leeds
das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden. Diese zeitlich früher erfolgte
Verfahrenseröffnung ist gemäß Art. 16 EuInsVO anzuerkennen.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Anhörung der Geschäftsführerin der
Schuldnerin steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Eröffnungsantrag in
Leeds aufgrund einer Ermächtigung der hiesigen alleinigen Geschäftsführerin an den
dortigen Eröffnungsantragsteller gestellt worden ist und damit keine Verletzung des
rechtlichen Gehörs vorgelegen hat.
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Die Geschäftsführerin der Schuldnerin hat zwar zunächst in dem äußerst rudimentärem
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Eröffnungsantrag weder auf die in Leeds erfolgten Eröffnungsanträge hingewiesen noch
danach klargestellt, dass dort mit ihrem Wissen und Wollen der Eröffnungsantrag
gestellt worden ist. Vielmehr hat sie den Eindruck erweckt, von einem solchen Antrag
keine Kenntnis zu haben.
Bei einer solchen Sachlage wäre es gerechtfertigt gewesen, dem Beschluss des High
Court of Justice in Leeds die Anerkennung zu versagen. Eine Versagung der
Anerkennung eines anderen Eröffnungsbeschlusses ist dann gerechtfertigt, wenn dieser
Beschluss gegen den ordre-public Vorbehalt des Art 26 EUInsVO verstößt. Danach
kann sich jeder Mitgliedsstaat weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes
Insolvenzverfahren anzuerkennen, soweit diese Anerkennung zu einem Ergebnis führen
würde, dass offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit seinen
Grundprinzipien oder den verfassungsgemäßen Rechten und Freiheiten des Einzelnen
unvereinbar wäre. Hierzu zählt es insbesondere, wenn im Rahmen eines
Insolvenzverfahren gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs verstoßen wird (Reinhart,
in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Art 26 EUInsVO, Rdnr. 2; Wimmer,
Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2002, Rdnr. 271; Paulus in
EWiR2003, 709, 710 und ZIP 2003, 1725, 1728 f.) Klarstellend sei darauf hingewiesen,
dass insoweit nicht zu prüfen ist, ob vorliegend ggfls. die internationale Zuständigkeit
fälschlich in Anspruch genommen worden ist, was grundsätzlich hinzunehmen wäre,
sondern allein die Frage, ob die Insolvenzeröffnung über das Vermögen der
Schuldnerin in Leeds ohne Kenntnis deren gesetzlichen Vertreterin erfolgt ist.
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Dies ist nach dem Ergebnis der Anhörung der Geschäftsführerin der Schuldnerin sowie
der durchgeführten Beweisaufnahme zu verneinen. Die Geschäftsführerin hat im Termin
vom 02.02.2004 bekundet, dass im Zeitraum zwischen dem 15.05 und dem 16.05 2003
verschiedene Telefonate bzw. Telefonkonferenzen stattfanden, in denen die
wirtschaftliche Lage sowie die hieraus zu ziehenden Konsequenzen besprochen
worden seien. Ergebnis sei gewesen, dass am 16.05.2003 ein europäisches
Insolvenzverfahren angemeldet werden sollte. Nachdem festgestellt worden sei, dass
sie allleinige Geschäftsführerin der hiesigen Schuldnerin und einer der weiteren in X
eingetragenen Gesellschaften war, sei es weiter um die Frage gegangen, ob sie den
Antragsteller in Leeds autorisieren würde, Insolvenzantrag in England zu stellen. Dies
habe sie bejaht, wobei die Autorisierung für die gesamte Firmengruppe in Deutschland
gegolten habe. Diese Bekundungen der Geschäftführerin werden gestützt durch die
Aussagen der Zeugin X sowie den Zeugen X und X.Die Zeugen, die in
unterschiedlicher Beteiligung an den Telefongesprächen/Telefonkonferenzen
teilgenommen haben, haben im Kern übereinstimmend die Darstellung der
Geschäftführerin bestätigt. Angesichts dieser Aussagen, an denen zu zweifeln kein
Anlaß besteht, vermag die insoweit unrichtige Darstellung im witness statement des
Antragstellers in Leeds, wonach auch er Geschäftsführer der hiesigen Schuldnerin sei,
eine andere Beurteilung der Beweisaufnahme nicht zu rechtfertigen.
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Angesichts dessen war die Entscheidung des High Court of Leeds vom 16.05.2003
anzuerkennnen und das hiesige Insolvenzverfahren gemäß Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 1
EGInsO im Hinblick auf die zeitlich vorausgegangene Entscheidung einzustellen.
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III.
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Auf den am 08.03.2004 gestellten gemäß Art. 29 a EUInsVO zulässigen Antrag des
englischen Insolvenzverwalters wird mit separaten Beschluss über das Vermögen der
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Schuldnerin das Sekundärinsovenzverfahren eröffnet. Angesichts des nunmehr vom
englischen Insolvenverwalter gestellten Antrags kommt es auf die Frage, ob die
Schuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen in Leeds
überhaupt hier einen gemäß Art 29 b EUInsVO zulässigen Antrag auf Eröffnung eines
Sekundärinsolvenzverfahrens stellen kann, nicht weiter an. Dies erscheint jedoch
aufgrund des Verlusts der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zweifelhaft (so auch
Sabel, Hauptsitz als Niederlassung im Sinne der EUInsVO?, NZI 2004, 126, 128;
bejahend AG Köln, NZI 2004, 152, 153).
Im übrigen bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Eröffnung eines
Sekundärinsolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin, wobei zur
Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Erwägungen des AG X in
Beschluss vom 23.01.2004 (NZI 2004, 152, 153) verwiesen wird, die auch auf den
vorliegenden Fall zutreffen und denen nichts weiter hinzuzufügen ist. Das AG
Düsseldorf ist international und örtlich zuständig (Art. 3 Abs. 2 EUInsVO, Art 102 § 1
Abs. 2 EGInsO). Die Schuldnerin ist entsprechend den zutreffenden Ausführungen des
AG X auch als Niederlassung im Sinne des Art. 2 h EUInsVO anzusehen (Paulus, ZIP
2003, 1725, 1728).
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