Urteil des AG Düsseldorf vom 16.12.2009

AG Düsseldorf (vvg, abschluss des vertrages, frist, teleologische auslegung, kündigung, kläger, versicherungsnehmer, vorschrift, auslegung, zeitpunkt)

Amtsgericht Düsseldorf, 25 C 9172/09
Datum:
16.12.2009
Gericht:
Amtsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
25. Abteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 C 9172/09
Tenor:
hat das Amtsgericht Düsseldorf
auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2009
durch die Richterin am Amtsgericht X
für R e c h t erkannt:
Es wird festgestellt, dass der Hausratsversicherungsvertrag zur
Versiche-rungsscheinnummer xxxx vom 29.04.2005 wirksam durch
Kündigung vom 28.01.2009 zum 29.04.2009 beendet ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht
der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien schlossen einen Haftpflichtversicherungsvertrag mit Wirkung ab dem
29.04.2005 mit einer Mindestlaufzeit von 5 Jahren. Der Kläger als Versicherungsnehmer
kündigte durch seinen Versicherungsmakler den Vertrag mit Schreiben vom 28.01.2009
zum 29.04.2009.
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Die Beklagte wies die Kündigung mit Schreiben vom 5.2.2009 und vom 15.5.2009
zurück.
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Der Kläger ist der Auffassung, ihm stünde gemäß § 11 VVG n.F. ein Kündigungsrecht
zu, so dass der Versicherungsvertrag zum 29.04.2009 durch Kündigung beendet
worden sei.
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Er beantragt,
5
festzustellen, dass der Hausratsversicherungsvertrag zur
Versicherungsscheinnummer xxxx vom 29.04.2005 wirksam durch Kündigung
vom 28.01.2009 zum 29.04.2009 beendet wurde.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
8
Sie ist der Auffassung, dass bei Altverträgen, also Verträgen, die vor Inkrafttreten des
neuen Versicherungsvertragsgesetzes geschlossen wurden, eine Kündigung
frühestmöglich zum Ende des Kalenderjahres 2010 möglich sei.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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1.
11
Die Klage ist zulässig.
12
Es besteht ein Feststellungsinteresse des Klägers, weil die Beklagte die Kündigung
zurückwies und daher der Kläger ein Interesse an der Feststellung hat, dass ein
Vertragsverhältnis nicht weiter besteht.
13
2.
14
Die Klage ist begründet.
15
Der Kläger hat mit Schreiben vom 28.1.2009 das Vertragsverhältnis zum 29.04.2009, in
dem er die Kündigung aussprach, wirksam beendet.
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Trotz 5-jähriger Vertragslaufzeit stand dem Kläger gemäß § 11 Abs. 4 VVG n.F. das
Recht zu, den bestehenden Altversicherungsvertrag zu kündigen. Nach dieser Vorschrift
besteht ein Sonderkündigungsrecht des Versicherungsnehmers eines Altvertrages nach
Ablauf des 3. oder jedes darauffolgenden Jahres vor.
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Nach Ansicht des Gerichts ist diese Vorschrift auf Altverträge anzuwenden, dies ergibt
sich aus Folgendem: Gemäß Artikel 1 Absatz 1 EG VVG ist auf
Versicherungsverhältnisse, die bis zum Inkrafttreten des Versicherungsvertragsgesetzes
vom 23.11.2007 am 1.1.2008 entstanden sind (Altverträge) das
Versicherungsvertragsgesetz in der bis dahin geltenden Fassung bis zum 31.12.2008
anzuwenden. Das vorliegende Vertragsverhältnis wurde mit Wirkung zum 29.4.2005 mit
einer Mindestlaufzeit von 5 Jahren geschlossen. Das neue
Versicherungsvertragsgesetz gilt mithin ab dem 1.1.2009, so dass mit einer Frist von 3
Monaten ab diesem Zeitpunkt der Versicherungsvertrag kündbar war.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht gemäß Artikel 3 Abs. 3 in Verbindung mit Absatz 4,
Abs. 1 EGVVG. Nach Art. 3 Abs. 4 EGVVG sind die Absätze 1 bis 3 der Vorschrift,
welche die Kollision von Verjährungsfristen nach altem und neuem Recht regeln,
entsprechend "auf Fristen anzuwenden, die für die Geltendmachung oder den Erwerb
oder den Verlaust eines Rechts maßgeblich sind."
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Da jedoch nach Ansicht des Gerichts die Frage, ab wann gekündigt werden kann, nicht
eine Frist sondern einen Termin betrifft, ist die Vorschrift nicht analog anwendbar.
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Eine Frist ist ein abgegrenzter, also bestimmter oder jedenfalls bestimmbarer Zeitraum,
die unterschiedlichen Zwecken dienen kann. Sie kann Rechte begründen, Rechte
erlöschen lassen, eine dauernde Einrede gegen einen Anspruch begründen oder den
Zeitraum abgrenzen, in dem eine Leistung zu erbringen ist. Ein Termin ist ein
bestimmter Zeitpunkt, an dem etwas geschehen soll oder eine Rechtswirkung eintritt.
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Die Frage, ob ein Sonderkündigungsrecht zum Ablauf einer bestimmten Vertragslaufzeit
zugestanden wird, ist ein Termin, nämlich ein Zeitpunkt, an dem eine Rechtswirkung
eintritt, nämlich die Beendigung eines Versicherungsvertrages für den Fall, dass er
fristgerecht gekündigt wird. Das Sonderkündigungsrecht kann der Versicherungsnehmer
zwar nur unter Einhaltung einer bestimmten Frist, nämlich 3 Monate ausüben, das
Bestehen des Kündigungsrechts selbst ist jedoch nicht von einer Frist abhängig,
sondern von einer bestimmten Vertragslaufzeit. Das vereinbarte Ablaufdatum wie auch
der nach § 11 Abs. 4 VVG neue Fassung zum Ablauf des 3. Versicherungsjahres
gesetzte Kündigungszeitpunkt sind mithin als Termin und nicht als Frist im Rechtssinne
zu betrachten.
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Die Auffassung, dass mit dem Ablauf der Mindestvertragslaufzeit ein
Sonderkündigungsrecht erworben werde, ist entgegenzuhalten, dass der
Versicherungsnehmer das Sonderkündigungsrecht bereits mit Abschluss des Vertrages
erlangt und nur dessen Ausübung bis zum Ablauf der Mindestvertragslaufzeit
aufgeschoben ist. Die Begründung eines Rechts geht mit dem Ablauf der
Mindestvertragslaufzeit somit gerade nicht einher. Eine Frist für die Geltendmachung
eines Rechts im Sinne von Artikel 3 Abs. 4 EG VVG ist eine Ausschlussfrist gemeint,
wobei ihr Verstreichen den automatischen Untergang des Rechts zur Folge hat. Allein
dadurch, dass ein Vertrag 5 bis 3 Jahre bzw. 3 Jahre läuft, hat der Versicherungsnehmer
noch nichts gewonnen oder verloren, insbesondere nicht seine Rechte aus dem
Versicherungsvertrag. Der in § 11 Abs. 4 VVG neue Fassung genannte Zeitraum dient
lediglich der Unterteilung der Versicherungsverträge in solche, die einer
Sonderkündigung überhaupt zugänglich sind und solche, bei denen Kündigungen
aufgrund der von vornherein vereinbarten "kurzen Vertragslaufzeit" nicht in Frage
kommt.
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Die teleologische Auslegung des Gesetzes, d.h. die Auslegung nach Sinn und Zweck
der Neufassung zur Regelung des Vertragsgesetzes spricht für die Auslegung im
obigen Sinne. Artikel 3 Abs. 3 EG VVG ist eine Regelung zum Schutz des
Versicherungsnehmers, durch die verhindert werden soll, dass allein durch das
Inkrafttreten einer neuen gesetzlichen Verjährungsregelung ein Rechtsverlust eintritt,
indem eine nach altem Recht längere Frist durch eine nach neuem Recht kürzere, zum
Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesänderung wohlmöglich bereits abgelaufenen
Frist ersetzt wird (vgl. Steinbeck-Schmitz-Elvenich VW 2009, 1251, 1253).
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Auch die Vertreter der Gegenansicht (so Schneider, Versicherungsrecht 2008, 859)
erklären, dass aus Sicht des Gesetzgebers es galt, ein langfristiges Nebeneinander
zweier unterschiedlicher Rechtsordnungen zu vermeiden und möglichst alle
Versicherungsnehmer bald in den Genuss des neuen Rechts kommen zu lassen. Dieser
Zwecke wird hiermit erfüllt.
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Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 11 Abs. 4 VVG, da
im Referentenentwurf vom 13. März 2006 es in der Begründung von Artikel 3 Abs. 4 EG
VVG heißt "das VVG 2006 enthält in mehreren Vorschriften Fristen, die für die
Geltendmachung … eines Rechts maßgeblich sind (z.B. § 11 Abs. 4 …). Hierzu merkte
der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in seiner
Stellungnahme vom 15. Mai 2006 auf Seite 97 zu Recht an, dass der Verweis auf § 11
Abs. 4 zu streichen sei, da die Kündigungsfrist des derzeitigen § 8 Abs. 3 Satz 1 VVG
diejenige des § 11 Abs. 4 übereinstimmen und eine Übergangsvorschrift entbehrlich sei.
"Die Festlegung der Höchstdauer … betrifft demgegenüber von vornherein weder eine
Frist im Sinne des Absatz 4 noch eine solche im Sinne des § 186 ff. BGB, so dass der
Verweis auch insoweit entbehrlich ist." Der Gesetzgeber hat sich diese Auffassung
ersichtlich zu eigen gemacht, denn der Verweis auf § 11 Abs. 4 VVG, Strich E, findet
sich nicht mehr in der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes
zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 20.12.2006.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Gemäß § 511 Abs. 1 Nr. 2 Abs. 4 ZPO ist die Berufung zuzulassen, da der Rechtsstreit
grundsätzliche Bedeutung hat. Gegenstand des Rechtsstreits ist eine streitige
Rechtsfrage, die sich auch in vielen vergleichbaren Fällen stellt.
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Streitwert: 89,39 €.
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