Urteil des AG Düsseldorf vom 09.08.2004

AG Düsseldorf (mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, baustelle, freiheitsstrafe, gespräch, signal, geschwindigkeit, mobiltelefon, unfall, folge, behandlung)

Amtsgericht Düsseldorf, 142 Ds 90 Js 2019/02
Datum:
09.08.2004
Gericht:
Amtsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
Richterin
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
142 Ds 90 Js 2019/02
Tenor:
hat das Amtsgericht Düsseldorf
in den Sitzungen vom 2., 12., 20., 30. Juli 2004 und 9. August 2004
an denen teilgenommen haben:
Richterin am Amtsgericht X
als Strafrichterin,
Staatsanwalt X
als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt X,
Rechtsanwalt X,
als Verteidiger,
Justizangestellte X (2. Juli 2004)
Justizangestellte X (12. Juli 2004)
Justizangestellte X (20. Juli 2004)
Jsutizangestellte X (30. Juli 2004)
Referendar X (9. August 2004)
als Urkundsbeamte der Geschäftstelle,
für R e c h t erkannt:
Der Angeklagte wird wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe
von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt wird.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens, seine eigenen
notwendigen Auslagen und die notwendigen Kosten des Nebenklägers.
Angewendete Vorschriften: § 222 StGB.
G r ü n d e :
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I.
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Der heute 31 Jahre alte Angeklagte lebt in X und hat 17 Geschwister zu denen er wenig
Kontakt hat. Er ist ledig und hat ein Kind welches 19 Monate alt ist. Die Mutter des
Kindes trennte sich im Mai 2004 von dem Angeklagten. Der Angeklagte selbst arbeitete
vor der Tat bei der Rheinbahn AG als Straßenbahnfahrer und ist nunmehr arbeitslos
aber von der Rheinbahn noch nicht gekündigt. Er erlitt durch den streitgegenständlichen
Unfall einen schweren Schockzustand und hat sich nach der Tat einige Zeit in
stationärer psychiatrischer Behandlung befunden. Seit der Tat hat der Angeklagte
Schlafstörungen und geht seinen früheren Freizeitaktivitäten nicht mehr nach. Die Mutter
des Angeklagten erlitt kurze Zeit nach der Tat einen Herzinfarkt und der Vater einen
Schlaganfall. Strafrechtlich ist der Angeklagte nicht in Erscheinung getreten.
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II.
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Am 28. Mai 2002 gegen 9.05 Uhr befuhr der Angeklagte mit dem Rheinbahn-
Straßenbahnzug Nr. X der Linie X in X auf dem gesonderten gradlinigen und
übersichtlich verlaufenden Straßenbahn-Gleiskörper die X-Straße bei halbhoch am
Himmel stehender Sonne. Er steuerte den Straßenbahnzug aus Richtung X kommend in
Fahrtrichtung X, als sein Mobiltelefon klingelte, welches sich in seinem Rucksack
befand. Der Angeklagte nahm das Gespräch entgegen. Die Anruferin war seine
damalige Lebensgefährtin die Zeugin X. Noch während des Telefonates kollidierte das
von dem Angeklagten geführte Straßenbahnfahrzeug frontal mit drei im
Schienenbereich befindlichen Gleisarbeitern, den Opfern X, X und X, die dort in der
Weiche Instandsetzungsarbeiten durchführten.
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Der Zusammenstoß ereignete sich in Höhe der Weiche des nach links in Richtung des
Betriebshofes X abbiegenden Gleises.
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Die Geschädigten X und X verstarben in Folge der Kollision mit dem Schienenfahrzeug
unmittelbar am Tatort. Bei dem Geschädigten X führten die durch den Aufprall
verursachten lebensgefährlichen Verletzungen nach 23-tägiger intensivmedizinischer
Behandlung am 29.06 2002 zum Tod.
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Zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens war die Baustelle wie folgt gekennzeichnet:
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In Annäherungsrichtung des Unfallbeteiligten Straßenbahnzuges war die maximal
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zulässige Straßenbahngeschwindigkeit erstmals 127,3 Meter westlich der Laterne 59
mittig zwischen den Straßenbahngleisen durch ein Geschwindigkeitssignal G2 A
gemäß Anlage 4der BOStrab auf 10 km/h beschränkt. Dieses Geschwindigkeitssignal
war verbunden mit einem darübermontierten Schutzsignal SH1 gemäß Anlage 4 der
BoStab (Zwangshalt). Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 10 km/h wurde durch das
gleiche Signal ohne Zusatzsignal "Zwangshalt" 44,6 Meter weiter in
Annäherungsrichtung des Straßenbahnzuges (1,8 Meter vor dem hier geöffneten
Weichensteuerungskasten) wiederholt. 133,6 Meter vor dem Erstsignal wurde diese
Geschwindigkeitsbegrenzung auf 10 km/h durch das Signal G1A angekündigt. 13,5
Meter hinter der Front des in der Endstellung stehenden Straßenbahnzuges wurde
diese baustellenbedingte Geschwindigkeitsreduzierung durch das Signal G3
aufgehoben. Im übrigen Gleisbereich war die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 60
km/h festgesetzt.
Aufgrund eines Telefongespräches mit der Zeugin X war der Angeklagte derart
abgelenkt, dass er sämtliche Warnschilder, die vor der Wanderbaustelle aufgestellt
waren übersah. Laut Fahrschreiberauswertung endete die Fahrschalterbetätigung der
Straßenbahn 102,53 Meter vor Erreichen der Endstellung und demnach ca. 23,5 Meter
vor der vorgenannten Kollisionsstelle. Bis in diese Position hatte die Straßenbahn mit
der Front des ersten der beiden Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder auf maximal 10
km/h und auch das darüberbefindliche Signal Zwangshalt ohne nennenswerte
Verzögerung um 22,9 Meter passiert gehabt und das Zeichen zur Ankündigung der
Geschwindigkeitsbegrenzung auf 10 km/h war zu diesem Zeitpunkt bereits um 156,5
Meter passiert. Zum Zeitpunkt der Kollision hatte das Fahrzeug demnach noch eine
Geschwindigkeit von 27 km/h inne. Der hier nachvollziehbare Anhalteweg der
Straßenbahn von 102,53 Meter zwischen erstmaliger vollständiger Rücknahme der
Fahrschalterbetätigung bei einer registrierten Ausgangsgeschwindigkeit etwa im
Bereich der dort unter günstigsten Bedingungen ohne gesonderte Verkehrszeichen
maximal zulässigen Höchstgeschwindigkeit (61,36 km/h registriert) und Erreichen der
Endstellung deutet bereits darauf hin, dass der Straßenbahnzug bei Reaktion des
Fahrers während des Passierens des Ankündigungszeichens für die spätere
Geschwindigkeitsbegrenzung über weitere 133,6 Meter bis zum Erreichen des ersten
Zeichens der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 10 km/h mit Zwangshalt keine
Abbremsung in der hier registrierten Intensität hätte durchführen müssen, um dort zum
Stillstand zu kommen.
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Bei einer anschließenden Ausgangsgeschwindigkeit von lediglich 10 km/h im hier
nachvollziehbaren Reaktionspunkt (23,5 Meter vor der Kollisionsstelle) hätte das
Fahrzeug selbst unter Berücksichtigung einer relativ langen Vorbremszeit von 1,5
Sekunden lediglich eine sehr geringe Verzögerung von 0,2 Meter pro Sekunde zum
Quadrat einhalten müssen um noch vor der Kollisionsstelle zum Stillstand zu kommen.
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Der Angeklagte, der die Strecke am Tattag schon mehrmals ohne besondere
Vorkommnisse und insbesondere ohne Wanderbaustelle und deren Beschilderung
befahren hatte, nahm weder die Ankündigung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 10
km/h noch die Vorgaben des zweiten Warnschildes, das einen Zwangshalt gebot und
eine Weiterfahrt mit 10 km/h erlaubte, wahr. Erst 23,5 Meter vor der Kollisionsstelle
erkannte er etwas orangefarbenes im Gleisbett. Er nahm die Fahrschalterbetätigung
unmittelbar zurück und leitete eine Notbremsung ein. Dadurch verringerte sich die
Geschwindigkeit der frei von technischen Mängel funktionierenden Straßenbahn bis
zum Zusammenstoß mit den Gleisarbeitern von 61 km/h auf etwa 57 km/h. Hätte der
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Angeklagte den Geboten der Beschilderung die er ohne weiteres hätte erkennen
können, Folge geleistet, wäre wie oben dargelegt, der Unfall vermieden worden.
Die Gleisarbeiter hatten die Baustelle ordnungsgemäß abgesichert und beschildert. Wie
sich aus oben dargelegten ergibt, standen die Schilder exakt entsprechend den
Anordnungen der BOStab. Darüber hinaus stand ca. 10 Meter vor der Baustelle ein
Leuchtkegel, der durch häufiges Blitzen die Aufmerksamkeit des Straßenbahnfahrers
auf die Gleisarbeiter lenken sollte und somit als zusätzliches Sicherungsmittel diente.
Entsprechend der gängigen Praxis sollte der Leuchtkegel von einem Arbeiter des
Gleisarbeiterteams entfernt werden, sobald die Straßenbahn vor diesem zu Stehen
gekommen wäre. Hiernach sollte das Schienenfahrzeug seine Fahrt fortsetzen. Durch
diese Maßnahmen war sichergestellt, dass die Gleisarbeiter bei einem regelrechten
Verhalten des Straßenbahnfahrers das Gleisbett hätten verlassen können, bevor die
Straßenbahn die Baustelle passierte.
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III.
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Diese Feststellungen beruhen auf der teilgeständigen Einlassung des Angeklagten
soweit dieser gefolgt werden konnte. Siehe auf den Bekundungen der
Sachverständigen Diplom Ingenieur X, Prof. Dr. X und Prof. Dr. X, der Zeugin X, X, X
und X.
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Der Angeklagte hat eingeräumt, die Straßenbahn zum Tatzeitpunkt gefahren und die
Notbremsung erst 23,5 Meter vor der Unfallstelle veranlasst zu haben, als er etwas
Oranges im Gleisbett wahrnahm. Allerdings habe er die Zeit unmittelbar davor nicht
mehr in Erinnerung. Er könne sich allenfalls vorstellen, einen epileptischen Anfall
erlitten zu haben. Seine Erinnerung endet in einer Entfernung von ca. 500 Metern zu
dem Unfallort. Dieses ergibt sich aus dem ausgewerteten Fahrtenschreiber, aus dem zu
entnehmen ist, dass der Angeklagte bis zu einer Entfernung von ca. 500 Meter vor der
Unfallstelle die Straßenbahn regelrecht hochgeschaltet hat um dann in der
Endgeschwindigkeit von zwischen 57 und 61 km/h die Fahrt fortzusetzen bis zum
Einleiten der Notbremsung 23,5 Meter vor der Unfallstelle.
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Die Einlassung des Angeklagten, einen epileptischen Anfall erlitten zu haben, ist als
reiche Schutzbehauptung die wiederlegt worden ist anzusehen. Es steht zur
Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Angeklagte während der gegenständlichen
Straßenbahnfahrt keinen solchen epileptischen Anfall erlitten hat. Zwar konnten so der
Sachverständige Prof. Dr. X als auch der Sachverständige Prof. Dr. X einen
epileptischen Anfall beim Angeklagten nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ausschließen, da er nach deren nachvollziehbaren Ausführenden
eine dahingehende Veranlagung aufweist. Beide Professoren konnten jedoch nicht
bekunden, das just zum Tatzeitpunkt ein solcher Anfall stattgefunden hat. Allein die
Veranlagung, solche Anfälle zu erleiden, lässt noch nicht zwingend den Schluss zu,
dass der Angeklagte an diesem Tag und zu dieser Zeit einen solchen Anfall erlitten hat.
Das dieser Anfall nicht stattgefunden hat steht vielmehr fest aufgrund der Aussage der
Zeugin X, die bekundete, dass der Angeklagte schon mindestens eine Minute vor dem
Unfall mit ihr telefonierte und dieses Gespräch bis nach der Kollision andauerte. Sie
habe noch mitgehört, dass die Straßenbahn mit etwas kollidierte und der Angeklagte
aufschrie er habe jetzt wohl einen Menschen getötet. Weiterhin haben sie noch
mitgehört, dass der Angeklagte die Funkstelle über den Zusammenstoß informierte.
Hätte der Angeklagte in dieser Zeit einen epileptischen Anfall erlitten so hätte dies die
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Zeugin X unweigerlich bemerkt. Bei Auswertung des Fahrtschreiberdiagramms ergibt
sich aber, dass die letzten 500 Meter, die der Angeklagte ungebremst auf die Baustelle
zugefahren ist, maximal mit einer Zeit von 30 Sekunden befahren worden sind. Da das
Gespräch deutlich über eine Minute angedauert hat, kann der Angeklagte auf diesen
500 Metern keinen epileptischen Anfall gehabt haben. Auch davor konnte er keinen
gehabt haben, denn zu dieser Zeit hat er die Straßenbahn noch regelrecht
hochgeschaltet.
Die Zeugin X bekundete darüber hinaus weiter dass der Angeklagte während der
ganzen Zeit mit ihr gesprochen habe. Auch die Einlassung der Zeugin X, der
Angeklagte habe das Gespräch mit wer bin denn ich wer bist denn Du wo bin ich denn
eingeleitet, lässt nicht zwingend den Schluss zu, dass er sich in geistiger Verwirrung
befunden hat. Zum einen kann bei einem Telefongespräch dessen Nummer nicht auf
das Mobiltelefon übertragen wird, der Empfänger, hier der Angeklagte, nicht sofort
erkennen, wer ihn anruft, zum anderen ist es ohne weiteren nachvollziehbar das unter
Lebensgefährten bei Entgegennahme eines am frühen Morgen geführten Telefonats
gefrotzelt oder geflachst wird. Das Gespräch im Übrigen das sich dem angeschlossen
hat, war nach den Bekundungen der Zeugin X aber völlig normal und ohne
Besonderheiten.
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Die Aussage der Zeugin X ist auch in sich geschlossen, detailliert und
Wiederspruchsfrei und deshalb glaubhaft. Insbesondere war die Aussage geprägt von
starken Gefühlsregungen der Zeugin. Sie konnte nachvollziehbar schildern wie
mitgenommen sie nach dem Telefongespräch war, zumal sie im Nachhinein erfuhr, dass
während dieses Telefonates das schließlich von ihr begonnen worden war, drei
Menschen zu Tode gekommen sind. Sie weist auch keinerlei Belastungstendenzen auf.
Das Gericht hat dabei nicht verkannt, das sich die Zeugin X im Frühjahr von dem
Angeklagten getrennt hat, da er ihren Angeben zu Folge nicht die Treue gehalten hat.
Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Zeugin X mit dem Angeklagten eine
gemeinsames Kind hat und sich ihm deshalb weiterhin persönlich verbunden fühlt.
Angesichts der gemeinsamen Verantwortung dem Kind gegenüber ist es zur
Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen, dass sich die Zeugin X mit ihrer -den
Angeklagten belastenden- Aussage auf diesem Wege gleichsam revanchieren wollte.
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Das der Angeklagte sein Mobiltelefon während der Straßenbahn benutzte, ergibt sich
auch aus den Bekundungen der weiteren Zeugen X und X. Hierbei handelt es sich zwar
nur um Zeugen von Hörensagen, sie ergänzen jedoch voll umfänglich die Aussage der
Zeugin X und die Feststellungen des Sachverständigen X über den tatsächlichen
Unfallhergang. So sagte der Zeuge X glaubhaft aus, er habe von einem Herrn X
erfahren, dass der Angeklagte während der gegenständlichen Straßenbahnfahrt
mehrfach mit der Zeugin X per SMS gehabt habe. Herr X habe diese Information durch
den Bruder des Angeklagten erhalten. Weiterhin gab die Zeugin X an, sie habe als
Journalistin beim X durch eine dem Gericht nicht näher bekannte Anruferin mitgeteilt
bekommen, dass der Angeklagte am Tattage einige SMS an die Zeugin X geschrieben
habe. Die unbekannte Anruferin habe mit dem Angeklagten auf der Depressionsstation
des X-krankenhauses in X gelegen. Dort hätte der Angeklagte ihr hiervon erzählt. Die
Ausführungen der Unbekannten sind schon deswegen nachvollziehbar, weil sie im
Weiteren angab, dass der Angeklagte nach eigenen Angaben nach seinem Aufenthalt
im X-krankenhaus nach X verlegt werden sollte. Dieses konnte nur derjenige wissen,
der mit dem Angeklagten persönlichen Kontakt hatte, weil dessen Verlegung an jene
Stätte der Öffentlichkeit nicht bekannt war.
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Ferner ist ein epileptischer Anfall des Angeklagten auch deswegen ausgeschlossen,
weil im Falle eines Solchen die sogenannte der Straßenbahn eingesetzt hätte, die zu
einer sofortigen Notbremsung der Straßenbahn führt. Bei einer Geschwindigkeit von 57
km/h führt das sofortige Einsetzung der dazu, dass die Straßenbahn nach 8 Sekunden
steht. Schließlich fährt eine Straßenbahn nur unter aktiver Benutzung des Joysticks, der
sich am Straßenbahnfahrpult befindet. Bei einem epileptischen Anfall des Angeklagten,
der zu einem vollständigen Nachlassen jeglicher Körperspannung geführt hätte, hätte
dieser den Joystick zwangsläufig losgelassen. Nach den Ausführungen des
Sachverständigen X kann dem Fahrtenschreiber ein solcher Bremsvorgang indes nicht
entnommen werden. Vielmehr stieg die Geschwindigkeit der Straßenbahn seit ihrem
letzten Halt stetig an und betrug 500 Meter vor der Unfallstelle bis zur Einleitung des
durch den Angeklagten vorgenommenen Bremsvorganges konstant 61 km/h.
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Auch ist es ausgeschlossen, dass der Angeklagte aufgrund der niedrigstehenden
Sonne Warnschilder übersah. Denn unabhängig von der Frage, ob der Angeklagte
durch die Sonne tatsächlich geblendet wurde, war ihm die Wahrnehmung der Schilder
möglich, weil diese lediglich einen Blick Richtung Gleiskörper erforderte. Auch wenn
nach den Feststellungen in dem ärztlichen Untersuchungsbericht der Angeklagte nach
dem Unfall eine Prellmarke auf der Stirn gehabt hat, so mag diese ihre Ursache wo auch
immer haben, Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte bedingt durch einen
epileptischen Anfall irgendwo aufgeschlagen und sich dadurch diese Prellmarke auf der
Stirn zugezogen hat, sind nicht gegeben. Bei einem vollständigen Nachlassen der
Muskelspannung sinkt eine Person langsam in sich zusammen, keinesfalls aber schlägt
sie abrupt nach vorne auf und kann auf diese Weise erreichen dass sich ein Hämatom
auf der Stirn bildet. Nach den Feststellungen der Ärzte im Übrigen hat der Angeklagte
nach dem Unfallgeschehen einen Schock erlitten, sodass es denkbar ist, dass er sich
auf andere Art und Weise diese Pressmarke zugezogen hat.
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Aus diesen Gründen erklärt allein die durch das Telefonat mit der Zeugin X bedingte
Unaufmerksamkeit des Angeklagten, weshalb er den Geboten der Warnschilder nicht
Folge geleistet hat, zwar die ordnungsgemäße Beschilderung der Baustelle durch den
Sachverständigen X und den Zeugen X mit Blick auf deren jeweils nachvollziehbaren
und glaubhaften Bekundungen bestätigt wurde.
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IV.
24
Der Angeklagte hat sich der fahrlässigen Tötung gemäß § 232 STGB schuldig gemacht.
25
V.
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Bei der Strafzumessung war zunächst der Strafrahmen des § 222 StGB zu bestimmen.
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Dieser beträgt Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.
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Bei der Strafzumessung im Besonderen berücksichtigte das Gericht zunächst zugunsten
des Angeklagten, dass diese Tat für ihn weitreichende psychische negative Folgen
hatte. So befindet sich der Angeklagte seit der Tat in psychiatrischer Behandlung.
Ferner ist zu seinen Gunsten seine familiäre Situation zu berücksichtigen. Beide Eltern
erlitten nach der Tat schwerwiegende Krankheit, wobei es nahe liegt, dass diese wegen
des Unfalles auftraten. Ebenso musste zu seinen Gunsten bedacht werden, dass er
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weitreichenden Zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen der Angehörigen der
Geschädigten ausgesetzt sein dürfte. Weiterhin wirkt sich zu seinen Gunsten aus, dass
es sich bei seiner Tätigkeit um eine sogenannte gefahrgeneigte Tätigkeit handelt und er
über dies nunmehr seine Arbeitsstelle als Straßenbahnfahrer verlieren dürfte.
Schließlich ist der Angeklagte nicht vorbestraft.
Zulasten des Angeklagten musste berücksichtigt werden, dass er entgegen den
Anordnungen für Straßenbahnfahrer sein Mobiltelefon während der Fahrt benutzte.
Trägt doch der Fahrer einer Straßenbahn eine hohe Verantwortung für die Fahrgäste
und hat deswegen auf Gefahrenmomente besonders zu achten.
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Insoweit beging der Angeklagte durch sein Telefonat während der Fahrt eine grobe
Pflichtverletzung. Dies wirkt um so gewichtiger als der Angeklagte durch die Tat drei
Menschen getötet hat. Ferner hat der Angeklagte durch seine widerlegten
Schutzbehauptungen den Nebenklägern viel Leid zugefügt, was auch zu seinen Lasten
zu bewerten ist.
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Bei Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte kam
allein eine Freiheitsstrafe in Betracht. Einzig allein die Verhängung einer Freiheitsstrafe
ist zur Einwirkung auf den Angeklagten ebenso wie zur Verteidigung der Rechtsordnung
geeignet. Eine Geldstrafe ist schon wegen der Tatfolgen -Tot dreier Menschen-
unangemessen.
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Unter Berücksichtigung aller Strafzumessungserwägungen verhängte das Gericht eine
Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Da der Angeklagte bis dato
strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist und auch in der Zukunft von ihm
keine gleichartige Tat zu erwarten ist ist die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur
Bewährung ausgesetzt worden.
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VI.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.
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