Urteil des AG Dortmund vom 25.03.2009

AG Dortmund: schmerzensgeld, klagerücknahme, körperverletzung, wand, vollstreckung, rente, mindestbetrag, kopfschmerzen, scheidungsverfahren, verbal

Amtsgericht Dortmund, 421 C 12030/08
Datum:
25.03.2009
Gericht:
Amtsgericht Dortmund
Spruchkörper:
Zivilgericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
421 C 12030/08
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.133,17 € zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110
% des auf-grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.
TATBESTAND:
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Die heute 74jährige Klägerin macht gegen den heute 88jährigen Beklagten
Schadensersatzansprüche aufgrund einer Schlägerei geltend, die sich am 21.07.2006
im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses B I-Weg in E ereignet hat, in dem die Parteien
als Nachbarn zwei übereinander liegende Mietwohnungen bewohnen. Unstreitig sind
beide Parteien im Zuge ihrer Auseinandersetzung gemeinsam die aus fünf Steinstufen
bestehende Erdgeschosstreppe hinuntergestürzt.
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Die Klägerin behauptet, der Beklagte sei, möglicherweise nach einem Wirtshausbesuch
mit entsprechendem Alkoholgenuss, abends nach Hause gekommen, habe gegen ihre
Wohnungseingangstür gespuckt und lauthals "Du verkommene Sau, du alte Sau!"
gerufen. Als sie die Tür geöffnet habe, habe der Beklagte sie mit seinem hölzernen
Gehstock u. a. gegen den Kopf, geschlagen. Zur Abwehr dieses Angriffs habe sie den
Beklagten mit der linken Hand gegen die rechte Wange geschlagen und den Gehstock
ergriffen. Infolge eines wüsten beiderseitigen Gezerres an dem Gehstock sei es zu dem
Treppensturz gekommen. Auf dem unteren Treppenabsatz habe der Beklagte ihr ein
Büschel Haare ausgerissen und sie mehrfach mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen.
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Wegen dieses Vorfalls ist der zuvor unbescholtene Beklagte durch Urteil des
Amtsgerichts Dortmund vom 19.07.2007 wegen gefährlicher Körperverletzung
rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, nachdem zuvor der Versuch eines
Täter-Opfer-Ausgleichs erfolglos war. Die Akten dieses Verfahrens – 215 Js 1357/06
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Täter-Opfer-Ausgleichs erfolglos war. Die Akten dieses Verfahrens – 215 Js 1357/06
StA Dortmund – waren zu Informationszwecken Verhandlungsgegenstand.
Die Klägerin verlangt ein Schmerzensgeld von mindestens 800,00 € sowie die
Erstattung von Sachschäden, die sie nach Klagerücknahme i. H. v. 4,00 € auf 133,17 €
beziffert hat.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes
Schmerzensgeld i. H. v. mindestens 800,00 € sowie weitere 133,17
€ zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält die Klage für nicht erforderlich. Sämtliche Verletzungen habe sich die Klägerin
bei dem Treppensturz zugezogen.
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Das Gericht hat die Parteien persönlich angehört. Auf die Sitzungsniederschrift vom
25.03.2009 wird verwiesen.
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ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
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Nach geringfügiger Klagerücknahme ist die Klage aus §§ 253 Abs. 2, 823 Abs. 1, 823
Abs. 2 BGB, 223, 224 StGB in voller Höhe begründet.
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Aufgrund der Parteianhörung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der
Beklagte die Klägerin körperlich verletzt hat .
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Nachvollziehbar und glaubhaft sind die Angaben des Beklagten nur insoweit, als er am
Nachmittag zwei Damen getroffen hat, von denen eine ihm gegenüber die Klägerin
schlecht gemacht hat, was er allerdings auch vorher schon zu wissen meinte. Dies
nahm er dann zum Anlass, seinen Unmut über die Klägerin mit einigen Likörchen zu
begießen. Nicht glaubhaft ist jedoch, dass er die Klägerin vor deren
Wohnungseingangstür stehend nur in normalem Tonfall zur Besserung aufgefordert
haben will. Lebensnah und glaubhaft ist vielmehr die Darstellung der Klägerin, wonach
der Beklagte sie lauthals vor der Wohnungseingangstür beschimpft hat, was ihr sodann
Anlass gab, die Tür zu öffnen. Glaubhaft ist des Weiteren die Darstellung der Klägerin,
wonach der Beklagte sie mit dem Gehstock auf den Kopf geschlagen hat. Denn der
Beklagte räumt selbst ein, wenngleich für einen späteren Zeitpunkt des
Geschehensablaufs, dass er einen derartigen Schlag – wenngleich gegen die Wange –
geführt hat.
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Weitere Verletzungen hat der Beklagte – insoweit zumindest fahrlässig – der Klägerin
dadurch zugefügt, dass er sie bei seinem Treppensturz mitgerissen hat, indem er sie an
dem Kittel festhielt.
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Des Weiteren steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte der Klägerin,
als beide auf dem unteren Treppenpodest angelangt waren, ein dickes Büschel Haare
ausgerissen und sie beim Ausreißen dieser Haare mehrfach mit dem Kopf gegen die
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Wand geschlagen hat. Letzteres hat der Beklagte nicht substantiiert bestritten und
ersteres bagatellisierend mit ein paar Haaren bezeichnet, was angesichts des dicken
Haarbüschels, das sich bei den Strafakten befindet, stark untertrieben ist.
Schlicht hanebüchen und unglaubhaft ist die Darstellung des Beklagten, die Klägerin
habe ihm den Gehstock entrissen, als er schon die Treppe zu seiner Wohnung weiter
hinaufgehen wollte. Ebenso unglaubhaft ist, dass die Klägerin ihn die
Erdgeschosstreppe vorsätzlich hinuntergestoßen haben soll, was bei einem älteren
gebrechlichen Mann schon an einen Mordversuch denken lassen könnte. Das Gericht
ist aufgrund der insoweit vollständig glaubhaften Aussage der Klägerin davon
überzeugt, dass es zu dem Treppensturz wegen des Gerangels um den Gehstock
gekommen ist, an dem die Parteien in jeweils entgegengesetzter Richtung zogen. Darin
liegt die einzig nachvollziehbare Erklärung für den Treppensturz: Der Beklagte ist aus
dem Gleichgewicht geraten, weil der Gehstock der Klägerin entglitt und in ihren Händen
nur der untere Gehstockpfropfen zurückblieb, den sie auch heute noch in Besitz hat und
in der mündlichen Verhandlung vorgezeigt hat.
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Schlicht unglaubhaft ist des Weiteren, dass die Parteien schiedlich friedlich
nebeneinander an die Treppenhauswand gelehnt auf dem unteren Treppenhauspodest
gesessen haben wollen und das Ausreißen des Haarbüschels weiteren Angriffen der
Klägerin vorbeugen sollte. Dies ist für das Gericht schlicht nicht vorstellbar. Das
Ausreißen dieses großen Haarbüschels erfordert einen erheblichen Kraftaufwand, der
auch von einem Mann, erst recht nicht im Alter des Beklagten, an einer neben ihm
sitzenden Person ausgeübt werden kann.
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Gegen die Richtigkeit der Darstellung des Beklagten spricht des weiteren, dass er
gegen die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe
kein Rechtsmittel eingelegt und noch nicht einmal anwaltlichen Rat nachgesucht hat.
Dass er dies – wie er sich einlässt- seiner Frau, die beim Gericht gar nicht als Zeugin
vernommen worden ist, nicht antun wollte, ist schlicht unglaubhaft. Seine Frau hatte ihn
doch – wie er im Verhandlungstermin erklärt hat - im Scheidungsverfahren wegen eines
Rentenbetrages von 200,00 € mit gefälschten Rentenbescheiden betrogen und war
deshalb wie die Klägerin eine Schlimme und deshalb keine, auf die er Rücksicht
nehmen musste.
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Nach alledem hat der beweispflichtige Beklagte die Voraussetzungen eines
rechtfertigenden Notwehrrechtes ( § 227 BGB ) auch nicht ansatzweise bewiesen.
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Unter Berücksichtigung der Genugtuungs- sowie der Ausgleichsfunktion des
Schmerzensgeldes war dieses der Höhe nach auf einen Betrag von 1.000,00 €
festzusetzen. Dabei stand die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes nicht im
Vordergrund, da die vielfältigen Hämatome der Klägerin folgenlos abheilten und sie nur
über einen relativ geringen Zeitraum, den sie bezüglich der Kopfschmerzen mit acht
Tagen und bezüglich der sonstigen Schmerzen mit ein paar, vielleicht drei Tagen
angegeben hat, abgeklungen waren. Ins Gewicht fiel bezüglich der Ausgleichsfunktion
des Schmerzensgeldes allerdings, dass die Klägerin eine runde kahle Stelle an ihrem
Hinterkopf hat, an der ihr das Haarbüschel ausgerissen worden ist. Auch wenn die
Klägerin früher als Frisörin tätig war, Wert auf ihr Äußeres legt und die kahle Stelle
durch geschicktes Toupieren ihrer Haare zu verdecken weiß, handelt es sich um einen
körperlichen Dauerschaden, der sich auf die Höhe des Schmerzensgeldes zu Lasten
des Beklagten auswirken musste.
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Im Vordergrund stand die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, die dem
Gericht Anlass gegeben hat, den von der Klägerin angegebenen Mindestbetrag von
800,00 € um 200,00 € zu erhöhen. Die Klägerin hat dem Beklagten für die unflätigen
Beschimpfungen vor ihrer Wohnungstür nicht den geringsten aktuellen Anlass gegeben.
Nur weil eine andere Frau sie gegenüber dem Beklagten verbal schlechtgemacht hatte,
meinte der Beklagte, nachdem er sich Mut angetrunken hatte, randalieren und die
Klägerin körperlich verletzen zu sollen. Erschwerend kommt hinzu, dass er sich offenbar
nur wegen der leider allzu bald ablaufenden Bewährungsfrist davon abhalten lässt, die
Klägerin derzeit auch weiterhin zu behelligen. Die entsprechenden Erklärungen des
Beklagten, die mit seinem bloßen Altersstarrsinn und seiner Unbelehrbarkeit nicht zu
erklären sind, kann das Gericht nur mit Fassungslosigkeit entgegennehmen. Dass der
Beklagte trotz des zwischenzeitlichen Zeitablaufs auch heute offenbar nicht bereit ist,
nachbarlichen Frieden zu halten und die Klägerin auch heute noch befürchten muss,
von dem Beklagten behelligt zu werden, zeigt darüber hinaus eine völlige
Uneinsichtigkeit des Beklagten, die sich ebenfalls schmerzensgelderhöhend auswirken
musste. Des weiteren ist sein Verhalten nach der Tat dadurch gekennzeichnet, dass er
alle Versuche ( Täter-Opfer-Ausgleich, Vergleichsbemühungen des Richters ), die
Angelegenheit gütlich zu regeln, von vornherein abblockt und bar jeder Unrechtseinsicht
ist, obwohl ihm zumindest klar sein müsste, dass das Ausreißen eines dicken
Haarbüschels einen erheblichen Kraftaufwand erfordert und zumindest dieser Teilakt
seiner Körperverletzungen auch aus seiner Sicht weder mit Fahrlässigkeit noch mit
Notwehr erklärbar ist.
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Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes hat das Gericht des weiteren
berücksichtigt, dass beide Parteien nur über Renteneinkünfte verfügen und die Rente
des Beklagten sich infolge der Durchführung des Versorgungsausgleichs um 200,00 €
verringert hat.
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Die verletzungsbedingt eingetretenen Sachschäden sind i. H. v. 133,13 € nicht nur
belegt, sondern auch von dem Beklagten unbestritten geblieben.
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Nach alledem war der Beklagte entsprechend dem Urteilstenor zu verurteilen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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