Urteil des AG Dortmund vom 24.09.2008

AG Dortmund: zahnarzt, akte, versicherungsrecht, leistungsverweigerung, tarif, operation, heilbehandlung, vollstreckung, einzug, meinung

Amtsgericht Dortmund, 421 C 9664/07
Datum:
24.09.2008
Gericht:
Amtsgericht Dortmund
Spruchkörper:
Zivilgericht
Entscheidungsart:
Teil-Anerkenntnis- und Schlussurteil
Aktenzeichen:
421 C 9664/07
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.178,96 € nebst
Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 11.05.2007 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten zu 88 % und dem
Kläger zu 12 % auferlegt.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110
% des auf-grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht der Kläger vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.
Die Berufung wird für den Kläger nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger unterhält zu den Bedingungen der MB/KK 94 bei der Beklagten eine
Krankenversicherung, wonach die Kosten für zahnärztliche Heilbehandlung und
Zahnersatz nach dem Tarif Z 5 zu 80 % erstattungsfähig sind.
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In der Zeit vom 24.01. bis 21.07.2006 ließ der Kläger von dem Zahnarzt Dr. I eine
umfangreiche Gebisssanierung durchführen, insbesondere in den Zahngebieten 47, 46,
35 und 37 Implantate einsetzen, wobei diese Behandlung computergestützt mit der
sogenannten Implantatnavigation durchgeführt wurde.
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Bezüglich der entsprechenden Arztrechnungen vom 24.05. und 09.08.2006 (Bl. 25 ff der
Akte) nahm die Beklagte bei ihren Abrechnungen vom 12.06. und 28.08.2006
Kürzungen vor, die sie mit entsprechenden Informationsschreiben (Bl. 33, 36 d. Akte)
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erläuterte. Gegenstand der Klage sind die auf Blatt 4 der Klageschrift unter Nummern 1
bis 10 aufgelisteten Kürzungsbeträge von insgesamt 1.675,30 €, die entsprechend dem
vereinbarten Tarif zu einer Quote von 80 % geltend gemacht werden.
Die Berechtigung der Positionen 7, 9 und 10 hat die Beklagte nach gerichtlicher
Beweisaufnahme unstreitig gestellt.
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Zu den Positionen 1 bis 5 streiten die Parteien darüber, ob die Mehrkosten, die in Folge
der Implantatnavigation entstanden sind, Kosten einer medizinischen notwendigen
Heilbehandlung im Sinne von § 1 MB / KK darstellen.
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Zur Position 6 streiten die Parteien darüber, ob bzgl. der Operation zur Lagerbildung die
Gebührenstelle Ä 2730 oder die Gebührenstelle Ä 2732 (Operation zur Lagerbildung für
Knochen oder Knorpel bei ausgedehnten Kieferdefekten) zur Anwendung zu bringen ist.
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Position 8 betrifft das Auswechseln von Sekundärteilen am 21.06.2006. An diesem Tag
hat der behandelnde Zahnarzt 4 Gingivaformer ausgebaut, Prothetikpfosten eingesetzt,
diese im Mund für den Abdruck zur Herstellung der Brücke nachpräpariert, dann wieder
entnommen und die – unveränderten – Gingivaformer wieder eingesetzt.
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Der Kläger behauptet mit Einzelausführungen, die Implantatnavigation sei im
vorliegenden Fall medizinisch notwendig gewesen. Ohne eine solche Navigation hätte
sein Gebiss nicht mit Implantaten versorgt werden können. Auch seien die Positionen 1
bis 5 der Klageschrift nicht durch die Gebührenstelle 900 abgegolten.
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Die Abrechnung der Position Ä 2732 sei wegen des Umfangs der gebotenen
Maßnahmen zutreffend. Des weiteren sei am 21.06.2006 die Position 905 zutreffend
berechnet worden. Das Herausnehmen und anschließende Wiedereinsetzen der
Gingivaformer erfülle den Gebührentatbestand (OLG Karlsruhe Versicherungsrecht
2002, 743).
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Die Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.340,24 € nebst
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Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
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aus 988,21 € seit dem 13.06.2006 und aus 352,03 €
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seit dem 24.08.2006 zu zahlen.
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die Beklagte weiter zu verurteilen, an ihn weitere 186,24 € zu zahlen.
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Die Beklagte erkennt die Klageforderung in Höhe von 265,82 € ohne Zinsen an und
beantragt im übrigen,
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die weitergehende Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet die medizinische Erforderlichkeit der Implantatnavigation, deren Kosten
auch deshalb nicht versichert seien, weil sich diese Behandlungsmethode im Jahre
2006 noch im Experimentalstadion befunden habe. Außerdem seien die
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entsprechenden Leistungen bereits durch die Gebührenziffer 900, die zum Höchstbetrag
abgerechnet worden sei, abgegolten. Mangels eines ausgedehnten Kieferdefektes sei
des weiteren die Gebührenstelle Ä 2732 nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus habe sie
das Ein- und Ausbauen der Gingivaformer sowohl für den 22.05. als auch für den
18.07.2006 entgegenkommender Weise erstattet. Am 21.06.2006 seien die
Voraussetzungen der Gebührenstelle 905 nicht erfüllt gewesen.
Das Gericht hat zum streitigen Sachverhalt ein schriftliches Gutachten des
Sachverständigen I2 eingeholt und diesen sowohl am 10.07. als auch 24.09.2008
persönlich angehört. Des weiteren ist der behandelnde Zahnarzt als Zeuge vernommen
worden. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschriften der genannten Terminstage
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist aufgrund des Versicherungsvertrages überwiegend begründet.
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1.
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Die Kürzungen zu Positionen 1 bis 5 der Klageschrift hat die Beklagte zu Unrecht
vorgenommen. Wie der Sachverständige eingehend und nachvollziehbar dargelegt hat,
war es aufgrund anatomischer Besonderheiten im Kiefer des Klägers medizinisch nicht
zu verantworten, die Implantate ohne Unterstützung durch Navigationstechnik in den
Kiefer einzusetzen. In tatsächlicher Hinsicht sind die Ausführungen des
Sachverständigen von dem vernommenen Zeugen eindrucksvoll bestätigt worden, der
detailreich darlegen konnte, aus welchen Gründen (vergrößerte Zunge,
Knochenschwund des Kiefers im Außenbereich sowie Schrägstellung des Kiefers) das
Einbringen der Implantate im vorliegenden Fall ohne Navigationsunterstützung nicht
möglich war. Die danach gegebene medizinische Notwendigkeit der Navigationstechnik
kann nach Auffassung des Gerichts nicht deshalb verneint werden, weil der Patient,
worüber Sachverständiger und behandelnder Zahnarzt allerdings unterschiedlicher
Meinung waren, mit einem herausnehmbaren Zahnersatz hätte versorgt werden können.
Denn nach dem heutigen Stand der medizinischen Technik ist es keinem Patienten
zuzumuten, auf einen fest sitzenden Zahnersatz zu verzichten. Eine andere
Argumentation würde darauf hinauslaufen, dass man die versicherten Patienten darauf
verweisen könnte, auf jedweden künstlichen Zahnersatz zu verzichten.
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Des weiteren hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass die zu Positionen
1 bis 5 der Klageschrift von der Beklagten gekürzten Leistungen nicht mit der
Gebührenziffer 900 abgegolten sind, die auch bei einer herkömmlichen
Behandlungsmethode anfällt.
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Das Bedenken der Beklagten, die Navigationstechnik befinde sich noch in den
Kinderschuhen und stelle aus diesem Grunde keine versicherte Leistung dar, überzeugt
nicht. Vielmehr haben sich keine Zweifel an den Ausführungen des Sachverständigen
ergeben, dass die Experimentierphase bzgl. der Navigation bereits seit langen Jahren
abgeschlossen ist und diese neue Technik schon seit dem Jahre 2003, also lange vor
der hier fraglichen Behandlung, Einzug in viele Praxen der Zahnärzte gefunden hat.
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2.
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Die Kürzung zu Position 6 der Klageschrift hat die Beklagte ebenfalls zu Unrecht
vorgenommen. Aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen hat das Gericht keinerlei
Zweifel daran, dass ausgedehnte Kieferdefekte im Sinne der Gebührenbestimmung
vorgelegen haben. Insbesondere ist das Gericht davon überzeugt, dass der Zeuge in
den Behandlungsunterlagen sowie in seiner Rechnung nur deshalb lediglich den
Bereich 35 erwähnt hat, weil er befürchtete, der Computer würde bei einer Mehrangabe
den Gebührenbetrag mehrfach ausweisen. Bei einem Gesamtvolumen von nahezu
10.000,00 € der Behandlungsmaßnahme kann auch ausgeschlossen werden, dass er
lediglich aus finanziellem Eigennutz wahrheitswidrig behauptet, der entsprechende
Bereich sei länger als 2 cm gewesen. Dies kann das Gericht auch aufgrund des
positivem persönlichen Eindrucks, den es von der Person des Zeugen gewonnen hat,
ausschließen. Nach den zutreffenden Ausführungen des Sachverständigen verbleibt
auch kein Zweifel daran, dass bei einem Ausmass von mehr als 2 cm ein ausgedehnter
Kieferdefekt im Sinne von Ä 2732 zu bejahen ist.
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3.
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Zu Position 8 konnte sich das Gericht der Auffassung des Klägers, die nicht nur von dem
Sachverständigen, sondern auch von dem behandelnden Arzt geteilt wird, nicht
anschließen, weshalb die Klage insoweit abzuweisen war. Zwar kann nach den
Ausführungen des Sachverständigen davon ausgegangen werden, dass die Maßnahme
am 21.06.2006 mit einem nicht unerheblichen Zeitaufwand verbunden war, weil sie in
dem mühevollen Einschrauben und späteren Wiedereinschrauben der Gingivaformer
besteht, wobei der Behandler auch noch darauf achten muss, dass er die einzelnen
Gingivaformer nicht vertauscht. Gleichwohl ist dieser Arbeitsschritt nicht gesondert
abrechnungsfähig, weil sich dies entgegen der Auffassung des OLG Karlsruhe aus dem
Wortlaut der Gebührenvorschrift nicht herleiten lässt. Schon dem Wortsinn nach kann
ein Auswechseln eines Sekundärteils nur dann angenommen werden, wenn das Teil
entnommen und anschließend gegen ein anderes Teil ausgetauscht wird (so zutreffend
LG Hagen Versicherungsrecht 2002, 744, ferner Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom
17.09.2007 – 408 C 3266/07). Denn jede Auslegung muss ihre Grenze da finden, wo
der Wortlaut der Bestimmung das gewünschte Ergebnis (hier Vergütung des
Zeitaufwandes des Zahnarztes) nicht hergibt.
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Nach alledem war die Beklagte unter Berücksichtigung des anerkannten Teilbetrages
zur Zahlung von 1.178,96 € zu verurteilen und die Klage im übrigen abzuweisen. Die
Zinsforderung ist aus Verzugsgesichtspunkten seit der endgültigen
Leistungsverweigerung der Beklagten am 11.05.2007 begründet. Wegen der
Zinsmehrforderung war die Klage abzuweisen, weil, worauf im Verhandlungstermin vom
10.07.2008 hingewiesen worden ist, die beiden Informationsschreiben der Beklagten
vom 12.06. und 23.08.2006 nicht als endgültige Leistungsverweigerung verstanden
werden können. Wegen der als Nebenforderung geltend gemachten
Rechtsanwaltskosten war die Klage ebenfalls abzuweisen, weil aus den genannten
Gründen nicht dargetan ist, dass die Beklagte zur Zeit der Beauftragung der
Rechtsanwälte des Klägers bereits im Zahlungsverzug war.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Berufung
war für den Kläger nicht zuzulassen, weil die entsprechenden Voraussetzungen des §
511 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen. Bezüglich der Erstattungsfähigkeit der
Computernavigation beruht die Entscheidung auf konkreten Einzelfallumständen. Zur
Frage der Auslegung der Gebührenstelle 905 gibt es – soweit ersichtlich für den
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Landgerichtsbezirk Dortmund keine Rechtsprechungsdivergenz.