Urteil des AG Dortmund vom 06.12.2006
AG Dortmund: genossenschaftsanteil, kündigung, mitgliedschaft, mieter, wohnungsmarkt, vollstreckung, analogie, bestandteil, erlöschen, einzahlung
Amtsgericht Dortmund, 424 C 9582/06
Datum:
06.12.2006
Gericht:
Amtsgericht Dortmund
Spruchkörper:
Zivilgericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
424 C 9582/06
Tenor:
Es wird festgestellt, dass der Genossenschaftsanteil der Klägerin an
dem Spar- und Bauverein eG Dortmund in Höhe von 1.278,00 € nicht
durch die Beklagte verwertet werden darf, da dieser nicht Bestandteil der
Insolvenzmasse ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen,
die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
2.000,00 € abzuwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Beklagte ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Klägerin. Die Klägerin
bewohnt eine Genossenschaftswohnung. Dort ist in § 1 Ziff. 3 geregelt, dass das Recht
zur Nutzung der Wohnung an die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft gebunden ist
und die Einzahlung eines Genossenschaftsanteils in voller Höhe voraussetzt. Die
Klägerin hatte ihren Genossenschaftsanteil auch entrichtet. Die Beklagte hat die
Genossenschaftsanteile in ihrer Funktion als Insolvenzverwalterin gekündigt. Die
Wohnungsbaugenossenschaft hat die Klägerin über diese Aufkündigung informiert und
sie darauf hingewiesen, dass diese zum 31.12.2008 wirksam würde. Zu diesem
Zeitpunkt würde dann auch die Mitgliedschaft in der Genossenschaft enden. Da für die
Wohnungen in Dortmund-Wambel eine große Nachfrage bestünde und in diesem
Bereich 47 Genossenschaftsmitglieder als wohnungssuchend vorgemerkt seien
kündigte die Genossenschaft das Mietverhältnis zum Erlöschen der Mitgliedschaft, d. h.
zum 31.08.2008 und forderte die Klägerin auf sich schon rechtzeitig nach einer neuen
Wohnung umzusehen.
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Die Klägerin ist der Ansicht, hier sei § 109 Insolvenzordnung analog anzuwenden.
Entsprechend hätte die Beklagte letztlich den Genossenschaftsanteil nicht kündigen
dürfen.
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Die Klägerin beantragt,
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wie erkannt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, hier sei kein Raum für eine Analogie.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Klage ist in vollem Umfange begründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung aus dem
Insolvenzverwalterverhältnis, dass der Genossenschaftsanteil nicht zur Insolvenzmasse
gehört und insoweit nicht verwertet werden darf. Eine entsprechende
Nichtverwertbarkeit ergibt sich nach Auffassung des Gerichtes aus § 109
Insolvenzordnung analog. Soweit die Beklagte gegen eine analoge Anwendung anführt,
der Mieter sei letztlich anders als bei einer Kündigung eines
Wohnraummietverhältnisses selbst durch den Insolvenzverwalter nicht schutzlos,
sondern habe Rechte gegenüber einer etwaigen Kündigung des
Genossenschaftsunternehmens, vermögen diese Argumente im Ergebnis nicht zu
überzeugen. Nach der auch von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes besteht ein Kündigungsrecht der Genossenschaft dann, wenn
potentielle weitere Bewerber für die Wohnung vorhanden sind. Hier kann dann die
Genossenschaft, wenn der Genossenschaftsanteil aufgekündigt wird, das Mietverhältnis
auch beenden. Insoweit ist dann aber der Mieter einer Genossenschaftswohnung
letztlich auch wiederum schutzlos gegenüber dem drohenden Verlust der Wohnung,
wenn der Genossenschaftsanteil durch den Insolvenzverwalter gekündigt wird. Es
bedarf lediglich noch des weiteren Aspektes, dass für die Genossenschaftswohnung
potentielle Bewerber vorhanden sind. Dies dürfte in der Regel aber auch der Fall sein.
Soweit sich die Beklagte auf den allgemeinen Wohnungsmarkt in Dortmund kapriziert
kommt es auf diesen nicht an. Maßgeblich ist sicherlich zunächst der Wohnungsmarkt
betreffend Genossenschaftswohnungen. Genossenschaftswohnungen sind in der Regel
preisgünstige Wohnungen, an denen ein hoher Bedarf besteht. So muss davon
ausgegangen werden, dass regelmäßig potentielle Bewerber für eine
Genossenschaftswohnung vorhanden sind. Dementsprechend führt faktisch die
Kündigung. Genau diesen Aspekt wollte der Gesetzgeber aber durch die Regelung des
§ 109 Insolvenzordnung vermeiden. Durch die Einführung der Privatinsolvenz sollte
dem Schuldner die Möglichkeit eines Neuanfangs gegeben werden. Ein solcher wäre
sicherlich nicht oder nur schwerlich möglich, wenn er gleichzeitig seine Wohnung
verlieren würde und obdachlos würde. Um solche Fälle zu vermeiden, wurde die
Regelung des § 109 Insolvenzordnung eingeführt. Hier kann es dann sicherlich
dahinstehen, ob eine besondere Gier der Insolvenzverwalter oder lediglich ein
besonderes Pflichtbewusstsein zur Beitreibung möglicher Ansprüche für die
Insolvenzmasse zu dieser Reaktion des Gesetzgebers geführt haben. In jedem Falle
wollte der Gesetzgeber durch die Neuregelung des § 109 Insolvenzordnung vermeiden,
dass durch das Privatinsolvenzverfahren letztlich eine Obdachlosigkeit bzw. ein
Wohnungsverlust des Schuldners eintreten würde. Dieser Fall ist aber dann völlig gleich
gelagert zu der Situation im Falle der Kündigung eines Genossenschaftsanteils. Auch
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hier führt – aus den oben genannten Gründen – in der Regel die Kündigung zum Verlust
der Wohnung. Dann ist dies aber ein gleichgelagerter Fall zu dem Fall den der
Gesetzgeber in § 109 Insolvenzordnung regeln wollte. Mithin ist hier eine analoge
Anwendung anzunehmen.
Nach alledem war der Klage voll umfänglich stattzugeben.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Ziff. 11, 711 ZPO.
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