Urteil des AG Darmstadt vom 30.06.1995

AG Darmstadt: eltern, elterliche sorge, diplom, obhut, tatverdacht, zuwendung, bezirk, wiederherstellung, straftat, jugendamt

1
Gericht:
OLG Frankfurt 6.
Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 UF 60/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 1634 BGB
(Umgangsbefugnis des Vaters: Verdacht des sexuellen
Mißbrauchs des Kindes durch den Vater)
Tenor
1. Auf die Beschwerden der Eltern wird in Abänderung des Beschlusses des
Amtsgerichts – Familiengericht – Darmstadt vom 24.02.1995 – 54 F 1485/94 – und
in Abänderung der Vereinbarung der Eltern vom 20.04.1994 – Amtsgericht
Darmstadt 54 F 95/94 und 54 F 309/94 – die Umgangsbefugnis des Vaters
nunmehr insgesamt wie folgt neu geregelt:
Der Vater hat das Recht, mit den beiden Kindern ... und ... alleine zusammen zu
sein, und zwar an jedem zweiten Wochenende eines jeden Monats von samstags
10.00 Uhr bis samstags 17.00 Uhr und von sonntags 10.00 Uhr bis sonntags 17.00
Uhr.
Die Mutter ist verpflichtet, die Kinder jeweils um 10.00 Uhr für den Vater
ausgehbereit bereitzuhalten; der Vater ist verpflichtet, die Kinder jeweils um 17.00
Uhr wieder zur Mutter zurückzubringen.
Die weitergehenden Beschwerden werden zurückgewiesen.
2. Die Eltern werden durch Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von bis zu
500,00 DM für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Anordnung
zur Einhaltung derselben angehalten.
3. Wert des Beschwerdeverfahrens: 5.000,00 DM.
4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Eltern je zur Hälfte zu tragen;
im übrigen ist das Beschwerdeverfahren gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
5. Beiden Eltern wird Prozeßkostenhilfe für die Durchführung des
Beschwerdeverfahrens bewilligt, und zwar der Mutter unter Beiordnung von Frau
Rechtsanwältin ... und dem Vater unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin ...
zugleich werden für den Vater monatliche Raten in Höhe von 60,00 DM
angeordnet.
Gründe
Die Eltern der beteiligten Kinder ... und ... sind getrennt lebende Eheleute. Beim
Amtsgericht Darmstadt streiten sie wegen der Sorgerechtszuständigkeit. Die
Kinder befinden sich derzeit in der Obhut der Mutter. Am 20.04.1994 schlossen die
Eltern zugunsten des Vaters eine gerichtlich gebilligte Umgangsregelung. In dem
vorliegenden Verfahren begehrt die Mutter die Abänderung der seitherigen
Umgangsbefugnis betreffend die beiden Kinder hauptsächlich wegen des
Verdachts des sexuellen Mißbrauchs der Tochter durch den Vater. Der
Familienrichter hat nach umfangreichen Ermittlungen am 24.02.1995 u. a.
beschlossen:
2
3
4
5
6
7
8
Die Umgangsregelung bezüglich der Kinder ..., geboren am ..., und ..., geboren am
..., vom 20.04.1994 (Aktenzeichen: 54 F 309/94) wird dahin eingeschränkt, daß der
Vater das Recht hat, die Kinder ... und ... in Anwesenheit neutraler erwachsener
Personen alle zwei Wochen jeweils freitags von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr, samstags
von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr und sonntags von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr zu sich zu
nehmen.
Gegen diese Entscheidung wenden sich beide Eltern: der Vater mit dem Ziel der
Wiederherstellung der ursprünglichen Umgangsregelung, die Mutter mit dem Ziel
des vollständigen Ausschlusses der väterlichen Umgangsbefugnis.
Der Senat hat das – ursprünglich vom Amtsgericht in Auftrag gegebene –
Sachverständigengutachten der Diplom-Psychologin, ..., vom 06.06.1995
eingeholt, nachdem diese schon für das Amtsgericht ebenfalls in einem anderen
Verfahren das Teilgutachten vom 02.08.1994 erstattet hatte. In der Senatssitzung
vom 30.06.1995 hat der Senat die Eltern angehört und hat mit Hilfe der
Sachverständigen, ..., Kontakt mit den beiden Kindern aufgenommen. Der Senat
hat ferner die die beteiligten Eltern betreffenden Akten aus verschiedenen
Verfahren sowie Kopien der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft bei dem
Landgericht Darmstadt – 26 Js 45269.1/94a – beigezogen. Das Jugendamt des ...,
in dessen Bezirk Mutter und Kinder wohnen, hat sich geäußert. Der Senat hat die
Schriftsätze der Eltern vom 28. und vom 29. Juni 1995 zur Kenntnis genommen.
Die Beschwerden der beiden Eltern sind gemäß § 621e ZPO zulässig, in der Sache
selbst haben diese nur in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfange
Erfolg, d. h., dem Vater steht auch weiterhin die Befugnis zu, mit seinen Kindern zu
bestimmten Zeiten Umgang zu pflegen.
Solange über die elterliche Sorge betreffend die beiden Kinder noch nicht endgültig
entschieden ist, diese sich aber in der Obhut der Mutter befinden, ist über die
Befugnis des Vaters, mit seinen Kindern Umgang zu pflegen, eine am Wohl der
Kinder orientierte Regelung zu treffen (§ 1634 BGB) – eine Regelung, die sich nicht
nur an den subjektiven Vorstellungen der Eltern und Kinder zu orientieren hat,
sondern auch objektiv – normativ zu beurteilen ist (vgl. hierzu etwa OLG Ffm.,
FamRZ 1984, 614 Nr. 343). Die Zukunftsperspektive, die in dem Leitsatz der
zitierten Entscheidung besonders angesprochen ist, erfordert es, daß die Kinder
für ihre weitere Persönlichkeitsentwicklung sowohl der mütterlichen als auch der
väterlichen Zuwendung und Liebe bedürfen. Die gutachterliche Exploration durch
die Diplom-Psychologin ... hat gezeigt, daß die Kinder an beiden Elternteilen
hängen und diesen zugetan sind. Auch der Senat konnte anläßlich der Sitzung
vom 30.06.1995 die Kinder beobachten und selbst diese Überzeugung gewinnen.
Dementsprechend war die Umgangsbefugnis des Vaters, wie in der
Beschlußformel ersichtlich, im einzelnen festzustellen.
Die Tatsache, daß gegen den Vater ein staatsanwaltschaftliches
Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des sexuellen Kindesmißbrauchs
läuft, führt als solche weder zum Ausschluß noch zur Einschränkung der
Umgangsbefugnis des Beschuldigten, denn "andernfalls hätte es nämlich ein
Elternteil immer auf recht einfache Weise in der Hand, den anderen Elternteil vom
Kontakt mit seinem Kind auszuschließen ... Das Familiengericht muß daher in
jedem Einzelfall das Gewicht des Tatverdachts und der möglichen Gefahren für das
Kindeswohls selbständig prüfen und abwägen (vgl. OLG Bamberg, FamRZ 1995,
181/182). Diese Abwägung hat der Senat vorgenommen. Weder aufgrund der
beigezogenen Duplo-Akten der Staatsanwaltschaft noch der
verfahrensgegenständlichen Akten, noch aufgrund der von der Diplom-Psychologin
... schriftlich erstatteten und mündlich in der Senatssitzung vom 30.06.1995
erläuterten Gutachten, welche den Eltern bekannt sind und deshalb hier nicht
nochmals inhaltlich wiedergegeben werden müssen, ergibt sich ein direkter Beweis
dafür, daß der Vater an der Scheide seiner Tochter manipuliert, er sich an diesem
Kinde vergangen hätte. Aber auch die bisher festgestellten Symptome lassen
keinen zwingenden Schluß auf einen sexuellen Mißbrauch durch den Vater zu. Es
ist nicht unwahrscheinlich, daß die Mutter – durch ihre psychologische Verhakung
mit ihrem Ehemann mitbedingt – nur noch selektiv wahrnimmt und so an sich
Alltägliches mißinterpretiert bzw. überinterpretiert, kann doch jede Erscheinung der
äußeren Sinnenwelt so oder so – je nach interessegeleitetem Vorverständnis –
gedeutet werden.
"So kann beispielsweise eine Verletzung im Vaginalbereich aus medizinischer Sicht
8
9
10
11
12
"So kann beispielsweise eine Verletzung im Vaginalbereich aus medizinischer Sicht
nicht eindeutig auf eine Penetration eines Gliedes oder auf die Einführung eines
Gegenstandes durch einen Erwachsenen zurückgeführt werden, obwohl der
Zusammenhang zweifellos plausibel ist. Auch wenn aus sexuellem Mißbrauch öfter
eine Scheideninfektion resultiert, so kann umgekehrt bei Vorliegen einer solchen
Infektion nicht ohne weiteres auf sexuellen Mißbrauch geschlossen werden"
(Salzgeber et al. FamRZ 1992, 1249 ff.; Rösner/Schade, FamRZ 1993, 1133 ff.;
Friedrich Arntzen, Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern, 2. Aufl., 1994, S. 52
ff.). In anderen Verfahren konnte der erkennende Senat schon die Feststellung
machen, daß nicht nur Elternteile sondern auch sogenannte Professionelle mit
dem Verdacht des sexuellen Mißbrauchs ihrerseits Mißbrauch getrieben haben.
Der Senat ist daher vorsichtig, einem Elternteil den Vorwurf einer Straftat von
derart einschneidender Schwere für diesen selbst als auch für die beteiligten
Kinder zu machen (vgl. hierzu auch OLG Stuttgart FamRZ 1994, 718); die in
unserem demokratischen Rechtsstaat allgemein geltende Unschuldsvermutung
darf gerade in den vielfach hochemotional geführten Familiensachen, wofür die
zahlreichen Verfahren der hiesigen Beteiligten ein drastisches Beispiel liefern, als
Richtschnur nicht außer Acht gelassen werden, insbesondere, wenn dem
Beschuldigten angesonnen wird zu beweisen, daß er etwas (ein Negativum) nicht
getan hat und auch nicht (mehr) tun wird. Wie bereits gesagt, ist das dem Senat
vorliegende und von diesem selbst ermittelte Material nicht geeignet, den Schluß
auf einen hinreichenden Tatverdacht gegen den Vater zu ziehen.
Für einen Ausschluß der Umgangsbefugnis besteht also kein zwingender Anlaß.
Auch wenn die Mutter subjektiv überzeugt sein mag, daß der Vater den Kindern,
insbesondere der Tochter Schaden zufügt, darf diese ihre eigene Subjektivität
nicht dazuführen, dem anderen Elternteil – bis zum hinreichenden Beweise seiner
Schuld – das diesem grundgesetzlich zustehende Recht auf Umgang mit seinen
Kindern zu entziehen. Die Mutter muß dann eben an sich arbeiten, um ihre
Ängste, in die sie sich hineingesteigert hat, wieder abzubauen, notfalls durch
Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe (vgl. die Senatsentscheidung FamRZ
1993, 729).
Allerdings darf und muß das Familiengericht, und damit auch der zweitinstanzlich
berufene Senat, die konkrete Situation aller Beteiligten bei der näheren
Ausgestaltung der Umgangsbefugnis des abwesenden Vaters bedenken und
dementsprechend eine dem Wohle der beiden Kinder gerecht werdende
Einzelfallregelung treffen (Bundesverfassungsgericht FamRZ 1993, 662). Der
erkennende Senat hält es nach Abwägung aller relevanter Gesichtspunkte für
sachdienlich, insbesondere im Hinblick auf eventuelle Vollstreckungsverfahren,
wenn die Umgangsbefugnis des Vaters in diesem Beschluß für die Zukunft
insgesamt neu geregelt und mit der entsprechenden Zwangsgeldandrohung (§ 33
FGG) versehen wird: Um den Ängsten der Mutter entgegenzukommen, hat der
Senat davon abgesehen, für den Vater, wie ursprünglich von den Eltern vereinbart,
auch eine Übernachtungsbefugnis mit seinen Kindern vorzusehen. Im Hinblick auf
die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Zuziehung einer neutralen Person
während des Umgangs wird davon künftig abgesehen, insbesondere weil, wie
ausgeführt, der Tatverdacht des sexuellen Mißbrauchs nicht manifest ist. Mit
Rücksicht auf die gegenwärtige Befindlichkeit der Kinder, insbesondere wegen des
gegenwärtig noch nicht aufgearbeiteten Trennungskonflikts der Eltern hält der
Senat einen einmaligen Besuchsturnus pro Monat derzeit für angebracht.
Die Nebenentscheidungen dieses Beschlusses beruhen auf § 13a FGG; §§ 131 und
30 KostO; §§ 114, 119 ZPO.
Der Senat hatte in diesem Beschwerdeverfahren nur über das Ob und das Wie der
Umgangsbefugnis des Vaters zu befinden. Einer Entscheidung darüber, welchem
Elternteil letztlich das Sorgerecht für beide Kinder zu übertragen sein wird, ist
damit nicht vorgegriffen. Das weitere Verhalten der Eltern wird dabei allerdings
eine nicht geringe Rolle spielen; wobei der Hinweis des Jugendamtes, daß die
Personensorge auch einem Vormund oder Pfleger zu übertragen sein könnte, im
Raume steht.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.