Urteil des AG Coesfeld vom 27.02.2006

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Amtsgericht Coesfeld, 4 C 356/06
Datum:
27.02.2006
Gericht:
Amtsgericht Coesfeld
Spruchkörper:
4. Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 C 356/06
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.641,41 Euro nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem
20.06.2006 sowie weitere 102,84 Euro zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Kündigung eines Heimvertrages.
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Die Klägerin betreibt ein Pflegeheim. Am 07.04.2005 schlossen die Parteien einen
Heimvertrag. Nach § 12 des Vertrages kann der Vertrag spätestens am dritten Werktag
eines Kalendermonats für den Ablauf des selben Monats schriftlich gekündigt werden.
Außerdem ist die Kündigung aus wichtigem Grund zulässig, wenn die Fortsetzung des
Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist. Wegen der
Einzelheiten wird auf Blatt 7 ff. der Akte Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 28.04.2006 kündigte die Tochter des Beklagten, die entsprechend
bevollmächtigt war, den Vertrag "mit Wirkung zum 01.05.2006". Als Grund war
angegeben, dass der Beklagte wegen einer starken Demenzerkrankung nur in einer
entsprechenden Einrichtung betreut werden könne, was bei der Klägerin nicht möglich
sei. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 17 der Akte Bezug genommen. Die Klägerin
wies die Kündigung mit Schreiben vom 28.04.2006 zurück und bestätigte eine
fristgerechte Kündigung zum 31.05.2006. Das Entgelt für den Monat Mai 2006 hat der
Beklagte trotz verschiedentlicher Mahnungen unter anderem mit einer Fristsetzung zum
19.06.2006 nicht gezahlt. Vorgerichtlich sind der Klägerin Rechtsverfolgungskosten in
Höhe von 102,84 Euro entstanden.
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Die Klägerin behauptet, es sei schlichtweg falsch, dass der Beklagte durch die Klinik am
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Schlossgarten in E dahingehend beraten worden sei, dass er bei der Klägerin nicht
mehr angemessen versorgt werden könne. Am 18.04.2006 habe der Beklagte erstmals
die Einrichtung der Klägerin verlassen, da er nach Hause habe wollen. Ein Mitarbeiter
habe ihn begleitet und versucht, ihn zur Rückkehr zu bewegen. Da dies nicht möglich
gewesen sei, sei der Beklagte zunächst durch seine Familie in der Klinik am
Schlossgarten untergebracht worden. Auch während des Spätdienstes seien ganzjährig
drei Mitarbeiter eingesetzt. Ein Grund für eine fristlose Kündigung liege daher nicht vor.
Abgesehen davon habe der Beklagte sie ihres Erachtens zunächst abmahnen müssen.
Außerdem sei die Kündigung treuwidrig, da die Tochter des Beklagten noch am
27.04.2006 telefonisch um ein Einzelzimmer gebeten habe.
Die Klägerin beantragt,
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wie erkannt.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er behauptet, er habe wegen seiner fortgeschrittenen Demenzerkrankung bereits
mehrfach unbeaufsichtigt die Einrichtung der Klägerin verlassen. Obwohl dieser die
zahlreichen Fluchtversuche bekannt gewesen seien, sei er nicht sorgfältig überwacht
worden. Außerdem sei die Klägerin personell unterbesetzt. Nachdem seine Tochter
über die Flucht vom 18.04.2006 unterrichtet worden sei, habe ihr der zuständige Pfleger
erklärt, er habe seine Verfolgung abbrechen müssen, weil er der einzige Mitarbeiter auf
der Station sei. Es habe daher die Polizei informiert werden müssen. Etwa eine bis
anderthalb Stunden sei er umher geirrt. Nachdem er von Passanten gefunden worden
sei, habe er schließlich zur Einrichtung zurückgebracht werden können. Die Klinik am
Schlossgarten, wo er sich unstreitig nach dem Vorfall befunden habe, habe ihn
dahingehend beraten, dass er bei der Klägerin nicht mehr ausreichend versorgt werden
könne. Da Beständigkeit in seinem Leben wichtig sei, sei eine nochmalige Rückkehr zur
Klägerin unzumutbar gewesen. Aus diesem Grunde gebe es zwei wichtige Gründe für
eine fristlose Kündigung. Da die Klägerin für den Monat April 2006 eine Überzahlung
von 266,19 Euro erhalten habe und für den Monat Mai noch das Pflegewohngeld in
Höhe von 339,72 Euro, was unstreitig ist, könne er insoweit hilfsweise aufrechnen. Die
Hilfsaufrechnung hat er erklärt.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist begründet.
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Der Beklagte ist aufgrund des abgeschlossenen Heimvertrages verpflichtet, das Entgelt
für den Monat Mai 2006 in unstreitiger Höhe an die Klägerin zu zahlen.
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Der Heimvertrag ist nicht aufgrund der Kündigung vom 28.04.2006 zum 01.05.2006
beendet worden. Es fehlt an einem wichtigen Grund im Sinne des
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§ 12 Ziffer 2 des Vertrages, der inhaltlich in seiner Ausgestaltung im wesentlichen § 8
Abs. 2 Heimgesetz entspricht.
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Nach § 8 Abs. 2 Heimgesetz kann der Vertrag ordentlich spätestens am dritten Werktag
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eines Kalendermonats für den Ablauf des selben Monats schriftlich gekündigt werden.
Abgesehen von Entgelterhöhungen kann der Vertrag weiter dann aus wichtigem Grund
ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn dem Bewohner die
Fortsetzung des Heimvertrages bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist.
Eine Fortsetzung des Vertrages bis zu dem Zeitpunkt, zu dem nach § 8 Abs. 2 Satz 1
Heimgesetz ordentlich gekündigt werden kann, ist insbesondere dann unzumutbar,
wenn sich der Heimträger so vertragswidrig verhält, dass dem Heimbewohner ein
weiteres Verweilen bis zum Ablauf der Frist nicht zuzumuten ist. Da die ordentliche
Kündigungsfrist ohnehin sehr kurz ist, muss es sich um ganz erhebliche Verstöße des
Heimträgers gegen Pflichten aus dem Heimvertrag handeln. Derartig erhebliche
Vertragsverletzungen der Klägerin hat der Beklagte nicht hinreichend dargelegt.
Aus dem Inhalt des Kündigungsschreibens vom 28.04.2006 ergeben sich
Vertragsverstöße der Klägerin nicht. Der Beklagte hat die Kündigung ausschließlich auf
seine Demenzerkrankung gestützt. Er hat nämlich vorgetragen, er bedürfe einer 24-
Stunden-Betreuung in einer entsprechenden Einrichtung, was bei der Klägerin nicht
möglich sei. Es handelt sich damit ausschließlich um in seiner Person liegende
Umstände, die mit angeblichen Vertragsverletzungen der Klägerin nichts zu tun haben.
Zwar bedarf die Kündigung des Bewohners im Gegensatz zur Kündigung des
Heimträgers gemäß 8 Abs. 5 Heimgesetz nicht einer Begründung, allerdings lässt der
Inhalt des Schreibens vom 28.04.2006 Rückschlüsse auf den Grund der Kündigung zu.
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Eine fortgeschrittene Demenzerkrankung rechtfertigt nicht zur fristlosen Kündigung. Die
Demenz ist nämlich nicht eine plötzlich eintretende Erkrankung, sondern ein langsam
fortschreitender Prozess. Bei diesem Krankheitsbild ist nicht ersichtlich, dass die
Fortsetzung des Heimvertrages bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist
unzumutbar ist.
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Auch die streitigen Fluchtversuche bzw. das streitige Entweichen am 18.04.2006 gegen
17:30 Uhr rechtfertigen den Beklagten nicht zur fristlosen Kündigung des Vertrages.
"Zahlreiche Fluchtversuche" sind offensichtlich gescheitert, denn dem Vortrag des
Beklagten lässt sich nur entnehmen, dass am 18.04.2006 eine Flucht gelungen sein
soll. Aus welchen Gründen die "zahlreichen Fluchtversuche" gescheitert sind, lässt sich
dem Vortrag des Beklagten nicht entnehmen. Dass es bei Fluchtversuchen geblieben
ist, spricht eher dafür, dass der Beklagte hinreichend überwacht worden ist. Selbst wenn
ihm am 18.04.2006 eine Flucht gelungen ist und dies auf Umständen beruht, welche die
Klägerin zu vertreten hat, rechtfertigt dies keine fristlose Kündigung. Zu vorbeugenden
freiheitsbeschränkenden Maßnahmen war die Klägerin mangels einer Genehmigung
des Vormundschaftsgerichts nicht berechtigt. Dass eine Notstandslage im Sinne des §
34 StGB vorlag, welche die Klägerin auch ohne Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts berechtigt hätte, den Beklagten festzuhalten, hat er ebenfalls
nicht dargelegt. Abgesehen davon rechtfertigt ein einmaliger Vorgang keine fristlose
Kündigung. Vielmehr hätte der Beklagte die Klägerin zuvor abmahnen müssen. Darüber
hinaus hätte die Vertreterin des Beklagten den Vorfall zum Anlass nehmen können,
beim Vormundschaftsgericht die Genehmigung freiheitsbeschränkender Maßnahmen zu
beantragen. Hierzu hat sie sich offenbar selbst nicht veranlasst gesehen, denn
ausweislich der beigezogenen Betreuungsakte hat sie erst am 26.09.2006 die
Einrichtung einer Betreuung beantragt.
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Unter diesen Umständen war die Klägerin berechtigt, die unwirksame außerordentliche
Kündigung umzudeuten in eine fristgerechte Kündigung, die den Vertrag zum
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31.05.2006 beendet hat. Das Entgelt für den Monat Mai 2006 steht der Klägerin daher
zu.
Die Hilfsaufrechnung des Beklagten ist unbegründet. Eine Überzahlung für den Monat
April 2006 in Höhe von 266,19 Euro kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil er
selbst das Vertragsverhältnis keinesfalls fristlos, sondern außerordentlich mit einer Frist
zum 01.05.2006 gekündigt hat. Daher steht der Klägerin das Entgelt für den Monat April
2006 ohnehin zu.
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Im Zusammenhang mit dem Pflegewohngeld für den Monat Mai 2006 hat der Beklagte
keine Ansprüche gegen die Klägerin. Das Pflegewohngeld wird gemäß § 12
Landespflegegesetz vollstationären Dauerpflegeeinrichtungen zur Finanzierung ihrer
betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen gewährt, und zwar durch
Verwaltungsakt. Eigene Ansprüche gegen die Klägerin hat der Beklagte im
Zusammenhang mit dem Pflegewohngeld gegen die Klägerin nicht, sodass er insoweit
auch nicht zur Aufrechnung berechtigt ist.
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Die Zinsen schuldet der Beklagte gemäß § 286 BGB in Verbindung mit § 288 BGB.
Spätestens nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist war er unstreitig seit dem
20.06.2006 in Verzug. Die Zinshöhe ergibt sich aus dem Gesetz.
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Gemäß § 286 BGB schuldet der Beklagte auch die vorgerichtlichen
Rechtsverfolgungskosten. Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
gehören zum Verzugsschaden. Die Höhe der entstandenen Kosten ist zutreffend
berechnet worden.
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Es war nach alledem wie geschehen zu entscheiden.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 11, 709 ZPO.
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