Urteil des AG Charlottenburg vom 18.11.2009

AG Charlottenburg: einwilligung des patienten, berufsausübung, bestandteil, anschuldigung, aufklärungspflicht, vergleich, geldstrafe, verteidigungsschrift, haftpflichtversicherung, warnung

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Gericht:
Berufsgericht für
Heilberufe Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
90 A 8.07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 ÄBerufsO, § 8 ÄBerufsO, § 12
ÄBerufsO, § 21 ÄBerufsO, § 59
BDG
Leitsatz
Nach Kapitel C Nr. 3 der BO soll der Arzt bei der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit
nichtärztliche Mitarbeiter nicht diskriminieren und insbesondere die arbeitsrechtlichen
Bestimmungen beachten.
Hierzu zählt auch die ordnungsgemäße Entlohnung der bei ihm Beschäftigten.
Bestandteil des (Brutto-)Lohns sind auch die Arbeitnehmeranteile an den
Sozialversicherungsabgaben (wie Urteil vom 18. November 2009 - VG 90 A 5.08 -).
Tenor
Gegen den Beschuldigten wird eine Geldbuße in Höhe von 5.000,- Euro verhängt.
Dem Beschuldigten wird gestattet, die Geldbuße in monatlichen Raten zu je 500,-- Euro,
zahlbar jeweils bis zum 5. eines Monats, erstmals im Juli 2010, zu zahlen; diese
Vergünstigung entfällt, wenn der Beschuldigte zwei Monatsraten nicht rechtzeitig zahlt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beschuldigte.
Gründe
I.
Der am 2... in E. geborene Beschuldigte ist seit 1... im Besitz der Approbation. Er
erlangte 1992 die Facharztanerkennung für Urologie. Seit 1996 ist er als
niedergelassener Arzt mit vertragsärztlicher Zulassung in Berlin tätig. Er ist geschieden.
Unterhaltspflichten bestehen nicht. Über sein Vermögen wurde im März 2010 das
Insolvenzverfahren eröffnet (Amtsgericht Charlottenburg, 3...). Er betreibt seine Praxis
weiterhin.
Der Beschuldigte ist berufsrechtlich nicht vorbelastet.
Im April 2005 leitete der Vorstand der Ärztekammer Berlin gegen den Beschuldigten
wegen eines Teils der den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Vorwürfe
das förmliche Untersuchungsverfahren ein und erweiterte dieses in der Folgezeit
mehrfach. Der Vorstand der Ärztekammer beantragte im Hinblick auf dessen Ergebnisse
unter Vorlage der Anschuldigungsschrift vom 21. September 2007 die Eröffnung des
berufsgerichtlichen Verfahrens bei dem Berufsgericht – Kammer für Heilberufe des
Verwaltungsgerichts Berlin.
Das Berufsgericht hat mit Beschluss vom 13. April 2010 das berufsgerichtliche Verfahren
gegen den Beschuldigten eröffnet.
Ihm wird zur Last gelegt,
in Berlin in der Zeit von Februar 1998 bis August 2007
1. in drei Fällen die für die Einwilligung des Patienten in die Behandlung erforderliche
Aufklärung im Gespräch nicht vorgenommen zu haben,
2. gegen seine Pflicht, sich hinreichend gegen Haftpflichtansprüche im Rahmen
seiner beruflichen Tätigkeit zu versichern, verstoßen zu haben,
3. in drei Fällen seiner Honorarforderung nicht auf Grundlage der anzuwendenden
Amtlichen Gebührenordnung (GOÄ) bemessen zu haben,
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4. in drei Fällen gegen das Verbot, berufsrechtswidrig zu werben, verstoßen zu
haben,
5. in zwei Fällen seinen Namen in Verbindung mit einer ärztlichen Berufsbezeichnung
in unlauterer Weise für gewerbliche Zwecke hergegeben zu haben und
6. in 60 Fällen seinen Beruf nicht gewissenhaft ausgeübt und dem ihm bei seiner
Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen nicht entsprochen zu haben. Als
Inhaber des Einzelunternehmens Dr. med. A., führte der Beschuldigte in Kenntnis seiner
Pflicht die den Lohn- und Gehaltszahlungen für die Monate November 2000 bis April
2006 entsprechenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten und
Arbeitslosenversicherung der bei ihm Beschäftigten in Höhe von insgesamt 29.724,92 €
nicht bei Fälligkeit zum 15. des jeweiligen Folgemonats an die Barmer Ersatzkasse ab.
Zugleich hat das Berufsgericht gemäß § 56 BDG i.V.m. § 24 Kammergesetz und § 41
DiszG Berlin die Handlungen unter III. der Anschuldigungsschrift zu 1.a), zu 2., soweit es
die Zeit vor dem 18. April 2000 betrifft, und zu 4. und 5. ausgeschieden, weil sie für Art
und Höhe der angekündigten Maßnahme nicht ins Gewicht fallen.
II.
Die Entscheidung durch Beschluss beruht auf § 24 Berliner Kammergesetz - KammG -
i.V.m § 41 Disziplinargesetz - DiszG - i.V.m. § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Bundesdisziplinargesetz - BDG -. Die Beteiligten haben der aus dem Tenor ersichtlichen
Entscheidung nicht widersprochen.
Wegen des für die berufsrechtliche Würdigung maßgeblichen Sachverhalts wird auf die
Darstellung unter III. der Anschuldigungsschrift (Bl. 11 ff. der Gerichtsakte) der
Ärztekammer verwiesen.
Der Beschuldigte hat die Verletzung der Aufklärungspflicht in den Fällen P. (1b) und G.
(1c) zunächst bestritten. Insoweit wird er jedoch durch das Ergebnis des
Untersuchungsverfahrens und die – in den diese Fälle betreffenden Schlichtungs- bzw.
Zivilrechtsstreitverfahren eingeholten – Gutachten überführt. Auf die Feststellungen in
dem nicht rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. März 2009 kommt es
nicht entscheidend an, weil dieses das Berufsgericht ohnehin nicht bindet; denn es
handelt sich nicht um ein Strafurteil und im Zivilrecht gelten anderen Maximen als dort.
Im Übrigen hat der Beschuldigte dadurch, dass er der Entscheidung durch Beschluss
zugestimmt hat, deutlich gemacht, dass er die erhobenen Vorwürfe inzwischen gegen
sich gelten lässt.
Zu 2. und 3. der Anschuldigungsschrift räumt der Beschuldigte die Vorwürfe ein. Soweit
er einen Verbotsirrtum geltend macht, wäre dieser durch Nachfrage zu vermeiden
gewesen.
Auch zu 6. räumt er die Vorwürfe in der Anschuldigungsschrift ein. Diese beruhen auf
dem Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 22. November 2006, den das
Berufsgericht gemäß § 18 Abs. 2 DiszG i.V.m. § 24 KammerG seinen Feststellungen zu
Grunde legt.
III.
Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich der Beschuldigte eines aus mehreren
Pflichtverletzungen zusammengesetzten, einheitlich zu würdigenden Berufsvergehens
schuldig gemacht. Im Einzelnen:
Die Verletzung der Pflicht zur Aufklärung über Risiken, die vor kosmetischen
Operationen, zumal mit experimentellen Methoden (hier: Penisverlängerung bzw. –
Penisverdickung) besonders eingehend sein muss (Punkt 1.), verstieß gegen § 8 Abs. 2
der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin – BO –.
Der fehlende Haftpflichtversicherungsschutz von Mai bis Ende Dezember 2000 und von
April 2002 bis April 2004 (Punkt 2.) verstieß gegen § 21 BO.
Die nicht der GOÄ entsprechenden Honorarvereinbarungen über 10.000 DM (im Jahr
2000), 7.000 € (im Jahr 2002) und 3.500 € (im Jahr 2004) verstießen gegen § 12 Abs. 1
BO.
Hinsichtlich der in den nicht gezahlten Sozialversicherungsabgaben enthaltenen
Arbeitnehmeranteile in der Zeit von November 2000 bis April 2006 (Punkt 6.) liegt ein
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Arbeitnehmeranteile in der Zeit von November 2000 bis April 2006 (Punkt 6.) liegt ein
Verstoß des Beschuldigten gegen § 2 Abs. 2 und 3 i.V.m. Kapitel C Nr. 3 BO vor. Nach §
2 Abs. 2 BO hat der Arzt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner
Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Zur gewissenhaften
Berufsausübung gehören nach § 2 Abs. 3 BO auch die Grundsätze korrekter ärztlicher
Berufsausübung in Kapitel C. Nach Kapitel C Nr. 3 der BO soll der Arzt bei der Ausübung
seiner ärztlichen Tätigkeit nichtärztliche Mitarbeiter nicht diskriminieren und
insbesondere die arbeitsrechtlichen Bestimmungen beachten. Hierzu zählt auch die
ordnungsgemäße Entlohnung der bei ihm Beschäftigten. Bestandteil des (Brutto-)Lohns
sind auch die Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsabgaben; es ist
unerheblich, dass diese Bruttoanteile vom Lohn nicht an den Arbeitnehmer ausgezahlt
werden, sondern vom Arbeitgeber direkt an die zuständigen Kassen abzuführen sind.
Wenn dies nicht vollständig oder fristgemäß geschieht, bleibt der Arbeitgeber dem
Arbeitnehmer Teile seines Lohns schuldig (vgl. Urteil der Heilberufekammer vom 18.
November 2009 – VG 90 A 5.08 –).
Der Beschuldigte handelte schuldhaft, und zwar vorsätzlich.
IV.
Die vom Beschuldigten begangene Berufspflichtverletzung ist mit einer Geldbuße zu
ahnden (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 KammerG). Die Erteilung einer Warnung oder eines Verweises
würde dem Gewicht des einheitlich zu beurteilenden Berufsvergehens nicht gerecht.
Belastend zu berücksichtigen ist die Vielzahl der Verletzungen von Berufspflichten und
der Zeitrum von mehreren Jahren, in denen der Beschuldigte seinen eigenen Belangen
bedenkenlos Vorrang vor seinen Berufspflichten eingeräumt hat. Dabei ist besonders
schwerwiegend die Verletzung der Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung
über einen Zeitraum von 2 Jahren (April 2002 bis April 2004). Aber auch die Verletzung
der besonders hohen Anforderungen an die Aufklärungspflicht bei nicht medizinisch
indizierten Eingriffen in zwei Fällen hat erhebliches Gewicht, weil sie – wie der
Beschuldigte in seiner Verteidigungsschrift selbst einräumt – den Kern seiner ärztlichen
Tätigkeit betrifft. Der Vorwurf zu 6. wiegt wegen der Dauer und Häufigkeit der Verletzung
der für die Berufsausübung geltenden Vorschriften und der Höhe des insgesamt
vorenthaltenen Betrags schwer.
Entlastend ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte berufsrechtlich nicht
vorbelastet ist, er zivilrechtlich und strafrechtlich wegen einzelner Teilakte bereits nicht
unerheblich finanziell belastet wurde (Vergleich über 20.000 € im Fall P.) und noch
werden kann (25.000 € Urteil Landgericht Berlin im Fall G.), Geldstrafe in Höhe von 150
Tagessätzen zu je 30 € wegen des Punkt 6. zu Grunde liegenden Sachverhalts. Mindernd
wirkt sich auch der Umstand aus, dass die Vorfälle zum großen Teil bereits fünf Jahre und
mehr zurückliegen und in den letzten Jahren, soweit ersichtlich, keine neuen Vorwürfe
hinzugekommen sind.
Der Verhängung der Geldbuße steht nicht entgegen, dass der Vorwurf unter Punkt 6. der
Anschuldigung bereits strafrechtlich geahndet wurde. Dies wäre nur dann der Fall, wenn
dem Beschuldigten ausschließlich das dort umschriebene Verhalten vorgeworfen werden
könnte (§ 24 KammG i.V.m. § 14 Abs. 1 DiszG). Der Beschuldigte hat jedoch, wie
ausgeführt, weitere Berufspflichtverletzungen begangen, die zusammen mit dem
Vorwurf zu Punkt 1. der Anschuldigung ein einheitlich zu würdigendes Berufsvergehen
darstellen. Insoweit liegt in der berufsrechtlichen Berücksichtigung kein Verstoß gegen
das Doppelbestrafungsverbot vor, denn der Vorwurf steht nicht isoliert, sondern ist
Teilakt eines einheitlich zu beurteilenden Berufsvergehens.
Mit Rücksicht auf die beengten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten (vgl. § 17
Abs. 3 Satz 1 KammG) ist im vorliegenden Fall unter Abwägung aller Umstände jedoch
die Verhängung einer vergleichsweise geringen Geldbuße in Höhe von 5.000,- Euro
ausreichend, aber auch notwendig, um den Beschuldigten für die Zukunft zur Erfüllung
seiner berufsrechtlichen Verpflichtungen nachhaltig anzuhalten.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 KammG i.V.m. 41 DiszG i.V.m. § 77 Abs. 1 BDG
und § 154 Abs. 1 VwGO.
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