Urteil des AG Charlottenburg vom 14.03.2017

AG Charlottenburg: treu und glauben, abrechnung, neues recht, verjährungsfrist, anfechtungsklage, fälligkeit, eigentümer, aufrechnung, auflage, rechtskraft

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Gericht:
AG Charlottenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
74 C 143/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 16 WoEigG, § 28 WoEigG, § 43
Abs 1 Nr 1 WoEigG, § 43 Abs 1
Nr 4 WoEigG , § 195 BGB
Wohnungseigentum: Verjährungshemmung für
Wohngeldforderung durch Beschlussanfechtungsklage
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, eine eventuelle
vorläufige Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Wohngeldrückständen in Anspruch. Der
Beklagten gehört eine der vier Wohnungen in der streitbefangenen Wohnanlage.
In der Eigentümerversammlung vom 11.6.1998 beschlossen die Eigentümer unter TOP 3
die Wohngeldabrechnungen der Jahre 1993 - 1997. Dabei wurden die auf die einzelnen
Eigentümer entfallenden Abrechnungsergebnisse je Jahr in das Protokoll aufgenommen.
Wegen der Einzelheiten der Beschlussfassung wird auf die zu den Akten gelangte Kopie
des Protokolls (Blatt 5 der Akte) Bezug genommen.
Unter anderem diesen Beschluss focht die jetzige Beklagte als damalige Antragstellerin
zusammen mit weiteren Beschlüssen gerichtlich an. Das Amtsgericht beschloss am
10.4.2003, den Antrag bezüglich des hier maßgeblichen Beschlusses zurückzuweisen.
Das Landgericht änderte diesen amtsgerichtlichen Beschluss unter dem Aktenzeichen
85 T 231/03 teilweise ab, und zwar dahin, dass dieser Eigentümerbeschluss hinsichtlich
der Abrechnungsspitze aus dem Jahr 1995, einem Guthaben der Beklagten in Höhe von
3.683,79 DM, ungültig sei. Aus den Gründen der landgerichtlichen Entscheidung ergibt
sich, dass hier weitere 8.500,00 DM zugunsten der jetzigen Beklagten hätten
berücksichtigt werden sollen. Im Übrigen wurde die sofortige Beschwerde bzgl. des
Eigentümerbeschlusses zurückgewiesen. Das Kammergericht hat dann die sofortige
weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts am 5.9.2005 unter dem
Aktenzeichen 24 W 120/04 zurückgewiesen, wodurch die landgerichtliche Entscheidung in
Rechtskraft erwachsen ist.
Die Klägerin berechnet die nunmehr geltend gemachte Forderung wie folgt:
Abrechnung 93
Abrechnung 94
abzüglich unstreitige Nachzahlung auf 1994 von
Abrechnung 96
Abrechnung 97
gesamt
das sind
Dies ist die Klageforderung.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Die Klägerin ist diesbezüglich der Auffassung, das die Verjährung der Forderungen aus
den beschlossenen Abrechnungen durch das Beschlussanfechtungsverfahren gehemmt
gewesen sei. Insofern habe die jetzt geltende dreijährige Verjährungsfrist erst mit dem
Ende des Jahres 2005, also dem Ende des Jahres der kammergerichtlichen
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Ende des Jahres 2005, also dem Ende des Jahres der kammergerichtlichen
Entscheidung, zu laufen begonnen.
Im übrigen ist die Klägerin der Auffassung, es stelle seitens der Beklagten einen
Rechtsmissbrauch dar, wenn während des Anfechtungsverfahrens
Abrechnungsforderungen nicht begleiche und sich nach Abschluss des
Anfechtungsverfahrens auf Verjährung berufe.
Hinsichtlich des Guthabens aus der Abrechnung ‘95 in Höhe von 3.683,79 DM erklärt die
Klägerin vorsorglich die Aufrechnung gegen einen Erstattungsanspruch in Höhe von
910,20 €, wegen des Austausches von Atelierfenstern und gegen einen
Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe von 865,96 € wegen der für die Heizungsfirma
… verauslagten Beträge. Auch diese Beträge sind zwischen den Parteien unstreitig.
Die Beklagte erklärt wiederum die Aufrechnung eines eventuell überschießenden
Guthabenbetrages aus der Jahresabrechnung ‘95 mit der Abrechnungsforderung der
Klägerin aus der Abrechnung ‘93. Unstreitig ist - wie oben dargelegt - der Beschluss zu
TOP 3 aus der Eigentümerversammlung vom 11.6.1998 hinsichtlich der Abrechnung
1995 für ungültig erklärt worden. Das zu einem späteren Zeitpunkt erneut über diese
Abrechnung beschlossen worden wäre, ist nicht dargetan.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.461,91 € zuzüglich Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.1.09 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.
Das Amtsgericht Charlottenburg ist für den vorliegenden Rechtstreit gemäß § 43 Abs. 1
Nr. 1 WEG nF sachlich und örtlich zuständig, da die streitbefangene Wohnanlage im
hiesigen Sprengel belegen ist.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die streitgegenständlichen Forderungen sind
sämtlichst verjährt.
Die Abrechnungsforderungen aus den Abrechnung ‘93, ‘94, ‘96 und ‘97 sind mit der
Beschlussfassung auf der Eigentümerversammlung am 11.6.1998 fällig geworden. Denn
grundsätzlich werden Forderungen aus Jahresabrechnungen erst mit der
entsprechenden Beschlussfassung durch die Eigentümer auch fällig. Denn durch den
entsprechenden Mehrheitsbeschluss hinsichtlich der Jahresabrechnung wird die daraus
resultierende Nachzahlungspflicht des einzelnen Eigentümers bzw. dessen Forderung
gegen die Gemeinschaft bei einem Guthaben originär begründet (Merle in Bärmann 10.
Auflage WEG § 28 Rd-Nr. 144; BGHZ 104, 197). Entstanden ist ein Anspruch, sobald er
im Wege der Klage geltend gemacht werden kann (BGHZ 55, 340; OLG München in NZM
2007, 526 ff.). An der Fälligkeit hat sich auch nichts durch den Anfechtungsantrag bzgl.
des Eigentümerbeschlusses geändert. Denn grundsätzlich berührt die Erhebung der
Anfechtungsklage nicht die Leistungspflicht (Merle in Bärmann, WEG 10. Aufl., § 28 Rdnr.
115; KG ZMR 06, 64).
Nach dem 1998 geltendem alten Recht galt für Forderungen aus beschlossenen
Jahresabrechnungen die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 195 BGB aF (vgl.
beispielsweise Steinmann, die je 2004 Seite 1381).
Auf diese nicht verjährten Forderungen ist seit dem 1.1.2002 neues Recht gemäß dem
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts anzuwenden, Artikel 229 § 6 Abs. 1 Satz 1
EGBGB. Denn an diesem Tag bestanden die streitgegenständlichen Forderungen
bereits, und sie waren nach altem Recht bis dahin nicht verjährt.
Gemäß Artikel 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB lief dann ab dem 1.1.2002 die dreijährige
Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB nF. Gemäß Artikel 229 § 6 Satz 1 begann diese kurze
Verjährungsfrist unmittelbar am 1.1.2002 an zu laufen, nicht erst am Ende des Jahres
wie sich aus § 199 BGB ergeben könnte. Zudem hat die Klägerin zu diesem Zeitpunkt
sowohl Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen als auch der Person
des Schuldners gehabt.
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Damit lief die Verjährung der streitgegenständlichen Forderungen nach neuem Recht am
31.12.2004 ab, so dass diese Forderungen nunmehr aufgrund der Einrede seitens der
Beklagten nicht mehr durchgesetzt werden können.
Dem steht nicht entgegen, dass der Lauf der Verjährungsfrist etwa gemäß § 204 Abs. 1
Nr. 1 BGB nF gehemmt gewesen wäre. Denn danach ist Hemmung nur möglich durch
Erhebung der Klage auf Leistung oder Feststellung des Anspruchs, wie sich unmittelbar
aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt. Die Anfechtungsklage der Beklagten gegen den
die Fälligkeit der Abrechnungsforderung begründenden Eigentümerbeschluss ist
demgegenüber keine Klageerhebung auf Leistung. Eine solche hätte vielmehr seitens
der Klägerin erfolgen können und müssen, um eine Hemmung zu erreichen. Es ist
demgemäß ein aktives Tun seitens des Gläubigers erforderlich, und zwar bzgl. des
Anspruchs selbst. Es muss also der Anspruch selbst Streitgegenstand sein. Das ist bei
Abrechnungsspitzen gerade nicht der sie fällig stellende Eigentümerbeschluss, sondern
die damit der Höhe nach festgelegte Geldforderung.
Hierfür spricht auch die Tatsache, dass nach allgemeiner Auffassung die
Abrechnungsspitze auch dann klagbar bleibt, wenn der Eigentümerbeschluss von
einzelnen Eigentümern angefochten wurde und sogar schon seitens des Gerichts für
ungültig erklärt wurde, solange nicht die Gerichtsentscheidung in Rechtskraft erwachsen
ist, § 23 Abs. 4 WEG.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 203 BGB. Danach führen zwar Verhandlungen
der Parteien über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände zur
Verjährungshemmung. Die Anfechtung des Eigentümerbeschlusses vor Gericht kann
allerdings nicht als derartige Verhandlung angesehen werden. Vielmehr hat die Beklagte
durch Erhebung ihrer Anfechtungsklage zu erkennen gegeben, dass sie den Anspruch in
dieser Form für nicht berechtigt hält. Dies stellt nicht etwa einen Meinungsaustausch
über den Anspruch und seine tatsächlichen Grundlagen mit dem Ziel einer Lösung des
Streits dar, sondern vielmehr eine klar erkennbare Ablehnung von Verhandlungen. Eine
solche Verhandlung ist auch seitens der Klägerin bzw. deren Hausverwaltung nicht
angeboten worden, jedenfalls ist Sachvortrag dafür nicht ersichtlich. Auch sind
Erklärungen der Beklagten, die aus Sicht der Klägerin zur Annahme berechtigten, die
Beklagte lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs ein, weder in
der Erhebung der Anfechtungsklage zu sehen, noch sonst seitens der Klägerin
vorgetragen (vgl. Palandt BGB 67. Auflage, § 203 BGB Rd-Nr. 2).
Schließlich widerspricht es auch nicht Treu und Glauben, dass die Beklagte, die den
Abrechnungsbeschluss gerichtlich angefochten hat, sich nunmehr auf den Eintritt der
Verjährung beruft. Insofern liegt weder ein Fall unzulässiger Rechtsausübung noch ein
Fall der Verwirkung vor.
Grundsätzlich ist es nicht treuwidrig und deshalb auch nicht als unzulässig zu
beanstanden, wenn sich ein Schuldner auf den Eintritt der Verjährung beruft. Das gilt
auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Besonderheit, dass die Beklagte den die
Fälligkeit der Abrechnungsforderungen begründenden Eigentümerbeschluss gerichtlich
angefochten hat. Damit hat sie vielmehr zu erkennen gegeben, dass sie die
Forderungen aus den Jahresabrechnungen ihr gegenüber für unberechtigt hält. Eine
auch nur konkludente Zusage, diese Forderungen würden nach Abschluss des
Anfechtungsverfahrens erfüllt, liegt in der Erhebung der Anfechtungsklage nicht. Es wäre
vielmehr Sache der Klägerin gewesen, die Forderungen aus den beschlossenen
Abrechnungen rechtzeitig gegenüber der Beklagten gerichtlich geltend zu machen oder
sich mit ihr auf den Verzicht der Einrede der Verjährung bis zum Abschluss des
Anfechtungsverfahrens zu einigen.
Nach alledem kommt es auf die Hilfsaufrechnungen der Parteien und die Fälligkeit des
Anspruchs der Beklagten gegen die Klägerin aus der Jahresabrechnung ‘95 nicht an.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert: 8.461,91 €
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