Urteil des AG Charlottenburg vom 14.03.2017

AG Charlottenburg: grobe fahrlässigkeit, sporthalle, fahrzeug, wagen, diebstahl, zutritt, kaufpreis, turnhalle, kennzeichen, vollstreckung

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Gericht:
AG Charlottenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
223 C 244/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 61 VVG
Kfz-Kaskoversicherung: Zurücklassen von Fahrzeugschlüsseln in
der nicht abgeschlossenen Umkleidekabine einer Turnhalle als
grobe Fahrlässigkeit
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der
Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages zuzüglich
10 % abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leiste.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Versicherungsleistungen aus einer KFZ-Kaskoversicherung.
Seit dem 15.11.2001 war die Klägerin Versicherungsnehmerin einer KFZ-
Vollkaskoversicherung bei der Beklagten mit einer Selbstbeteiligung von 153,39 EUR für
das Fahrzeug Ford Mondeo, Baujahr 1999, mit dem amtlichen Kennzeichen nnnnn .
Während des Versicherungsverhältnisses gab es verschiedene Reparaturen, die von der
Beklagten als Kaskoversicherung gezahlt wurden, so im Jahr 2003, als ein Schaden an
der hinteren linken Ecke des Wagens entstanden war, und im Jahr 2004, als Hecktür und
Stoßstange aufgrund eines Anpralls hinten rechts erneuert wurden. Erst seit dem Jahr
2005 ist die Klägerin Halterin des Wagens. Genutzt wird das Fahrzeug überwiegend vom
Ehemann der Klägerin, dem Zeugen Möller.
Am 3.5.2006 fuhr der Ehemann der Klägerin mit dem versicherten Fahrzeug in
nnnnnnnnnnnnnnnnn Berlin. In der dort gelegenen Sporthalle besuchte er ein
Volleyballtraining. Seine Wertsachen steckte er in die mitgebrachte Sporttasche und
deponierte diese in der Turnhalle selbst. Der Fahrzeugschlüssel verblieb in der
Hosentasche der Jeans, welche wiederum während des Trainings in der nicht
abgeschlossenen Umkleidekabine hing.
Am 4.5.2006 zeigte die Klägerin telefonisch gegenüber der Beklagten einen Diebstahl
des versicherten Fahrzeugs an; am 7.5.2006 füllte sie die "Schadenanzeige für
Kraftfahrzeugdiebstahl" aus und gab dort an, dass der Wagen am 3.5.2007 in der
Schönewalder Straße 9 in 12627 Berlin bei einem km-Stand von 130.000 km entwendet
worden sei. Als reparierte Vorschäden gab sie an: "Hecktür und -stoßstange erneuert
(Nov. 2004)"; unreparierte Vorschäden hätten nicht vorgelegen. Am 15.5.2006 füllte die
Klägerin auch den Fragebogen für die Polizei im Zusammenhang mit der
Diebstahlsanzeige aus und gab dort eine Kilometerleistung von 140.000 km im
Entwendungszeitpunkt an. Am 13.6.2006 wurde das Fahrzeug mit einem km-Stand von
148.000 km und Schrammen hinter der linken Beifahrertür sowie einer eingedrückten
Frontschürze links und rechts aufgefunden.
Der Wert des Fahrzeugs bei einer Laufleistung von 148.000 km beträgt jedenfalls
3.450,00 EUR.
Mit Schreiben vom 4.7.2006 entzog die Beklagte der Klägerin den Versicherungsschutz
und forderte sie auf, den Wagen von dem Stellplatz in der Astraße abzuholen. Eine
Regulierung des Schadens lehnte die Beklagte ab.
Am 2.1.2007 erhielt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Original des KFZ-Briefs
und der KFZ-Zulassung von der Beklagten über das Gericht übersandt. Am 27.1.2007
verkaufte die Klägerin das Fahrzeug und erzielte einen Kaufpreis von 2.500,00 EUR.
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Die Klägerin behauptet, der Zeuge nnnnnn habe das Fahrzeug Ford Mondeo mit dem
amtlichen Kennzeichen nnnnn am 3.5.2005 ordnungsgemäß verschlossen in der
nnnnnnnnnnnnnnnn Berlin vor der dortigen Sporthalle abgestellt; der Fahrzeugschlüssel
sei lediglich aus Vergesslichkeit in der Hosentasche in der Umkleidekabine der
Sporthalle verbleiben. Von dort sei ihm der Fahrzeugschlüssel von unbekannten Dritten
entwendet worden. Die Klägerin behauptet ferner, ein Eindringen unbefugter Dritter in
die Sporthalle von außen sei nicht möglich gewesen, da die Eingangstür durch ein
Panikschloss gesichert gewesen sei. Nach dem Ende des Trainings gegen 20.45 Uhr
habe der Ehemann der Klägerin den Wagen nicht mehr aufgefunden. Die Klägerin
behauptet schließlich, die nach dem Wiederauffinden des Wagens festgestellten
Schrammen hinter der linken Beifahrertür sowie die links und rechts eingedrückte
Frontschürze seien am 3.5.2006 nicht vorhanden gewesen.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin die Differenz zwischen dem
Fahrzeugswert im Zeitpunkt des Wiederauffindens von 3.450,00 EUR und dem erzielten
Kaufpreis von 2.500,00 EUR, abzüglich der Selbstbeteiligung. Zudem verlangt sie die
Erstattung von verauslagten 10,00 EUR für eine neue TÜV-Urkunde, welche die Beklagte
trotz Aufforderung nicht übersandt habe. Schließlich begehrt sie den Ersatz für
Standgebühren und Abschleppkosten in Höhe von insgesamt 177,65 EUR.
Die Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.11.2006 zunächst
beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 1. an die Klägerin 3.450,00 EUR nebst 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2006 zu zahlen. Zug um Zug gegen
Herausgabe des Fahrzeuges Ford/Mondeo, Fahrgestellnummer: nnnnnnnnn und 2. einen
Betrag von 177,65 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20.07.2006
an die Klägerin zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 29.1.2007 hat sie die Klage geändert und
angekündigt, zu beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 950,00 EUR
nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2006 zu zahlen sowie die
Beklagte ferner zu verurteilen, an die Klägerin weitere 187,65 EUR nebst 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 29.01.2007 sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
aus einem Betrag von 177,65 EUR seit dem 20.07.2006 bis zum 26.01.2007 an die
Klägerin zu zahlen.
Schließlich beantragt die Klägerin,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 796,61 EUR nebst 5% Zinsen über
dem Basiszinssatz seit dem 5.7.2006 zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 187,65 EUR nebst 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29.01.2007 sowie 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz aus einem Betrag von 177,65 EUR seit dem 20.07.2006 bis zum
26.01.2007 an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, sie sei leistungsfrei, da der Versicherungsfall grob fahrlässig
herbeigeführt worden sei. Im Übrigen brauche sie aufgrund unzutreffender Angaben der
Klägerin in der Schadenanzeige insbesondere zum km-Stand und zu den Vorschäden
nicht zu leisten.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beweisbeschluss vom 29.3.2007 durch
Vernehmung der Zeugen nnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn sowie der Zeugin nnnnnnn . Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24.5.2007,
Bl. 148 bis 151 d.A., Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig. Die von der Klägerin vorgenommene Änderung ihres Klageantrags
ist gleichfalls zulässig, ohne dass es auf die Zustimmung der Beklagten oder die
Sachdienlichkeit ankäme, denn es handelt sich hierbei um eine Reduzierung des
Klageantrags im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO, mithin nicht um eine Klageänderung im
Sinne von § 263 ZPO. Dies kann letztlich aber auch dahinstehen, da sich die Beklagte
auf den geänderten Klageantrag eingelassen hat, ohne der Änderung zu widersprechen,
§ 267 ZPO.
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II.
Die Klage ist jedoch nicht begründet, denn der Ehemann der Klägerin, der Zeuge Möller,
hat als Repräsentant der Klägerin den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit
herbeigeführt, so dass die Beklagte gem. § 61 VVG von der Verpflichtung zur Leistung
frei ist.
Das Zurücklassen des Autoschlüssels in der Hosentasche der Jeans, die unbeaufsichtigt
und unverschlossen in der Umkleidekabine der Sporthalle verblieben ist, stellt sich
nämlich als grob fahrlässiges Verhalten dar (vgl. OLG Koblenz, NversZ 1999, 429; OLG
Sachsen-Anhalt, OLGR Naumburg 1996, 31-32 - zitiert nach juris). Ebenso wie die
anderen Wertgegenstände, die der Zeuge Möller aus Sicherheitsgründen mit in die
Sporthalle mitgenommen hat, um sie vor Diebstahl zu schützen, hätte er dies auch
hinsichtlich des Fahrzeugschlüssels tun müssen. Es ist allgemein bekannt, und wird auch
von der Klägerin auch nicht grundsätzlich in Abrede gestellt, dass Umkleidekabinen, in
denen keine verschließbaren Schränke vorhanden sind, häufig Tatort von
Diebstahlsdelikten sind. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war es auch nicht so,
dass außer den Mittrainierenden ein unbefugter Dritte keinen Zutritt zur Umkleidekabine
haben konnte, wie die Klägerin dies behauptet hatte. Zwar mag es so gewesen sein,
dass während des Trainings die Halle nach außen versperrt war, jedoch hat der Zeuge
Möller auch bekundet, dass jedenfalls zwischen dem Ende der vorherigen
Trainingseinheit und dem Beginn des hier streitigen Trainings ein unkontrolliertes
Kommen und Gehen stattfand, während dessen eben auch unbefugte Dritte Zutritt in
das Gebäude erlangen konnten. Mithin steht zur Überzeugung des Gerichts gerade nicht
fest, dass die Umkleidekabine nur von den Mitspielern des Volleyballtrainings, sondern
auch von sonstigen Personen betreten werden konnte. Diese Möglichkeit des
unbeachteten Eindringens während des Wechsels der Mannschaften ist auch keineswegs
derart ungewöhnlich, dass man hiermit nicht zu rechnen bräuchte. Dem Zeugen musste
daher klar sein, dass in der unverschlossenen Umkleidekabine ein gesteigertes
Diebstahlsrisiko bestand. Mit dem Belassen des Autoschlüssels in der Umkleidekabine
hat der Zeuge Möller daher die in dieser Situation erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße außer acht gelassen. Er kann sich auch nicht damit entlasten, dass der
Grund für dieses Handeln nicht bewusste Sorglosigkeit, sondern schlichte Vergesslichkeit
gewesen wäre. Auf die innere Motivation des - objektiv grob fahrlässigen - Handelns
kommt es nämlich grundsätzlich nicht an. Die für den Leistungsausschluss geforderte
subjektive Komponente der groben Fahrlässigkeit bezeichnet nämlich nicht die innere
Willensrichtung und Motivation des Handelnden, sondern die Frage, ob der Vorwurf der
groben Fahrlässigkeit auch im Einzelfall gemacht werden kann, weil der Handelnde das
Risiko kannte oder hätte erkennen und vermeiden können. Hieran bestehen aber keine
Zweifel, denn das übrige Handeln des Zeugen beweist, dass er sich der erhöhten
Diebstahlsgefahr genau bewusst war, weshalb er zur Vermeidung entsprechende und
wirksame Vorkehrungen, wie das Mitnehmen der Wertsachen in die Sporthalle, ergriffen
hat. Diese Vorkehrungen hätte er auf den Autoschlüssel ausdehnen müssen; dass er
dies vergessen hat, entlastet ihn nicht. Die von der Klägerin zitierte Entscheidung des
OLG Brandenburg (Urteil vom 25.9.2002, 14 U 40/02) ist auf den hier vorliegenden Fall
nicht übertragbar, da das Gericht dort der Ursache des Fehlverhaltens im
Straßenverkehr auf den Grund gegangen ist und ein Augenblicksversagen festgestellt
hat, welches es nach den Gesamtumständen als nicht grob fahrlässig einstufte. Die
vorliegende Situation ist jedoch mit einer Situation im Straßenverkehr, die
reaktionsschnelles Verhalten fordert und dementsprechend bei nur ganz kurzzeitigem
Versagen zu großem Schaden führen kann, nicht vergleichbar. Es ist nicht erkennbar,
dass das hiesige Vergessen ein Augenblicksversagen des Zeugen darstellt; es bestand
ausreichend Zeit zum Umziehen und Organisieren der Sicherheitsvorkehrungen, so dass
das Außerachtlassen dieser Maßnahmen nicht mit dem Hinweis auf schlichte
Vergesslichkeit zu entschuldigen ist.
Die Klägerin muss sich das Verhalten ihres Ehemannes, des Zeugen Möller, auch
zurechnen lassen, da er als derjenige, der den Wagen unstreitig überwiegend fährt,
Repräsentant der Klägerin ist, der eigenverantwortlich für die Klägerin als
Versicherungsnehmerin die Versicherungssache verwaltet hat.
III.
Die Leistungsfreiheit der Beklagten gem. § 61 VVG erstreckt sich auch auf die geltend
gemachten Standgebühren und Abschleppkosten, denn diese hängen unmittelbar mit
dem - streitigen - Diebstahl des Wagens zusammen. Eine diesbezügliche
Erstattungspflicht der Beklagten setzt eine Einstandspflicht aus dem
Versicherungsvertrag voraus, welche hier, wie gezeigt, nicht besteht.
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IV.
Die Klägerin kann von der Beklagten auch nicht gem. § 280 BGB den Ersatz der Kosten
für eine neue TÜV-Plakette in Höhe von 10,00 EUR verlangen, denn ein Verzug der
Beklagten mit der Übersendung der Unterlagen kann nicht festgestellt werden. Die
Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie die Beklagte zur Übersendung dieses Dokuments
aufgefordert und anschließend gemahnt hätte.
V.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr.
11, 711 ZPO.
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