Urteil des AG Charlottenburg vom 14.03.2017

AG Charlottenburg: verspätung, besatzung, flugzeug, abflug, abgrenzung, privatrecht, unmöglichkeit, vollstreckung, nichtbeförderung, form

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Gericht:
AG Charlottenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
218 C 290/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 249 EG, Art 5 Abs 1 Buchst c
EGV 261/2004, Art 6 EGV
261/2004, Art 7 Abs 1 Buchst b
EGV 261/2004, Art 8 Abs 1
Buchst a EGV 261/2004
Ansprüche eines Fluggastes bei Flugverschiebung: Abgrenzung
von Flugannulierung und grosser Verspätung
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % abwenden, falls nicht zuvor die Beklagte
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ausgleichsansprüche aus einem gesetzlichen
Schuldverhältnis.
Die Kläger buchten bei der Fa. A Flugreisen, D eine 14-tägige Pauschalflugreise nach
Ägypten. Der Beklagten oblag als von der Fa. A Flugreisen beauftragtem
Luftfahrtunternehmen die Beförderung vom Flughafen M über N nach S am 07.02.2005;
der Rückflug sollte unter der Flugnummer AB 2797 auf umgekehrter Route am
21.02.2005 erfolgen. Tatsächlich erfolgte der Rückflug erst am 22.02.2005 nach einer
von der Beklagten bezahlten Übernachtung in einem Hotel mit einem Flugzeug der
Beklagten.
Auf der Grundlage des vorgerichtlichen Schreibens der Prozessbevollmächtigten der
Kläger vom 07.03.2005 (Bl. 10, 11 d.A.), mit dem ein Ausgleichsanspruch in Höhe von
800,00 Euro (2 x 400,00 Euro) geltend gemacht wurde, zahlte die Beklagte aus Kulanz
einen Betrag von 103,00 Euro.
Die Kläger behaupten, der Rückflug sei von der Beklagten ohne Angabe von Gründen
annulliert worden. Sie meinen, ihr stünden daraus Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 Nr. 2
Buchst. b VO (EG 261/2004 (künftig: VO) auf Zahlung eines Ausgleichsbetrages von 400
Euro pro Person zu, so dass – nach Zahlung von 51,50 Euro pro Person – noch ein
Anspruch von 2 x 348,50 Euro bestehe.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils einen Betrag in Höhe von 348,50
Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit
dem 15.03.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Flug AB 2797 vom 21.02.2005 sei nicht annulliert, sondern
lediglich auf den 22.02.2005 verschoben und unter derselben Flugnummer mit derselben
Besatzung und den ursprünglich auf den 21.02.2005 gebuchten Passagieren am
22.02.2005 durchgeführt worden. Es würde sich daher um eine Flugverspätung handeln,
wegen der den Klägern nur Unterstützungsleistungen nach Art. 6 der VO zustehen
würden, die erbracht worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen
verwiesen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß dem Beschluss vom 22.09.2005, auf den Bezug
genommen wird, durch uneidliche Vernehmung des Zeugen J F. Für das Ergebnis der
Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25.10.2005 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht Charlottenburg örtlich und
sachlich zuständig (§§ 12, 13 ZPO, 17, 21 GVG).
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der ordentliche Rechtsweg und nicht der
Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Zumindest die Norm des Art. 7 VO ist
dem Privatrecht zuzuordnen, da sie nach ihrem Wortlaut keine Person des öffentlichen
Rechts einseitig berechtigt oder verpflichtet. Vielmehr steht der dort normierte Anspruch
auf Zahlung eines pauschalierten Schadenersatzes einer Person des Privatrechts
gegenüber einer anderen Person des Privatrechts zu (vgl. nur Führich, Reiserecht, 5.
Auflage 2005, Rz 1025 f.; Staudinger/Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897, 1899).
Die Klage ist nicht begründet.
Den Klägern steht aus Art. 7 der VO kein Anspruch auf Ausgleichzahlungen wegen der
Annullierung eines Fluges zu.
Die Regelungen VO sind hier grundsätzlich anwendbar. Die VO verschafft den Klägern
einen unmittelbaren, dem Privatrecht zuzuordnenden Anspruch auf pauschalierten
Schadenersatz, wenn die in der VO genannten Tatbestände vorliegen (vgl. Führich,
ebenda; Staudinger/Schmidt-Bendun, ebenda). Der Anwendung steht auch nicht
entgegen, dass der Flug in einem außerhalb der Gemeinschaft gelegenen Land begann,
wobei dahingestellt bleiben kann, ob hier bereits Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der VO
anwendbar ist. Jedenfalls ist anerkannt, dass bei Hin- und Rückflügen mit einheitlichem
Flugschein die Regelungen des europäischen Rechts bereits dann anwendbar sind, wenn
die Reise in einem Mitgliedsstaat beginnt oder endet (vgl. Führich, a.a.O., Rz 1012).
Der Anspruch scheitert daran, dass der für den 21.02.2005 vorgesehene Flug AB 2797
von S nach N und M verspätet, jedoch nicht annulliert war.
Der Begriff der "großen Verspätung" ist im Gegensatz zu den Begriffen "Annullierung"
und "Nichtbeförderung" in der VO nicht legal definiert. Anhaltspunkte für die Abgrenzung
ergeben sich aber insbesondere aus der systematischen Auslegung der Normen. Eine
"Verspätung" kann demnach auch dann noch vorliegen, wenn der Abflug – wie hier – erst
am nächsten Tag erfolgt. Eine ausgleichspflichtige Verspätung liegt erst dann überhaupt
vor, wenn sich der geplante Abflug um zwei bis vier Stunden verzögert. Auf der anderen
Seite schreibt Art. 6 Abs. 1 Buchst. c, Nr. ii der VO die Pflicht des Luftfahrtunternehmens
vor, Unterstützungsleistungen wie Hotelunterbringung oder Mahlzeiten anzubieten.
Demnach hat der Verordnungsgeber auch größere Verspätungen noch als
Verspätungen ansehen wollen, weil sonst die Regelung hinsichtlich der
Hotelunterbringung überflüssig wäre. Eine etwaige Abweichung von der nationalen
Gesetzesauslegung, nach der Flugverspätungen auch eine Unmöglichkeit darstellen
können (vgl. AG Frankfurt, NZV 1998, S. 332 m.w.N.), ist dabei hinzunehmen, weil die
Regelungen auch unterschiedliche Rechtsfolgen aufweisen. Eine Verspätung i. S. der VO
liegt somit dann vor, wenn der Flug erst zu einem späteren Termin als geplant
durchgeführt wird. Maßgeblich ist, ob der geplante Flug überhaupt noch durchgeführt
wird. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn dieser Flug dann zusätzlich zu weiteren an
diesem Tag vorgesehenen Flügen auf der gleichen Route durchgeführt wird. Dabei muss
es dem Flugunternehmen unbenommen bleiben, durch Austausch von Fluggerät oder
Besatzung erst die Voraussetzungen für den Flug zu diesem Termin zu schaffen.
Demgegenüber liegt nach Auffassung des erkennenden Richters eine Annullierung eines
Fluges nur dann vor, wenn der vorgesehene Flug überhaupt nicht stattfindet. Die
Legaldefinition im Art. 2 Buchst. I der VO ist dabei im Kontext mit den übrigen
Regelungen der VO, insbesondere Art. 5 Abs. 1 Buchst. c zu sehen. Demnach ist der
Annullierung eigen, dass sie meist als frühzeitiger Ausfall des geplanten Fluges auftritt.
Die Erwägungsgründe der VO weisen dabei auf die bereits im Montrealer
Übereinkommen enthaltenen Konkretisierungen hin, wonach die Gründe für eine
Annullierung eher aus Umständen außerhalb der Risikosphäre des Flugunternehmens
stammen (vgl. Staudinger/Schmidt-Bendun, a.a.O., 1899). Die Erwägungsgründe
verweisen zudem darauf, dass unter normalen Umständen eine Annullierung aus
wirtschaftlichen Gründen erfolgt. Hierfür spricht auch, dass das Flugunternehmen mit der
Annullierung über eine alternative Beförderung berichten muss.
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Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des erkennenden Richters fest,
dass die ursprünglichen Passagiere des für den 21.02.2005 unter der Flugnummer AB
2797 vorgesehenen Fluges der Beklagten am 22.02.2005 mit dem regulären, für den
22.02.2005 vorgesehenen Flugzeuges unter der Flugnummer AB 2797 nach N und M
geflogen worden sind. Der Austausch des Flugzeuges und der Besatzung war nach der
Aussage des Zeugen F darauf zurückzuführen, dass das ursprünglich vorgesehene
Flugzeug nach dem Einfliegen von Ersatzteilen repariert werden musste und durch den
Einsatz des für den 22.02.2005 regulär vorgesehenen Flugzeuges einschließlich
Besatzung auf jeden Fall gesichert werden sollte, dass die auf den Flug am 21.02.2005
gebuchten Passagiere am 22.02.2005 zurückgeflogen werden.
Der erkennende Richter hatte keinerlei Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und
Wahrhaftigkeit der Aussagen des Zeugen F.
Daraus folgt, dass der Rückflug am 22.02.2005 unter derselben Flugnummer (AB 2797)
und mit den auf den 21.05.2005 gebuchten Passagieren durchgeführt wurde, so dass
von einer Annullierung des Fluges AB 2797 nicht ausgegangen werden kann; denn der
betreffende Flug hat – zwar mit Verspätung – stattgefunden. Dabei ist es unbeachtlich,
dass dieser Flug mit einem anderen Flugzeug und mit einer anderen Besatzung
durchgeführt wurde. Denn der Rechtsbegriff der Annullierung oder Verspätung ist aus
Sicht der von den Regelungen zu schützenden Personen zu interpretieren. Für diese
kommt es jedoch nicht auf die (technischen) Fragen der Flugdurchführung an, sondern
darauf, ob die ursprünglich geplante Beförderung in vergleichbarer Form – ggf. mit
Verspätung – erfolgt. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob sich eine Verspätung i. S. der
VO irgendwann als eine Annullierung i. S. der Vorschriften darstellt, wenn die Verspätung
so groß ist, dass die dann doch noch erfolgende Beförderung gegenüber der
ursprünglichen ein aliud ist. Dies ist nach Auffassung des Gerichtes jedenfalls dann nicht
der Fall, wenn der tatsächliche Abflug am Folgetag erfolgt.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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