Urteil des AG Büdingen vom 25.09.2008

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Gericht:
AG Büdingen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 C 241/08 (22), 2
C 241/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 1 StVO, § 7 StVG, §
17 StVG
Haftung bei Kfz-Unfall: Sorgfaltspflichten des Fahrers und
des Vorbeifahrenden beim Ein- und Aussteigen auf der
Fahrbahnseite
Tenor
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.529,74
Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2008 zu zahlen.
Die Beklagten werden verurteilt, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten ...,
von einer Honorarforderung in Höhe von 229,55 Euro freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 65 % und die Beklagten 35
% zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheit in Höhe von 120 % der jeweils zu
vollstreckenden Forderung vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von den Beklagten die Zahlung von Schadensersatz aus
Anlass eines Verkehrsunfalles, der sich am 01.10.2007 gegen 10.45 Uhr auf der ...
in ... ereignete. Am vorgenannten Unfalltag befuhr die Zeugin ... mit dem PKW des
Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen ... die ... aus Richtung Kreisverkehr
kommend in Richtung Altstadt. Der Beklagte zu 1.) hatte seinen PKW mit dem
amtlichen Kennzeichen ..., der bei der Beklagten zu 2.) haftpflichtversichert ist, am
rechten Fahrbahnrand der ... geparkt.
Die Zeugin ... fuhr mit dem PKW des Klägers gegen die geöffnete Fahrertür des
Fahrzeuges des Beklagten zu 1.).
Der Kläger beziffert den ihm durch den Verkehrsunfall entstandenen Schaden mit
insgesamt 8.239,71 EUR. Bezüglich der Zusammensetzung des Sachschadens
des Klägers wird auf Bl. 4 und 5 d.A. Bezug genommen.
Die Beklagte zu 2.) hat vorprozessual an den Kläger 3.824,37 EUR gezahlt.
Der Kläger meint, die Beklagten seien ihm zum vollständigen Schadensersatz
verpflichtet. Denn – so behauptet der Kläger – der Beklagte zu 1.) habe die
Fahrertür unmittelbar vor dem herannahenden PKW des Klägers zum Aussteigen
plötzlich und unvermittelt geöffnet, so dass sie mindestens 50 cm in die Fahrbahn
hineinragte und gegen das vorbeifahrende klägerische Fahrzeug geschlagen sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 4.415,34
EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2008 zu zahlen;
die Beklagten zu verurteilen, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten ...,
..., von einer Honorarforderung in Höhe von brutto 446,13 EUR freizustellen.
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Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, der Beklagte habe sich seinem PKW von vorne genähert, habe die
Fahrertür geöffnet und zunächst eine Brötchentüte mit Brötchen auf den
Beifahrersitz gelegt. Nach dem Hineinwerfen der Brötchentüte sei er gerade dabei
gewesen, in das Fahrzeug einzusteigen, als die Zeugin ... mit dem PKW des
Klägers gegen die Fahrertür gefahren sei, die er noch in der Hand gehalten habe.
Der Verkehrsunfall sei darauf zurückzuführen, dass die Fahrerin des Fahrzeuges
des Klägers den Verkehrsraum vor ihr nicht gehörig beobachtet habe und mit zu
geringem Sicherheitsabstand an dem Fahrzeug des Beklagten zu 1.)
vorbeigefahren sei.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 26.08.2008 durch
Vernehmung der ..., des ... als Zeugen sowie des Beklagten zu 1.) als Partei.
Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der
gerichtlichen Niederschrift vom 26.08.2008 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet.
Der Kläger kann von den Beklagten Ersatz des ihm durch den Verkehrsunfall vom
01.10.2007 entstandenen Schadens in Höhe von weiteren 1.529,74 EUR
verlangen.
Ein dahingehender Anspruch steht ihm nach den §§ 7, 18 StVG, 3 PflVG zu.
Nach diesen Vorschriften sind der Beklagte zu 1.) als Fahrer und Halter und die
Beklagte zu 2.) als Haftpflichtversicherer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen
... als Gesamtschuldner nebeneinander verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, der
bei dessen Betrieb entstanden ist. Die Beklagten sind indes nicht zum Ersatz des
vollen dem Kläger entstandenen Schadens verpflichtet, da der Unfall auch durch
das Kraftfahrzeug des Klägers mitverursacht wurde. Sind an einem Verkehrsunfall
mehrere Kraftfahrzeuge beteiligt, so bemisst sich der Umfang der jeweiligen
Schadensersatzpflicht gemäß § 17 StVG danach, inwieweit der Schaden
vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Die nach
dieser Vorschrift vorzunehmende Abwägung der Verursachungsanteile ergibt, dass
der Kläger infolge eines Pflichtverstoßes der Fahrerin seines Kraftfahrzeuges eine
Verursachungsquote in Höhe von 30 % trifft, so dass er von den Beklagten die
Zahlung von 70 % seines Gesamtschadens verlangen kann.
Zu Lasten der Beklagten ist die allgemeine Betriebsgefahr ihres Kraftfahrzeuges
zu berücksichtigen, die durch ein Fehlverhalten des Beklagten zu 1.) deutlich
erhöht ist. Nach § 14 Abs. 1 StVO obliegt dem Beklagten zu 1.) die Verpflichtung,
beim Ein- und Aussteigen sich zu vergewissern, dass eine Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Auch beim Einsteigen muss der Beklagte
zu 1.) das Vorrecht des fließenden Verkehrs beachten. Denjenigen, der zur
Fahrbahn hin in seinen PKW einsteigen will, treffen erhöhte Sorgfaltspflichten. Es
muss sichergestellt sein, dass durch das Öffnen der Tür kein herannahendes
Fahrzeug gefährdet oder behindert wird. Dieser Obliegenheit ist der Beklagte zu 1.)
nicht nachgekommen. Denn der Beklagte zu 1.) räumt in der Klageerwiderung
selbst ein, dass er sich nach dem Hineinwerfen der Brötchentüte in das Fahrzeug
nicht noch einmal umgedreht hat, um den fließenden Verkehr zu beachten.
Zumindest zu diesem Zeitpunkt war die Fahrertür vollständig geöffnet worden, wie
dies von dem Zeugen ... glaubhaft geschildert wird. Dass der Beklagte zu 1.), wie
ebenfalls in der Klageschrift geschildert, sich bereits mit dem rechten Bein auf
dem Boden des Fahrzeuges befand, wird hierdurch erklärt, dass der Zeuge ... den
Fahrer selbst nicht gesehen hat. Aufgrund des sich unmittelbar anschließenden
Zusammenpralls des Fahrzeuges des Klägers mit der Fahrertür des Fahrzeuges
des Beklagten zu 1.) ergibt sich, dass die Fahrertür erst unmittelbar vor dem
Herannahen des Fahrzeuges des Klägers vollständig geöffnet wurde.
Zu Lasten des Klägers ist ebenfalls die allgemeine Betriebsgefahr seines
Kraftfahrzeuges zu berücksichtigen, die durch ein geringfügiges Fehlverhalten der
Fahrerin des Fahrzeuges des Klägers, der Zeugin ..., erhöht ist. Der Unfall stellte
für die Fahrerin kein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG dar.
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für die Fahrerin kein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG dar.
Unabwendbar wäre der Unfall nur dann gewesen, wenn ein im höchsten Maße
aufmerksamer und umsichtiger Fahrer einen Zusammenstoß nicht hätte
vermeiden können, wobei derjenige, der sich auf die Unabwendbarkeit beruft, all
die diese begründenden Umstände zu beweisen hat. Der ideal typische Fahrer
hätte aber einen solchen Seitenabstand eingehalten, der ein vollständiges Öffnen
der Tür des Fahrzeuges des Beklagten zu 1.) erlaubt hätte, gegebenenfalls hätte
er sogar abgewartet, bis die Verkehrslage ein Vorbeifahren an dem parkenden
Fahrzeug erlaubt hätte.
Die Zeugin ... hat darüber hinaus durch Einhaltung eines unzureichenden
Sicherheitsabstandes zur Schadensentstehung beigetragen. Welcher seitliche
Sicherheitsabstand einzuhalten ist, richtet sich nach allen Umständen der
konkreten Situation. Da Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten beim Ein- und
Aussteigen häufig vorkommen, ist jedoch allgemein anerkannt, dass zugunsten
des Vorbeifahrenden kein Vertrauensschutz besteht. So lange der Vorbeifahrende
nicht mit Sicherheit erkennen kann, dass sich im haltenden Fahrzeug oder um das
Fahrzeug herum keine Personen aufhalten, muss er einen solchen Abstand
einhalten, dass die Tür des haltenden Fahrzeuges ein wenig geöffnet werden kann.
Ist die Einhaltung eines solchen Abstandes wegen Gegenverkehrs nicht möglich,
muss mit dem Passieren abgewartet werden. Dies gilt im verstärkten Maße dann,
wenn – wie hier – der Vorbeifahrende sogar hätte erkennen müssen, dass mit dem
Einsteigevorgang bereits begonnen wurde. Die Zeugin ... ist diesen
Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen. Denn sie hat selbst ausgesagt, sie sei mit
einem seitlichen Abstand von ca. 30 cm an dem feststehenden Fahrzeug des
Beklagten zu 1.) vorbeigefahren.
Angesichts dessen, dass dem Beklagten zu 1.) ein gravierender Sorgfaltsverstoß
zur Last fällt, während der Verstoß auf Klägerseite nur von geringem Ausmaß ist,
erscheint die vorgenommene Haftungsverteilung angemessen.
Der Kläger kann demzufolge 70 % des ihm entstandenen Schadens ersetzt
verlangen.
Der Sachschaden des Klägers beträgt 7.648,73 EUR. Er setzt sich zusammen aus
5.838,16 EUR Reparaturkosten, 681,81 EUR Sachverständigenkosten, 400,00 EUR
Wertminderung, 25,00 EUR allgemeine Kostenpauschale und 703,76 EUR
Mietwagenkosten.
Darüber hinausgehende Mietwagenkosten kann der Kläger nicht ersetzt verlangen.
Die Beklagten haben unwidersprochen vorgetragen, dass dies die erforderlichen
Mietwagenkosten waren. Dass die von der Autovermietung ... berechneten
Mietwagenkosten vorliegend erstattungsfähig sind, mangelt es an einem
entsprechenden Vortrage des Klägers unter Beweisantritt.
70 % von 7.648,73 EUR betragen 5.354,11 EUR. 3.824,37 EUR hat die Beklagte zu
2.) vorprozessual an den Kläger geleistet, so dass sich die noch offene
Schadensersatzforderung des Klägers auf noch 1.529,74 EUR beläuft.
Zinsen, wie im Tenor zugesprochen, kann der Kläger aus Verzug beanspruchen.
Der Freistellungsanspruch hinsichtlich der der Klägerin entstandenen
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten minderte sich entsprechend durch die
tatsächlich berechtigte Klageforderung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Quotelung richtet sich nach
dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Parteien.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.