Urteil des AG Bonn vom 08.02.2010

AG Bonn (konkrete berechnung, treu und glauben, angemessene entschädigung, klausel, verwendung, pauschale, reiseveranstalter, höhe, entschädigung, berechnung)

Amtsgericht Bonn, 101 C 385/09
Datum:
08.02.2010
Gericht:
Amtsgericht Bonn
Spruchkörper:
101. Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
101 C 385/09
Schlagworte:
Reisevertrag, Storno, Klausel, konkrete Schadensberechnung
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
1. Klauseln in AGB, die eine vom Reisepreis unabhängige Pauschale
vorsehen, verstoßen gegen §§ 651i Abs. 3, 651m BGB.
2. Die Kombination von Storno-Pauschale und konkreter
Schadensberechnung in AGB verstößt geben §§ 307 Abs. 1 BGB, 309
Nr. 5 a BGB.
3. Ist eine Pauschale unwirksam, gelten nicht die den gesetzlichen
Richtlinien entsprechenden Prozentsätze als vereinbart. Vielmehr ist der
Schaden konkret nach § 651i Abs. 2 S. 3 BGB zu berechnen.
4. Im Rahmen des § 651i Abs. 2 S 3 BGB ist nicht die tatsächliche
anderweitige Verwendung, sondern die objektiv noch mögliche
anderweitige Verwendung vom Reisepreis in Abzug zu bringen.
Insbesondere bei zeitlich weit vor Reiseantritt erfolgten Kündigungen
muss der Reiseveranstalter substantiiert vortragen, weshalb eine
anderweitige Verwendung der Reiseleistung nicht möglich gewesen ist.
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 280,34 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
22.07.2009 sowie weitere 46,41 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.07.2009 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
Die zulässige Klage ist begründet.
2
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung der abgebuchten
280,34 € aus § 651i Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB in Verbindung mit § 346 Abs. 1 BGB.
3
Unstreitig buchte die Klägerin am 27.04.2009 über das Online-Portal der Beklagten eine
Flugreise, die am Montag, den 15.06.2009 stattfinden sollte. Der Reisepreis betrug
280,34 €. Um 19.58 Uhr erhielt die Klägerin eine diesbezügliche Bestätigung der
Beklagten per Mail. Ebenfalls unstreitig versandte die Klägerin am selben Tag um 20.09
Uhr, also elf Minuten später, eine Mail an die in der Auftragsbestätigung genannte
Adresse der Beklagten. Nachdem sie diesbezüglich eine Fehlermeldung erhielt,
hinterließ die Klägerin in einem Diskussionsthread der Beklagten unter Bezugnahme
auf die versandte Auftragsbestätigung die Nachricht, sie wolle "diesen Auftrag sofort
stornieren". Am 28.04.2009 erhielt die Klägerin sodann eine Nachricht der Beklagten,
wonach eine Stornierungsgebühr in Höhe von 256,66 € anfallen sollte.
4
In der Folge wurde die Kreditkarte der Klägerin mit dem gesamten Reisepreis belastet.
Einer Rückbuchung konnte nicht erfolgen, da die Beklagte diese nicht akzeptierte. Der
Beklagten steht jedoch weder dieser Betrag, noch die zuvor genannte Stornogebühr zu.
5
Die Klägerin ist gemäß § 651i Abs. 1 BGB wirksam von dem Reisevertrag
zurückgetreten. Die Erklärung der Klägerin in dem Thread der Beklagten kann von
einem objektiven Empfänger nur dergestalt verstanden werden, dass sich die Klägerin
von dem gesamten Auftrag lösen will. Als Rechtsfolge verliert die Beklagte damit den
Anspruch auf den Reisepreis, § 651i Abs. 2 S. 1 BGB, so dass die entsprechende
Leistung im Fall der vorherigen Zahlung über § 346 BGB rückabzuwickeln ist (vgl. zur
Anspruchsgrundlage Seiler in: Erman, § 651i Rn. 5; Eckert in: Soergel, § 651i Rn. 11;
Eckert in: Staudinger, § 651i Rn. 20).
6
Dem Grunde nach steht der Beklagten damit eine angemessene Entschädigung nach §
651i Abs. 2 S. 2 BGB zu. Diese bemisst sich gemäß § 651i Abs. 2 S. 3 BGB nach dem
Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen
sowie dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben
kann. § 651i Abs. 3 BGB gibt dem Reiseveranstalter diesbezüglich die Möglichkeit, eine
Pauschale als Vomhundertsatz des Reisepreises festzulegen. Macht er hiervon
Gebrauch, stehen dem Reiseveranstalter die Alternativen offen, entweder eine die
konkrete Berechnung nach Absatz 2 ausschließende Entschädigung zu vereinbaren,
oder aber ein Wahlrecht zwischen konkreter und pauschalierter Berechnung festzulegen
(vgl. Palandt/Sprau, 68. Aufl., § 651i Rn. 4 BGB).
7
Schon vor diesem Hintergrund hält Ziffer 2b) der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Beklagten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dort heißt es: "Wir werden
ihnen den Betrag erstatten, den wir von den jeweiligen Leistungsträgern erhalten. Als
Ersatz für den uns entstehenden Aufwand und gewöhnlichen Schaden, berechnen wir
einen Betrag in Höhe von 100,00 € pro Buchung". Zunächst geht die Klausel bereits von
einer unzutreffenden Prämisse aus. Nicht die Beklagte erstattet der Klägerin Beträge,
sondern die Klägerin hat der Beklagten einen konkret nachzuweisenden Schaden zu
ersetzen. Die Formulierung der Beklagten impliziert, dass es grundsätzlich bei der
Zahlung des Reisepreises durch die Klägerin verbleibt und dem Kunden nur das
erstattet wird, was die Beklagte von ihren jeweiligen Leistungsträgern erhält. Schon dies
ist, trotz des zuvor erfolgten Hinweises durch Wiedergabe des Gesetzestextes darauf,
dass die Beklagte den Anspruch auf den Reisepreis verliert, irreführend. Zudem ist die
Vereinbarung eines pauschalierten Schadensersatzes in Höhe von 100,00 € pro
Buchung unwirksam, da sie gegen die gesetzliche Regelung des § 651i Abs. 3 verstößt,
vgl. § 651m BGB. Nach dieser Vorschrift kommt eine Pauschalierung nur als
Vomhundertsatz des Reisepreises in Betracht. Nicht nachvollziehbar ist demgegenüber
8
die Behauptung der Beklagten, die in den AGB festgelegten 100,00 € seien keine
pauschalierte, sondern eine konkrete Entschädigung. Eine konkrete Entschädigung ist
der Natur der Sache nach immer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessen.
Allein die Tatsache, dass für jede Buchung 100,00 € anfallen sollen und dies nach Ziffer
2 der AGB dem "gewöhnlichen Schaden" entsprechen soll (vgl. § 651i Abs. 3 BGB) folgt
unproblematisch, dass es sich hierbei eben nicht um eine konkrete Berechnung,
sondern um eine Pauschale (=vorab festgelegte Summe) handelt. Schon dies für sich
genommen führt zur Unwirksamkeit der Klausel.
Weiterhin ist die Klausel auch deshalb unwirksam, weil sie konkrete Berechnung und
Pauschale kumuliert. Im Ergebnis zahlt der Kunde den kompletten Reisepreis abzüglich
der Rückerstattung von Leistungsträgern (also der konkreten Ersparnis) abzüglich der
100,00 € Pauschale. Dies verstößt offensichtlich gegen §§ 307 Abs. 1, 309 Nr. 5 a BGB,
da ein Kunde auf diese Weise mehr bezahlen soll, als der konkrete Schaden
(Reisepreis abzüglich ersparter Aufwendungen, also abzüglich der Rückerstattungen
des Leistungsträgers) tatsächlich beträgt.
9
Die Klausel verstößt darüber hinaus auch gegen § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, da
sie die Klägerin unangemessen benachteiligt. Der Gesetzgeber hat durch seine
Bestimmung, dass Pauschalen nach dem Vomhundertsatz zu bemessen sind, eine
Grundentscheidung dahingehend getroffen, dass auch Stornogebühren in einem
angemessenen Verhältnis zum Reisepreis stehen müssen. Dieses Erfordernis umgeht
die Beklagte, in dem sie unabhängig vom Reisepreis eine Entschädigung von 100,00 €
verlangt. Die Klägerin hat hier eine Reise zum Preis von 280,34 € binnen Stunden
storniert, die mehr als sechs Wochen nach der Buchung stattfinden sollte. Dass sie
hierfür 256,66 €, also 91 % des Reisepreises (!) an Stornogebühren zahlen soll,
widerspricht den Geboten von Treu und Glauben (vgl. LG Hamburg, NJW 1998, 3281;
OLG Nürnberg, NJW 1999, 3128; BGH, NJW-RR 1990, 114-115, dort zu 80%). Es führt
zudem abweichend von der gesetzlichen Regelung dazu, dass die Beklagte im
Gegensatz zum Grundgedanken des § 651i BGB nahezu ihren vollen
Vergütungsanspruch für die Reise behält.
10
Aufgrund der Unwirksamkeit der Klausel steht der Beklagten damit nach § 651i Abs. 2
S. 3 BGB eine Entschädigung zu, deren Höhe sich nach dem Reisepreis unter Abzug
des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie dessen, was er
durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben kann, bemisst.
Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung gilt bei Unwirksamkeit einer
Klausel nicht ein den gesetzlichen Richtlinien entsprechender Prozentsatz als
vereinbart (so aber Palandt/Sprau, 68. Aufl., § 651i Rn. 4). Dieser Meinung kann sich
das Gericht nicht anschließen, da insoweit die Anforderungen des § 651i Abs. 2 S. 3
BGB zu Lasten des Reisenden ausgehebelt würden. Auch läge der Sache nach eine
geltungserhaltende Reduktion vor, die in der Rechtsprechung zu Recht einhellig für
unzulässig gehalten wird (vgl. etwa BGH NJW 2000, 1110; Palandt/Heinrichs, 68. Aufl.,
vor § 307 Rn. 8). Zudem würde der Unterschied zu § 651i Abs. 3 BGB nivelliert. Der
Reiseveranstalter könnte dann auch ohne vertragliche Vereinbarung die von ihm und
anderen Veranstaltern vorgegebenen Pauschalen einfordern. Dies sieht das Gesetz
aber gerade nicht vor (so auch LG Düsseldorf, NJW 2003, 3062). Vielmehr tritt bei
Unwirksamkeit der Klausel das dispositive Gesetzesrecht an deren Stelle, das dem
Reiseveranstalter in § 651i Abs. 2 S. 3 BGB nunmehr die Möglichkeit einer konkreten
Berechnung offenhält.
11
Auch auf der Grundlage einer konkreten Berechnung scheidet ein Anspruch der
Beklagten jedoch aus. Die Beklagte hat nämlich die für eine gerichtliche Schätzung des
konkreten Schadens nach § 287 ZPO erforderlichen Tatsachengrundlagen nicht
dargelegt. Die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 29.12.2009 sind insofern
nicht ausreichend, insbesondere im Hinblick auf den gerichtlichen Hinweis vom
14.12.2009. Es fehlt an jedwedem Vortrag dazu, weshalb der Beklagten eine
anderweitige Verwendung der Reiseleistungen nicht möglich gewesen sein soll,
nachdem die Klägerin binnen Stundenfrist die Buchung storniert hat. Entgegen der
Ansicht der Beklagten ist dies auch nicht irrelevant, da sich die Beklagte im Hinblick auf
§ 651i Abs. 2 S. 3 BGB dasjenige anrechnen lassen muss, was sie durch anderweitige
Verwendung erwerben kann. Auch wenn hier abweichend von § 649 BGB nicht der
"böswillig unterlassene" Erwerb genannt ist, so ist doch der objektiv noch mögliche
anderweitige Erwerb zu berücksichtigen (vgl. Eckert in: Staudinger, § 651i Rn. 20:
"keinen qualitativen Unterschied" zwischen § 649 und § 651i BGB). Dass es der
Beklagten nicht möglich gewesen sein soll, die Reise sechs Wochen vor dem
Abflugtermin noch einmal zu vergeben, ist unwahrscheinlich und hätte daher weiteren
Vortrags bedurft. Insoweit kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, sie habe
von der Fluggesellschaft keine Erstattung erhalten. Die Beklagte hat nämlich - soweit
unstreitig - die Stornierung der Klägerin nicht an die Fluggesellschaft weitergeleitet.
12
Die Nebenforderungen folgen aus §§ 280, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.
13
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
14
Streitwert: 280,34 €
15