Urteil des AG Bonn vom 22.09.2005
AG Bonn: einstweilige verfügung, anfechtung, berufliche tätigkeit, arglistige täuschung, mietvertrag, vermieter, leistungsfähigkeit, versicherung, haus, aufklärungspflicht
Amtsgericht Bonn, 6 C 411/05
Datum:
22.09.2005
Gericht:
Amtsgericht Bonn
Spruchkörper:
6. Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 C 411/05
Nachinstanz:
Landgericht Bonn, 6 T 312/05, 6 S 226/05
Schlagworte:
Mietvertragsanfechtung wegen arglistiger Täuschung des Mieters über
seine wirtschaftlichen Verhältnisse.
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Die einstweilige Verfügung vom 23.08.2005 wird aufgehoben. Der
Antrag auf Erlass der einstweili-gen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern bleibt vorbehalten, die
Vollstreckung seitens der Beklagten wegen der Kosten gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu
vollstreckenden Betrages abzuwenden.
Tatbestand:
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Die Beklagte ist Eigentümerin des Einfamilienhauses E..straße in Bonn. Mit Mietvertrag
vom 11.06.2005 schloss die Beklagte, vertreten durch ihren Bruder, den Zeugen S mit
den Klägern einen Mietvertrag über das Haus zum einem monatlichen Mietzins von
675,00 Euro. Das Mietverhältnis sollte am 01.09.2005 beginnen. Bei den
Mietvertragsverhandlungen erkundigte sich der Zeuge S zumindest nach den Berufen
der Kläger. Die klägerische Ehefrau erklärte, sie sei examinierte Altenpflegerin, mit dem
klägerischen Ehemann erfolgte das Gespräch über die berufliche Tätigkeit zumindest im
Zusammenhang mit notwendigen Arbeiten, die im Haus noch durchzuführen waren. Der
klägerische Ehemann erklärte, Elektroinstallateur zu sein und berichtete von Einsätzen
auf zahlreichen Baustellen.
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Am 20.06.2005 zahlten die Kläger einen Betrag von 800,00 Euro hin-sichtlich der
Kaution an, der restliche Teil der Kaution ist mittlerweile bei ihrem
Prozessbevollmächtigten hinterlegt. Mit Schreiben vom 08.08.2005 teilte die Beklagte
den Klägern durch die C GmbH ein Aufhebungsangebot hinsichtlich des Mietvertrags
mit. Dies begründete sie damit, dass ihr bei Vertragsabschluss verschwiegen worden
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sei, dass vor Vertragsabschluss ein Insolvenzverfahren gegen den klägerischen
Ehemann eröffnet worden sei. Das Insolvenzverfahren gegen den klägerischen
Ehemann war am 26.01.2005 eröffnet worden. Zuvor hatte er mehrfach die
eidesstattliche Versicherung abgegeben. Auch gegen die klägerische Ehefrau ist ein
Insolvenzverfahren eröffnet.
Mit Schreiben vom 09.08.2005 wies der Prozessbevollmächtigte der Kläger darauf hin,
dass der Mietvertrag Bestand habe. Mit Schreiben vom 11.08.2005 erklärte der
Prozessbevollmächtigte der Beklagten eine Anfechtung des Mietvertrages gestützt auf
arglistige Täuschung, in der Folge hat er einen Rücktritt vom Mietvertrag nach § 109 II
InsO erklärt. In der mündlichen Verhandlung hat er eine weitere Anfechtung des
Mietvertrags wegen arglistiger Täuschung erklärt.
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Der klägerische Ehemann hat ein monatliches Nettoeinkommen von 778,00 Euro, die
klägerische Ehefrau erhält derzeit brutto ein Krankentagegeld von 49,82 Euro täglich.
Der Selbstbehalt aufgrund des Insolvenzverfahrens ist ungeklärt. Derzeit wohnen die
Kläger in einer Mietwohnung bei den Vermietern M zu einem monatlichen Mietzins von
1.138,00 Euro. Es stehen zumindest mehrere Monatsmieten offen, die derzeitigen
Vermieter M haben vor Gericht einen Räumungstitel sowie einen Zahlungstitel wegen
der offenen Mieten erstritten.
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Die Kläger behaupten, es seien überhaupt keine Fragen zu ihrer wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit gestellt worden. Sie seien zur Zahlung der Miete in der Lage.
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Die Kläger beantragen,
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die einstweilige Verfügung aufrechtzuerhalten.
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Die Beklagte beantragt,
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die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.
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Sie behauptet, auf ausdrückliche Frage nach den wirtschaftlichen Verhältnissen, ob
diese in Ordnung sein, seien seitens der Beklagten lediglich die Arbeitsverhältnisse
genannt worden. Die Beklagten hätten ganze 10 Monate beim Vermieter M keine Mieten
mehr gezahlt.
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Entscheidungsgründe:
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Die einstweilige Verfügung vom 23.08.2005 war aufzuheben. Es besteht kein
Verfügungsgrund, da die Kläger keinen Anspruch auf Besitzeinräumung an der
Wohnung haben. Die Beklagte hat den Mietvertrag wirksam nach § 123 BGB wegen
arglistiger Täuschung angefochten. Zumindest die in der mündlichen Verhandlung
erklärte Anfechtung des Mietvertrags wegen arglistiger Täuschung war erfolgreich.
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Die Kläger haben die Beklagte bei Abschluss des Mietvertrags sowohl über ihre
wirtschaftlichen Verhältnisse als auch ihre Zahlungswilligkeit getäuscht.
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Zwar liegen im Hinblick darauf, ob während der Mietvertragsverhandlungen von dem
Zeugen S die Frage gestellt worden ist, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger
in Ordnung seien, einander widersprechende eidesstattliche Versicherungen vor.
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Mangels persönlichen Eindrucks kann das Gericht keiner Darstellung mehr Glauben
schenken als der anderen. Dafür, dass eine entsprechende Frage gestellt worden ist, ist
aber die Beklagte, die die Anfechtung erklärt hat, beweispflichtig, so dass seitens des
Gerichts hier gegebene Zweifel zu ihren Lasten gehen.
Das Gericht geht insoweit nicht davon aus, dass die Kläger falsche Angaben bei den
Vertragsverhandlungen gemacht haben. Das Gericht geht aber davon aus, dass die
Beklagten eine ihnen obliegende Aufklärungspflicht verletzt haben. Denn Umstände, die
für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender
Bedeutung sind, müssen ungefragt offenbart werden. Das gilt vor allem für Umstände,
die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können (vergleiche Palandt,
63. Auflage, § 123 Randnummer 5b).
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Zwar ist in der Rechtsprechung und Literatur die Frage streitig, ob eine
Offenbarungspflicht für hochverschuldete Mieter, die die eidesstattliche Versicherung
bereits abgegeben haben, besteht (für eine entsprechende Aufklärungspflicht
beispielsweise Palandt, § 123 Randnummer 5c; AG Wedding, Urteil vom 04.04.2003,
Aktenzeichen 15 C 49/03; Landgericht Gießen, Beschluss vom 23.03.2001,
Aktenzeichen 1 S 590/00; AG Gießen, Urteil vom 23.10.2000, Aktenzeichen 48 -M C
228/00; AG Hagen, Urteil vom 05.07.1984, Aktenzeichen 13 C 414/84; dagegen
Schmidt-Futterer, 8. Auflage, § 543, Randnummer 186 ff.; LG München, Urteil vom
07.07.1991 , Aktenzeichen 21 U 4248/90).
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Hier kommt aber hinzu, dass die finanzielle Situation der Kläger nach dem unstreitigen
Sachverhalt so erheblich von den normalerweise im Falle der Anmietung eines Hauses
mit einer monatlichen Mietbelastung von 675,00 Euro zur erwartenden Verhältnissen
abweicht, dass die Kläger von sich aus hierüber hätten aufklären müssen.
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Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Kläger nicht alleine nicht über die
Insolvenzverfahren aufgeklärt haben, sondern darüber hinaus die
Vermögensverhältnisse der Kläger nach ihren eigenen Angaben noch ungeklärt sind.
Das ergibt sich daraus, dass der Selbstbehalt, der ihnen aufgrund der
Insolvenzverfahren verbleibt, noch unklar ist.
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Noch gewichtiger wiegt aber der Umstand, dass die Kläger seit geraumer Zeit in der
bisher gemieteten Wohnung keinerlei Mietzinsen mehr gezahlt haben, obwohl sie, so
zumindest hier ihr Vortrag, zumindest zur Zahlung von 675,00 Euro monatlich imstande
wären. Der Umstand, das im bisherigen Mietverhältnis keine Mieten mehr gezahlt
worden sind, läßt zwar nicht den zwingenden Schluss darauf zu, dass die Kläger die für
das Haus der Beklagten verlangte niedrigere Miete nicht aufbringen können. Nach
Auffassung des Gerichts ist aber aufgrund des Verhaltens im bisherigen Mietverhältnis
darauf zu schliessen, dass zumindest eine Zahlungsunwilligkeit der Beklagten vorliegt.
Es sind keine Gründe ersichtlich oder vorgetragen, aufgrund derer die Beklagte mit einer
besseren Zahlungsmoral der Kläger in ihrem Mietverhältnis rechnen könnte. Sofern sich
die Kläger darauf berufen, aufgrund des Insolvenz-verfahrens ihre
Vermögensverhältnisse nunmehr geklärt zu haben, ist das Insolvenzverfahren des
klägerischen Ehemannes bereits im Januar diesen Jahres eröffnet worden. Insoweit
hätte er die Möglichkeit gehabt, im laufenden Mietverhältnis zumindest einen Teil der
Mietzinsen bei den Vermietern M zu begleichen.
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Im übrigen geht aus der eidesstattlichen Versicherung der Kläger hervor, dass nach den
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Berufen gefragt worden ist. Auch hierdurch ist bei der Beklagten der Eindruck
wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit entstanden. Die bereits bei Abschluss des Vertrages
bestehenden hohen Mietschulden sowie andere Schulden, die zur
Verbraucherinsolvenz geführt haben und der Umstand, das noch nicht einmal
Teilzahlungen an die bisherigen Vermieter erbracht worden sind, zeigen, dass den
Klägern bereits bei Vertragsschluss klar gewesen sein muss, dass sie keine Gewähr für
regelmäßige und pünktliche Mietzahlungen bieten konnten.
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Die Beklagte hat die Anfechtung des Mietvertrages auch durch die in der mündlichen
Verhandlung erklärte Anfechtung seitens ihres Prozessbevollmächtigten auf
Leistungsunwilligkeit bzw. mangelnde Leistungsfähigkeit der Kläger gestützt. Soweit der
Prozessbevolimächtigte der Kläger eine fehlende Vollmacht für diese Anfechtung gerügt
hat, findet die Vorschrift des § 174 BGB auf Erklärungen, die im anhängigen Rechtsstreit
aufgrund der Prozessvollmacht vorgenommen werden, keine Anwendung (vergleiche
Palandt, § 174 Randnummer 1 a). Im übrigen hat der Prozessbevollmächtigte der
Beklagten eine Anfechtung bereits mit Schreiben vom 11.08.2005 erklärt unter
Versendung einer entsprechenden Vollmacht, hieraus dürfte sich auch eine weitere
Bevollmächtigung ergeben.
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Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 704,708 Nr. 6, 711 ZPO.
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