Urteil des AG Bonn vom 19.08.2004
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Amtsgericht Bonn, 3 C 55/04
Datum:
19.08.2004
Gericht:
Amtsgericht Bonn
Spruchkörper:
3. Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 C 55/04
Nachinstanz:
Landgericht Bonn, 6 S 242/04
Schlagworte:
Tapetenkleistermaschine, Verletzung, Reinigung
Normen:
Produktsicherungsgesetz § 6, BGB § 823 II, 847
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Unter Abweisung der Klage im übrigen wird die Beklagte verurteilt, an
den Kläger 4.069,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem
Basiszinssatz seit dem 11.03.2003 zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 18 % und die
Beklagte 82 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen
Sicher-heitsleistung in Höhe von 5.700,00 €. Der Kläger darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 250,00 €
abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger erwarb im April 2001 bei der Supermarktkette B-T eine
Tapetenkleistermaschine. Diese wird von der Beklagte unter der Marke "L D" vertrieben.
Am 19.05.2001 benutzte der Kläger die Tapetenkleistermaschine. Nach Benutzung der
Tapetenkleistermaschine erlitt er erhebliche Verletzungen dergestalt, dass er eine
Schnittverletzung am linken Handgelenk mit Teildurchtrennung der Sehne des Extensor
pollicis brevis und Durchtrennung eines Seitenastes des Ramus superficialis N. radialis
erlitt. Der Kläger war in der Zeit vom 19.05.2001 bis 19.06.2001 zu 100 %
arbeitsunfähig. In der Folgezeit bestand eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit.
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Die Parteien streiten darüber, ob die Verletzungen beim Reinigen der
Tapetenkleistermaschine entstanden sind. Diese Maschine ist dergestalt konstruiert,
dass man, um die Wanne der Tapetenkleistermaschine zu reinigen, um eine Ecke innen
in die Tapetenkleistermaschine hineingreifen muss. Innen weist die
Tapetenkleistermaschine scharfe Blechkanten auf. Diese sind nicht entgratet. Mit der
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vorliegenden Klage begehrt der Kläger Erstattung von Schmerzensgeld sowie
entstandenen materiellen Schadens.
Der Kläger trägt vor, er habe seinerzeit die Tapetenkleistermaschine unter fließendem
Wasser gereinigt. Beim Hineingreifen in die Maschine habe er sich die fragliche
Verletzungen zugezogen. Für die entstandenen Verletzungen begehre er ein
Schmerzensgeld in Höhe von 4.000,00 €.
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Während seiner Arbeitsunfähigkeit seien nichtgeleistete Überstunden an ihn nicht
ausgezahlt worden, so dass ihm diesbezüglich ein Schaden von 651,90 € entstanden
sei. Des Weiteren sei ihm eine Prämie in Höhe von 150,00 € entfallen. Für Fahrtkosten
für Arztbehandlungen seien ihm solche in Höhe von 72,80 € entstanden. Schließlich
habe er für Arztbescheinigungen 44,87 € sowie 10,50 € bezahlen müssen.
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Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.930,07 € zzgl. 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2003 zu zahlen.
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Die Beklagte rügt in erster Linie die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes.
Hilfsweise beantragt sie, die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte meint, das angerufene Gericht sei nicht zuständig. Die Beklagte sei unter
ihrem ordentlichen Gerichtsstand zu verklagen. Zur Sache trägt sie vor, dass sie
bestreite, dass der Kläger durch das fachliche Produkt verletzt worden sei.
Schmerzensgeld könne der Kläger nach den Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes
nicht verlangen. Hinsichtlich des materiellen Schadens seien allenfalls die Kosten für
Arztatteste begründet.
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Das Gericht hat das selbständige Beweisverfahren - 7 H 1/02 AG Bonn - zu
Beweiszwecken beigezogen.
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Wegen des weitergehenden Vortrages der Parteien wird auf den vorgetragenen
Akteninhalt Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Amtsgericht Bonn ist zur Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit berufen.
Die Zuständigkeit des Gerichtes ergibt sich aus § 32 ZPO. Dabei ist für die Bestimmung
der Zuständigkeit von dem Vortrag des Klägers auszugehen. Der Kläger stützt seine
Forderung u. a. auf eine unerlaubte Handlung gemäß § 6 des
Produktsicherungsgesetzes in Verbindung mit § 823 II BGB. Tatort einer unerlaubten
Handlung ist jedenfalls auch der Ort, an dem der Erfolg eingetreten ist. Nach Vortrag des
Klägers sind die Verletzungen in seiner Wohnung in C, also im Bezirk des angerufenen
Gerichtes, entstanden. Entsprechend ist das Amtsgericht in Bonn zur Entscheidung über
die Klage des Klägers örtlich zuständig.
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Die Klage ist auch - bis auf einen Teil der geltend gemachten materiellen Schäden - in
der Sache begründet. Unabhängig von den Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes
kann der Kläger von der Beklagten gemäß § 6 des Produktsicherungsgesetzes in
Verbindung mit § 823 II BGB Schadensersatz verlangen. Bei § 6 des
Produktsicherungsgesetzes handelt es sich um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II
BGB (vgl. Palandt-Thomas, 61. Auflage 2002, § 823 BGB, Rnd-Note 148;
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Nickel/Kaufmann, Versicherungsrecht 1998, Seite 948, dort Ziffer III 3). Dabei kann die
Haftung gemäß § 6 Produktsicherungsgesetz in Verbindung mit § 823 II BGB neben der
Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz gegeben sein (vgl. Palandt a. a. O. Rnd-Note
202, 203).
Die Beklagte ist zum einen als Hersteller im Sinne des § 3 I Satz 2 des
Produktsicherungsgesetzes anzusehen. Denn sie hat auf dem fraglichen Gerät ihre
Marke, nämlich die Marke "L D", angebracht und sich dadurch als Hersteller
ausgegeben.
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Die Beklagte hat auch ein unsicheres Produkt im Sinne des § 6 des
Produktsicherungsgesetzes in den Verkehr gebracht. Aus dem
Sachverständigengutachten des Sachverständigen I vom 06.10.2002 im beigezogenen
selbständigen Beweisverfahren ergibt sich, dass sich sowohl am Deckelgehäuse als
auch an der unteren Messerführung des fachlichen Gerätes nicht entgratete
Metallkanten befinden. Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich, dass
Blechkanten nach dem Abschneiden grundsätzlich zu entgraten sind.
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Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich auch, dass eine restlose Entfernung
der sich in der Wanne befindlichen Kleisterreste alleine durch Ausspülen mit Wasser
nicht zu erzielen ist, sondern, dass eine mechanische Nacharbeitung, etwa mittels Tuch
oder Schwamm, von Nöten ist. Hier besteht die erhebliche Gefahr der Verletzungen an
den nicht entgrateten Blechkanten, wenn zum Zwecke der Reinigung der Maschine in
den Innenraum der Maschine gegriffen wird. Damit liegt eine erhebliche Gefahr für die
Gesundheit und für die Sicherheit von Personen im Sinne von § 6 des
Produktsicherungsgesetzes vor. Die Beklagte hätte dieses Produkt nicht in den Verkehr
bringen dürfen. Ein Verschulden der Beklagten an dem Inverkehrbringen des Produktes
wird vermutet (vgl. Palandt a. a. O., Rnd-Note 203, BGH, Versicherungsrecht 1998, 592).
Tatsachen, die diese Verschuldensvermutung der Beklagten widerlegen könnten, sind
von ihrer Seite nicht vorgetragen worden. Soweit im Schriftsatz der Beklagten vom
29.07.2004 diesbezüglich möglicherweise neuer Sachvortrag enthalten ist, bestand
keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
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Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist das Gericht auch davon überzeugt, dass
die Verletzungen des Klägers beim Reinigen der fraglichen Maschine entstanden sind.
Der Kläger hat dies zum einen glaubhaft dargelegt. Es handelt sich auch um typische
Verletzungen, nämlich Schnittverletzungen, wie sie, wie sich aus dem Gutachten des
Sachverständigen ergibt, bei einer Reinigung der Maschine entstehen können. Die
Zeugin C2 hat glaubhaft bekundet, dass der Kläger, nachdem er zuvor Tapezierarbeiten
durchgeführt habe, gleich aus dem Badezimmer herausgekommen sei, sich sofort flach
hingelegt habe und an der Hand erheblich geblutet habe. Anhaltspunkte, dass sich der
Kläger diese Verletzungen anderweitig zugezogen haben könnte, bestehen nicht.
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Der Kläger kann von der Beklagten folglich dem Grunde nach Ersatz des ihm durch den
Eintritt der Verletzungen entstandenen Schadens verlangen.
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Zu dem dem Kläger zu ersetzenden Schaden gehört zum einen der dem Kläger zu
ersetzende immaterielle Schaden, auf den der Kläger gemäß §§ 6 des
Produktsicherungsgesetzes, 823 II, 847 (alte Fassung) BGB einen Anspruch hat. Der
Kläger ist im erheblichen Maße verletzt worden. Eine Inaugenscheinnahme der Hand
des Klägers durch das Gericht hat ergeben, dass am Ende der Daumenwurzel der
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linken Hand des Klägers eine deutlich sichtbare Narbe zurückgeblieben ist. Der Kläger
hat glaubhaft versichert, dass er in einem Teil seines linken Daumens Gefühlsstörungen
hat und insbesondere Heiß- und Kaltempfindungen fehlen. Auch aus dem vom Kläger
vorgelegten Gutachten des N-Krankenhauses vom 30.12.2002 ergibt sich, dass eine
leichte Gefühlsminderung über dem streckseitigen Daumen links zu befürchten war.
Was die Wiederherstellung der Hand des Klägers betrifft, so ist in dem Gutachten
ausgeführt, dass die "Funktion der Hand sonst bereits am 23.08.2002 völlig wieder
hergestellt" ist. Auch hieraus ergibt sich, dass offensichtlich eine Gefühlsminderung als
Dauerschaden verblieben ist.
Im Hinblick auf die erhebliche Beeinträchtigung des Klägers bei der eigentlichen
Verletzung (der Kläger muss sich hier angesichts der Art der Verletzung ernsthaft
befürchten, dass möglicherweise seine Pulsader verletzt worden ist), sowie im Hinblick
auf den verbleibenden Dauerschaden, scheint das vom Kläger verlangte
Schmerzensgeld von 4.000,00 € angemessen und erforderlich, um die Beeinträchtigung
des Klägers auszugleichen. Zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in dieser Höhe war
die Beklagte zu verurteilen.
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Was den vom Kläger geltend gemachten materiellen Schaden betrifft, so war die
Beklagte zur Zahlung der Kosten für die Arztbescheinigungen in Höhe von 44,87 € und
10,50 € zu verurteilen. Darüber hinaus kann der Kläger grundsätzlich Erstattung der ihm
entstandenen Fahrtkosten verlangen. Diese schätzt das Gericht auf 14,56 € (§ 287
ZPO), die sich aus 2 Fahrten á 28 km á 0,26 € zusammensetzen. Diese beiden Fahrten
sind durch die Bescheinigung des N-Krankenhauses vom 30.12.2002 belegt. Weitere
Fahrten hat der Kläger trotz entsprechenden Hinweises des Gerichtes nicht substantiiert
dargelegt, insoweit war die Klage abzuweisen.
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Die Klage war auch abzuweisen, soweit der Kläger Erstattung von entfallenen
Überstundenvergütungen und einer Sonderzahlung verlangt. Überstundenvergütungen
sind weder hinreichend dargelegt noch belegt. Aus der vom Kläger vorgelegten
Abrechnung Mai 2001 ergibt sich weder, inwieweit Überstundenvergütungen nicht
angefallen sind, noch, wie sich diese errechnen.
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Was die vom Kläger begehrte Sonderzahlung von brutto 150,00 € betrifft, so hat der
Kläger lediglich eine schriftliche Vereinbarung vorgelegt, die von ihm am 08.09.2002,
also nach dem hier fraglichen Vorfall, unterschrieben ist. Diese Urkunde stellt keinen
hinreichenden Beleg dazu dar, dass der Kläger auch zum hier fraglichen Zeitpunkt
bereits einen Anspruch auf den Anwesenheitsbonus hatte und wie sich der von ihm
vorgetragene Ausfall errechnet. Insoweit war die Klage abzuweisen.
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Die Zinsforderung ist aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 286, 288 BGB
gerechtfertigt, nachdem auf die Fristsetzung der Klägerseite im Schreiben vom
26.02.2003 keine Zahlungen geleistet worden sind.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen erfolgen aus §§ 92, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
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Streitwert: 4.930,07 €
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