Urteil des AG Bonn vom 09.09.2009

AG Bonn (höhere gewalt, gewalt, israel, kündigung, höhe, jordanien, medien, zeitpunkt, gebiet, gefährdung)

Amtsgericht Bonn, 101 C 103/09
Datum:
09.09.2009
Gericht:
Amtsgericht Bonn
Spruchkörper:
101. Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
101 C 103/09
Schlagworte:
Israel, Gaza-Streifen, höhere Gewalt, Voraussehbarkeit, Kündigung
Normen:
BGB § 651j, § 651i
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
1. Durch die israelische Offensive im Gaza-Streifen wurden Reisen in
angrenzende Gebiete (Ägypten, Jordanien) objektiv nicht beeinträchtigt.
2. Kriegshandlungen zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Streifen
sind objektiv voraussehbar im Sinne des § 651i, Abs. 1 BGB.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Tatbestand:
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Die Beklagte ist Reiseveranstalter mit Sitz in C2. Am 18.11.2008 buchte die Klägerin bei
einem in N ansässigen örtlichen Reisebüro eine 14-tägige Rundreise durch den Sinai
mit Besuchen in Kairo, Israel und Jordanien bei der Beklagten als Reiseveranstalter für
den Zeitraum vom 01.01.2009 - 22.01.2009 für 2 Personen zu einem Gesamtpreis von
4.178,00 €, in dem 80,00 € für eine Reiserücktrittsversicherung enthalten waren. An die
Rundreise anschließen sollte ein einwöchiger Aufenthalt in Sharm el-Sheik. Mit
Schreiben vom 22.11.2008 bestätigte die Beklagte die gebuchte Reise.
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Am 22.11.2008 zahlte die Klägerin vereinbarungsgemäß eine Anzahlung in Höhe von
490,00 € auf den Gesamtpreis und überwies am 02.12.2008 die Restzahlung in Höhe
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von 3.688,00 € an die Beklagte.
Kurz vor Reisebeginn, am 27.12.2008, begannen die israelischen Streitkräfte mit
Bombenangriffen auf das Gebiet des Gazastreifens. Das Auswärtige Amt veröffentliche
am 29.12.2008 eine Reisehinweise für Israel, in denen es unter anderem wörtlich hieß:
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"Die Sicherheitslage in Israel und im Palästinensischen Gebiet ist weiterhin sehr
angespannt. (...) Vor Reisen in den Gazastreifen wird dringend gewarnt. Seit
27.12. greifen die israelischen Streitkräfte in vermehrtem Umfang Positionen im
Gazastreifen an. Es ist zu erwarten, dass es weiter zu Raketenbeschuss
israelischen Territoriums aus dem Gazastreifen kommen wird. Die Kämpfe
könnten auch zu erhöhten Spannungen im Westjordanland führen. (...) Es wird
geraten, vor und während der Reise nach Israel Meldungen in den Medien über
die aktuelle Entwicklung erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken sowie die Website
der Deutschen Botschaft in Tel Aviv regelmäßig zu kontaktieren."
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In den Reisehinweisen für Jordanien und Ägypten vom 29.12.2008 bzw. 30.12.2008
heißt es auszugsweise:
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"Die gegenwärtige Eskalation im Gazastreifen führt seit Sonntag, dem 28.12.2008,
vor allem in den Nachbarstaaten Israels (Ägypten, Jordanien, Syrien, Libanon) und
im Westjordanland zu Protestkundgebungen. (...) Die allgemeine Sicherheitslage in
den betreffenden Ländern und Gebieten ist derzeit unverändert."
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Mit Fax vom 29.12.2008 erklärte die Klägerin die Kündigung des Reisevertrags wegen
des Kriegszustands im Gazastreifen. Die Beklagte bestätigte die Stornierung der Reise
mit Schreiben vom 30.12.2008 und kündigte einen Einbehalt von 60 % des
Reisepreises von 4.098,00 € (= 2.459,00 €) zuzüglich der Gebühren für die
Reiserücktrittsversicherung, insgesamt also von 2.539,00 € an.
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Mit Anwaltsschriftsatz vom 07.01.2009 forderte die Klägerin die Beklagte unter
Fristsetzung bis zum 22.01.2009 zur Rückzahlung des einbehaltenen Betrages auf. Am
28.01.2009 überwies die Beklagte die angekündigten 1.639,00 € auf das Konto der
Klägerin. Eine weitere Rückzahlung erfolgte nicht.
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Die Klägerin ist der Ansicht, die Ende Dezember 2008 im Gazastreifen ausgebrochenen
Kampfhandlungen stellten einen Fall der höheren Gewalt im Sinne des § 651j BGB dar,
der sie zur Kündigung berechtige. Sie behauptet, sie habe aufgrund der in den Medien
dargestellten kriegerischen Auseinandersetzungen eine erhebliche Erschwerung,
Gefährdung oder Beeinträchtigung der Reise befürchtet.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.178,00 € abzüglich am 29.01.2009
gezahlter 1.639,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus 2.539,00 € ab dem 23.01.2009 sowie weitere 169,99 € aus
vorgerichtlich angefallener Geschäftsgebühr sowie weitere 229,55 € aus
angefallener Geschäftsgebühr gemäß RVG zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, ein Fall höherer Gewalt habe nicht vorgelegen. Das
Auswärtige Amt habe eine Reisewarnung nur für den Gazastreifen ausgesprochen,
durch dessen Gebiete - insoweit unstreitig - die streitgegenständliche Reise aber nicht
geführt habe. Zudem, so behauptet die Beklagte weiter, sei der Ausbruch von Gewalt im
Gazastreifen vorhersehbar gewesen. Schon zum Zeitpunkt der Buchung am 18.11.2008
sei die Lage im Nahen Osten äußerst angespannt gewesen. Kriegsdrohungen Israels
als Antwort auf die Terrorakte der Hamas seien bereits mehrfach in der Presse
wiedergegeben worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das
Sitzungsprotokoll vom 12.08.2009 (Bl. 65f. d.A.) und den sonstigen Akteninhalt,
insbesondere die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des anteiligen Reisepreises in
Höhe von 2.539,00 € aus § 812 Abs. 1 BGB, da die Beklagte diese Summe nach der
Kündigung des Reisevertrages gemäß § 651i Abs. 3 BGB in Verbindung mit Ziffer 3)
ihrer AGB einbehalten durfte. Eine Kündigung wegen höherer Gewalt war der Klägerin
dagegen nicht möglich, da die Voraussetzungen des § 651j Abs. 1 BGB nicht vorlagen.
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Zwar handelt es sich bei der israelischen Offensive von Ende Dezember 2008 um
höhere Gewalt. Als höhere Gewalt anzusehen ist ein von außen kommendes, keinen
betrieblichen Zusammengang aufweisendes, auch durch die äußerste,
vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis (BGHZ 102, 224;
Seiler in: Erman, § 651j Rn. 3; Eckert in: Soergel, § 651j Rn. 8; Tonner in: MünchKomm-
BGB, § 651j Rn. 5 und 10; Tonner, NJW 2003, 2783-2787; Führich, Reiserecht, 5.
Aufl. 2005, Rn. 537und 545). Diese Voraussetzung ist bei einer kriegerischen
Auseinandersetzung wie dem vorliegenden Konflikt im Gazastreifen ohne weiteres
gegeben.
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Eine Kündigung des Reisevertrages nach § 651 j BGB ist jedoch daran geknüpft, dass
infolge der höheren Gewalt die konkrete geplante Reise (Aufenthalt vor Ort sowie An-
und Abreise) erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird (vgl. Kaller,
Reiserecht, 1999, Rn. 399; Tempel, NJW 1998, 1827 ff.). Ob erhebliche Auswirkungen
auf die Reise zu befürchten sind, ist nach dem Kenntnisstand vor Reiseantritt (vgl.
BGHZ 109, 224, 226) aus der Sicht eines normalen Durchschnittsreisenden zu
beurteilen. Diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des erkennenden Gerichts
auch vor Reiseantritt nicht vor.
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Das Gericht ist bei der Feststellung nicht an die Äußerungen Dritter, z.B. des
Auswärtigen Amtes, gebunden (vgl. Tempel, NJW 1998, 1827, 1830). Diese haben
allerdings eine gewisse Indizwirkung. Das Auswärtige Amt hat in seinen
Reisehinweisen zwar eine Reisewarnung für die Gebiete des Gazastreifens
ausgesprochen, nicht aber für die Orte, die von der streitgegenständlichen Reise
betroffen waren. Es ist zwischen den Parteien vielmehr unstreitig, dass die Reise
gerade nicht in das Gebiet des Gazastreifens führte. Für die Reiseziele in Jordanien und
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Ägypten wird festgestellt, dass die dortige allgemeine Sicherheitslage "derzeit
unverändert" ist. Vor einer Reise in diese Länder wird nicht gewarnt, sondern lediglich
geraten, die Medienberichterstattung aufmerksam zu verfolgen. Es erschließt sich daher
nicht, auf welcher Grundlage ein Durchschnittsreisender aufgrund des Kenntnisstandes
vor Antritt der Reise auf eine erhebliche Gefährdung der konkret gebuchten Reise hat
schließen sollen. Die von der Klägerin insoweit vorgelegten Presseberichte machen
zwar verständlich und transparent, dass die Klägerin von den erheblichen
Gewaltausbrüchen im Gazastreifen schockiert und psychisch belastet war. Dies allein
reicht aber für das objektive Merkmal der erheblichen Gefährdung der Reise nicht aus.
Auch aus den vorgelegten Zeitungsberichten ergibt sich im Übrigen, dass es sich bei
dem bewaffneten Konflikt um einen territorial auf den Gazastreifen begrenzten
Kriegseinsatz handelt. Zwar wird vereinzelt auch von drohenden
Vergeltungsmaßnahmen terroristischer Gruppierungen berichtet, die örtlich nicht auf das
unmittelbare Kriegsgebiet beschränkt wären. Vereinzelte Terroranschläge sind aber
ausdrücklich "nicht der Rücktrittsgrund, auf den sich die Klägerin bezieht" (vgl. den
Schriftsatz vom 29.06.2009, Bl. 54 d.A.). Die Kampfhandlungen, die von der Klägerin als
Begründung herangezogen werden, waren aber sowohl nach Ansicht des Auswärtigen
Amtes als auch nach den Presseberichten auf den Gazastreifen und dessen
unmittelbare Umgebung beschränkt und konnten schon deshalb nicht geeignet sein, die
Reise der Klägerin zu beeinträchtigen.
Weiterhin fehlt es an dem Merkmal der mangelnden Voraussehbarkeit. Gemäß § 651j
Abs. 1 BGB muss die höhere Gewalt bei Vertragsabschluss nicht voraussehbar sein, um
eine Kündigung zu rechtfertigen. Die höhere Gewalt darf also nicht bereits bei der
Buchung vorgelegen haben. Der Reisende, der sehenden Auges trotz einer bereits
bestehenden konkreten Gefahrenlage eine Reise bucht, ist nicht schutzwürdig reist
daher auf eigene Gefahr. Die Umstände der höheren Gewalt müssen daher nach der
Buchung der Reise und vor der Kündigung eintreten (vgl. Führich, VersR 2004, 445).
Für die Beurteilung der Vorhersehbarkeit ist dabei im Wesentlichen auf die
Medienberichte abzustellen, auf die der buchende Reisende zumeist angewiesen ist.
Eine Vorhersehbarkeit kann dann bejaht werden, wenn bereits eine konkrete
Gefahrenlage vorliegt und sich die einschlägigen Medienberichte so häufen, dass deren
Kenntnis dem Reisenden zuzurechnen ist (AG Berlin-Charlottenburg RRa 1995, 87; AG
Stuttgart-Bad Cannstatt RRa 1995, 144; AG Essen RRa 1995, 181; Führich, aaO;
Tonner NJW 2003, 2783). Eine allgemeine instabile Lage im Zielgebiet reicht hierzu
nicht aus. Hierbei ist auf die objektive Lage und nicht auf die tatsächliche subjektive
Kenntnis abzustellen. Der Reisende muss sich aber nur das zurechnen lassen, was der
durchschnittliche Reisewillige in allgemein zugänglichen Medien über das Reiseziel
ohne besondere Anstrengungen erfahren kann. Wer daher seine Reise in ein Land
bucht, in dem bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Krieg, bürgerkriegsähnliche
Zustände oder erhebliche Terroranschläge vorliegen, reist auf eigenes Risiko.
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Nach diesen Kriterien war der Ausbruch der Kriegshandlungen zwischen der Hamas
und Israel nach Ansicht des Gerichts auch voraussehbar. Schon in den Warnungen des
Auswärtigen Amtes wird die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensischen
Gebieten mit "weiterhin sehr angespannt" beschrieben, was andeutet, dass dort schon
seit längerer Zeit mit Gewaltausbrüchen zu rechnen ist. Die Sicherheitshinweise
beinhalten die Beschreibung mehrere Anschläge in Israel im Februar und März 2008,
berichten von kriegerischen Auseinandersetzungen im August 2006 und warnen
"weiterhin vor möglichen Terroranschlägen in ganz Israel". All das war der Klägerin, wie
sie selbst vorträgt, auch bekannt. Insbesondere der Gazastreifen war auch schon
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häufiger und in jüngerer Vergangenheit Schauplatz von kriegerischen
Auseinandersetzungen, sei es zwischen verschiedenen palästinensischen
Gruppierungen (Fatah und Hamas) oder zwischen Israel und der Hamas. Bereits am
19.09.2007 hat die israelische Regierung im Hinblick auf den Gazastreifen erstmals den
Kriegszustand ausgerufen. Am 18.01.2008 sind die Grenzübergänge zum Gazastreifen
gesperrt worden. Auch Ägypten begann Anfang 2008 nach der Sprengung einer
Grenzmauer mit der Abriegelung des Gazastreifens. Im Juli 2008 gab es im Gazastreifen
mehrere Anschläge und Selbstmordattentate. Zum Zeitpunkt der Buchung am
18.11.2008 hatte es bereits mehrfach israelische Drohungen gegeben, notfalls den
Einsatz von Waffengewalt zu erwägen. Alle diese Konflikte sind großflächig in
sämtlichen Medien behandelt worden. Nach Auffassung des Gerichts bestand daher
bereits bei Buchung der Reise eine hinreichend konkrete Gefahrenlage, so dass der
Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen zum Zeitpunkt der Buchung objektiv
voraussehbar war.
Da die Hauptforderung unbegründet ist, haben auch die Nebenanträge keinen Erfolg.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Streitwert: 2.539,00 €
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