Urteil des AG Bochum vom 10.01.2008

AG Bochum: akte, kopie, pflichtverteidiger, pfleger, dolmetscher, verfügung, missverhältnis, datum, ausgleichung, mwst

Amtsgericht Bochum, 74 Ls 2 Js 556/05-38/06
Datum:
10.01.2008
Gericht:
Amtsgericht Bochum
Spruchkörper:
74 Ls Schöffengericht
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
74 Ls 2 Js 556/05-38/06
Schlagworte:
Pflichtverteidiger / Kostenfestsetzungsbeschluss / Fotokopierkosten /
Erinnerung
Tenor:
wird auf die Erinnerung von Rechtsanwalt O. vom 14.09.2007 der
Festsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin vom 31.08.2007 wie folgt
abgeändert:
Die an Rechtsanwalt O. aus der Staatskasse zu ersetzenden Gebühren
und Auslagen werden auf insgesamt 902,48 € festgesetzt.
Es sind ihm damit weitere 187,11 € von der Landeskasse zu erstatten.
Im übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
G r ü n d e :
Mit Schriftsatz vom 24.07.2007 hat Rechtsanwalt O. beantragt, die
Auslagen und Gebühren in dem vorliegenden Verfahren auf 971,52 €
festzusetzen.
Die Rechtspflegerin hat mit dem angefochtenen Beschluss die
Gebühren und Auslagen auf 715,37 € festgesetzt und diesen Betrag
auch angewiesen. Die Differenz zur beantragten Festsetzung kam zum
einen dadurch zustande, dass offensichtlich irrtümlich 606 Kopien zur
Ausgleichung beantragt wurden, während in Wirklichkeit nur 402 Kopien
gefertigt worden waren. Von diesen zu Recht nur zugrundegelegten 402
Kopien hat die Rechtspflegerin dann nur bei 271 Kopien die
Notwendigkeit der Fertigung zur Verteidigung anerkannt. Der vom
Verteidiger angemeldete Nettobetrag verminderte sich damit um 50,25 €.
Die Differenz zwischen beantragtem und festgesetztem Betrag beruhte
aber vor allem darauf, dass die auf Blatt 2 des Antrages angemeldeten
Dolmetscherkosten in Höhe von 196,35 € für ein notwendiges und
genehmigtes Mandantengespräch in der JVA Bochum übersehen
wurden. Dies mag auch daran gelegen haben, dass die entsprechende
Kostenrechnung des Dolmetschers dem Antrag nicht beigefügt war.
Diese Kostenrechnung wurde jetzt im Erinnerungsverfahren
beigezogen. Die Dolmetscherkosten für das notwendige
Verteidigungsgespräch waren nunmehr festzusetzen, allerdings nicht in
voller Höhe und ohne nochmalige Berechnung der Mehrwertsteuer.
Anstelle des berechneten Zeitaufwandes von 3 Stunden bei deutlich
übersetzten Fahrtzeiten vom Westring in Bochum zur JVA und zurück
von angeblich jeweils 30 Minuten, war der anzuerkennende Zeitaufwand
auf 2,5 Stunden zu kürzen, woraus sich ein Erstattungsbetrag von
193,63 € incl. MWSt errechnet.
Es war nunmehr lediglich noch über die weitere Absetzung der
Kopierkosten von 402 auf 271 Blatt zu entscheiden. Eine Überprüfung
der vorgelegten Kopien ergab, dass diese ausnahmslos für die
Verteidigung notwendig waren. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass
die Entscheidung, welche Kopien für die Verteidigung notwendig sind,
grundsätzlich ausschließlich dem Verteidiger obliegt. Diese
Entscheidung kann in der Regel nicht durch die Beurteilung des
Rechtspflegers ersetzt werden, wenn dieser die Frage der
Notwendigkeit aus seiner Sicht anders beurteilt. Dies gilt lediglich dann
nicht, wenn ersichtlich ein Missbrauch der Befugnis des Verteidigers
festzustellen ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn seitens des
Verteidigers ersichtlich kritiklos sämtliche Blätter einer Akte ohne
irgendeine erkennbare Auswahl und damit z.B. leere Blätter,
Schriftstücke wie Anklagen und Beschlüsse, die dem Verteidiger schon
zugestellt wurden und ähnliches kopiert werden. Wenn wie im
vorliegenden Fall bereits durch einen kurzen Einblick in die vorgelegten
Kopien anhand der Blattzahlen festzustellen ist, dass durch den
Verteidiger eine Auswahl bei den zu kopierenden Blätter stattgefunden
hat, weil zahlreiche Seiten der Akte nicht mitkopiert wurden, kann es
nicht Aufgabe des Rechtspflegers oder des Festsetzungsbeamten sein,
jedes einzelne Blatt einer 400seitigen Akte daraufhin zu untersuchen, ob
der Verteidiger im Einzelfall zu Recht die Notwendigkeit für die
Verteidigung bejaht hat. Vorliegend wurden vor allem die Kopien der
Aktendeckel, von Verfügungen „ohne Informationsgehalt“ sowie von
Beschlüssen, Protokollen und ähnliches von der Rechtspflegerin nicht
anerkannt.
Diese Beurteilung war fehlerhaft.
Aktendeckel können einen erheblichen Informationsgehalt für den
Verteidiger haben, weil auf diesem mit einem Blick beispielsweise zu
sehen ist, welche Verfahren miteinander verbunden wurden, ob ein
Beschwerdeverfahren stattgefunden hat, welche Beteiligten anfangs in
dem Verfahren waren, ob ein Wechsel des Aktenzeichens stattgefunden
hat und ähnliches. Ein Aktendeckel erhält daher regelmäßig
Informationen, die zur Verteidigung notwendig sind.
Ob eine Verfügung Informationsgehalt für den Verteidiger hat, kann der
Rechts-pfleger ebenfalls regelmäßig nicht beurteilen, weil dies eine
Kenntnis des gesamten Verfahrens und der Überlegungen des
Verteidigers voraussetzen würde. Soweit die Kopierkosten für
Beschlüsse, für Protokolle, Anklagen und ähnliches im vorliegenden
Verfahren abgesetzt wurden, weil sie dem Verteidiger vom Gericht
bereits zugänglich gemacht worden sind, wäre dies zwar grundsätzlich
nicht zu beanstanden, war jedoch im vorliegenden Verfahren schlicht
falsch. Rechtsanwalt Müller wurde erst 3 Wochen vor der
Hauptverhandlung neuer Pflichtverteidiger, nachdem der frühere
Verteidiger die Verteidigung nicht fortsetzen wollte. Die abgesetzten
Schriftstücke sind jedoch alle dem früheren Verteidiger zugegangen.
Die Vielzahl vorgelegter Erinnerungen in derartigen Verfahren gibt
Anlass, auf folgendes hinzuweisen. Kann der Rechtspfleger oder der
Festsetzungsbeamte nach kurzer Prüfung feststellen, dass der
Verteidiger bei der Anfertigung der notwendigen Kopien eine Auswahl
getroffen hat und nicht kritiklos die gesamte Akte hat fotokopieren
lassen, hat der Rechtspfleger oder der Festsetzungsbeamte keinen
Anlass, gerade bei umfangreichen Akten mit mehreren 100 Blatt
akribisch jedes einzelne Blatt daraufhin zu „überprüfen“ ob die Kopie
gerade dieses Blattes für die Verteidigung notwendig war. In diesen
Fällen ist eine weitere stichprobenartige Prüfung völlig ausreichend, bei
welcher grundsätzlich die Entscheidung des Verteidigers über die
Notwendigkeit der Kopie zur Verteidigung hinzunehmen ist, wenn nicht
einer der oben beschriebenen Missbrauchsfälle vorliegt . Andernfalls
müsste der Rechtspfleger bei umfangreichen Akten nämlich regelmäßig
mehrere Stunden teurer und an anderer Stelle fehlender Arbeitszeit zu
einer solchen Prüfung aufwenden, die in krassem Missverhältnis zu dem
nur wenige Euro ausmachenden Betrag steht, der möglicherweise
berechtigterweise abzusetzen ist. Hinzukommt, dass Verteidiger
derartige Absetzungen von Kopiekosten regelmäßig und aus ihrer Sicht
zu Recht nicht hinnehmen. In diesen Fällen werden im
Erinnerungsverfahren nochmals der Rechtspfleger, der Bezirksrevisor
und der Richter zahlreiche Arbeitsstunden mit der Prüfung und
Entscheidung befasst, ob Kopierkosten in Höhe von wenigen Euro zu
Recht oder zu Unrecht abgesetzt worden sind.
Eine derartige Arbeitsweise ist gerade bei Berücksichtigung der immer
mehr einge-schränkten personellen Ressourcen bei den Gerichten nicht
zu verantworten und steht auch im Widerspruch zur Haushaltsordnung,
nach welcher auch Gerichte mit Steuermitteln sparsam umzugehen
haben.
Für die vorliegende Entscheidung ergibt sich danach folgende
Berechnung:
„Unstreitige“ Gebühren und Pauschalen in Höhe von 543,00 €
Dokumentenpauschale für 402 Kopien 77,80 €
620,80 €
Zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer 738,85 €
Kostenrechnung Dolmetscher Dücomy 163,63 €
Summe: 902,48 €
Für Rechtsanwalt O. waren daher nach Abzug der festgesetzten 715,37
€ weitere 187,11 € gegen die Landeskasse festzusetzen.
(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)
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