Urteil des AG Blomberg vom 29.05.2008

AG Blomberg: beihilfe, unerlaubtes entfernen, beendigung, strafrecht, strafbarkeit, auflage, strafgesetzbuch, abgrenzung, identifikation, meinung

Amtsgericht Blomberg, 1 Ds 35 Js 2417/07
Datum:
29.05.2008
Gericht:
Amtsgericht Blomberg
Spruchkörper:
Strafrichter
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Ds 35 Js 2417/07
Schlagworte:
Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, sukzessive Beihilfe,
Deliktsvollendungt, Begünstigung
Normen:
§§ 27, 142, 258, 22, 23 StGB
Leitsätze:
Eine strafbare Beihilfe ist nur bis zur formellen Vollendung der Tat des
Haupttäters möglich.
Tenor:
Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus rechtlichen Gründen
abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Angeschuldigten trägt die Staatskasse
Gründe:
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Mit der Anklageschrift vom 1.10.2007 wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, sich
am 23.7.2007 der Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort schuldig
gemacht zu haben.
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I. Ihm wird seitens der Staatsanwaltschaft folgender Sachverhalt zur Last gelegt:
Nachdem sein unter Alkoholeinfluss stehender Bruder W mit einem Mercedes
Kastenwagen mit dem Kennzeichen HX-ZB 823 vor der Abfahrt M verunglückte,
habe er sich zum Unfallort begeben und versucht, das Fahrzeug zu bergen. Sein
Bruder habe sich währenddessen in einem nahe gelegenen Feldweg verborgen
gehalten. Als ein durch einen Zeugen gerufener Polizeiwagen am Unfallort eintraf,
habe der Angeschuldigte sich der Wahrheit zuwider als Unfallfahrer zu erkennen
gegeben.
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II. Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft erfüllt das in der Anklage
beschriebene Geschehen nicht den Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten
Entfernen vom Unfallort. In rechtlicher Hinsicht ist vielmehr von einer versuchten
Strafvereitelung nach §§ 258 I, III, 22, 23 I StGB auszugehen, die im vorliegenden
Fall jedoch aufgrund des Angehörigenprivilegs (§ 258 VI StGB) straffrei ist.
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1. Sofern – wie die Verteidigung annimmt – davon auszugehen sein sollte, dass
die Haupttat im Zeitpunkt des Handelns des Angeschuldigten bereits beendet
gewesen ist, würde eine Strafbarkeit nach §§ 142 I, 27 StGB bereits aus diesem
Grund ausscheiden. Denn nach Beendigung der Haupttat ist eine strafbare Beihilfe
unstreitig nicht mehr möglich.
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Der obergerichtlichen Rechtsprechung zufolge soll das Delikt des unerlaubten
Entfernens vom Unfallort jedoch erst dann beendet sein, wenn der Täter sich vor
möglichen Feststellungen so in Sicherheit gebracht hat, dass mit einer
Identifikation nicht mehr zu rechnen ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Auflage, §
142 RN 61 mwN).
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Hiergegen mag im vorliegenden Fall sprechen, dass es letztlich erst nach einer
erfolgreichen Bergung des Fahrzeugs ausgeschlossen sein dürfte, noch zu
Feststellungen hinsichtlich der Unfallbeteiligung zu gelangen. Zwingend ist dieser
Gedanke jedoch keineswegs, denn gerade die von der Staatsanwaltschaft
angenommene Bereitschaft des Angeschuldigten, sich an Ort und Stelle selbst als
Fahrer auszugeben, könnte auch für die Annahme sprechen, dass mit einer
Identifikation des eigentlichen Fahrers nicht mehr ernstlich zu rechnen gewesen ist.
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2. Auf diese Problematik kommt es im vorliegenden Fall jedoch letztlich nicht an.
Denn auch für den Fall, dass lediglich von einer Vollendung der möglicherweise
verwirklichten Haupttat auszugehen sein sollte, scheidet nach Ansicht des
erkennenden Gerichts eine Strafbarkeit nach §§ 142 I, 27 StGB aus.
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Ob und inwieweit im Zwischenstadium zwischen Vollendung und Beendigung eine
strafbare Beihilfe möglich ist, ist äußerst problematisch und wird in
Rechtsprechung und Literatur äußerst unterschiedlich beurteilt.
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Regelmäßig geht die Rechtsprechung davon aus, dass eine Beihilfe bis zur
Sicherung des Taterfolges, mit anderen Worten also bis zur "materiellen
Beendigung" der Tat möglich ist (vgl. bspw. BGHSt 3, 40 (43f), 4, 132 f; OLG Hamm
JZ 1961, 94 oder auch BayObLG NStZ 2000, 31). Entscheidend für die
Abgrenzung zu den Anschlussdelikten sollen dabei "die Vorstellung und der Wille
des Täters" sein. Ist sein Wille – was im Einzelfall zu klären ist – darauf gerichtet,
die Haupttat zu fördern, macht er sich hiernach nicht wegen eines
Anschlussdeliktes, sondern wegen Beihilfe zur Tat des Haupttäters schuldig.
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Im vorliegenden Fall gilt es nach dieser Ansicht also zu klären, was der
Angeschuldigte wollte. Diese Frage ist schwierig und kaum zu beantworten. Wenn
der Angeschuldigte – wie die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft – das Auto seines
Bruders bergen wollte, so könnte dies sicherlich dafür sprechen, dass sein
subjektiver Wille darauf gerichtet gewesen ist, jegliche Feststellungen zum
Unfallgeschehen unmöglich zu machen.
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Ebenso spricht der Umstand, dass er sich als Fahrer des verunfallten Fahrzeuges
ausgegeben haben soll, aber dafür, dass er letztlich eine Bestrafung seines
Bruders verhindern wollte. Hier bleiben Unsicherheiten, die auch in einer
Hauptverhandlung nur schwer aufzuklären sein dürften.
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Nach einer vor allem in der Literatur vertretenen Gegenansicht kommt eine
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strafbare Beihilfe ohnehin nur bis zur formellen Deliktsvollendung in Betracht (vgl.
Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage, § 142, RN 83;
Rudolphi in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, vor § 22 RN 9;
Schild in: Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 27, RN 127; Roxin, Strafrecht
Allgemeiner Teil, Band II, § 26 RN 259; Köhler, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 536).
Dieser Ansicht schließt sich das hier erkennende Gericht aus den nachfolgenden
Gründen an:
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Zunächst ist es in rechtsdogmatischer Hinsicht problematisch, dass mit der
Willensrichtung des Täters ein subjektiver Umstand über die Abgrenzung der
verschiedenen Unrechtsformen entscheiden soll. Weiter – und dies ist letztlich der
entscheidende Punkt – spricht der Strafgrund der Teilnahme selbst gegen die
Möglichkeit einer strafbaren Beihilfe im Tatzeitraum zwischen Vollendung und
Beendigung. Strafbar sind Anstiftung und Beihilfe nach herrschender Meinung
allein aufgrund des Umstandes, "dass Anstifter und Gehilfen die vom Täter
begangene rechtswidrige Tat fördern bzw. mitverursachen (vgl. statt vieler Lackner/
Kühl, StGB, 24. Auflage vor § 25, RN 8)." Gerade diese im Akzessorietätsprinzip
zum Ausdruck Erwägung gebietet zwingend, dass der Tatbeitrag des Gehilfen die
Handlung des Haupttäters zumindest gefördert haben muss (so auch die
obergerichtliche Rspr., vgl. bspw. BGH NJW 2001, 2410). Ein solches die
Handlung des Haupttäters förderndes Handeln ist jedoch sinnvollerweise nur bis
zum Zeitpunkt der formellen Deliktsvollendung denkbar.
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Letztlich ist an der Ansicht, welche eine strafbare Beihilfe bis zum Zeitpunkt der
Beendigung für möglich hält, bedenklich, dass sie mit dem hochgradig unklaren
Begriff der materiellen Beendigung arbeitet. Während bei Zueignungsdelikten die
Vorstellung einer Beutesicherungsphase noch einigermaßen operabel sein mag,
fehlt es im übrigen weitestgehend an klaren Maßstäben, die eine saubere
Eingrenzung des "Beendigungszeitraumes" erlauben (so auch Roxin, Strafrecht
Allgemeiner Teil, Band II, RN 262). Dieses Problem verwischt die Grenzen der
Strafbarkeit und ist damit auch im Hinblick auf Art. 103 II GG bedenklich.
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III. Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass im vorliegenden Fall nicht von
einer strafbaren Beihilfe auszugehen ist.
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Lediglich ergänzend ist insoweit festzuhalten, dass das tatsächliche Ergebnis der
Ermittlungen keinerlei hinreichende Indizien für eine psychische Beihilfe zur
Unfallflucht bietet.
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Sollte sich der dem Angeschuldigten zur Last gelegte Sachverhalt in tatsächlicher
Hinsicht bewahrheiten, wäre demnach – wie bereits eingangs festgestellt –
lediglich von einer versuchten Strafvereitelung auszugehen, die aufgrund des im
vorliegenden Fall eingreifenden Angehörigenprivilegs jedoch straffrei wäre.
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