Urteil des AG Berlin-Mitte vom 15.01.2005

AG Berlin-Mitte: ampel, wiederbeschaffungswert, geschwindigkeit, fahren, sicherheitsleistung, fahrstreifen, halter, vollstreckung, mieter, benzin

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Gericht:
AG Berlin-Mitte
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
111 C 3087/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 2 StVO, § 4 Abs 1 StVO,
§ 7 Abs 1 StVG, § 17 StVG, §
823 Abs 1 BGB
Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall: Auffahren auf ein vor
einer grünen Ampel haltendes Fahrzeug
Tenor
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.647,81 Euro
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
dem 15. Januar 2005 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits - mit Ausnahme der Kosten der Verweisung, welche der
Kläger zu tragen hat - haben der Kläger zu 2/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner
zu 1/3 zu tragen.
3. Das Urteil ist - für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1fachen des
jeweils zu vollstreckenden Betrages - vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1fachen des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Tatbestand
Der Kläger war Eigentümer, Fahrer und Halter des Pkw Opel Tigra (xxx).
Der Beklagte zu 1) war Fahrer und Halter des Pkw Mercedes CLK (xxx), der bei der
Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.
Am 05. September 2004 gegen 22.30 Uhr fuhr der Opel auf der Straße des 17. Juni in
Richtung Berlin-Mitte. Vor der ampelgeregelten Einmündung der Bachstraße, die von
links einmündet, fuhr er auf dem äußerst linken von 3 markierten Geradeausfahrstreifen.
Die Ampel für den Geradeausverkehr zeigte Grün. Der Kläger, der beabsichtigte, nach
links in die Bachstraße abzubiegen, bremste den Opel ab, bog jedoch nicht nach links
ab, weil sich dort auf dem markierten Linksabbiegerstreifen noch ordnungsgemäß
eingeordnete Fahrzeuge befanden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Skizze des
Klägers (Bl. 20 d.A.) und des Beklagten zu 1) (Bl. 18 d.A.) verwiesen. Hinter dem Opel
fuhr ein BMW-Geländewagen, der noch rechtzeitig nach rechts auf den mittleren
Geradeausfahrstreifen wechselte. Der Mercedes, der hinter dem BMW-Geländewagen
ebenfalls im äußerst linken Fahrstreifen gefahren war, fuhr auf den Opel auf.
Der Kläger beziffert seinen Schaden mit insgesamt 4.943,42 Euro. Wegen der
Schadenberechnung wird auf Seite 4f. d.A. verwiesen.
Die Beklagte zu 2) lehnte mit Schreiben vom 14. Januar 2005 ab, den Schaden des
Klägers zu regulieren.
Der Kläger behauptet, die Ampeln, sowohl für den Geradeausverkehr, als auch für die
Linksabbieger, hätten Grün gezeigt. Er habe die Geschwindigkeit des Opel verringert und
den linken Blinker gesetzt.
Bevor er sich selbst nach links habe einordnen können, habe er die ordnungsgemäß
eingeordneten Linksabbieger auf der Linksabbiegespur passieren lassen müssen.
Obwohl der Fahrer des BMW die Situation rechtzeitig erkannt habe und ausgewichen sei,
sei der Mercedes mit erheblicher Wucht auf den Opel aufgefahren und habe diesen auf
die Kreuzung geschoben.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 4.943,42 Euro nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.
Januar 2005 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, es habe starker fließender Verkehr geherrscht. Die Ampel für die
zahlreichen Linksabbieger habe Rot gezeigt. Der Mercedes sei mit etwa 50 km/h unter
Einhalten eines angemessenen Sicherheitsabstandes zum BMW gefahren. Unmittelbar
vor der Ampel für die Geradeausfahrer habe der BMW ruckartig den Fahrstreifen nach
rechts gewechselt und die Sicht auf den Opel Tigra, der halb vor und halb hinter der
Haltelinie gestanden habe, frei gegeben. Der Beklagte zu 1) habe deshalb das
Auffahren trotz sofortigen Bremsens nicht verhindern können. Währenddessen habe die
Ampel für die Linksabbieger immer noch Rot gezeigt. Bei einen eigenen
Sicherheitsabstand von etwa 15 m hätte er ausreichend Platz gehabt, um den Mercedes
bei einer Notbremsung des BMW rechtzeitig anhalten zu können. Die Beklagten
bestreiten die Schadenhöhe.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 18. April 2005 an
das Amtsgericht Mitte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die auf §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 BGB, 3 PflVG gestützte Klage ist nur in Höhe von 1.647,81
Euro begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.
Bei der Abwägung nach § 17 StVG ist zunächst davon auszugehen, dass der Beklagte zu
1) den Unfall mitverursacht und mitverschuldet hat, indem er auf den Opel Tigra
aufgefahren ist. Beim Auffahrunfall spricht der Beweis des ersten Anscheines dafür, dass
der Auffahrende den Unfall verursacht und verschuldet hat, indem er entweder zu
schnell, mit zu geringem Abstand oder generell unaufmerksam gefahren ist.
Grundsätzlich hat er danach den gesamten Schaden des Vordermannes zu tragen.
Dies gilt hier jedoch nicht, da der Kläger den Unfall durch sein grob verkehrswidriges
Verhalten im Wesentlichen selbst verursacht und verschuldet hat. Wer bei einer Ampel,
die für den Geradeausverkehr Grün zeigt, in einer für den Geradeausverkehr markierten
Spur anhält oder seine Geschwindigkeit so verringert, dass nachfolgende Fahrzeuge
ausweichen müssen, setzt die wesentliche Ursache für das Auffahren eines
nachfolgenden Fahrzeuges. Wer sich geradeaus eingeordnet hat, hat auch geradeaus
weiterzufahren. Dies gilt auch und gerade dann, wenn man als offensichtlich
Ortsunkundiger einer fremden Stadt fährt. Das eigene Interesse den "richtigen” oder
kürzesten Wege zu wählen, hat gegenüber der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer
zurückzustehen. Es ist deshalb grob verkehrswidrig und rücksichtslos, vor einer grünen
Ampel anzuhalten, nur weil man erkennt, dass man sich falsch eingeordnet hat. Notfalls
muss man eben "um den Block” oder gegebenenfalls auch einen größeren Umweg
fahren, nachdem man sich neu orientiert hat. Dem erkennenden Richter sind aus seiner
Fahrpraxis genügend Situationen bekannt, in denen es zu Beinaheunfällen gekommen
ist, weil jemand meinte, er müsse doch noch abbiegen, obwohl er sich falsch
eingeordnet hat. Dieses für den fließenden Verkehr äußerst gefährliche Verhalten ist im
Rahmen der Abwägung schwerer zu bewerten, als das bloße Auffahren.
Die Verursachungs- und Verschuldensbeiträge sind danach mit 2/3 zu Lasten des
Klägers und 1/3 zu Lasten der Beklagten zu bewerten. Die Beklagten sind nicht von
jeglicher Haftung frei, da der Beklagte zu 1) im dichten Großstadtverkehr ständig mit
angespannter Aufmerksamkeit fahren musste. Der Vortrag der Beklagten lässt keine
konkreten Tatsachen erkennen, aus denen sich ergäbe, dass das Auffahren für den
Beklagten zu 1) räumlich und zeitlich unvermeidbar gewesen wäre. Daran bestehen
schon erhebliche Zweifel, weil der BMW noch zwischen den Fahrzeugen der Parteien fuhr
und Raum frei gab, in dem er nach rechts auswich.
Der Schadenersatzanspruch des Klägers berechnet sich danach wie folgt:
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Der Wiederbeschaffungswert ist nicht um einen Umsatzsteueranteil zu kürzen. Das
Fahrzeug war zum ersten Mal im Februar 1997 zugelassen. Es war zur Unfallzeit mehr
als 7 Jahre alt und hatte über 150.000 km nach Tachostand gefahren. Derartige
Fahrzeuge werden - von vereinzelten Ausnahmen abgesehen - nur noch Privatleuten auf
dem Gebrauchtwagenmarkt gehandelt. Im Wiederbeschaffungswert ist deshalb kein
Steueranteil mehr enthalten (§ 287 Abs. 1 ZPO).
Die Mietwagenkosten waren nicht anteilig zu kürzen. Das Gericht folgt der
Rechtsprechung den solchen Fällen eine Kürzung von bis zu 15 % vornimmt nicht. Beim
Anmieten für 10 Tage ist der Anteil an ersparten Eigenaufwendungen zu
vernachlässigen. Benzin muss der Mieter ohnehin bezahlen. Verbrauch und Verschleiß in
10 Tagen sind angesichts der normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges schlicht zu
vernachlässigen.
Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 280 Abs. 2, 286ff. BGB begründet.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 281 Abs. 3, 708 Nr. 11, 709, 711
ZPO.
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