Urteil des AG Bensheim vom 09.07.2008

AG Bensheim: elterliche sorge, wohl des kindes, subjektives recht, kindergarten, umzug, aufenthalt, sorgerecht, einverständnis, kindeswohl, bankrecht

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Gericht:
AG Bensheim
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
72 F 223/08 SO,
72 F 223/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1671 BGB, § 1684 Abs 1
BGB, Art 9 Abs 3 UNKRÜbk
Elterliche Sorge: Kindeswohlgefährdung durch
eigenmächtigen Wegzug der Mutter unter Mitnahme des
gemeinsamen Kindes
Tenor
Die Entscheidung des Gerichts in der vorläufigen Anordnung vom 09.06.2008 wird
aufrechterhalten. Durch einstweilige Anordnung wird der Kindesmutter weiterhin
untersagt, ohne Einverständnis des Kindesvaters bis zum Abschluss des
vorliegenden Verfahrens den Aufenthalt des gemeinsamen Kindes ... geb. am
01.03.2005, zu verändern.
Gründe
Die Ehe der Parteien wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bensheim vom
18.03.2008 (AZ: 72 F 160/07) geschieden. Aus der Ehe ist das gemeinsame Kind
... geb. am 01.03.2005, hervorgegangen. ... lebt im Einverständnis mit dem
Kindesvater bei der Mutter. Die Trennung der Kindeseltern besteht seit 2006.
Im Scheidungstermin vom 18.03.2008 haben die Parteien folgende
Umgangsvereinbarung getroffen:
Zur Durchführung des Umgangsrechts zwischen dem Kindesvater und der
Tochter ... treffen die Parteien folgende Regelung:
a) Der Kindesvater ist berechtigt, ... alle 14 Tage am Wochenende zu sich zu
nehmen und zwar jeweils freitags nach dem Kindergarten (derzeit 14.30 Uhr) bis
sonntags 18.00 Uhr. Der Vater wird ... abholen und zur Mutter zurückbringen.
b) Die Parteien vereinbaren, dass der Kindesvater ... in der Zeit von
04.04.2008 bis 13.04.2008 zu sich nehmen darf. Er wird sie am 04.04.2008 nach
dem Kindergarten abholen und am 13.04.2008 bis 19.30 Uhr zur Mutter
zurückbringen.
c) Die Parteien sind darüber einig, dass der Kindesvater ... in diesem Jahr zu
zwei weiteren zehntägigen Urlaubsaufenthalten zu sich nehmen darf. Der genaue
Zeitpunkt wird zwischen den Kindeseltern noch abgesprochen. Die Dauer der
Ferienaufenthalte sollen auch jeweils von freitags nach dem Kindergarten bis
sonntags 18.00 Uhr liegen.
d) Die Parteien vereinbaren, dass sie, wenn der erste zehntägige Aufenthalt
von ... beim Vater gut verläuft, mit Hilfe des Jugendamtes über eine Erweiterung
der Ferienaufenthalte sprechen werden. Sollte ein Konsens nicht gefunden werden,
behalten sich beide Seiten vor, eine Abänderung der Umgangsregelung zu
beantragen.
Vor dem ersten vereinbarten Ferienaufenthalt hat die Kindesmutter in dem
Verfahren vor dem Amtsgericht Bensheim (AZ: 71 F 174/08 UG) beantragt, den
Umgang auszusetzen. Sie wirft dem Kindesvater sexuellen Missbrauch der Tochter
vor.
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Das Gericht hat vorläufig den Umgang zwischen ... und dem Kindesvater
ausgesetzt und begleiteten Umgang angeordnet, der in einer Beratungsstelle
bereits begonnen hat. Zugleich wird ein psychologisches
Sachverständigengutachten eingeholt, das noch nicht vorliegt.
In der mündlichen Verhandlung vom 06.05.2008 hatte die Kindesmutter erstmals
angekündigt, dass sie ab 01.08.2008 mit dem Kind nach ... ziehen will. Sie ist zur
Zeit bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht ... halbtags tätig und könnte
eine halbe Stelle als Staatsanwältin in ... antreten.
Im vorliegenden Verfahren hat der Kindesvater die Übertragung des Sorgerechts,
hilfsweise des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Tochter ... auf sich beantragt,
hilfsweise die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das
Kreisjugendamt.
Die Kindesmutter hat demgegenüber beantragt, das Sorgerecht, hilfsweise das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für ... auf sie zu übertragen.
Das Gericht hat durch vorläufige Anordnung vom 09.06.2008 der Mutter untersagt,
den Aufenthalt des Kindes ohne Zustimmung des Vaters bis zum Abschluss des
vorliegenden Verfahrens zu verändern. In der mündlichen Verhandlung vom
01.07.2008 hat die Antragsgegnerin beantragt, die vorläufige Anordnung
aufzuheben.
Der Antragsteller hat beantragt, die vorläufige Anordnung aufrechtzuerhalten.
Das Gericht hat die Kindeseltern und das Kind angehört sowie das zuständige
Jugendamt am Verfahren beteiligt.
Die vorläufige Anordnung war von Amts wegen ohne vorherige mündliche
Verhandlung ergangen, um eine Kindeswohlgefährdung durch den geplanten
Wegzug der Antragsgegnerin mit dem Kind zu verhindern.
Nachdem in der mündlichen Verhandlung der Antragsteller beantragt hat, die
Anordnung aufrechtzuerhalten, ergeht nun eine einstweilige Anordnung gem. §
621 g ZPO.
Das Gericht ist weiterhin der Überzeugung, dass der eigenmächtige Wegzug der
Kindesmutter mit dem Kind zu untersagen ist, da er nach dem jetzigen
Verfahrensstand dem Kindeswohl erheblich zuwiderläuft.
Die von der Mutter geplante Ortsveränderung beeinträchtigt das Recht des Kindes
auf Umgang mit dem nichtbetreuenden Vater. Es handelt sich hierbei um ein
subjektives Recht des Kindes auf Umgang mit jedem Elternteil
(Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 01.04.2008, FamRZ 2008, 845 ff.; BGH,
Beschluss vom 14.05.2008, AZ: XII ZB 225/06).
§ 1684 Abs. 1 BGB entspricht damit Art. 9 Abs. 3 der UN-Kinderrechtskonvention,
wonach die Vertragsstaaten das Recht des Kindes zu regelmäßigen persönlichen
Beziehungen und unmittelbaren Kontakten zu beiden Elternteilen zu achten
haben.
In seinem Beschluss vom 27.06.2008 (AZ: I BfR 1265/08) führt das
Bundesverfassungsgericht aus, dass bei einer Entscheidung über das
Aufenthaltsbestimmungsrecht sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen
der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als
Grundrechtsträger zu berücksichtigen sind. Auch im Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzes und der insoweit zwangsläufig nur vorläufigen Beurteilung, sind
diese Rechte der Beteiligten zu beachten. Die Fälle sind vorrangig und
beschleunigt zu bearbeiten, um zu vermeiden, dass der Elternteil, der ein Kind
eigenmächtig innerstaatlich an einen anderen Ort als den des vormaligen
gewöhnlichen Aufenthalts verbringt, aus seinem Verhalten ungerechtfertigte
Vorteile ziehen kann.
Es liegt auf der Hand, dass bei einem Wegzug der Kindesmutter mit dem Kind
nach ... Fakten geschaffen würden, die nicht oder nur schwer rückgängig zu
machen wären. Durch die sich ergebende räumliche Entfernung von rund 500 km
wäre der Kontakt von ... zu ihrem Vater erheblich eingeschränkt. Der gegenwärtig
durchgeführte begleitete Umgang, der zunächst stundenweise stattfindet, wäre
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durchgeführte begleitete Umgang, der zunächst stundenweise stattfindet, wäre
angesichts der großen Entfernung kaum mehr realisierbar. Er ist jedoch von
erheblicher Bedeutung, um den Kontakt zwischen ... und dem Kindesvater, der
ohnehin schon unterbrochen war, nicht abreißen zu lassen.
Wenn sich in dem Umgangsrechtsstreit keine Anhaltspunkte für eine
Einschränkung der Besuchskontakte zwischen ... und dem Vater ergeben, ist
davon auszugehen, dass die zweiwöchentlichen Wochenendbesuche, wie sie zuvor
praktiziert worden waren, wieder aufgenommen werden. Dies ist jedoch angesichts
einer Entfernung von 500 km für eine einfache Fahrt praktisch nicht durchführbar.
Die Belastung wäre sowohl für das dreijährige Kind als auch für den Kindesvater zu
hoch, so dass sich der Besuchskontakt jedenfalls zeitlich beschränken würde. Es
ist jedoch allgemein anerkannt, dass bei relativ kleinen Kindern häufige Kontakte
von großer Bedeutung sind und die Abstände zwischen den Kontakten nicht zu
lang sein dürfen, um eine wirkliche Pflege und Förderung der Beziehung zu dem
nichtbetreuenden Elternteil zu gewährleisten. Das kindliche Zeitempfinden
entspricht nicht den Zeitmaßstäben eines Erwachsenen, so dass auch nach
kürzeren Kontaktunterbrechungen eine Entfremdung zu befürchten ist.
Das Gericht erkennt an, dass die Kindesmutter durchaus nachvollziehbare Gründe
vorträgt, die für ihren Umzug nach ... sprechen. Der Umzug würde für sie eine
Erleichterung der Lebensbedingungen und eine einfachere Versorgung des Kindes
bedeuten. Andererseits hat die Kindesmutter auch zur Zeit eine ungefährdete
feste Stelle, um ihren Beruf auszuüben und ... ist im Kindergarten untergebracht,
der die Arbeitszeiten der Mutter abdeckt. Das Interesse der Mutter an dem
geplanten Umzug hat im Ergebnis kein stärkeres Gewicht gegenüber den
Nachteilen für das Kind.
Gegen den beabsichtigten Ortswechsel spricht ferner, dass nicht nur die Rechte
des Kindes verletzt würden, sondern auch die des Vaters auf Kontakt zur Tochter.
Der noch offene Ausgang des Umgangsverfahrens rechtfertigt nach den
gegenwärtigen Erkenntnissen des Gerichts eine solche Einschränkung auf Dauer
nicht.
Das Recht der Kindesmutter auf freie Ortswahl und Entscheidung hinsichtlich der
Berufsausübung muss zumindest derzeit zurückstehen. Eine Entscheidung über
das Aufenthaltsrecht bzw. das Sorgerecht für ... kann noch nicht getroffen werden,
da das Gutachten im Umgangsverfahren nicht vorliegt und die Entscheidung vom
dortigen Ergebnis beeinflusst werden wird. Einen Anlass, den Aufenthalt des Kindes
bei der Mutter zur Zeit zu verändern, sieht das Gericht nicht, solange sie sich an
die gerichtlichen Auflagen hält.
Die Kindesmutter hat daher den Ausgang des vorliegenden Verfahrens
abzuwarten und ist nicht berechtigt, den im Juli 2008 geplanten Umzug mit dem
Kind nach ... durchzuführen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.