Urteil des AG Aachen vom 25.09.2003

AG Aachen: körperliche unversehrtheit, vergleich, erfüllung, bauunternehmer, autismus, interessenabwägung, räumung, einfamilienhaus, gefahr, fristwahrung

Amtsgericht Aachen, 10 C 501/03
Datum:
25.09.2003
Gericht:
Amtsgericht Aachen
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 C 501/03
Tenor:
Den Schuldnern wird zur Erfüllung ihrer Räumungsverpflichtung aus
dem vor dem LG B am 14. März 2003 - 5 S 287/02 = AG B 10 C 194/02 -
geschlossenen Vergleich eine Räumungsfrist bis zum 31. Dezember
2003 bewilligt.
Der Gläubiger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
I.
2
Die Schuldner waren Mieter des im Eigentum des Gläubigers stehenden Wohnhauses
D-Straße in B.
3
Am 14. März 2003 schlossen die Parteien vor dem LG B einen Vergleich des Inhalts,
dass sich die Schuldner verpflichteten, das vorgenannte Wohnhaus nebst Garage bis
zum 30. September 2003 geräumt an den Beklagten herauszugeben.
4
Mit bei Gericht am 16. September eingegangenem Antrag begehren die Schuldner die
5
Bewilligung einer weiteren Räumungsfrist bis zum 31. Dezember 2003.
6
Der Gläubiger beantragt die Zurückweisung dieses Antrages.
7
II.
8
Den Schuldnern ist gemäß § 794a ZPO zur Erfüllung ihrer Räumungsverpflichtung aus
dem Vergleich vom 14. März 2003 eine Räumungsfrist bis zum 31. Dezember 2003 zu
bewilligen.
9
Der entsprechende Antrag ist entgegen der Ansicht des Gläubigers noch innerhalb der
Frist des § 794a Abs. 1 Satz 2 ZPO gestellt worden. Das hiesige Eingangsdatum "16.
September 2003" reicht zur Fristwahrung aus (vgl. das Rechenbeispiel bei
Zimmermann, ZPO, 6. Aufl., § 721 Rn. 5 i. V. mit § 794a Rn. 1).
10
Die Bewilligung einer Räumungsfrist aus einem Vergleich, der - wie hier - bereits ein
vereinbartes Räumungsdatum enthält, ist vom Gesetz her nicht ausgeschlossen (so
allerdings LG Hamburg WUM 2001, 412), unterliegt aber strengen Anforderungen: Es ist
das Schutzbedürfnis der Schuldner und das berechtigte Vertrauen des Gläubigers in
eine vergleichskonforme Erfüllung gegeneinander abzuwägen. Dies bedeutet, dass hier
die - erstmalige - Bewilligung einer Räumungsfrist nach § 794a ZPO nur dann in
Betracht kommt, wenn sich die im Vergleichsweg vereinbarte Erfüllungsfrist aus nicht
von den Schuldnern zu vertretenden und im Vorfeld nicht absehbaren Gründen als zu
kurz erweist (vgl. Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 8. Aufl., § 794a ZPO Rn. 14;
Stöber in: Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 794a Rn. 2; Zimmermann a. a. O., § 794a Rn 1; jw. m.
w. N.).
11
So verhält es sich hier. Die Schuldner haben durch Vorlage diverser Belege glaubhaft
gemacht, dass sie im c-ischen I ein Einfamilienhaus errichten, wobei ihnen der
Bauunternehmer L eine rechtzeitige Fertigstellung vor dem 30. September 2003
zugesagt hatte; insoweit allerdings trotz wiederholter Aufforderungsschreiben
verschiedene Gewerke zur Zeit noch ausstehen, welche jedoch insgesamt bis zum
Jahresende erledigt werden können.
12
Es ist nicht zu erkennen und wird auch von dem Gläubiger nicht behauptet, dass die
eingetretene Bauverzögerung von den Schuldnern mitverursacht worden ist. Sofern der
Gläubiger vorbringt, das den Schuldnern von dem Bauunternehmer genannte
Fertigstellungsdatum sei von vornherein unrealistisch gewesen, kann es ihnen nicht zur
Last gelegt werden, als Laien auf eine - möglicherweise zu "rosige" - Prognose des
sachkundigen Bauunternehmers vertraut zu haben.
13
Es kann dahingestellt bleiben, ob die bloße unverschuldete Bauverzögerung ausreicht,
eine vergleichsweise vereinbarte Erfüllungsfrist gemäß § 794a ZPO zu verlängern.
Denn insoweit tritt noch der Umstand hinzu, dass ein Zwischenumzug für den unter
Autismus leidenden Sohn der Schuldner, wie sie durch das plausible Attest des
behandelnden Psychiaters Dr. H vom 4. September 2003 glaubhaft machen, mit
erheblichen gesundheitlichen Konsequenzen verbunden sein kann. Insoweit kommt es
entgegen der Ansicht des Gläubigers nicht darauf an, dass den Schuldnern diese
Erkrankung bereits seit Jahren bekannt ist. Denn diese Kenntnis ändert nichts an der
glaubhaft gemachten Tatsache, dass ein wiederholter, kurzfristiger Wohnungswechsel
für den Sohn der Schuldner zu gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen
führen kann und deshalb aus medizinischer Sicht unter allen Umständen vermieden
werden sollte. Nicht zuletzt unter Würdigung der verfassungsrechtlichen
Wertentscheidung in Art. 2 Abs. 2 GG - Recht auf körperliche Unversehrtheit - stellt die
glaubhaft gemachte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der psychischen
Erkrankung des Sohnes der Schuldner im Zusammenhang mit der nicht von ihnen zu
vertretenden Bauverzögerung ein gewichtiges Interesse an der Bewilligung einer
Räumungsfrist dar, welches bei der hier vorzunehmenden Interessenabwägung den
Ausfall zugunsten der Schuldner bewirkt (vgl. auch LG Berlin GE 1989, 945). In diesem
Zusammenhang tritt noch hinzu, dass ein weiteres, über das legitime Vertrauen auf
vergleichskonforme Erfüllung hinausgehendes, Interesse des Gläubigers an einer
Räumung zum 30. September 2003, insbesondere drohende finanzielle Schäden, nicht
vorgebracht wird.
14
III.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO (vgl. Zimmermann, a. a. O., § 794a Rn. 2).
16
Gegenstandswert: 2.147,42 € (§§ 12 GKG, 3 ZPO: 3 frühere "Monatsmieten"; vgl. LG
Kiel WUM 1992, 492).
17
Dr. Quarch
18