Urteil des AG Aachen vom 19.02.1992

AG Aachen (disagio, kläger, höhe, rückzahlung, betrag, darlehen, herausgabe, verjährungsfrist, bereicherungsanspruch, leistung)

Amtsgericht Aachen, 80 C 602/91
Datum:
19.02.1992
Gericht:
Amtsgericht Aachen
Spruchkörper:
Abteilung 80
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
80 C 602/91
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 4.353,30 DM nebst 11,5 %
Zinsen seit dem 13.12.1991 aus 2.090,00 DM zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
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Am 13.07.1976 nahmen die Kläger bei der Beklagten ein Darlehen in Höhe von
95.000,00 DM bei einer Laufzeit von 10 Jahren auf. Das Darlehen wurde zu 94,5 % an
die Kläger ausgezahlt. Das vereinbarte Disagio betrug 5,5 % der Darlehenssumme von
95.000,00 DM, also 5.225,00 DM. Am 12.07.1982 lösten die Kläger das Darlehen
vorzeitig ab. Eine anteilige Erstattung des nicht verbrauchten Disagios erfolgte nicht.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die Beklagte, die geschäftsmäßig Darlehen
vergibt, hieraus Zinsen in Höhe von 11,5 % jährlich erzielt.
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Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger von der Beklagten die Rückzahlung
des nicht verbrauchten Disagios in Höhe von 2.090,00 DM sowie Herausgabe der von
der Beklagten aus diesem Betrag im Zeitraum vom 13.07.1982 bis zum 12.12.1991
erlangten Zinsen in Höhe von 2.263,30 DM, insgesamt 4.353,30 DM.
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Die Kläger beantragen,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.353,30 DM nebst
11,5 % Zinsen aus 2.090,00 DM seit dem 13.12.1991 zu
zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte beruft sich auf die Einrede der Verjährung. Sie ist der Auffassung, daß für
die Bereicherungsansprüche der Kläger die 4-jährige Verjährungsfrist des § 197 BGB
gelte.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist begründet.
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Die Beklagte ist, nachdem der zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag
vom 13.07.1976 vorzeitig abgelöst worden ist, gem. § 812 Abs. 1 BGB verpflichtet, den
Klägern den nicht verbrauchten Teil des Disagios von 5.225,00 DM zu erstatten. Dieser
Anteil beläuft sich auf
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5.225,00 DM x 1.440,00 DM = 2.090,00 DM
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3.600,00 DM
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Ferner hat die Beklagte den Klägern gemäß § 818 Abs. 1 BGB die aus dem
vorgenannten Betrag gezogenen Nutzungen (Zinsen) herauszugeben. Diese belaufen
sich nach dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag der Kläger auf jährlich 11,5
%. Für den Zeitraum 13.07.1982 bis 12.12.1991 ergibt dies einen Betrag von 2.263,00
DM. Die Beklagte schuldet den Klägern somit insgesamt Zahlung von (2.090,00 DM +
2.263,30 DM =) 4.353,30 DM nebst 11,5 % Zinsen aus 2.090,00 DM seit dem
13.12.1991.
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Die Parteien stimmen darin überein, daß im Rahmen des zwischen ihnen
geschlossenen Darlehensvertrag Disagio und Nominalzinssatz in einem
wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis standen. Dies entspricht der heute gängigen
Bankpraxis. Disagio und Nominalzinssatz sind austauschbar in dem Sinne, daß ein
höheres Disagio mit einem niedrigeren Zinssatz einhergeht und umgekehrt. Das
Disagio stellt wie die Zinsen ein laufzeitabhängiges Kapitalnutzungsentgelt dar. Bei
vorzeitiger Beendigung des Darlehensvertrags kann es dem Darlehensgeber - ebenso
wie eine Zinsvorauszahlung - deshalb nur insoweit verbleiben, als es bereits verbracht
ist. Im übrigen ist es anteilig zu erstatten (BGH NJW 1990, 2250).
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Der Anspruch der Kläger auf Erstattung des nicht verbrauchten Disagios ist nicht
verjährt. Bereicherungsansprüche unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist, die
gem. § 195 BGB 30 Jahre beträgt.
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§ 197 BGB, der für Ansprüche auf Rückstände von Zinsen und andere wiederkehrende
Leistungen eine 4-jährige Verjährungsfrist vorsieht, ist entgegen der Auffassung der
Beklagten vorliegend nicht anwendbar. Zwar handelt es sich beim Disagio um eine
verdeckte Zinszahlung. Auch gilt die kurze Verjährung nach § 197 BGB nicht nur für den
Zinsanspruch selbst, sondern auch für Ansprüche auf Rückzahlung überzahlter Zinsen.
Anders als Zinsen ist das Disagio jedoch nicht ratenweise über die gesamte
Vertragslaufzeit verteilt zu zahlen, sondern es wird sogleich bei Vertragsschluß in voller
Höhe fällig. Das Disagio stellt mithin keine wiederkehrende, sondern eine einmalige
Leistung dar. § 197 BGB gilt aber nur für wiederkehrende Leistungen. Die kurze
Verjährungsfrist soll das übermäßige Anwachsen von Schulden verhindern, die aus den
laufenden Einkünften des Schuldners zu tilgen sind. Diese Gefahr besteht nicht bei
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Leistungen, die, wie das Disagio, in einer Summe fällig werden. Soweit das Landgericht
Siegen in seiner Entscheidung vom 31.07.1991 - 3 S 138/91 - § 197 BGB auch auf den
Anspruch auf anteilige Erstattung eines nicht verbrauchten Disagios für anwendbar
erklärt hat, vermag sich das Gericht dieser Rechtsauffassung nicht anzuschließen. Die
vom Landgericht Siegen zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH NJW
1986, 2564; NJW 1990, 1036) sind nicht einschlägig. Während es im vorliegenden und
in dem vom Landgericht Siegen entschiedenen Fall um die teilweise Rückzahlung
eines Disagios bei vorzeitiger Ablösung eines Annuitätendarlehens geht, betreffen die
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs die Rückzahlung von Zinsen und Kreditkosten
bei einem nichtigem Ratenkreditvertrag. Bei einem Ratenkredit wird, anders als bei
einem Annuitätendarlehen, mit jeder einzelnen Ratenzahlung den vertraglichen
Abmachungen entsprechend ein bestimmter Betrag der Kreditkosten entrichtet. Die
Nichtigkeit des Vertrags führt dazu, daß jeder Zahlung auf die Kreditkosten von Anfang
an der Rechtsgrund fehlt, so daß jeweils sofort ein Bereicherungsanspruch entsteht. Der
Anspruch ist von vorne herein und seiner Natur nach auf Zahlungen gerichtet, die nicht
einmal, sondern in regelmäßiger zeitlicher Wiederkehr zu erbringen sind (vgl. BGH NJW
1986, 2564, 2566). Dieser Umstand rechtfertigt die Anwendung des § 197 BGB selbst
dann, wenn der Darlehensnehmer die Restschuld aus einem nichtigen Ratenkredit in
einer Summe vorzeitig ablöst. Denn § 197 BGB gilt einheitlich für alle Ansprüche auf
Rückzahlung von Zinsen und Kosten, die nach dem Ursprungsvertrag in regelmäßigen
Raten zu zahlen waren (BGH NJW 1990, 1036). Gerade dies trifft aber auf ein Disagio
bei einem Annuitätendarlehen nicht zu. Das Disagio ist - anders als die Kreditkosten bei
einem Ratenkredit - nicht wiederkehrend in Raten, sondern in einer Summe bei
Vertragsschluß zu leisten. Bei vorzeitiger Ablösung des Darlehens entsteht der auf
anteilige Rückerstattung des Disagios gerichtete Bereicherungsanspruch auch nicht
zeitlich sukzessiv, sondern einheitlich im Zeitpunkt der Ablösung. Die für die
Anwendung des § 197 BGB erforderlichen Begriffsmerkmale einer wiederkehrenden
Leistung liegen mithin weder bei Leistung des Disagios noch bei Entstehung des auf
Rückerstattung des Disagios gerichteten Bereicherungsanspruchs vor.
Der Anspruch der Kläger aus § 818 Abs. 1 BGB auf Herausgabe der Nutzungen, welche
die Beklagte aus dem zu Unrecht zurückgehaltenen Disagio gezogen hat, ist ebenfalls
nicht verjährt. Der Bereicherungsanspruch nach § 818 Abs. 1 BGB ist zwar auf Zahlung
von Zinsen gerichtet, wenn es sich bei dem Gegenstand der Bereicherung, wie hier, um
einen Geldbetrag handelt. Gleichwohl ist § 197 BGB nicht anwendbar, da diese
Vorschrift nur für regelmäßig oder wiederkehrend anfallende Zinsen, insbesondere also
für Vertragszinsen und Verzugszinsen gilt. Eine Zinsschuld in diesem Sinne wird dem
Bereicherungsschuldner durch § 818 Abs. 1 BGB jedoch nicht auferlegt. Nach dieser
Bestimmung schuldet der Bereicherungsschuldner die Herausgabe von Zinsen nur,
wenn und soweit er diese tatsächlich erzielt hat. Der Bereicherungsanspruch aus § 818
Abs. 1 BGB unterliegt deshalb der normalen gesetzlichen Verjährung.
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Dem Anspruch der Kläger auf Herausgabe der Zinsen steht schließlich auch nicht
entgegen, daß sie im vorprozessualen Schreiben vom 02.09.1990 auf die Zinsen für die
Jahre 1982 bis 1985 verzichtet haben. Denn es ist weder ersichtlich noch vorgetragen,
daß die Beklagte diesen Verzicht angenommen hat und damit zwischen den Parteien
ein Erlaßvertrag zustande gekommen ist.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
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Der Streitwert wird auf 2.090,00 DM festgesetzt. Die nach § 818 Abs. 1 BGB
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geschuldeten Zinsen wirken sich nicht streitwerterhöhend aus, da es sich hierbei um
eine unselbständige Nebenforderung im Sinne von § 4 ZPO handelt.
R
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Richter am Amtsgericht
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