Urteil des AG Aachen vom 24.04.1997

AG Aachen (kläger, angemessene entschädigung, billige entschädigung, zpo, fahrtkosten, eintrittsgeld, abend, entschädigung, besucher, vorläufig)

Amtsgericht Aachen, 10 C 529/96
Datum:
24.04.1997
Gericht:
Amtsgericht Aachen
Spruchkörper:
Abteilung 10
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 C 529/96
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Am Abend des 29.05.1996 beabsichtigten der in wohnhafte Kläger und seine Gattin,
eine für 20:00 Uhr angesetzte Aufführung der Oper "Nabucco" zu besuchen, die von der
Beklagten im Stadttheater gegeben wurde. Wenige Minuten nach 20:00 Uhr -–die
Aufführung hatte bereits begonnen – wurden sie bei den Ordnungskräften der Beklagten
mit der Bitte um Einlass vorstellig. Obschon sie 2 gültige, vom Kläger zum Preis von je
46,00 DM erworbene Eintrittskarten vorlegten, wies man sie unter Hinweis auf eine
Aufforderung der Geschäftsleitung der Beklagten, Nachzügler mit Plätzen im Parkett
oder ersten Rang erst in der ersten Pause einzulassen, vorläufig ab. Nach dem
Austausch von Unfreundlichkeiten verließen der Kläger nebst Gattin – laut Kläger
kommentarlos; nach dem Vortrag der Beklagten den Hausmeister mit Tiernamen und
Beschreibungen von Körperteilen betitelnd – das Etablissement und kehrten nicht
zurück.
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Im Folgenden verweigerte die Beklagte nicht nur den klägerseits verlangten Ersatz des
Eintrittspreises nebst unnütz aufgewandter Fahrtkosten, sondern erstattete zudem
gegen den Kläger Strafanzeige wegen Beleidigung städtischer Bediensteter.
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In vorliegendem Verfahren haben die Parteien die Rechtsfrage, ob die
Zutrittsverweigerung gegenüber verspäteten Opernbesuchern rechtens ist und das
Eintrittsgeld zudem einbehalten werden darf, kontrovers und ausgiebig in rechtlicher,
kulturhistorischer und allgemein menschlicher Hinsicht diskutiert. Der Kläger verweist
auf die Ägerlichkeit eines verpfuschten Abends und nimmt § 325 BGB für sich in
Anspruch, während sich die Beklagte als Hüterin der darstellenden Kunst versteht und
auf die §§ 324, 552 BGB rekuriert.
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Wegen der zahlreichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Akteninhalt Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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I.
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger, der ungeachtet der erheiternden
Aspekte des Falles eine ernstzunehmende und nicht einfache Rechtslage zur
Entscheidung gestellt hat, kann von der Beklagten unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt Erstattung des Eintrittgeldes nebst Fahrtkosten verlangen.
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Der dem Rechtsverhältnis der Parteien zugrunde liegende, typengemischte Vertrag ist
Werkvertrag mit mietrechtlichem Einschlag bzgl. des Zuschauerplatzes. Zur Falllösung
sind somit die auf beide Vertragstypen bezogenen Sondervorschriften, ergänzend ggf.
allgemeine Normen sowie übergesetzliche Rechtssätze heranzuziehen. Eindeutig zu
beantworten ist hiernach noch die Vorfrage, ob die Mitarbeiter der Beklagten berechtigt
waren, dem Kläger nach Beginn der Vorstellung den Zutritt zu seinen angemieteten
Plätzen zu versagen: nämlich mit einem klaren ja. Zu Recht verweist die Beklagte
insoweit auf eine jahrhundertealte und internationale Gepflogenheit, die dem
Vertragsverhältnis zwischen Opernveranstalter und Besucher immanent ist und die auf
die Kurzformel gebracht werden kann: Vorhang auf Türen zu. Durch verspätet
eintreffende Zuschauer kommt es potentiell immer zu Störungen der (der Enthusiast
möge den profanen Ausdruck verzeihen) Livedarbietung durch Geräusche, Licht oder
sonstige Immisionen, die von den übrigen Vertragspartnern des Veranstalters, nämlich
den Bühnenakteuren und dem Publikum unmittelbar oder mittelbar (durch die aus dem
Konzept geratende Aufführung) als Beeinträchtigung empfunden werden können. Diese
Vertragspartner des Veranstalters werden nicht, wie beispielsweise im Kino, klaglos
hinnehmen, dass Nachzügler geräuschvoll hinter dem Lichtkegel der Taschenlampe
eines Platzanweisers herstolpern, um sich dann unter vielen "Entschuldigung" und "Darf
ich mal" auf ihren Platz drängeln, wobei sie unter den bereits sitzenden Zuschauern den
aus Fußballstadien bekannten "La ola-Effekt" auslösen. Der Veranstalter hat vielmehr
den reibungslosen Ablauf der Aufführung zu bewährleisten, war nur durch klare,
praktikable Weisungen an die Saalordner möglich ist. Diese Weisung kann, wie im
vorliegenden Fall, so aussehen, dass verspätete Besucher nur in weniger störanfällige
Bereiche des Zuschauerraumes vorgelassen werden, im Übrigen aber bis zur Pause
warten müssen. Differenzierungen durch das Opernpersonal sind nicht handhabbar.
Weder kann diesen die Auswahl dramaturgisch günstiger Momente zum schubweisen
Einlass von zu späte Gekommenen überlassen werden, noch kann es darauf
ankommen, ob es sich um eine Aufführung mit geräuschvoll tumultartigen Szenen auf
der Bühne oder um eine andachtsvollere Darbietung handelt, so dass bei Wagner
einzulassen wäre, bei Bach aber nicht.
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Steht aufgrund der obigen Erwägungen fest, dass die Beklagte den verspäteten Kläger
nebst Begleitung nicht einzulassen brauchte, so hat sie zunächst nicht aus
Schadensersatzgesichtspunkten dem Kläger Fahrtkosten zu erstatten. Abgesehen
davon kann eine Anfahrt nach Aachen schlechterdings nicht vergebens sein,
insbesondere dann nicht, wenn sie von aus unternommen wird und es steht auch
keinesfalls fest, dass es dem Kläger nicht doch noch gelungen ist, an dem besagten
Abend sich in der umliegenden Gastronomie oder den übrigen Unterhaltungsstätten der
............. Innenstadt einen vergnüglichen Abend zu machen.
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Wesentlich schwieriger ist jedoch die hier vorrangig interessierende Frage zu
beantworten, ob der nicht in den Genuss der Aufführung gekommene Kläger das
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Eintrittsgeld zurückverlangen kann. Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen ist
die Qualifizierung des Zuspätkommens als Auslöser der Leistungsstörung. Die Pflicht
zum pünktlichen Erscheinen bei Aufführungsbeginn ist keine vertragliche Hauptpflicht,
wie der Kläger zu Recht ausführt. Kein Inhaber einer Opernkarte muss sich der
Aufführung tatsächlich aussetzen, was sich schon an der guten alten Tradition des
"Opernschläfchens" erweist; einer sanktionslos möglichen Verweigerung des
Kunstgenusses von schätzungsweise im Durchschnitt 10 % des Publikums.
Richtigerweise ist das pünktliche Erscheinen des Opernbesuchers, ähnlich wie das
Antreten zu einer Operation, der Anprobe für einen Maßanzug oder einer Porträtsitzung
auch keine Pflicht, sonder eine nicht klagbare reine Gläubiger-Obliegenheit, für die das
Gesetz in § 642 BGB des Werkvertragsrechts eine besondere Regelung vorsieht.
Unterlässt der Besteller einer Werkleistung eine Mitwirkungshandlung und kommt er
dadurch in Gläubigerverzug, kann der Unternehmer eine angemessene Entschädigung
"als summarische Abgeltung für das Bereithalten wirtschaftlicher Kraft" (Soergel in
Münchener Kommentar BGB, 2. Auflage, § 642 Rn. 9) verlangen. Auf den konkreten Fall
bezogen bedeutet das: Vereitelt der Opernkarteninhaber durch Zuspätkommen (oder
aber, um das Beispiel zu Kontrollzwecken weiterzuführen, durch Einschlafen) das
Zustandekommen des Werkes, nämlich zwar nicht der Aufführung als solcher, wohl aber
der Interaktion zwischen Bühnenakteuren und lauschendem Publikum, darf der
Veranstalter als billige Entschädigung für das Bereithalten eines geheizten und
beleuchteten Saales sowie eines wohlpräparierten Ensembles das vorausentrichtete
Eintrittsgeld behalten. Wesentlich ist noch die Tatsache, dass der Annahmeverzug des
Opernbesuchers im Rahmen des § 642 BGB nicht schuldhaft sein muss (Soergel, a. a.
O., Rn. 5), es mithin nicht darauf ankommt, ob der Kläger möglicherweise Opfer der
(absehbaren) Verzögerung bei seiner oder der Gattin Garderobenauswahl bzw. der
(ebenso absehbaren) Parkplatznot in der ............. Innenstadt oder aber einer
(unvorhersehbaren) Autopanne geworden sein sollte.
II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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III.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11,
713 ZPO.
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IV.
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Der Streitwert für das Verfahren wird auf 127,00 DM festgesetzt, §§ 12 Abs. 1, 25 Abs. 1
GKG; 3 ZPO.
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X
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Richterin am Amtsgericht
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