Urteil des AG Aachen vom 13.09.2005

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Amtsgericht Aachen, 10 C 285/04
Datum:
13.09.2005
Gericht:
Amtsgericht Aachen
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 C 285/04
Tenor:
Das Versäumnisurteil vom 30. 7. 2004 bleibt mit der Maßgabe
aufrechterhalten, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin ein
angemessenes Schmer-zensgeld von 750 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basis-zinssatz seit dem 7. 7. 2004 zu zahlen.
Im Übrigen wird das Versäumnisurteil vom 30. 7. 2004 aufgehoben und
die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 5/6 und die
Beklagte 1/6 zu tragen. Dies gilt nicht für die durch das Versäumnisurteil
vom 30. 7. 2004 verur-sachten Säumniskosten, welche die Beklagte zu
tragen hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus
dem Urteil vollstreckbaren Betra-ges abwenden, sofern nicht die
Gegenpartei in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Die Parteien hielten sich in der Walpurgisnacht (30. 4. / 1. 5.) 2004 während einer
Veranstaltung auf der Burg T auf.
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Dabei kam es zwischen den Parteien zu einem Vorfall, dessen Hergang im einzelnen
streitig ist:
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Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe ihr nach einem kurzen Wortwechsel grundlos
eine "Kopfnuss" ins Gesicht versetzt. Hierdurch habe sie zwei Vorderzähne verloren.
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Die Klägerin verlangt von der Beklagten ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe
von mindestens 2.000 € sowie die Erstattung ihrer schadensbedingten Unkosten,
welche sie zunächst mit 2.115,43 € beziffert hat.
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Nachdem die Beklagte im schriftlichen Vorverfahren keine Verteidigungsanzeige
abgegeben hat, ist sie mit Versäumnisurteil vom 30. 7. 2004 dazu verurteilt worden, an
die Klägerin 2.115,43 € sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 €, jeweils nebst
gesetzlicher Verzinsung ab dem 7. 7. 2004, zu zahlen.
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Hiergegen hat die Beklagte fristgerecht Einspruch eingelegt.
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Die Klägerin hat im Verlauf des Verfahrens ihre Schadensersatzforderung auf 1.135,66
€ reduziert und die Klage in Höhe von 979,77 € zurückgenommen (Bl. 61, 73 d. A.).
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Sie beantragt nunmehr,
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das Versäumnisurteil vom 30. 7. 2004 nach Maßgabe der vorstehenden
Klagerücknahme aufrechtzuerhalten.
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Die Beklagte beantragt,
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das Versäumnisurteil vom 30. 7. 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet, der Klägerin eine Kopfnuss versetzt zu haben. Vielmehr sei sie ihrerseits
tätlich angegriffen worden. Daher habe die Klägerin während des streitigen Vorfalls
keine Zahnschäden erlitten.
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Die Akte Staatsanwaltschaft Aachen 607 Js #####/####ist Gegenstand des Verfahrens
gewesen.
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Das Gericht hat nach Maßgabe der Beweisbeschlüsse vom 15. 2. 2005 (Bl. 70 ff. d. A.),
4. 5. 2005 (Bl. 129 d. A.) und 31. 5. 2005 (Bl. 140 d. A.) Beweis erhoben. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 26. 4. 2005
(Bl. 106 ff. d. A) bzw. 31. 5. 2005 (Bl. 136 ff. d. A.) sowie die schriftlichen
Zeugenaussagen Bl. 144, 145 f. d. A. verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nur zum Teil begründet.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 823,
253 Abs. 2 BGB in Höhe von 750 € zu.
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Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass
die Beklagte der Klägerin mit zumindest bedingtem Verletzungsvorsatz eine Kopfnuss in
das Gesicht versetzt hat, ohne dass insoweit ein Rechtfertigungsgrund i. S. der §§ 32 ff.
StGB bzw. §§ 227 ff. BGB gegeben war.
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Die jeweils persönlich glaubwürdigen Zeugen I2 - der Ehemann der Klägerin -, X2,
Volker X2, Melanie X2, Margarete X2 und I haben – in der Darstellung des
Kerngeschehens übereinstimmend - Folgendes geschildert: Die Klägerin und ihr
Ehemann bzw. ihre Bekannten gingen gemeinsam durch den mit zahlreichen
Veranstaltungsbesuchern angefüllten Innenhof der Burg T, wobei die damals 17 Jahre
alte Zeugin X2 und die Klägerin insoweit vor den anderen Bekannten liefen. Die
Beklagte bewegte sich mit höherer Geschwindigkeit in derselben Richtung. Beim
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Überholen der Klägerin bzw. der Zeugin X2 schubste sie die letztgenannte zur Seite, so
dass sie gegen andere Festteilnehmer fiel. Die Klägerin sprach die Beklagte auf dieses
Verhalten an und fragte sie sinngemäß, ob es denn nötig sei, Kinder zu schubsen.
Hierauf bewegte sich die Beklagte auf die Klägerin zu und versetzte ihr eine Kopfnuss
ins Gesicht.
Von der Richtigkeit dieses Geschehensablaufes ist das Gericht überzeugt (§ 286 ZPO).
Die vorgenannten Zeugen haben den Sachverhalt sämtlich im Kerngeschehen
übereinstimmend geschildert. Soweit ihre Aussagen in Details, u. a. hinsichtlich der
vieldiskutierten "Mr.-Spock-Ohren", voneinander abwichen, lässt dies die
Glaubhaftigkeit ihrer Bekundungen zum Kerngeschehen nicht entfallen. Insoweit darf
auch nicht übersehen werden, dass die Aussagen der vorgenannten Zeugen nicht nur
untereinander im Kerngeschehen übereinstimmten, sondern jeweils auch mit ihren
zeitnäheren Bekundungen im Strafverfahren korrespondierten (Bl. 12 ff. d. BA). Auch
diese Aussagekontinuität der Zeugen I2, X2, Volker X2, Melanie X2, Margarete X2 und I
spricht für die Richtigkeit ihrer Bekundungen.
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Die weiteren Zeugenaussagen führen zu keinem gegenteiligen Ergebnis. Bezüglich der
Zeugin X(Bl. 107 ff. d. A.), der neun Jahre alten Tochter der Beklagten, hat das Gericht
nach dem von ihr gewonnenen Eindruck Zweifel daran, ob sie Gesehenes und Gehörtes
in der notwendigen Distanz voneinander trennen konnte. Deshalb stellt sich die
Aussage der Zeugin X letztlich als unergiebig dar.
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Der zum Personal der Burg T gehörende Zeuge S hat den eigentlichen Vorfall nicht
beobachtet, weshalb auch seine Bekundungen insoweit unergiebig blieben (Bl. 115 ff.
d. A.). Sofern er aussagte, die Klägerin und ihre Begleiter hätten bereits zu einem
früheren Zeitpunkt desselben Abends in stark alkoholisiertem Zustand "Randale"
gemacht und seien von ihm zur Ordnung gerufen worden, hat das Gericht erhebliche
Zweifel an der Richtigkeit dieser Bekundungen. Denn keiner der Zeugen I2, X2, Volker
X2, Melanie X2, Margarete X2 und I konnte sich an einen solchen Vorfall erinnern.
Vielmehr war bei allen vorgenannten Zeugen, sofern ihnen die Aussage des Zeugen S
vorgehalten wurde, echte Überraschung zu spüren.
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Am bedeutsamsten von den weiteren Zeugenaussagen ist diejenige der Zeugin X3 (Bl.
117 ff. d. A.), einer Freundin der Beklagten. Sie schildert eine massive Aggression von
Seiten der Klägerin und ihrer Begleiter gegen die insoweit passive, zu Boden
geschlagene Beklagte. Das Gericht glaubt der Zeugin X3 ihre Bekundungen nicht.
Vielmehr geht die Überzeugung des Gerichts dahin, dass ihre Phantasie der Zeugin
einen Streich gespielt hat. Für diese Würdigung spricht nicht nur der diametrale
Gegensatz zwischen ihrer Aussage und den glaubhaften Bekundungen der weiteren
Zeugen (s. o.), sondern auch der Polizeivermerk vom 9. 9. 2004 (Bl. 31 d. A.). Danach
hat die Beklagte der zum Tatort gerufenen Polizei nicht etwa, was, wenn es zutrifft,
nahegelegen hätte, von Gewalttaten der Klägerin ihr gegenüber berichtet, sondern
lediglich erklärt, im Gedränge der Menschenmassen habe man regelmäßig auf ihr
Gewand getreten. Wenn dies die wichtigste Botschaft war, die die Beklagte den
Beamten übermitteln wollte, dann spricht nach der Lebenserfahrung alles dagegen,
dass sie tatsächlich das Opfer massiver Tätlichkeiten war und diese den Beamten
verschwiegen haben soll. Dies gilt erst recht, nachdem die Klägerin, wie derselbe
Vermerk festhält, die Beklagte ihrerseits entsprechend dem hiesigen Klagevortrag des
tätlichen Angriffes bezichtigt hatte. Was hätte für die Beklagte dann nähergelegen, als
die Angriffe auf ihre Person ebenfalls vorzubringen, wenn diese denn tatsächlich
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stattgefunden haben?
Der Zeuge O (Bl. 120 ff. d. A.) hatte nur noch eine relativ dürftige Erinnerung und den
eigentlichen Vorfall nicht gesehen. Er bekundete an substantiellen Fakten lediglich,
dass ein Mann der Beklagten mit der Faust in den Rücken gestoßen habe, worauf unten
noch einzugehen sein wird.
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Die von der Beklagten beantragte Parteivernehmung der Klägerin (§ 445 ZPO) konnte
ihren Sachvortrag nicht bestätigen (Bl. 136 ff. d. A.).
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Die Überzeugung des Gerichts geht desweiteren dahin, dass die Klägerin infolge des
Angriffs der Beklagten tatsächlich den Schneidezahn 21 sofort verlor und ein zweiter,
nämlich der Zahn 22, ihr aufgrund massiver Beschädigungen - Querfraktur im mittleren
Wurzeldrittel - entfernt werden musste. Die Tatsache, dass die Klägerin am Tattag einen
Zahn verlor, ist unstreitig und wird von allen Zeugen bestätigt. Aufgrund der glaubhaften
schriftlichen Aussage des Zahnarztes Dr. L ist das Gericht weiter davon überzeugt, dass
die beiden beschädigten Zähne der Klägerin entgegen der Behauptung der Beklagten
in keiner Weise vorgeschädigt waren (Bl. 145 f. d. A.).
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Eine Notwehrsituation zugunsten der Beklagten konnte von ihr nicht bewiesen werden
(vgl. zur Beweislast Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., § 823 Rn. 173). Wie oben ausgeführt,
geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin die Beklagte lediglich wegen des
Beiseitestoßen der 17jährigen X2 ermahnt hatte, bevor es zu der fatalen Kopfnuss kam.
Ein Rechtfertigungsgrund zugunsten der Beklagten ist damit nicht zu erkennen. Aus
denselben Gründen fehlt es auch an einem Mitverschulden der Klägerin (§ 254 BGB).
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Das Gericht geht weiter aufgrund des von den Zeugen beschriebenen
Geschehensablaufs davon aus, dass die besagte Kopfnuss zumindest mit bedingtem
Verletzungsvorsatz erfolgte. Denn wer seinen Kopf in Richtung einer dritten Person,
auch wenn möglicherweise nicht gezielt, stößt, nimmt hierbei die Verletzung anderer
Personen zumindest billigend in Kauf. Dies gilt auch, wenn die Beklagte, wie von ihr
selbst bekundet und von der Zeugin X3 bestätigt, nachtblind ist. Denn falls dies zutrifft ist
sie erst Recht zur Vorsicht verpflichtet, wenn sie ihren Kopf in von ihr nicht einsehbare
"Regionen" stößt. Tut sie dies trotzdem, lässt die Lebenserfahrung nur den Schluss zu,
dass sie die Verletzung anderer Personen damit zumindest billigend in Kauf nimmt.
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Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Gericht einerseits das vorstehend
geschilderte Verletzungsbild gewürdigt. Andererseits geht das Gericht, wie ausgeführt,
nicht von einem direkten Vorsatz der Beklagten aus. Auch eine durch Nachtblindheit
und das große Gedränge entstandene Panikreaktion der Beklagten vermag nicht
ausgeschlossen zu werden. Diese Umstände sprechen für eine zurückhaltende
Schmerzensgeldbemessung. Hinzutritt, dass die Beklagte selbst verletzt worden ist und,
wie ihr Zahnarzt, der Zeuge Dr. C, glaubhaft bekundet hat, am 4. 5. 2004 sich mit einer
starken Schwellung des rechten Unterkiefers bei ihr vorstellte (Bl. 144 d. A.). Als
Ursache kommt hierfür ein tätlicher "Racheangriff" aus dem Kreis der Begleiter der
Klägerin in Betracht, wie ihn der Zeuge O glaubhaft geschildert hat.
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An sich kann für Taten der hier vorliegenden Art durchaus ein Schmerzensgeld von
1.000 € zugesprochen werden (vgl. OLG Köln VersR 1992, 1472; OLG Koblenz NJW-
RR 1996, 1307; AG Bochum zfs 1986, 135). Die vorgenannten Umstände lassen jedoch
eine Schmerzensgeldreduzierung auf 750 € als billig und gerecht erscheinen.
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Die Forderung nach Erstattung von Behandlungskosten von 1.135,66 € ist
unsubstanziiert. Der Klägervortrag lässt nicht erkennen, in welchem Ausmaß überhaupt
von ihr selbst Behandlungskosten zu tragen sind.
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Die einzigen diesbezüglichen "Zahlen" enthält der Heil- und Kostenplan des Zeugen
Zahnarzt Dr. L vom 3. 5. 2004 (Bl. 6 ff. d. A.). Auf den Hinweis des Gerichts vom 4. 11.
2004 (Bl. 55 d. A. zu 4.), die Klägerin möge darlegen, in welchem Umfang die
Krankenkasse die angefallenen Behandlungskosten erstattet hat, ist außer der
Teilklagerücknahme vom 11. 1. 2005 (Bl. 61 d. A.) kein konkreter Sachvortrag erfolgt.
Auch das wiederholte Bestreiten der Beklagten bezüglich der geltend gemachten
Arztkosten (z. B. Bl. 97 d. A.) führte zu keinem weiteren Vortrag der Klägerin, und dies,
obwohl ihre Behandlung ausweislich der Aussage des Zeugen Dr. L bereits am 28. 6.
2004 beendet war (Bl. 145 d. A.). Es ist auch unter diesem Aspekt nicht verständlich,
weshalb die Klägerin keine konkreten "Zahlen auf den Tisch" legt, für welche
Leistungen sie den geltend gemachten Betrag erstattet haben möchte. Ihr
diesbezügliches Begehren ist deshalb als unsubstanziiert und unschlüssig
zurückzuweisen.
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Die Zinsforderung ist begründet gemäß §§ 291, 288 BGB.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3, 344,
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Streitwert: 4.115,43 €.
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