Urteil des AG Aachen vom 20.12.2004

AG Aachen: gebühr, ermessen, vergütung, verkehrsunfall, vollstreckung, verspätung, zahlungsaufforderung, ergänzung, post, haftpflichtversicherung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
Aktenzeichen:
Amtsgericht Aachen, 84 C 591/04
20.12.2004
Amtsgericht Aachen
Abteilung 84
Urteil
84 C 591/04
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 136,50 Euro zuzüglich
Verzugszinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 12.11.2004 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages
abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 313 a Absatz 1 Satz 1 ZPO
abgesehen
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist begründet.
A)
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte, die unstreitig für die Folgen des Unfalls vom
03.08.2004 zu 100 % haftet, gemäß den §§ 7 StVG, 1, 3 Ziffer 1 und 2
Pflichtversicherungsgesetz, 249 ff. BGB in Verbindung mit den Regelungen des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) einen Anspruch auf Zahlung restlichen
Anwaltshonorars in Höhe von 136,50 Euro.
1) Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers für seine Tätigkeit nach Maßgabe der
Gebührenrechnung vom 25.08.2004 (Bl. 9 d.A.) eine Geschäftsgebühr in Höhe von 1,3
nach Nr. 2400 VV, § 2 Absatz 2, 14 RVG in Ansatz gebracht hat, so ist dies nicht zu
beanstanden. Gemäß § 14 Absatz 1 Satz 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren der
Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nach
billigem Ermessen, wobei die Gebühr - wenn sie wie vorliegend von einem Dritten zu
ersetzen ist - nicht verbindlich ist, wenn sie unbillig ist. Von einer Unbilligkeit der
abgerechneten 1,3-Gebühr ist aber im vorliegenden Fall nicht auszugehen.
7
8
9
10
Dabei kann dahinstehen, ob für durchschnittliche Verkehrsunfälle - wie von der Beklagten
offenbar (durch Bezugnahme auf das den Parteien bekannte Urteil des Amtsgerichts
Gronau vom 07.10.2004) vertreten - eine 1,0-Gebühr billigem Ermessen entspricht (so wohl
auch Madert in: Schmidt/Eicken/Madert, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Auflage,
2004, § 14 RVG, Rd-Nr. 101; anderer Ansicht jedoch derselbe, a.a.O., Nr. 2400 bis 2403
VV, Rd-Nr. 96, wonach der Anwalt des Geschädigten auch in sogenannten einfachen
Regulierungssachen mindestens Anspruch auf eine 1,3-Gebühr hat). Denn darüber, ob es
sich vorliegend um einen durchschnittlichen Verkehrsunfall im vorgenannten Sinne
handelt, hatte das Gericht nicht zu befinden. Vielmehr hatte es allein darüber zu
entscheiden, ob der Ansatz der von den Prozessbevollmächtigten des Klägers geltend
gemachten 1,3-Gebühr nicht unbillig im Sinne des § 14 Absatz 1 Satz 1 RVG ist. Bei der
hiernach vorzunehmenden Überprüfung hatte das Gericht zu berücksichtigen, dass § 14
Absatz 1 Satz 1 RVG (wie § 12 Absatz 1 BRAGO) dem Anwalt bei der Bestimmung der
Gebühr ein Ermessen einräumt, so dass diese auch dann verbindlich ist, wenn die von dem
Rechtsanwalt bestimmte Gebühr eine gewisse Toleranzgrenze nicht überschreitet. Das
Gericht schließt sich insoweit der Auffassung an, dass dem Rechtsanwalt, der seine
Vergütung gemäß § 315 Absatz 1 BGB nach billigem Ermessen bestimmt, ein
20prozentiger Toleranzbereich zusteht, innerhalb dessen die Vergütungsbestimmung noch
nicht als unbillig anzusehen ist (AG Brühl, NZV 2004, 416; AG Düsseldorf, AGS 2004, 191
jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese 20 %-Grenze hat der Prozessbevollmächtigte des
Klägers mit der von ihm getroffenen Bestimmung auf eine 1,3-Gebühr jedenfalls nicht
überschritten.
Welche Gebühr der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Einzelfall verdient hat, ist gemäß §
14 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen. Zu beachten sind hierbei
vor allem der Umfang und die Schwierigkeiten der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung
der Angelegenheit, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers und
unter Umständen das besondere Haftungsrisiko des Rechtsanwalts. Die Mittelgebühr, die
bei dem vorliegend anzuwendenden VV 2400 1,5 beträgt (Madert, a.a.O., § 14 RVG, Rd-Nr.
31), soll gelten und damit zur konkreten billigen Gebühr in den "Normalfällen" werden
(Madert, a.a.O., § 14 RVG, Rd-Nr. 29). Jedes der Bemessungskriterien des § 14 RVG kann
Anlaß sein, vom Mittelwert nach oben oder unten abzuweichen, soweit ein Umstand vom
Durchschnitt abweicht (LG Flensburg, JurBüro 1976, 1504).
Vorliegend entspricht die Bestimmung der abgerechneten Gebühr mit 1,3 nach den
vorgenannten Kriterien billigen Ermessen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte den zeitlichen Aufwand durch das
übernommene Mandat zu berücksichtigen. Diesbezüglich war es nicht ermessensfehlerhaft
eine gemeinsame Besprechung mit dem Mandanten sowie die Durchsicht vorgelegter
Unterlagen ebenso zu berücksichtigen wie den Umstand, dass das vorgelegte
Sachverständigengutachten keine Angaben zum Minderwert enthielt, der Rechtsanwalt
sich mithin dazu veranlaßt sah mit Schreiben vom 13.08. um eine entsprechende
Ergänzung durch den Sachverständigen zu bitten. Insbesondere hatte der
Prozessbevollmächtigte des Klägers den Nutzungsausfall zu ermitteln, der sich
(unbestritten) nicht aus den üblicherweise verfügbaren Listen ergibt, sondern gesondert
ermittelt werden mußte. Neben der Überprüfung des von dem Sachverständigen
angegebenen Minderwertes hat der Rechtsanwalt eine entsprechende sämtliche
Schadenspositionen umfassende Zahlungsaufforderung für seinen Mandanten gefertigt. In
dem tatsächlichen Umfang hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers zutreffend auch die
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit berücksichtigt. Hierbei hat er die Haftungsfrage
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
(unbestritten) geklärt. Auch hat er den Schadensumfang ermittelt und geltend gemacht. Der
Angelegenheit kam eine besondere Bedeutung nicht zu. Jedoch ist das Jahreseinkommen
des Klägers 75.000,00 Euro brutto überdurchschnittlich, was der Prozessbevollmächtigte
des Klägers ebenfalls zu berücksichtigen hatte. Für die gleiche Leistung hat ein
wirtschaftlich gut gestellter Auftraggeber eine höhere Vergütung zu entrichten als ein wenig
bemittelter Mandant (LG Klewe, NJW 1954, 1260). Das diesbezügliche Bestreiten der
Beklagten, erstmals mit Schriftsatz vom 16.12.2004, ist gemäß § 296 ZPO verspätet. Denn
bereits mit der Klageschrift vom 04.11.2004 (Bl. 6 d.A.) hat der Kläger diesen Umstand
vorgetragen. Mit Beschluss vom 08.11.2004 ist die Beklagte darauf hingewiesen worden,
das Schriftsätze, die nach Ablauf, der auf den 06.12.2004 bestimmten Frist, eingehen
wegen Verspätung unberücksichtigt bleiben können.
Mithin ergibt sich folgender berechtigter Gebührenanspruch des Bevollmächtigten des
Klägers aus einem Gegenstandswert von 4.432,26 Euro:
- Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV: 354,90 Euro
- Post- und Telekommunikationsentgelt gemäß Nr. 7200 VV 20,00 Euro
Zwischensumme: 374,90 Euro
Umsatzsteuer war wegen der Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers nicht zu ersetzen.
insgesamt: 374,90 Euro
darauf hat die Beklagte gezahlt: 238,40 Euro
mithin besteht noch ein Restanspruch von: 136,50 Euro
2) Es kann dahinstehen, ob der Kläger die streitgegenständliche Rechnung gegenüber
seinem Prozessbevollmächtigten beglichen hat oder ob lediglich eine Naturalrestitution im
Wege der Forderungsfreistellung gefordert werden kann. Dem Kläger steht letztlich nämlich
gemäß § 250 BGB zumindest ein Zahlungsanspruch zu. Zwar wurde die Beklagte letztlich
mit Schreiben vom 25.08.2004 unter Fristsetzung bis zum 01.09.2004 nur zur Zahlung und
nicht zur Freistellung aufgefordert. Die Beklagte hat jedoch spätestens mit
Klageerwiderung vom 23.11.2004 klar zum Ausdruck gebracht, dass sie die
Schadensübernahme insgesamt ablehnt. In diesen Fällen kann der Gläubiger unmittelbar
Geldersatz fordern, da die Aufforderung zur Herstellung bloße Förmelei wäre. Die
Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung im Sinne des § 250 BGB ist bereits entbehrlich,
wenn der Schuldner die Leistung von Schadensersatz oder Naturalrestitution ernsthaft und
endgültig verweigert (Palandt/Heinrichs, § 250 BGB, Rd-Nr. 2).
3) Ferner war das Gericht bei dieser Sachlage nicht verpflichtet, zur Schätzung der Höhe
der Rahmengebühr ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer einzuholen, da es sich um
einen Rechtsstreit zwischen Geschädigtem und Schädiger bzw. dessen
Haftpflichtversicherung handelt (OLG Hamm, ZVS 1992, 23).
II. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 291, 288 Absatz 1 BGB.
B)
I. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Absatz 1 Satz 1 1.
Halbsatz, 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
24
25
26
27
II. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 511 Absatz 4 ZPO
nicht vorliegen. Eine Entscheidung der Berufungsinstanz ist insbesondere schon allein
deshalb nicht erforderlich, weil der Gesetzgeber einen weiten Gebührenrahmen von 0,5 bis
2,5 festgesetzt hat. Mithin kann von einem bestimmten Ersatz für eine bestimmte Tätigkeit
(Verkehrsunfall) nicht die Rede sein. Vielmehr ist jeder Fall nach dem neuen
Gebührenrecht des RVG ein Einzelfall.
Streitwert: 136,50 Euro
Dr. N2
Richter