Rechtsanwalt Mathias Münch

BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN
10117, Berlin
Rechtsgebiete
Immobilien, Baurecht, Architektenrecht Wohnungseigentumsrecht Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht
21.10.2015

Eigenbedarf, Beschlagnahme, Enteignung – Was darf der Staat?

Aus der westfälischen Kleinstadt Nieheim und der Gemeinde Eschbach in Südbaden sind Fälle von Eigenbedarfskündigungen bekannt geworden, die die Republik erschüttert haben. Eingesessene Mieter in kommunalen Wohnungen sollen räumen, damit an ihrer Stelle Flüchtlinge einziehen können. Hamburg hat ein Gesetz zur Beschlagnahme von Wohnungen beschlossen, Berlin und Bremen diskutieren ähnliche Schritte. Sogar das böse Wort „Enteignung“ macht die Runde. Was darf die öffentliche Hand, um Flüchtlinge in privaten Immobilien unterzubringen?

Die Begründung „Eigenbedarf“ zwecks Unterbringung von Flüchtlingen ist mit dem Gesetz schwer vereinbar. Wohnraum kann wegen Eigenbedarfs gekündigt werden, wenn der Vermieter „die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt“, so § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Offenbar zielt das Gesetz auf den Vermieter als natürliche Person oder Personenvereinigung, z.B. in Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Eine GbR kann eine Eigenbedarfskündigung aussprechen (BGH v. 27.6.2007 – VIII ZR 271/06), denn die GbR darf nicht schlechter gestellt werden als eine reine Gemeinschaft von Miteigentümern, z.B. Erbengemeinschaft. Es genügt, wenn ein einzelner GbR-Gesellschafter die Wohnung benötigt und die Gesellschaft aus diesem Grund den Mietvertrag kündigt. Dagegen können Handels- oder Kapitalgesellschaften (oHG, KG, GmbH, AG) – ebenso wenig „wohnen“ wie Städte und Gemeinden. Juristische Personen und Gebietskörperschaften haben keinen Lebensmittelpunkt, keine Familie und keine Haushaltsangehörigen. Die Eigenbedarfskündigung steht ihnen deshalb nicht zu (so für die GmbH & Co. KG: BGH v. 15.12.2010 – VIII ZR 210/10).

Ordentliche Eigenbedarf-Kündigung zwecks Erfüllung hoheitlicher Aufgaben

Allerdings sind die Kündigungsgründe des § 573 Abs. 2 BGB nicht abschließend: Es ist möglich, dass der Vermieter ein anderes berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Benötigt z.B. eine Stadt oder Gemeinde eine Wohnung zur Erfüllung der ihr obliegenden öffentlich-rechtlichen („hoheitlichen“) Aufgaben, kann das einen Kündigungsgrund darstellen. Der BGH hielt z.B. die Kündigung eines Mietvertrages durch eine Kirchengemeinde für berechtigt, die die Unterbringung einer diakonischen Einrichtung („Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen“) zum Ziel hatte (BGH v. 9.5.2012 – VIII ZR 238/11). Die Kündigung durch eine Gemeinde, die Räume für den Unterricht der örtlichen Feuerwehr benötigt, hatte das BayObLG gebilligt (Entscheidung vom 21.11.1980 – Allg. Reg. 83/80). Bislang wurde aber durch die Obergerichte noch keine Kündigung bestätigt, bei der Bestandsmieter eine Wohnung verlassen müssen, damit diese anderen Mietern überlassen werden kann. Hier stehen die Interessen des Altmieters gegen die Interessen der Unterbringung des neuen Mieters, alteingesessene Bürger gegen Neuankömmlinge (Flüchtlinge). Abgesehen von der hohen politischen Brisanz ist höchst zweifelhaft, dass eine solche Konstellation die Stadt oder Gemeinde zur ordentlichen Kündigung berechtigen soll.

Beschlagnahme von Wohnungen als letztes Mittel

Die Klippen des sozialen Mietrechts zu umschiffen, ist schwierig. Jetzt den vernachlässigten öffentlichen Wohnungsbau anzukurbeln, kommt zu spät. Als Lösung erscheint manchen Städten und Gemeinden dagegen ein staatlicher Eingriff, durchsetzbar mit den Zwangsmitteln des Polizei- und Ordnungsrechts: die Beschlagnahme von Immobilien. Hamburgs Bürgermeister verteidigt die Zwangsöffnung einer leer stehenden Tennishalle zur Flüchtlingsunterbringung, der Berliner Senat rechtfertigt die Beschlagnahme einer früheren Sparkasse. Solche Maßnahmen gegen Dritte, die das Ordnungsrecht nicht selbst als Störer ansieht, sind in den Sicherheits- und Ordnungsgesetzen der Länder geregelt. § 10 Abs. 2 des Hamburger SOG erlaubt es, Unterkünfte „heranzuziehen“, aber nur dann, wenn „auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht abgewehrt oder eine Störung nicht beseitigt werden kann“, § 10 Abs. 1 SOG. Nach dem gerade beschlossenen neuen § 14a SOG sollen nur ungenutzte Immobilien beschlagnahmt werden können. Auch in Berlin sind Maßnahmen gegen Nichtstörer möglich, um „eine gegenwärtige erhebliche Gefahr“ abzuwenden, aber nur, wenn die Behörde die Gefahr nicht selbst abwenden kann und die betroffenen Bewohner, Eigentümer usw. selbst nicht gefährdet werden, § 16 Abs. 1 ASOG. Die Beschlagnahme einer bewohnten Wohnung ist damit ausgeschlossen (so auch Beuermann, Grundeigentum 2015, 1139). Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen Wohnungen und Nichtwohnraum, so dass Lager- und Sporthallen, Gewerberäume oder auch leerstehende Wohnungen betroffen sein können. Solange die Stadt oder Gemeinde nicht alle anderen Möglichkeiten der Unterbringung – z.B. in eigenen Räumen – ausgeschöpft hat, ist eine Beschlagnahme privater Immobilien nicht zulässig. Notfalls müssen Behörden Ersatzunterkünfte schaffen, z.B. bauen oder mieten. Außerdem muss die Maßnahme aufgehoben werden, sobald die Behörde alternative Möglichkeiten hat (so für Berlin: § 16 Abs. 2 ASOG). Die Beschlagnahme von Räumen ist also das letzte Mittel, zu ergreifen gegen eine „angemessene Entschädigung“ (Hamburg: § 10 Abs. 3 SOG; Berlin: § 59 Abs. 1 ASOG).

Und was ist mit Enteignung?

Die Enteignung ist der schwerste Eingriff in das Eigentumsrecht nach Art. 14 GG. Das Grundgesetz sagt: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.“ Ein Bundesgesetz zur Enteignung von Privateigentum zwecks Unterbringung von Flüchtlingen gibt es nicht und scheint auch nicht geplant zu sein. Enteignungen sind bis dato (abgesehen von reißerischen Presseberichten, z.B. im FOCUS vom 16.09.2015: „Enteignung erlaubt! Wann der Staat Vermietern Flüchtlinge aufzwingen darf“) kein Thema der Flüchtlingsunterbringung.

Rechtsanwalt Mathias Münch
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Miet- und WEG-Recht
BRL BOEGE ROHDE LUEBBEHUESEN, Berlin

Veröffentlicht in: RDM-Newsletter, Oktober 2015

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