martina heck

12.10.2015

Kosten der künstlichen Befruchtung in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft: Keine aussergewöhnlichen Belastungen

Das Finanzgericht Münster hat entschieden, dass Aufwendungen einer in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebenden Frau für eine künstliche Befruchtung unter Verwendung von Samenzellen eines Spenders keine außergewöhnliche Belastung im Sinne des Einkommensteuerrechts sind.

Das Gericht hate die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist das Tatbestandsmerkmal der Zwangsläufigkeit erfüllt, wenn die in § 33 Abs. 2 S. 1 EStG aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen, d.h. vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig, auf seine Entschließung in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht auszuweichen vermag. Die Aufwendungen müssen einen Bereich der Lebensführung betreffen, welcher der individuellen Gestaltung des Steuerpflichtigen entzogen ist. Eine Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen liegt nicht vor, wenn die Aufwendungen nicht durch ein unausweichliches Ereignis wie Katastrophen, Krankheit oder andere Gesundheits- und Lebensbedrohungen ausgelöst wurden.

In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten – ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung – dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht werden, die Krankheit erträglich zu machen. Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch indizierte Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. So werden auch dann Aufwendungen regelmäßig als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, wenn durch sie der körperliche Mangel nicht behoben, sondern „umgangen“ oder kompensiert wird.

Auch Aufwendungen eines verschiedengeschlechtlichen Paares für eine medizinisch angezeigte homologe künstliche Befruchtung, d.h. unter Verwendung der Eizelle der empfängnisunfähigen Frau und der Samenzellen des männlichen Partners, oder für eine heterologe künstliche Befruchtung, d.h. unter Verwendung von Samenzellen eines Spenders, können als Krankheitskosten zu beurteilen und damit als steuermindernde außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu berücksichtigen sein. Der Bundesfinanzhof ordnet insoweit die organisch bedingte Sterilität eines Partners als Krankheit ein. Denn die Fortpflanzungsfähigkeit ist für verschiedengeschlechtliche Paare, die sich in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts gemeinsam für ein eigenes Kind entscheiden, eine biologisch notwendige Körperfunktion. Kinder zu haben und aufzuziehen bedeutet nach Auffassung des BFH unabhängig vom Familienstand für viele Menschen eine zentrale Sinngebung ihres Lebens. Da die heterologe Insemination die gestörte Fertilität der Spermien durch einen ärztlichen Eingriff ersetzt und damit in ihrer Gesamtheit dazu dient, eine durch Krankheit behinderte Körperfunktion zu ersetzen, stellt sie eine medizinische Maßnahme zur Beseitigung der unmittelbaren Krankheitsfolge der Kinderlosigkeit eines verschiedengeschlechtlichen Paares dar. Gleiches gilt bezüglich der homologen/heterologen IVF. Diese stellt ebenfalls einen ärztlichen Eingriff dar, durch den der normale Befruchtungsvorgang durch Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers ersetzt wird.

Demgegenüber kommt der Kinderlosigkeit eines Paares nach der Rechtsprechung des BFH nicht selbst Krankheitswert zu. Dementsprechend stellen Aufwendungen, die einem – verschiedengeschlechtlichen – Paar aufgrund der Adoption eines Kindes im Falle organisch bedingter Sterilität eines Partners entstehen, keine Krankheitskosten im Sinne dieser Rechtsprechungsgrundsätze dar. Denn zum einen liegt weder eine medizinische Leistung vor noch kann der Vorgang einer Adoption einer solchen gleichgestellt werden. Zum anderen betreffen die Aufwendungen nicht einen Bereich der Lebensführung, der der individuellen Gestaltung des Steuerpflichtigen entzogen ist.

Überträgt man die oben dargestellten Rechtsgrundsätze auf den Streitfall, sind die Kosten, welche der Klägerin für die Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft entstanden sind, nicht als Aufwendungen im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG anzusehen.

Zwar war die Klägerin im Streitjahr wegen einer primären Sterilität empfängnisunfähig. Diese Empfängnisunfähigkeit hat auch grundsätzlich einen Krankheitswert. Weiter war nach Überzeugung des erkennenden Senats die durchgeführte IVF aus medizinischer Sicht erforderlich, um eine Schwangerschaft bei der Klägerin herbeizuführen. Die IVF stellt eine Heilbehandlung dar. Anhaltspunkte dafür, dass die medizinischen Maßnahmen im Streitfall gegen deutsche Gesetze, insbesondere gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen haben, sind nicht ersichtlich und wurden von dem Beklagten auch nicht substantiiert behauptet. Die Klinik in Dänemark, in der sich die Klägerin medizinisch behandeln ließ, unterlag ferner der Kontrolle dänischer Gesundheitsbehörden. Die IVF wurde auch unstreitig von qualifizierten Ärzten durchgeführt.

Jedoch fehlt es im Streitfall an der für die Anerkennung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung erforderlichen Zwangsläufigkeit zwischen der Krankheit der Klägerin und den geltend gemachten Kosten. Denn die Kinderlosigkeit der Klägerin war nicht unmittelbare und ausschließliche Folge ihrer krankheitsbedingten Unfruchtbarkeit. Vielmehr war die Kinderlosigkeit der Klägerin zugleich maßgeblich darin begründet, dass sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, in der die Zeugung eines Kindes auf natürlichem Wege ausgeschlossen ist. Der Kinderwunsch des Paares im Streitfall hätte sich ohne Verwendung von Samenzellen eines Spenders selbst dann nicht erfüllt, wenn die Klägerin empfängnisfähig gewesen wäre und auf natürlichem Wege hätte schwanger werden können. Aus dieser Tatsache und aus dem Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Kinderlosigkeit allein keine Krankheit darstellt, folgt nach Auffassung des erkennenden Senats, dass die IVF das Ziel im Sinne der Rechtsprechung, die ausschließlich krankheitsbedinge Kinderlosigkeit des Paares zu beseitigen, im Streitfall nicht erreichen konnte und nicht als zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG angesehen werden kann. Vielmehr diente sie in erster Linie der Realisierung des Kinderwunsches. Dass die IVF gleichwohl zu einer erfolgreichen Schwangerschaft bei der Klägerin hätte führen können, ist für die steuerliche Beurteilung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen unbeachtlich.

Die geltend gemachten Aufwendungen sind der Klägerin auch nicht aus anderen Gründen zwangsläufig erwachsen. Sie sind weder aus rechtlichen noch sittlichen Gründen zwangsläufig. Es besteht kein rechtliches oder sittliches Gebot, ein Kind aufzuziehen. Die Aufwendungen der Klägerin sind auch nicht aus anderen tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Der Entschluss, den Kinderwunsch durch eine IVF unter Verwendung von Samenzellen eines Spenders zu verwirklichen, beruht im Streitfall auf einer freiwilligen Entscheidung und ist mithin dem Bereich der individuell gestaltbaren Lebensführung zuzurechnen.

Aus den oben genannten Gründen kann dahingestellt bleiben, ob bezüglich der durchgeführten Heilbehandlung – insbesondere bezüglich der IVF – für die Anerkennung der Kosten als außergewöhnliche Belastung weitere Voraussetzung ist, dass die Heilbehandlung von einer zur Ausübung der Heilkunde zugelassenen Person entsprechend den Richtlinien der Berufsordnung der zuständigen Ärztekammer durchgeführt wurde. Das Finanzgericht Münster brauchte daher nicht zu entscheiden, ob die im Streitfall relevante, von der zuständigen Landesärztekammer erlassene Berufsordnung für Ärzte gegen höherrangiges Recht verstößt, soweit sie Methoden der assistierten Reproduktion bei einer unverheirateten Frau, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, ausschließt.

Die Nichtberücksichtigung der Aufwendungen verstößt nach Auffassung des Finanzgerichts Münster auch nicht gegen Verfassungsrecht. Der gerügte Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor, weil die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber in verschiedengeschlechtlicher Partnerschaft lebenden Frauen wegen der unterschiedlichen biologischen Ausgangslage und den sich daraus ergebenden Folgen (Vorrang der Krankheitsbehandlung einerseits, Vorrang der Realisierung des Kinderwunsches andererseits) gerechtfertigt ist. Dem steht auch die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern sowie zur Gleichstellung von leiblichen Eltern und eingetragenen Lebenspartnern nicht entgegen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat sich insoweit nicht mit Fragen betreffend die Begründung einer familienrechtlichen Beziehung befasst. Vielmehr hat es in mehreren Entscheidungen zu Fallkonstellationen entschieden, in denen eheähnliche oder familienähnliche Strukturen bereits bestanden, und zu der Frage, inwieweit die ehe- und familienbegünstigenden Regelungen auf diese Strukturen Anwendung finden.

Es liegt ferner kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG vor. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat nicht verpflichtet, das Entstehen von Familien durch Förderung von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zu unterstützen.

Weiter kann dahingestellt bleiben, ob der Anerkennung der streitrelevanten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung entgegen steht, dass die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung, die vor Beginn der Maßnahme (IVF) ausgestellt wurde, nicht vorgelegt hat. Insoweit kann offen bleiben, ob die IVF als Heilbehandlung überhaupt unter die Vorschrift des § 64 Abs. 1 S. 2 EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 01.11.2011 fällt. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Vorschrift des § 64 Abs. 1 S. 2 EStDV für die Zeit nach dem Ergehen der Urteile des Bundesfinanzhofs vom 11.11.2010 bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss vom 01.11.2011 bzw. der Verkündung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 am 04.11.2011 oder jedenfalls bis zu entsprechenden Gesetzesinitiative (Prüfbitte des Bundesrates vom 18.03.2011) gilt.

Finanzgericht Münster, Urteil vom 23.07.2015 – 6 K 93/13 E