martina heck

07.08.2015

Ein Hund ist nur dann abrufbar, wenn er den gehörten Befehl auch sofort ausführt

Wer kennt es nicht?

„Fluffy, komm … komm Fluffy, hierher … Fluffy, komm jetzt“…

Doch Fluffy hat häufig andere Vorstellungen. Das kann zu Haftungsproblemen führen, über die dann Gerichte zu entscheiden haben.

Wir hatten hier bereits mehrfach über die Frage der Haftung bei Stürzen im Zusammenhang mit Hunden berichtet (zum Beispiel hier, hier und hier).

Nun hat das Landgericht Tübingen mit einem zwischenzeitlich rechtskräftigem Grundurteil entschieden,dass, steht der Sturz eines Radfahrers in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Begegnung mit einem freilaufenden Hund, ein Anscheinsbeweis für die Verursachung des Sturzes durch den Hund besteht.

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht Tübingen einen Hundehalter zum Schadenersatz verurteilt.

In dem entschiedenen Fall war die Klägerin am Unfalltag mit ihrem Ehemann mit dem Fahrrad unterwegs. Sie befuhr einen landwirtschaftlichen Weg, der asphaltiert ist und seitlich in die angrenzenden Wiesengrundstücke flach ausläuft. Der Weg ist für die Benutzung durch Radfahrer freigegeben, ebenso für landwirtschaftlichen Verkehr und selbstverständlich für Fußgänger.

Gemäß der Polizeiverordnung der Gemeinde sind außerhalb des Innenbereichs Hunde an der Leine zu führen, sofern sie nicht in Begleitung einer Person sind, die durch Zuruf auf das Tier einwirken kann.

Zum Unfallzeitpunkt ging der Beklagte in gleicher Richtung mit seinem Hund, einem Hund der Rasse Germanischer Bärenhund, den Weg entlang. Der Beklagte selbst lief am rechten Rand des Weges, sein Hund lief am linken Rand des Weges und zog die Leine, die der Beklagte nicht in der Hand hielt, als „Schleppleine“ hinter sich her. Der Hund befand sich ca. 10 m vor dem Beklagten. Die Klägerin betätigte die Fahrradklingel, der Beklagte pfiff seinem Hund, der aber zunächst links blieb. Als sich die Klägerin bis auf wenige Meter im mittleren Bereich des Weges dem Hund genähert hatte, lief dieser nach rechts und es kam zum Sturz der Klägerin, die stark bremsen musste.

Die Klägerin erlitt diverse Verletzungen, die zum Teil operativ versorgt werden mussten.

Das Landgericht Tübingen sah eine (100%ige) Haftung des Hundehalters als gegeben an.

Der Sturz der Klägerin und ihre Begegnung mit dem freilaufenden Hund des Beklagten stand in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang. Unter diesen Umständen spricht bereits ein Anscheinsbeweis für die Verursachung des Sturzes durch den Hund, weil dieser nicht mit einer Leine mit dem Beklagten verbunden war, sondern vielmehr die Leine, insoweit gefahrerhöhend, hinter sich herzog, obwohl gemäß der Polizeiverordnung der Gemeinde auf diesem Weg der Hund angeleint hätte sein müssen. Die Voraussetzungen nach der Polizeiverordnung, unter denen der Hund hätte frei laufen dürfen, waren, wie sich aus dem unstreitigen Sachverhalt ergibt, ersichtlich nicht gegeben. Der Hund war gerade nicht so ausgebildet, dass er jederzeit durch Zuruf zu einem Verhalten veranlasst werden konnte, das die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeidet. Der Hund hat auf den Pfiff zunächst überhaupt nicht reagiert, danach hat er in einer für das Tier typischer Weise unberechenbaren und nicht dem Denken eines Verkehrsteilnehmers entsprechenden Art und Weise reagiert und damit auch zugleich die typische Tiergefahr verwirklicht. Die Polizeiverordnung stellt ein Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB dar. Der Anscheinsbeweis ist auch nicht erschüttert worden durch die Einlassung des Beklagten.

Der Beklagte haftet danach gem. § 833 BGB für die Folgen des von seinem Hund verursachten Unfalls. Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt mit Urteil vom 04.06.2002 eine andere Betrachtungsweise vornimmt, ist das Landgericht Tübingen dem nicht gefolgt. Das Oberlandesgericht Frankfurt legt dabei eine Handlungsweise des Hundes zu Grunde, die eher einem menschlichen Verkehrsteilnehmer entspricht. So wird dort ausgeführt, dass im dortigen Fall das Tier, wie auch hier, für die Klägerpartei über einen längeren Zeitraum gut sichtbar gewesen ist und das Verhalten des Tieres für den Kläger vorhersehbar gewesen ist. Der vorliegende und hier zu entscheidende Fall zeigt geradezu beispielhaft, dass das Tier sich eben nicht wie ein menschlicher Verkehrsteilnehmer verhält, sondern urplötzlich und unkalkulierbar sowie unvorhersehbar in die eine oder andere Richtung, aus welchen Gründen auch immer, von seiner bis dahin gewählten Streckenführung abrupt abweichen kann. Dies stellt gerade das tierische Verhalten dar. Dessen unberechenbares Risiko wollte der Gesetzgeber nicht Dritten, sondern dem Tierhalter zuweisen.

Der Beklagte hat zudem vorliegend auch fahrlässig im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB gehandelt. Die Fahrlässigkeit bestand zum einen darin, den nicht ausreichend folgsamen Hund auf dem auch von Radfahrern frequentierten Weg frei laufenzulassen, zumal entgegen der Polizeiverordnung; die Fahrlässigkeit wird noch dadurch erhöht, dass der Hund die Leine hinter sich herziehen durfte, was im Zusammentreffen mit Radfahrern die Gefährdungssituation für die Radfahrer noch weiter erhöhen kann, wenn beispielsweise die Leine sich mit dem Fahrrad verhakt oder beim Queren des Weges durch den Hund den Weg vollständig sperrt. Die hinter dem Hund hergeschleppte Leine macht zudem insoweit ein Ausweichen oder Passieren für den Radfahrer nochmals deutlich schwerer. Der Fahrlässigkeitsvorwurf erhöht sich noch dadurch, dass der freilaufende Hund nicht auf der Straßenseite lief, die der Beklagte benutzte, sondern die gegenüberliegende Straßenseite benutzte, so dass er zwangsläufig bei jedem Zuruf, auch wenn er diesen ordnungsgemäß gefolgt hätte, den restlichen Verkehrsraum zwischen der linken und der rechten Straßenseite hätte queren (und mit der Schleppleise sperren) müssen, das heißt genau den Verkehrsraum, den andere Passanten und Verkehrsteilnehmer hätten nutzen müssen.

Die Klägerin muss sich auch kein Mitverschulden gem. § 244 BGB entgegenhalten lassen. Irgendeine fehlerhafte Verhaltensweise, konkret eine anders mögliche, den Unfall vermeiden könnende Fahrweise, ist weder substantiiert vorgetragen noch bewiesen worden. Der Klägerin hätte allein vorgeworfen werden können, ihr Fahrrad bei Annäherung an den die Schleppleine hinter sich herziehenden Hund ihr Fahrrad nicht komplett zum Stillstand gebracht zu haben, abgestiegen zu sein und das Fahrrad dann vorsichtig am Hund entlang geschoben zu haben. Eine derartige Verhaltensweise widerspricht jedoch der Teilnahme am Verkehr auf einem asphaltierten landwirtschaftlichen Verbindungsweg. Es ist weder eine straßenverkehrsrechtliche Vorschrift noch eine Sorgfaltspflicht erkennbar oder begründbar, die von einem Radfahrer mehr verlangen würde, als seine Geschwindigkeit zu reduzieren und langsam zu passieren.

Landgericht Tübingen, Urteil vom 12.05.2015 – 5 O 218/14