martina heck

25.09.2015

Ein Beißvorfall als solcher genügt in Niedersachsen für die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes

Zu der Frage, wann ein Hund „gefährlich“ im Sinne des Niedersächsischen Gesetzes über das Halten von Hunden (NHundG) ist und welche Ermittlungspflichten der Behörde obliegen, hat sich erneut das Oberverwaltungsgericht Lüneburg geäußert.

Für den Geltungsbericht des NHundG hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass sich die Prüfungspflicht der Fachbehörde nach § 7 Abs. 1 S. 1 NHundG auf die näheren Umstände beschränkt, die Gegenstand des Hinweises auf eine gesteigerte Aggressivität des Hundes sind. Für die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG ist der konkrete Nachweis einer gesteigerten Aggressivität dagegen nicht erforderlich.

In dem konkreten Fall hatte das Verwaltungsgericht Stade die Klage gegen den die Gefährlichkeit des Hundes „D.“ des Klägers feststellenden Bescheid im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, die Prüfung des Beißvorfalls vom 14.05.2013 habe Tatsachen ergeben, die gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG den Verdacht rechtfertigten, dass von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe. Angesichts der Gesetzesfassung sei ein bloßer Gefahrenverdacht ausreichend und mithin die Amtsermittlungspflicht begrenzt, eine Ausnahmesituation sei nicht gegeben gewesen. Insbesondere sei weder die Durchführung einer Verhaltensprüfung Voraussetzung für die Feststellung der Gefährlichkeit, noch sei eine gleichwohl durchgeführte und bestandene Verhaltensprüfung ebenso wenig wie ein Wesenstest geeignet, die Gefährlichkeit des Hundes zu widerlegen.

Der hiergegen gerichtete Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hatte beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg nun keinen Erfolg.

Der Kläger hatte moniert, der Beklagte sei seiner bestehenden Prüfungspflicht nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen.

Dem ist das Oberverwaltungsgericht nicht gefolgt. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 NHundG hat die Fachbehörde, wenn sie einen Hinweis darauf erhält, dass ein Hund, der von einer Hundehalterin oder einem Hundehalter nach § 1 Abs. 2 NHundG gehalten wird, eine gesteigerte Aggressivität aufweist, insbesondere Menschen oder Tiere gebissen (Alt. 1) oder sonst eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust oder Schärfe gezeigt hat (Alt. 2), den Hinweis zu prüfen. Ergibt die Prüfung nach Satz 1 Tatsachen, die den Verdacht rechtfertigen, dass von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, so stellt die Fachbehörde fest, dass der Hund gefährlich ist (§ 7 Abs. 1 S. 2 NHundG). Wie das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 18.01.2012 im Einzelnen dargelegt hat, sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG grundsätzlich bereits dann erfüllt, wenn der betroffene Hund ein anderes Tier (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 NHundG) nicht nur ganz geringfügig verletzt hat. Gleiches gilt im Fall der – hier gegebenen – Verletzung eines Menschen. Ob der Hund tatsächlich gefährlich ist, ist erst im Rahmen des Wesenstests nach § 13 NHundG zu überprüfen, sodass es für die Feststellung der Gefährlichkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG nicht einer abschließenden Prüfung bedarf, ob das von dem Hund bei dem Beißvorfall gezeigte Verhalten eine gesteigerte Aggressivität oder eine über das natürliche Maß hinausgehende Angriffslust aufweist.

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht Stade zu Recht angenommen, dass bereits die vorliegenden Tatsachen den Verdacht rechtfertigen, dass der Hund des Klägers gefährlich ist. Nach den sich aus den Verwaltungsvorgängen ergebenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass der Hund des Klägers am 14.05.2013 gegen 18.00 Uhr Frau E. F. zweimal in die rechte Hüfte und den rechten Oberschenkel gebissen hat. Dies stellt der Kläger nicht in Abrede, sondern zweifelt lediglich die Umstände des Vorfalls im Einzelnen an. Seiner Annahme, der Beißvorfall sei nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut aber lediglich ein Anlass für weitergehende Ermittlungen, insbesondere müsse dem betroffenen Hundehalter die Möglichkeit eingeräumt werden, den Verdacht durch weitere Ermittlungen zu entkräften, um auf diese Weise die Feststellung der Gefährlichkeit abzuwenden, folgt der Senat nicht. Nach der Systematik des Gesetzes stellt der Hinweis auf eine gesteigerte Aggressivität eines Hundes zwar den Anlass für die nähere Prüfung dar. Diese Prüfung bezieht sich aber lediglich auf die näheren Umstände, die Gegenstand des Hinweises sind. In diesem Rahmen obliegt es dem Landkreis als zuständiger Behörde, die gesamten Umstände des Vorfalles aufzuklären und hierbei sowohl belastende als auch entlastende Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Daher begegnet die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Durchführung einer „Verhaltensprüfung“ sei keine Voraussetzung für die Feststellung der Gefährlichkeit und das positive Ergebnis einer solchen gleichwohl erfolgten Prüfung sei nicht geeignet, die Gefährlichkeit des Hundes zu widerlegen, keinen rechtlichen Bedenken. Gleiches gilt für die – vom Kläger aufgeworfene und verneinte – Frage, ob eine derartige Prüfung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

In der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg ist bereits geklärt, dass die Vorschrift des § 7 NHundG in dem aufgezeigten Sinn verfassungsgemäß ist und insbesondere nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Übermaßverbot verstößt. Der Gesetzgeber ist angesichts seines im Ordnungsrecht bestehenden weiten Gestaltungsspielraums berechtigt, im Gefahrenabwehrrecht auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten Maßnahmen der Gefahrenvorsorge zu treffen und an bestehende Verdachtsmomente, wie hier im Falle der Bissigkeit eines Hundes nach § 7 NHundG, bestimmte Rechtsfolgen wie etwa einen Erlaubnisvorhalt nach § 8 NHundG zu knüpfen. Es ist Sache des Gesetzgebers, im Hinblick auf den jeweiligen Lebensbereich darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau und auf welche Weise Situationen entgegengewirkt werden soll, die nach seiner Einschätzung zu Schäden führen können. Die Anforderungen an die Gewissheit seiner Annahmen und den Grad der geforderten Wahrscheinlichkeit richten sich nach der Art der zu ergreifenden Maßnahme. Der niedersächsische Gesetzgeber hat sich in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dafür entschieden, das Gefahrenabwehrrecht bei von Hunden ausgehenden Gefahren als Gefahrenvorsorge auszugestalten. Entgegen der Ansicht des Klägers ist er bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Vorschriften nicht gehalten, die endgültige Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes unter den Vorbehalt einer weiteren nachträglichen Überprüfung zu stellen und die aufgrund der bestehenden Hinweise erfolgende Prüfung im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG nicht ausreichen zu lassen. Denn dem Gesetzgeber steht nicht nur bei der Festlegung der von ihm ins Auge gefassten Regelungsziele, sondern auch bei der Beurteilung dessen, was er zur Verwirklichung dieser Ziele für geeignet und erforderlich halten darf, ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten reicht es daher aus, dass der niedersächsische Gesetzgeber bei Nachweis, dass ein als gefährlich eingestufter Hund den Wesenstest nach § 13 NHundG bestanden hat, die Möglichkeit eröffnet, den Leinenzwang ganz oder teilweise aufzuheben, und auf diese Weise die Auswirkungen der Feststellung der Gefährlichkeit für Tierhalter und Hund mindert.

Das Verwaltungsgericht Stade hat zudem unter Würdigung der Gesamtumstände des Beißvorfalls vom 14.05.2013 rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass und warum die Reaktion des Hundes nicht als artgerechtes Verhalten gewertet werden kann. Hierzu hat das Verwaltungsgericht Stade unter anderem ausgeführt, dass eine zweimalige Beißreaktion kein artgerechtes Verhalten von „D.“ darstelle, selbst wenn die Geschädigte zunächst den Sohn des Klägers angerempelt und sodann mit den Füßen nach dem im öffentlichen Verkehrsraum befindlichen, nicht mehr an der Leine gehaltenen Hund getreten haben sollte. Auch die Schwere der Bissverletzungen spreche gegen ein artgerechtes Abwehrverhalten des Hundes. Deshalb ist die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, die seitens des Beklagten vorgenommene Prüfung des Sachverhalts sei fehlerfrei, ihrerseits ohne ersichtliche Rechtsfehler und der gegenteilige Standpunkt des Klägers unberechtigt.

Die Berufung war daher nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Stade nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Nach dem oben Gesagten bedarf es keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens zur Auslegung der Vorschriften des Niedersächsischen Hundegesetzes und insbesondere wegen der von dem Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Frage, „ob ein Hund im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG auch dann als gefährlich einzustufen ist, wenn sowohl die ‚Verhaltensprüfung‘ als auch der Wesenstest zu dem Ergebnis kommen, dass der Hund nicht gefährlich ist und kein gesteigertes Aggressionspotenzial erkennbar ist“. Diese Fragen sind in der Rechtsprechung des beschließenden Senats hinreichend geklärt und lassen sich auf dieser Grundlage ohne Weiteres beantworten. Der Kläger hat in der Begründung seines Zulassungsantrages keine durchgreifenden Gesichtspunkte aufgezeigt, die einer erneuten Überprüfung im Berufungsverfahren bedürfen.

Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 30.06.2015 – 11 LA 250/14