martina heck

17.09.2015

Behördlich angeordnete Tötung eines Hundes ohne rechtskräftig abgeschlossenes Klageverfahren

Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Behörde nach Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes dessen Tötung anordnen. Ferner kann unter gewissen Voraussetzungen die sofortige Vollziehung behördlicher Massnahmen angeordnet werden.

Nun stellt sich die Frage, ob eine Behörde hinsichtlich der von ihr angeordneten Tötung eines – nach ihrer Auffassung gefährlichen – Hundes die sofortige Vollziehung anordnen kann, obgleich noch gar nicht im Rahmen eines Hautsachverfahrens geklärt wurde, ob überhaupt eine Gefährlichkeit im Sinne des Gesetzes vorliegt.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat dies bejaht und eine entsprechende Anordnung der Stadt Duisburg im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (Klageverfahren ist ebenfalls anhängig) bestätigt (und sich hierbei im Wesentlichen auf die Beurteilung durch die Amtstierärztin gestützt).

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf ergibt nämlich im konkreten Fall die nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Prüfung, dass die angeordnete Einschläferung des Rottweilers voraussichtlich offensichtlich rechtmäßig ist. Auch im Übrigen muss das private Interesse der Antragstellerin am Aufschub der Vollziehung hinter dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme zurücktreten.

Ermächtigungsgrundlage der Maßnahme ist § 12 Abs. 3 LHundG NRW. Danach kann mit Zustimmung des amtlichen Tierarztes die Einschläferung eines zur Abwehr gegenwärtiger Gefahren für Leben oder Gesundheit sichergestellten Hundes angeordnet werden, wenn im Falle seiner Verwertung im Sinne des § 45 Abs. 1 PolG NRW die Gründe, die zu seiner Sicherstellung berechtigten, fortbestehen oder erneut entstünden, oder wenn die Verwertung aus anderen Gründen nicht möglich ist.

Verfahrensfehler waren nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf nicht ersichtlich. Es kann dahinstehen, ob das Ordnungsamt der Antragsgegnerin berechtigt war, von einer Anhörung der Antragstellerin abzusehen. Denn ein darin etwa liegender Verfahrensmangel ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch Nachholen der Anhörung geheilt worden, § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin im Rahmen der gerichtlichen Antragserwiderung ausdrücklich die Möglichkeit zu eigenem Tatsachenvortrag eingeräumt. Die daraufhin ergangene Stellungnahme der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin ausführlich gewürdigt und sich inhaltlich damit auseinandergesetzt.

In der Sache liegen die Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 LHundG nach Meinung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vor. Der betreffende Rottweiler ist zur Abwehr gegenwärtiger Gefahren für Leben oder Gesundheit anderer Menschen auf der Grundlage von § 43 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW sichergestellt und einem Tierheim zugeführt worden. Anlass war ein Angriff des sich von der Leine gerissenen und ohne Maulkorb ausgeführten Hundes auf eine Familie. Der Angriff hat sich nach den eigenen Ermittlungen der Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin und der Amtstierärztin wie folgt ereignet: Der freilaufende Rottweiler habe zunächst in gefahrdrohender Weise unvermittelt und ohne Droh‑ und Warnsignale den kleinen Sohn angesprungen; dieser habe dadurch Kratz‑ und Schürfverletzungen an Bauch und Rücken erlitten. Danach sei der Rottweiler zunächst festgehalten worden, habe sich aber wieder befreien können, die Familie verfolgt und mehrfach die Tochter angegriffen. Die Tochter habe akut lebensbedrohende Verletzungen erlitten. Danach habe sich der Hund ein weiteres Mal befreien können und erneut versucht, das Kind zu attackieren. Im Verlauf dieser länger dauerenden Attacke habe der Hund auch den Vater ins Bein gebissen. Ausweislich des Attestes einer leitenden Ärztin sind der Tochter große Teile der Kopfhaut abgerissen worden, ferner erlitt sie teils schwere Bisswunden an Ohren, Auge, Mund, Bauch und Beinen.

Über die Sicherstellung hat die Antragstellerin eine schriftliche Bestätigung erhalten. Die Sicherstellung des Hundes war im Zeitpunkt ihrer Vornahme rechtmäßig. Bedenken insoweit trägt die Antragstellerin nicht vor und sind von Amts wegen auch nicht ersichtlich.

Neben der ‑ hier vorliegenden ‑ Zustimmung des amtlichen Tierarztes (Anmerkung: von diesem stammt auch die ursprüngliche Beurteilung des Hundes) ist Voraussetzung für eine Einschläferung gemäß § 12 Abs. 3 LHundG NRW darüber hinaus, dass im Falle der Verwertung des Hundes im Sinne des § 45 Abs. 1 PolG NRW die Gründe, die zu seiner Sicherstellung berechtigten, fortbestehen oder erneut entstünden, oder dass die Verwertung aus anderen Gründen nicht möglich ist. Hintergrund dieses Tatbestandsmerkmals ist das Anliegen des Gesetzgebers, dass eine Einschläferung als „ultima ratio“ nur zulässig sein soll, wenn durch andere Maßnahmen die von dem Hund ausgehende Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit von Menschen oder Tieren nicht wirksam abgewendet werden kann.

Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf den betreffenden Rottweiler nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vor. Die von dem Hund ausgehenden Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit anderer Menschen sind nach den schlüssigen und nachvollziehbaren, durch Angabe wissenschaftlicher Quellen belegten Äußerungen der Amtstierärztin, die auf einer eigenständigen und sorgfältigen Ermittlung des Sachverhalts beruhen, anders als durch eine Einschläferung des Hundes nicht beherrschbar, insbesondere auch nicht durch eine Unterbringung in einem Tierheim o.ä. Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Gründe, die zu der Sicherstellung berechtigten, fortbestehen, jedoch durch die Unterbringung in einem Tierheim allein nicht beendet, sondern nur abgeschwächt werden können.

In dem 10-seitigen Gutachten der Amtsveterinärin wird dargelegt, dass wegen eines inadäquaten bzw. fehlgeleiteten Jagdverhaltens sowie wegen einer mangelnden Beißhemmung die sofortige Einschläferung das einzige Mittel darstellt, um die von diesem Hund ausgehenden erheblichen Gefahren für Menschen zu beherrschen. Das Gutachten legt, so das Verwaltungsgericht, insbesondere schlüssig dar, dass eine Umerziehung des Hundes aufgrund dessen Alter nicht erfolgversprechend ist. Schwere Defizite im Bereich der Beißhemmung können ausweislich des Gutachtens nach dem Ablauf der ersten sechs Lebensmonate nicht mehr soweit therapiert werden, dass eine stabile Größe (im Sinne von Verlässlichkeit/Sicherheit) erzielt wird. Der Hund ist aber mittlerweile 15 Monate alt. Soweit darüber hinaus auch in Betracht kommt, dass das fehlgeleitete Jagdverhalten Folge einer pathophysiologischen Aggressionskomponente und deshalb durch Erziehungsversuche überhaupt nicht beeinflussbar ist, hat die Amtstierärztin in ihrer ergänzender Stellungnahme nach Meinung des Verwaltungsgerichts nachvollziehbar ausgeführt, dass eine symptomatische Therapie eines etwa vorliegenden Hydrocephalus keinerlei Auswirkungen auf bereits zu Grunde gegangene Gehirnstrukturen hat und somit zur Lösung von möglicherweise durch die Krankheit hervorgerufenen Aggressionsproblemen nichts beitragen kann. Insoweit muss entgegen der Auffassung der Antragstellerin kein MRT durchgeführt werden. Es kommt nicht darauf an, so das VErwaltungsgericht weiter, ob der Hund bereits zerstörte Hirnstrukturen aufweist, was ein MRT allein aufklären könnte. Gegen die fundierte und allein erhebliche Aussage, dass etwa bereits zerstörte Hirnstrukturen nicht mehr wiederhergestellt werden können, bringt die Antragstellerin nichts vor.

Das Vorbringen der Antragstellerin weckt auch keine Zweifel an der fachlichen Kompetenz der Amtstierärztin. Dass die Amtstierärztin nicht als praktische Tierärztin tätig ist, nimmt ihr nicht die Kompetenz, den Sachverhalt und die von dem Hund ausgehende Gefährlichkeit nach den Regeln der tierärztlichen Kunst zu begutachten. Soweit die Antragstellerin der Auffassung ist, die Amtstierärztin verkenne typische Merkmale eines Rottweilers, weil sie Wolfskrallen für ein Rassemerkmal halte, obwohl diese bei Rottweilern unerwünscht seien, liegt eine solche Aussage der Amtstierärztin nicht vor. Es drängt sich vielmehr ein Verständnis der Beschreibung „rassetypisch, beidseitig Wolfskrallen hinten“ dahingehend auf, dass der Hund mit Ausnahme der Wolfskrallen rassetypisch ist. Denn dass die Amtstierärztin sämtliche rassetypischen Merkmale eines Rottweilers hätte aufzählen wollen, erschließt sich dem Gericht im Ansatz nicht. Warum sie dann nur ein Merkmal aufzählt, welches dann auch noch zufällig unerwünscht ist, umso weniger. Die fachliche Kompetenz der Amtstierärztin wird auch im Ansatz nicht dadurch infrage gestellt, dass die Amtstierärztin den Rottweiler nicht zu den brachyzephalen Hunderassen zählt. Dass eine seitens der Antragstellerin benannte Sachverständige, nach eigenem Briefkopf „Sachverständige nach § 10 LHundG und Diensthundeführerausbilderin nach VBG“ anderer Auffassung ist, belegt nach einer wissenschaftlichen Ansätzen eigentlich nicht genügenden Recherche in Wikipedia unter dem Stichwort „Brachycephalie“ keinen Mangel der Kompetenz der Amtstierärztin. Soweit die Sachverständige schließlich unter Berufung auf eigene Erfahrung und eine sich an die Allgemeinheit richtende Veröffentlichung von James O`Heare „Das Aggressionsverhalten von Hunden“ der Auffassung ist, das Aggressionsverhalten von Hunden könne auch nach dem 6. Monat noch korrigiert werden, steht dies ungeachtet des Mangels der Fachkunde der Sachverständigen schon nicht im Widerspruch zur Aussage der Amtstierärztin. Die Amtstierärztin teilt die Auffassung, dass das Aggressionsverhalten von Hunden nach dem 6. Lebensmonat durchaus noch beeinflussbar ist, aber im konkreten Einzelfall nicht mit dem im konkreten Einzelfall gewünschten Grad an Aussicht auf Erfolg.

Soweit die Antragstellerin durch Vorlage einer früheren, undatierten Stellungnahme der Sachverständigen im Übrigen kritisierte, es sei keine Überprüfung des Verhaltens des Hundes vorgenommen worden, kann dahin stehen, ob die Sachverständige in ihrer jüngeren, ebenfalls undatierten Stellungnahme daran festhält. Denn die Amtstierärztin hat von der Durchführung eines Verhaltenstests mit dem Hund mit zutreffenden Erwägungen abgesehen – so das Verwaltungsgericht Düsseldorf. Eine Situation, die den Schlüsselreiz des Vorfalls identisch abbildet, also mit einem spielenden Kind im Wasser und einem Hund ohne Maulkorb, kann ohne Lebensgefahr für ein weiteres Kind nicht nachgestellt werden.

Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, so das Verwaltungsgericht weiter. Die Auffassung des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin, dass angesichts der Folgen des Angriffs auf das Kind es Menschen nicht zuzumuten ist, das angesichts des Alters des Hundes naheliegende Risiko des Fehlschlagens einer Umerziehung zu tragen, kann das Gericht im Rahmen der nach § 114 VwGO nur beschränkt eingeräumten Befugnis, behördliches Ermessen zu kontrollieren, nicht beanstanden. Die räumlich im Zusammenhang mit der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene, im Kern jedoch die Ermessensbetätigung in der Sache tragende Auffassung der Antragsgegnerin, eine dauerhafte Unterbringung in einem Tierheim oder einer sonstigen Einrichtung komme wegen der von diesem gerade auch für seine Betreuer ausgehenden Gefahren nicht in Betracht stützt sich auf die fachkundige Beurteilung der Amtstierärztin und ist frei von Ermessensfehlern. Auch eine Übernahme in die Hände von Tierschutzorganisationen, die sich gegenüber der Antragstellerin zu einer kostenlosen Aufnahme bereit erklärt haben, ist ausgeschlossen. Eine effektive Gefahrenvorsorge gebietet es, vor dem Hund auch solche Menschen zu schützen, die sich selbst kein objektives Bild von den von dem Hund ausgehenden Gefahren machen können. Dies gilt umso mehr, weil damit zu rechnen ist, dass der Hund bei einem Verbleib in einer Tierschutzeinrichtung oder ähnlichem in der Zukunft auf Menschen treffen wird, die weder den hier ausschlaggebenden Vorfall kennen noch von anderen Menschen ausdrücklich auf diesen Vorfall und die daraus resultierenden Gefahren hingewiesen worden sind und die deshalb infolge mangelnden Gefahrenbewusstseins notwendige Maßnahmen zur Eigensicherung unterlassen. Eine zukünftige Angriffe ausschließende dauerhafte Haltung in einem Käfig ist bereits aus tierschutzrechtlichen Gesichtspunkten keine Alternative.

Anhaltspunkte für die Auffassung der Antragstellerin, die Ermessensbetätigung der Antragsgegnerin sei der Öffentlichkeitswirksamkeit des Verfahrens geschuldet, liegen nicht vor.

Erweist sich die Anordnung der Einschläferung danach als offensichtlich rechtmäßig, fällt auch die Interessenabwägung im Übrigen zu Lasten der Antragstellerin aus. Das Risiko erneuter Angriffe des Hundes auf Menschen ist schon für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht tragbar.

Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 04.08.2015 – 18 L 2369/15

Gegen diesen Beschluss wurde Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht NRW eingelegt (5 B 925/15).