Rechtsanwalt Finn Dethleff

80331, München
Rechtsgebiete
Handelsrecht und Gesellschaftsrecht
15.01.2022

Deckt ein Gewerbemietvertrag das Risiko pandemiebedingter Schließungen? BGH: Mietanpassung für Geschäftsschließungen im 1. Lockdown

Während des coronabedingten Lockdowns mussten einige Gewerbetreibende ihre Geschäfte vorübergehend schließen. Daraufhin kam es vermehrt zu gerichtlichen Klagen. Erst- und zweitinstanzliche Gerichte sind sich allerdings, sobald es in dieser Hinsicht um die Forderung einer Mietanpassung gilt, nicht einig. Nun endlich hat auch der BGH ein finales Urteil darüber gefällt, ob aufgrund pandemiebedingter behördlicher Ladenschließungen im Einzelhandel Mietanpassungen berechtigt sein können (Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21).

1 Monat geschlossen – wie viel Miete muss man wirklich zahlen?

Eine Filiale des Textil-Diskounters Kik im Raum Chemnitz hatte während der Lockdowns 2020 erhebliche wirtschaftliche Einbußen. Einen Monat lang musste die betroffene Filiale aufgrund der behördlichen Anordnungen ihre Türen für Kunden schließen. Die von der Filiale begehrte Mitaussetzung oder -anpassung wurde vom Vermieter abgelehnt, weil er keinen Grund dafür sah.

Das erstinstanzliche LG Chemnitz teilte diese Auffassung und verurteilte Kik zur Zahlung der gesamten Miete (Urteil vom 26.08.2020 – 4 O 639/20). In der zweiten Instanz hat das OLG Dresden dieses Urteil aufgehoben und für eine Mietzahlung in Höhe von 50 % plädiert (Urteil vom 24.02.2021 – 5 U 1782/20).

BGH: Urteil des OLG Dresden zum Gewerbemietvertrag aufgehoben

Nun ist auch das lang erwartete Urteil des BGH gefällt: Die Karlsruher Richter haben die Entscheidung des OLG Dresden aufgehoben. Das Gericht muss jetzt erneut verhandeln. Durch das BGH-Urteil können Gewerbemieter unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sein, eine Anpassung der Ladenmiete für die Zeit des Lockdowns, in der sie ihre Geschäfte schließen mussten, zu erhalten. Entscheidend komme es dabei auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an.

Laut BGH begründen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie grundsätzlich keine Mangelhaftigkeit des Mietobjektes. Einen Fall der Unmöglichkeit, der den Mieter von seiner Mietzahlungspflicht befreien könnte, schließt da Gericht ebenfalls aus. Maßgeblich sei viel mehr die Anwendung des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage).

Dessen Anwendbarkeit ist laut den Richtern auch nicht durch die über den Zeitraum vom 01.04.2020 bis zum 30.09.2022 geltende Vorschrift des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen. Führt man sich den Wortlaut sowie den Gesetzeszweck der Norm vor Augen, stelle man fest, dass sie einzig die Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters verfolgt – über die Höhe der geschuldeten Miete verliert sie kein Wort.

Corona-Maßnahmen verletzen „große Geschäftsgrundlage“

Wegen der weitreichenden staatlichen Maßnahmen, welche zum Bekämpfen der Coronapandemie ergriffen wurden, und der dadurch ausgelösten erheblichen Auswirkungen sowohl auf die Gesellschaft als auch die Wirtschaft während des ersten Lockdowns sei die sogenannte „große Geschäftsgrundlage“ betroffen, so der BGH.

Darunter dürfe man die Erwartung der Vertragsparteien verstehen, dass sich weder grundlegende politische, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen eines Vertrags verändern, noch die Sozialexistenz erschüttert werde. Die Maßnahmen der Behörden hätten diese Erwartungshaltung jedoch „schwerwiegend gestört“. In der Folge sei die Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB weggefallen.

Pandemiebedingte Geschäftsschließung nicht durch Risikoverteilung im Gewerbemietvertrag gedeckt

Eine pauschale Antwort auf die Frage nach der Mietanpassung kann nach dem Urteil des BGH allerdings nicht erteilt werden. Eine potenzielle Mitanpassung setze zusätzlich voraus, dass dem Mieter nach Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein unverändertes Festhalten am Gewerbemietvertrag unzumutbar ist.

Mit den pandemiebedingten Ladenschließungen als behördliche Eingriffe habe sich laut den Karlsruher Richtern ein allgemeines Lebensrisiko realisiert, welches nicht durch die mietvertragliche Risikoverteilung gedeckt sei – ausgenommen einer abweichenden Regelung im Vertrag.

BGH: vollumfängliche Abwägung der Käufer- und Verkäuferinteressen

Darüber hinaus muss eine detaillierte und vollumfassende Abwägung erfolgen, welche alle erdenklichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, so die Karlsruher Richter. In diesem Sinne müsse festgestellt werden, welche Nachteile dem jeweiligen Mieter in Folge der Geschäftsschließung über diesen Zeitraum entstanden sind (Umsatzrückgang, Leistungen aus der Betriebsversicherung, gezahlte staatliche Leistungen – nicht aber staatliche Unterstützungsmaßnahmen auf Grundlage eines Darlehens). Genauso müssten die Vermieterinteressen Berücksichtigung finden. Der Mieter habe außerdem die Darlegungs- und Beweislast für eine etwaige Unzumutbarkeit der Mietzahlung zu tragen.

Auswirkung des Urteils auf Streit um Gewerbemietverträge nach dem ersten Lockdown

Die Entscheidung des BGH bezieht sich zwar auf einen Zeitraum des ersten Lockdowns (Frühjahr 2020), allerdings dürfte davon auszugehen sein, dass die aufgestellten Leitlinien auch darüber hinaus Geltung entfalten. In der Folge wird aber bei jeder neuen Prüfung eine detaillierte Einzelfallbetrachtung notwendig sein.

Berücksichtigung müssen dabei vor allem vertragliche Regelungen finden, welche die Risikoverteilung betreffen, sowie besondere Konstellationen wie beispielsweise die Vereinbarung einer Umsatzmiete. Keine Aussage hat der BGH bezüglich der Höhe des Mitanpassungsanspruchs getroffen – eine solche bleibt zunächst abzuwarten.

Ganz grundsätzlich ist das Team von ROSE & PARTNER Ihnen bei allen Fragen rund um das Thema Gewerbemietvertrag sehr gern behilflich. Nähere Informationen dazu finden Sie auf unserer Webseite: https://www.rosepartner.de/gewerbemietvertrag.html