Rechtsanwalt Alfio Mancani

02670, Warschau
Rechtsgebiete
Europarecht Familienrecht Handelsrecht und Gesellschaftsrecht
20.07.2015

Anerkennung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen in der Europäischen Union und in Polen

Anerkennung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen in der Europäischen Union und in Polen
 
Einleitung
Immer häufiger müssen rechtskräftige Urteile aus dem Ausland (also auch deutsche) in Polen vollstreckt werden. Die europäische Gesetzgebung sieht ein einheitliches Verfahren für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in den Mitgliedstaaten innerhalb EU vor. Allerdings kennt das polnische Rechtssystem einige Besonderheiten, die unbedingt vor der Vollstreckung eines ausländischen Urteils beachtet werden müssen.
 
1) Der "freie Verkehr von Entscheidungen" in der Europäischen Union
 
Die engen Beziehungen und das gegenseitige Vertrauen innerhalb der EU haben dazu geführt, dass - inspiriert mit dem Grundgedanken des „freien Verkehrs der Entscheidungen“ - ein gemeinsamer Rechtsraum geschaffen wurde. Erst mit dem Brüsseler Übereinkommen, dann mit der Verordnung (EG) 44/2001 und der Verordnung (EU) 1215/2012, die die vorherige Verordnung ab dem 10 Januar 2015 ersetzte, war die Europäische Union bestrebt dieses wichtige Ziel zu erreichen.
 
2) Die Verordnung (EU) 1215/2012 (Brüssel Ia)
 
Anwendungsbereich. Der Art. 1 der Verordnung (EU) 1215/2012 (Brüssel Ia) definiert den Anwendungsbereich. Diese ist „in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt“. Vom Anwendungsbereich der Verordnung werden ausdrücklich ausgeschlossen:
  • Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten;
  • die Staatshaftung für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung öffentlicher Gewalt;
  • der Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen, die ehelichen Güterstände oder Güterstände aufgrund von Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten;
  • Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren;
  • die soziale Sicherheit;
  • die Schiedsgerichtsbarkeit;
  • Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen;
  • das Gebiet des Testaments- und Erbrechts, einschließlich Unterhaltspflichten, die mit dem Tod entstehen.
Für einige dieser Bereiche sind bereits andere Verordnungen in Kraft getreten (Bspw. Verordnung (EG) 1346/2000 für Insolvenzverfahren, Verordnung (EG) 4/2009 für das Familienrecht oder auch Verordnung (EU) 650/2012 für das Gebiet des Testaments- und Erbrechts).
 
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile. Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen innerhalb der Mitgliedstaaten sind im Kapitel III der Verordnung geregelt. Im Rahmen des Begriffs „Entscheidung“ gemäβ Art. 2 a) fallen auch einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen, wenn der Beklagte vorgeladen wurde, oder die Entscheidung, welche die Maß­nahme enthält, dem Beklagten vor der Vollstreckung zugestellt wurde.
 
Anerkennung ausländischer Urteile. Der Art. 36 sieht ausdrücklich vor, dass eine in einem Mitgliedsstaat ergangene Entscheidung in den anderen Staaten der EU anerkannt ist „ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf“.
Die ausländische Entscheidung kann geltend gemacht werden:
  1. als Hauptsache. Jeder Beteiligte mit Klagebefugnis kann die Anerkennung beantragen. Im Gegensatz zur vorherigen Verordnung ist auβerdem über der Anerkennung hinaus, auch eine Versagungsanfrage in der Hauptsache ausdrücklich erlaubt.
  2. als Vorfrage. Für den Fall, dass die Frage der Anerkennung einer Entscheidung in einem anderen Gerichtsverfahren aufkommen sollte, ist derjenige Richter zuständig, vor dem sich dieses Verfahren abspielt.
 
Aussetzung des Verfahrens. Falls man gerichtliche Schritte für eine Anerkennung (oder einer Versagung) einleitet, hat der Richter hat die Möglichkeit das Hauptverfahren auszusetzen, um die Anerkennung oder die Versagung festzustellen.
 
Einleitung des Verfahrens, Voraussetzungen. Der Art. 37 bestimmt welche Unterlagen notwendig sind, um das Verfahren einzuleiten:
  • eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt;
  • die nach Artikel 53 ausgestellte Bescheinigung.
Das Gericht oder die Behörde kann gegebenenfalls die Partei dazu auffordern eine Übersetzung der Bescheinigung, oder notwendigerweise auch der gesamten Entscheidung, vorzulegen.
 
Versagung der Anerkennung. Im Art. 45 sind die Versagungsgründe aufgezählt. Demnach muss die Anerkennung versagt werden, wenn:
  1. die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde;
  2. dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelfeingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte;
  3. die Entscheidung mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist;
  4. andere Vorschriften der Verordnung, beispielsweise Normen zum Schutz der Versicherungsnehmer, Versicherten, Begünstigte des Versicherungsvertrags, Geschädigte, Verbraucher oder Arbeitnehmer.
 
Vollstreckung einer Entscheidung in einem Mitgliedsstaat. Im Gegensatz zur Verordnung (EG) 44/2001 regelt die neue Verordnung im Art. 39, dass die in einem Mitgliedsstaat ergangene Entscheidung, die in diesem Mitgliedsstaat vollstreckbar ist, auch „in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar ist, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf“. Die logische Folge dieser neuen Vorschrift ist die sofortige Beantragung der Sicherungsmaβnahmen, die im Rechtssystem dieses Mitgliedstaates vorgesehen sind, einzig auf der Grundlage des ausländischen Vollstreckungstitels.  
 
Notwendige Unterlagen für die Vollstreckung. Für die Vollstreckung eines ausländischen Vollstreckungstitels, muss der zuständigen Behörde eine Kopie der Entscheidung und die Bescheinigung gemäβ Art. 53 vorgelegt werden, so wie es auch im Verfahren für die Anerkennung der Entscheidung nach Art. 37 vorgesehen ist. Die Bescheinigung der Vollstreckung beinhaltet alle notwendigen Angaben einer sofortigen Beurteilung der Forderungshöhe (Inhalt der Entscheidung, Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Herkunftsort, Personalien der Parteien, Hauptbetrag, Zahlungsmodalitäten, usw…). Die Bescheinigung muss zusammen mit der Entscheidung vor der Vollstreckung der Gegenseite bekannt gemacht werden. Der Antrag ist an die zuständige Behörde einzureichen, die die Mitgliedstaaten im Art. 75 der Verordnung festgelegt haben (in Deutschland das örtlich zuständige Oberlandesgericht).
 
Übersetzungen und Recht auf Verteidigung. Der Richter kann die Übersetzung der Bescheinigung (oder wenn nötig auch der Entscheidung) in einer von der Verordnung vorgesehenen Sprachen verlangen, wenn er dies für unentbehrlich betrachtet. Allerdings kann auch die Gegenseite eine Übersetzung der Entscheidung verlangen in einer ihr verständlichen Sprache, oder in der Sprache des Ortes, an dem sie ihren Sitz hat, um die Möglichkeit zu haben sich gegen diese Entscheidung zu wehren. Wenn eine Übersetzung beantragt wird,  wird die Vollstreckung solange aufgehalten, bis diese Übersetzung vorliegt. Aufgrund dieses vorgesehenen Schutzmechanismus des Beklagten ist es ratsam stets eine Übersetzung der Entscheidung anzuhängen.
 
Versagung der Vollstreckung. Die Vollstreckung einer Entscheidung eines Mitgliedstaates wird versagt, wenn festgestellt wird, dass einer der in Art. 45 gelisteten und oben bereits erläuterten Gründe vorliegt.
 
Vollstreckbarkeit von Maβnahmen. Der Art. 54 der Verordnung regelt die Vollstreckbarkeit von Maβnahmen, die im ersuchten Staat nicht bekannt sind und erneuert somit die alte Verordnung 44/2001 erheblich. Absatz 1 der Vorschrift lautet: „Enthält eine Entscheidung eine Maßnahme oder Anordnung, die im Recht des ersuchten Mitgliedstaats nicht bekannt ist, so ist diese Maßnahme oder Anordnung soweit möglich an eine im Recht dieses Mitgliedstaats bekannte Maßnahme oder Anordnung anzupassen, mit der vergleichbare Wirkungen verbunden sind und die ähnliche Ziele und Interessen verfolgt“.
Die Vollstreckung an sich unterliegt dann den gewöhnlichen Vorschriften des Mitgliedstaates.
 
Verhältnis mit der alten Verordnung. Die Verordnung (EU) 1215/2012 ersetzt die Verordnung (EG) 44/2001. Allerdings sieht Art. 66 der neuen Verordnung vor, dass diese nur auf Verfahren anzuwenden ist, die ab dem 10 Januar 2015 eingeleitet wurden. Für alle früheren Verfahren gilt noch die alte Verordnung weiter.
 
 
 
4) Die Anerkennung ausländischer Urteile in Polen
 
 
Im polnischen Rechtssystem ist für die Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung eine sogenannte Vollstreckbarkeitsklausel (klauzula wykonalności) notwendig.
Diese Vollstreckbarkeitsklausel hat grundsätzlich einen deklarativen Charakter. Dies bedeutet, dass sie nicht Ursprung neuer Rechte ist, sondern lediglich den Vollstreckungstitel als geeignet bescheinigt. Dieser Grundsatz hat jedoch einige unterschiedliche Ausnahmen, in denen die Vollstreckbarkeitsklausel einen konstitutiven Charakter hat, also den Vollstreckungstitel ergänzt oder verändert. Ausnahmen können die Fällen bilden, in denen die Vollstreckbarkeitsklausel auch zugunsten oder gegen anderer Personen als denen, die im Titel erwähnt sind, erteilt wird: z.B. der Ehepartner des Schuldners, der Rechtsnachfolger (Erbe), oder andere im Gesetz vorgesehenen Personen (Bspw. Der Gesellschafter einer einfachen Gesellschaft).
Die zuständige Behörde für den Erlass einer Vollstreckbarkeitsklausel ist das jeweils zuständige Gericht. Dieses lässt sich gemäβ folgender Kriterien und Fallgruppen ermitteln:
 
  • Titel wird vom Gericht erteilt (Urteil, Dekret): der zuständige Richter ist derjenige, der ersten Instanz vor dem das Verfahren eingeleitet wurde, oder der Richter zweiter Instanz (falls die Akte dort aufbewahrt wird)
  • Titel wird vom Verwaltungsgericht erteilt, oder es liegt eine andere Entscheidung oder Vereinbarung vor: zuständig ist in diesem Fall das Landgericht („Sąd Rejonowy“) des Wohnorts des Schuldners. Falls es nicht möglich sein sollte das zuständige Gericht zu ermitteln, kann man das Landgericht wählen, in dessen Zuständigkeitsgebiet vollstreckt werden wird
  • Titel von einem ausländischen Gericht erteilt: in diesem Fall ist das Bezirksgericht („Sąd Okręgowy“) des Wohnortes des Schuldners zuständig. Auch in diesem Fall kann das Bezirksgericht gewählt werden, in dessen Zuständigkeitsgebiet vollstreckt werden wird, falls eine Ermittlung des zuständigen Gerichts nicht möglich sein sollte.
 
Die Vollstreckbarkeitsklausel wird auf Antrag, oder in einigen Fällen von Amts wegen erteilt. Die Erteilung der Klausel erfolgt auf Antrag des Gläubigers, oder von Amts wegen, wenn die aufgrund fehlender Bezahlung von Alimente oder Arbeitsgehälter vollstreckt werden muss. Die Anfrage muss schriftlich und mit folgenden Inhalten versehen werden:
  • Vollstreckungstitel, falls nicht vom Gericht erteilt;
  • Eine Erklärung, dass der Titel vollstreckt werden muss, falls er von einer öffentlichen Verwaltungsbehörde erlassen wurde;
  • Unterlagen und Beweise, dass ein Vollstreckungstitel erteilt wurde;
  • Andere Unterlagen, die notwendig sind für den Erlass der Vollstreckbarkeitsklausel (z.B. Heiratsurkunde, falls Klausel gegen Ehepartner des Schuldners);
  • Vollstreckungstitel im Original und versehen mit einer beeidigten Übersetzung, falls es sich um einen ausländischen Vollstreckungstitel handelt
Die Anfrage auf Erteilung einer Vollstreckbarkeitsklausel müsste bereits innerhalb von 3 Tagen seit Zustellung des Antrages geprüft werden. Im Verfahren über die Erteilung einer Vollstreckbarkeitsklausel prüft das Gericht lediglich die formalen Aspekte des Titels und ob die Möglichkeit besteht auf Grundlage des Titelinhalts zu vollstrecken. Das Gericht prüft also nicht, ob die Forderungen des Vollstreckungstitels tatsächlich begründet sind (dazu ist ein Verfahrens zweiter Instanz vorhanden). Eine Ausnahme gibt es jedoch für den Fall, dass die Vollstreckbarkeitsklausel auch für den Ehepartner des Schuldners gelten soll. In diesem Fall erlässt das Gericht die Klausel im Zusammenhang mit einem Dekret und grenzt somit den Inhalt des Vollstreckungstitels ein. In anderen Fällen kann das Gericht ebenfalls ein Dekret erlassen, dies ist insbesondere der Fall, wenn im Titel ausländische Währungen vorhanden sind und das Gericht den Gerichtsvollzieher beauftragt die Beträge in polnischer Währung umzurechnen. Die Kosten, die im Zusammenhang mit der Erteilung der Vollstreckbarkeitsklausel stehen, werden zu den Forderungen des Titels hinzugerechnet.
In ähnlicher Weise findet auch das Verfahren für die Erteilung einer Vollstreckbarkeitsklausel für einen Vollstreckungstitel, das von einem Gericht auβerhalb der EU erlassen wurde, statt. Dem Antrag des Gläubigers muss man folgendes anhängen: Kopie der Entscheidung, ein Zertifikat der Anerkennung in polnischer Sprache, eine Erklärung, dass der Titel formal rechtskräftig ist und im Herkunftsland vollstreckt werden darf. Das zuständige polnische Gericht für die Erteilung der Vollstreckbarkeitsklausel ist in diesem Fall das Bezirksgericht („Sąd Okręgowy“), dessen Bezirk indem vollstreckt werden muss. Schlieβlich ist es wichtig zu wissen, dass der Antrag auf Erteilung der Vollstreckbarkeitsklausel nicht die Verjährungsfrist unterbricht. Falls im Vollstreckungstitel die Person von den Verfahrenskosten befreit ist, muss dies auch in der Klausel zum Vorschein kommen.
 
 
Für weitergehende Informationen oder im Bedarfsfall bleiben wir natürlich zur Verfügung.
 
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Die Informationen in diesem Schreiben sind zwar aktuell, aber sie stellen kein Rechtsgutachten dar. Dieser kann von unseren Anwälten ausschließlich auf Anfrage und in Bezug auf einen konkreten Fall erstellt werden.