Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
15.06.2012

Wachsame Achtsamkeit: Frau vdL, der Blackberry und die „glasklare“ Arbeitszeit

Glasklar, so soll die Arbeitszeit geregelt sein. Sagt Frau von der Leyen. Die Arbeitsministerin will, dass Funkstille in der Freizeit herrscht. Keine Emails mehr abends am Blackberry, während des Public Viewing. Keinen Laptop am Pool aufklappen. Die Trennung zwischen Freizeit und Arbeit endlich wieder einführen.

Gar nicht einfach übrigens, weil man kaum weiß, was Arbeit überhaupt bedeutet:

Das Anliegen der Frau Ministerin ist verständlich und berührt auch ein tatsächlich bestehendes Problem. Man kann darin sogar ver.di beipflichten, die schlicht sagen, wenn diese Blackberry-Zeiten bezahlt würden, würden die Unternehmen sie auch auf das nötigste beschränken (daraus können Sie übrigens schließen, dass sie gegenwärtig nicht immer bezahlt werden). Aber vdL nennt auch deshalb keine schnelle Lösung, weil man mit dem Anspruch „glasklar“ keine Gesetze hinbekommt, außer, es sind fehlerhafte, unsinnige oder eben schlicht unbrauchbare. Das gilt vor allem für so ein schwieriges Thema wie Arbeitszeit. Die Presse schreibt sich deshalb auch schon die Finger wund, was das nur heißen soll, sogar Juristen, gar Anwälte werden dazu befragt. Was also ist Arbeitszeit eigentlich?

„Glasklar“ ist, dass es neben Arbeitszeit „normal“ jetzt bereits (mindestens mal) drei andere Arbeitsformen gibt:

  1. Arbeitsbereitschaft
  2. Bereitschaftsdienst und
  3. Rufbereitschaft

Weil wir Juristen nicht zählen können, sehen Sie da oben drei Begriffe, die aber sechs sind.

Das liegt daran, dass jeder der Begriffe noch je einen öffentlich-rechtlichen und einen entgelt- (zivil-)rechtlichen Aspekt hat. Man könnte da auch von einer „Doppelnatur“ reden, das ist ein beliebter Begriff, aber eigentlich ist er allzu philosophisch, denn eine Arbeitsbereitschaft hat schließlich keine „Natur“. Es gibt Regeln, wie viel Arbeit überhaupt erlaubt ist und andere, ob und wie sie ggf. bezahlt werden muss. Erst einmal muss man wissen, wann einer arbeitet – schließlich ist mal am Strand auf den Blackberry glotzen nicht dasselbe, wie im Büro noch drei andere Blackberrys zu bedienen, während der Telco natürlich bei gleichzeitigem Unterzeichnen der Postmappe, während man Kaffee trinkt, beim zeitgleichen Personalgespräch – also multitaskend. Es ist am Strand weniger – und weniger anstrengend. Es ist am Strand keine Rufbereitschaft; die bedeutet, dass man angepiept wird und sofort zum Arbeitsplatz zu springen hat. Es handelt sich auch nicht um Bereitschaftsdienst, den leistet der Vorratsanwalt, der bei uns im Hinterzimmer auf der Liege liegt und auf lautes Rufen aufspringt, um alles zu machen, was erforderlich ist. Was der Manager am Strand macht, ist Arbeitsbereitschaft.

Im Jahr 1966 (14.04.1966 – 2 AZR 337/64) hat das Bundesarbeitsgericht daher die bis heute gültige Definition der Arbeitsbereitschaft geprägt; das sind:

Zeiten wacher Achtsamkeit im Zustande der Entspannung

(Ehrfurchtspause)

Was aber ist ein solcher Zustand und welche Folgen hat er? Das hat das BAG 1986 angepackt (Urteil vom 12.02.1986 – 7 AZR 358/84)

Das Merkmal “Entspannung” im Begriff der Arbeitsbereitschaft wird durch das Merkmal “wache Achtsamkeit” relativiert; die fehlende Gelegenheit zum Schlafen und das notwendige Achten auf den telefonischen Einsatzbefehl stehen daher dem Vorliegen von Arbeitsbereitschaft nicht entgegen.

Das soll übrigens heißen: Arbeitsbereitschaft ist unter solchen Umständen keine „echte“ Arbeitszeit. Manchmal aber schon. Sonst wäre es kein Gerichtsurteil.

Wichtig ist das, weil man nach dem Arbeitszeitgesetz nicht zu viel arbeiten darf. Sonst wird der Arbeitgeber bestraft (gilt auch in Anwaltskanzleien und Unternehmensberatungen). Der Arbeitgeber will nicht, dass das Warten auf den Anruf Arbeitszeit ist. Sonst tickt die Verbotsuhr: Ab 10 Stunden pro Tag geht eigentlich nichts mehr, allenfalls winkt ein Bußgeld. Am Strand macht der Arbeitnehmer indes Pausen, sogar mehrheitlich. Immer wieder. Wenn er viel pausiert, arbeitet er dann (= echte Arbeit) oder macht er Arbeitsbereitschaft (= nicht so echte Arbeit)?

Dafür gibt es im selben Urteil die Lösung, die auch gleich die höchstrichterliche Definition des (im Gesetz nicht verwendeten) Begriffs der „Verschnaufpause“ beinhaltet. Hören Sie rein:

Außer Betracht bleiben ledigl. “Splitterzeiten” von wenigen Minuten, die keine ins Gewicht fallende Entspannung ermöglichen und deshalb gegenüber der Vollarbeit keine mindere Leistung darstellen. Bis zu welcher Zeitdauer eine Wartezeit als unerhebl. “Splitterzeit” zu werten ist, muß für das jeweilige Tätigkeitsbild – hier des Rettungssanitäters – bestimmt werden; dabei ist ein Wert zu suchen, der unter der Mindestdauer einer Pause von 15 Minuten, aber über der als bloße “Verschnaufpause” anzusehenden Dauer von etwa 2 oder 3 Minuten liegt

Da ist eine Stoppuhr wohl unabdingbar.

Sie haben sicher gemerkt, dass es weder 1966 noch 1986 um Blackberrys gegangen sein kann. Es ging um Rettungssanitäter. Medizinisches Personal hatte das Problem auch ohne Blackberry nämlich immer schon. Wenn Sie nach dieser Definitionsorgie noch ein Zwerchfell haben, räumen Sie sicher auch ein, dass das nicht alles Komödie ist: Arbeitszeit ist ein hochkompliziertes Thema. Wer sich mal eine Stunde an einer „glasklaren“ Regel versucht, gibt leicht auf. Vielleicht leben wir in einer Zeit des kulturellen Umbruchs: Volkswagen hat für eine Managementebene eine einfache Lösung, um die Leute vor sich selbst zu schützen. Der Blackberry-Server wird abends abgeschaltet und springt erst morgens wieder an. Kann der Systemadministrator, da braucht man keinen Anwalt für…