Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
08.11.2010

Vergleichen Sie sich - Sie werden sonst an die Wand gestellt und erschossen!

Haben sie sich schon einmal darüber geärgert, dass man bei Gericht ständig zu Vergleichen gedrängt wird? Sie sind nicht allein! Für professionelle Juristen (vor allem Richter und Rechtsanwälte) ist es immer schwer, zu erklären, dass der Vergleich allzu oft die beste Lösung ist. Der Kunde will Gerechtigkeit. Aber: Manchmal wird es übertrieben, das wissen alle Arbeitsjuristen.

“Übertrieben” ist unangemessen milde ausgedrückt, wenn man die Entscheidung des 12.5.2010, 2 AZR 544/08 betrachtet. Dieses Urteil geisterte vor seiner (vor kurzem erst ins Netz gestellten) Begründung durch das Internet, und es hat völlig zu Unrecht keine Pressemitteilung und kein öffentliches Echo darauf gegeben.

Stellen Sie sich mal folgendes vor, und halten Sie sich vor Augen: Die Begebenheit ist wahr!

Sie sitzen beim Arbeitsgericht. Nein, Entschuldigung: Sie sitzen beim LAG Niedersachsen. Sorry: Sie sitzen in einer bestimmten Kammer des Gerichts bei einem bestimmten Vorsitzenden, der für das Gericht nicht repräsentativ ist. So. Der Arbeitnehmer hat ganz gute Karten. Die Vergleichsfrage wird gestellt. Innerlich dürfte das zu einer kleinen Gemütsaufhellung beim Beklagtenvertreter geführt habe. Aber - wie so oft - der Kläger will einfach nicht gegen Geld und gute Worte aufgeben. Dann greift der Vorsitzende ein:

“Seien sie vernünftig. Sonst müssen wir Sie zum Vergleich prügeln…”

Ups.

Spätestens jetzt sind alle aufgewacht. Was humoristisch gemeint sein könnte, war nicht so:

Der Kläger weigert sich immer noch. Der Vorsitzende:

“Ich reiße Ihnen sonst den Kopf ab…”

Der Kläger will immer noch nicht. Der Vorsitzende erhöhnt den Taktschlag:

“…Sie werden sonst an die Wand gestellt und erschossen…”

Der Kläger gibt nach, nachdem ihm noch die Aussichtslosigkeit der Klage (möglicherweise zu Unrecht), seine familiäre Situation und die Verantwortungslosigkeit vor Augen geführt wurde, die er gegenüber seiner Familie an den Tag lege - schließlich wolle die die Abfindung jedenfalls haben (?).

Ein Vergleich wird geschlossen. Aber der Kläger, aus dem Saal entflohen, ficht diesen Vergleich wegen widerrechtlicher Drohung an (§ 123 Abs. 1 BGB). Durch eine Flut von Schreiben, zu Gericht, zum Gegner, zu dessen Anwalt.

Auch der Beklagtenvertreter wird die Sache mit einem mulmigen Gefühl nach Hause getragen haben. So viel “Hilfestellung” will man vom Gericht nicht. Es könnte sich immer auch mal gegen einen wenden.

Das LAG Niedersachsen hält die Anfechtung nicht für begründet, weil man die Drohungen nicht habe wörtlich nehmen können. Das BAG hingegen hebt dieses Urteil auf und meint, die Grenze zur Anfechtbarkeit sei deutlich überschritten:

“Damit hat sich das Landesarbeitsgericht zu Unrecht allein am Wortlaut der in Rede stehenden Äußerungen orientiert. Es hat nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Drohung iSv. § 123 BGB nicht ausdrücklich ausgesprochen zu werden braucht, sondern versteckt oder durch schlüssiges Verhalten erfolgen kann…Den Erklärungen des Vorsitzenden kann ein drohendes Element nicht abgesprochen werden. Aus dem Vorbringen der Parteien geht nicht hervor, dass dem Kläger die - offenbar häufiger an den Tag gelegte - ungewöhnliche Art des Vorsitzenden bekannt gewesen ist…Unter diesen Umständen ist es nachvollziehbar, dass beim Kläger aufgrund der in Rede stehenden Äußerungen der Eindruck entstanden ist, dem Vorsitzenden sei jedes…Mittel recht, um den Prozess zu dem gewünschten Abschluss bringen…Bereits dies erfüllt die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 BGB….”

Man muss keinem Verbrechen zum Opfer fallen, bevor man sich auf § 123 BGB stützen kann.

Eine Frage: Was haben die Ehrenamtlichen eigentlich in dieser Verhandlung gemacht? In der Nase gebohrt? Ihr Amt mißverstanden? Angst gehabt, weil ihnen auch Erschießung drohte? Leute - Ihr seid als Richter gewählt, also habt Ihr ein Amt zu versehen, und bei so etwas müsst Ihr eingreifen!

Die Sache ist noch nicht zu Ende: Die Anfechtung des Vergleichs führt zur Fortsetzung des Verfahrens (bei einer anderen Kammer des LAG, na ja, wo auch sonst?), weil die prozessbeendende Wirkung wegfällt. Aber der ungeliebte Vergleich ist weg.

Was folgt aus diesem Fall?

Erstens: Wie beim Sex ist es auch beim Vergleich - “Nein” heißt im Allgemeinen “Nein”. Nun kann ein “Nein” vielleicht taktisch oder konditioniert sein. Deshalb darf man sicher noch mal nachfragen. Fragen. Fragen! Aber beim zweiten “Nein” ist das keine Aufforderung, Gewalt anzuwenden. Vergleichs-”gespräche” laufen da gern mal ein bisschen aus dem Ruder. Kurt Schellhammer, der Generationen von Juristen die ZPO vertraut gemacht hat, meinte dazu nur trocken, Parteien, die sich vor Gericht streiten, hätten auch letztlich einen Anspruch auf eine Entscheidung, nicht einen Vergleich. Das hat das LAG missachtet.

Zweitens: War der Richter aus Hannover ein echtes…? Nein. Das ist keine Folgerung aus dem Fall. Ich habe bei dem Menschen selbst verhandelt, und ja, der ist ein bisschen eigen. Das kann auch mal unangemessen werden. Dass er Leute erschießt, die sich nicht vergleichen, glaube ich nicht. Aber: Profis - dazu gehören vor allem Richter - bekommen einen Tunnelblick. Anwälte haben die Mandantenbindung, die sie meist mit der Realität erdet. Wir wissen alle, wie viele falsche oder überzogene Erwartungen an ein Gerichtsverfahren gestellt werden und verwenden einen guten Teil der Arbeitszeit darauf, diese Erwartungen zu zerstreuen. Richtern fehlt diese Erdung. Und gerade deshalb müssen Sie besser aufpassen, was sie sagen und wie sie es sagen. Ein Kläger, der noch nie vor Gericht war, ist schon von der Kürze der Verhandlung meist negativ überrascht. Lässt ein Richter solche Dialoge ab, wie im Beispielsfall, dann fühlt sich ein nicht gerichtsfester Bürger bedroht (und ein Referendar oder Junganwalt vielleicht auch). Deshalb hat das BAG richtig entschieden.

Drittens: Sieg ist nicht gleich Sieg. Der Kläger muss seinen ursprünglichen Prozess jetzt fortsetzen. Da gilt, was immer gilt - wenn er verliert, steht er ohne alles da. Die Parteien scheinen ein bisschen Streiterfahrung zu haben, das BAG-Urteil zeigt eine Fülle weiterer Verfahren auf, die mit dem angefochtenen Vergleich mit erledigt waren. Ob die Gerechtigkeit diesmal gesiegt hat und auch noch ein befriedigendes Ergebnis erzeugt, ist daher weiter fraglich. Die erste Kündigung stammt hier aus dem Oktober 2004. nach sechs Jahren wieder zueinanderfinden? Gibt’s nur im Märchen!