Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
20.01.2011

Sozialkassen im Baugewerbe auf dem Prüfstand

Manche Revolutionen sterben leise. Andere sind noch nicht tot. Man darf als Revolutionär nur nicht aufgeben. Am 23.3.2011 wird das BAG mitentscheiden, wie es um diese Revolution steht:

Die Fachgemeinschaft Bau in Berlin ist ein Arbeitgeberverband, der seit einiger Zeit an einer Revolution arbeitet. Sie besteht in nichts weniger als darin, das Zwangssystem der Sozialkassen des Baugewerbes (SOKA) einzureißen.

Deren Existenz muss man kurz erklären: Unter SOKA versteht man die nach § 5 TVG seit Jahrzehnten für allgemeinverbindlich erklärte Zwangsabgabe an die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK, Tarifgebiet West) und die Urlaubskasse des Baugewerbes (ULAK bzw. ihr bayerischen Pendant), die von den Tarifvertragsparteien der Bauindustrie seit den 50er Jahren vereinbart ist. Tarifliche Außenseiter - das sind solche Unternehmen, die in keinem Arbeitgeberverband Mitglied sind und die Tarifverträge auch nicht selbst abgeschlossen haben - leisten vergeblichen Widerstand. Ihre Weigerung, an einem komplett sinnentleerten Urlaubskassenverfahren teilzunehmen, das die betriebliche Liquidität zerstört, ohne echte Vorteile zu bieten, kann man durchaus verstehen. Es sind meist kleinere Handwerksbetriebe, aber auch Mittelständler (siehe etwa den Bericht bei FAKT, einschließlich Interview mit dem Verfasser). Gemeinsam ist ihnen, dass sie in der Regel nach Jahren erst entdeckt und von der SOKA für die vergangenen vier Jahre herangezogen werden. Sie kannten das Thema SOKA zuvor in der Regel gar nicht - die Informationspolitik dieser segensreichen Einrichtung ist katastrophal. Knapp ein Fünftel der Bruttolohnsumme wird dann fällig, für vier Jahre rückwärts. Meist das Todesurteil für diese Betriebe. 2009 hatte die Hessische Arbeitsgerichtsbarkeit (die Tarifverträge legen Wiesbaden und Berlin als Gerichtsstände fest) etwas 37.000 Verfahren über solche Ansprüche anhängig (!). Der Zustand ist ein nationales Elend.

Die Fachgemeinschaft findet, dass die Allgemeinverbindlichkeit ihr das Leben unmöglich macht. Sie kann für ihre Mitglieder keine Tarifverträge abschließen - wegen der Dominanz der Bautarifverträge (zu denen auch der BRTV gehört) in den Betrieben würden die Tarifverträge keine Geltung haben. Das Bundesministerium für Wirtschaft als Ersatztarifgeber. Gegen alle Unkenrufe hat die Fachgemeinschaft vor dem BVerwG Erfolg gehabt, was ihre Klagebefugnis betrifft. Die eigentliche Frage verhandelt jetzt das VG Berlin - und der Bund scheint schlecht dazustehen. Das Argument ist einfach. Der und müsste das sog. Quorum des § 5 TVG ermittelt haben: Die Tarifpartner auf Arbeitgeberseite müssen 50% der Branchenmitarbeiter beschäftigen. Das ist hier nicht der Fall. Die Statistiken erfassen z.B. Betriebe unter 10 Mitarbeitern nicht - das ist aber der klassische kleine Handwerks- und Baubetrieb. Trotzdem wird fröhlich weiter für allgemeinverbindlich erklärt, Jahr für Jahr.

Jetzt überholt die Arbeitsgerichtsbarkeit. Am 23.3.2011 wird das BAG zum ersten Mal über das Problem befinden. Dabei geht es zunächst nur um den BRTV, den Bruder der SOKA-Tarife. Der Arbeitgeber im Verfahren - ein Außenseiter - ist aber trotz der statistischen Mängel unterlegen. Denn das LAG Berlin-Brandenburg hat ihn mit einer atemberaubenden Argumentation in die Pfanne gehauen: In seinem Urteil vom 12.3.2009 - 18 Sa 650/08 hat das Gericht ganz cool gemeint, ok, die richtige Zahl könne das Bundesministerium nicht ermitteln, weil das zu schwer und aufwändig sei. Es müsse eben schätzen und habe einen Beurteilungsspielraum.

Oh je. Das Gesetz schreibt ein Quorum von 50% vor. Nicht ungefähren 50%. Nicht „vielleicht 50%”. Auch nicht „Werden schon 50% sein”. Nur 50%. Wenn die Feststellung zu schwierig ist, muss man eben Geld in die Hand nehmen oder kann nicht für allgemeinverbindlich erklären. So einfach ist das.

Und das BAG? Das darf die Nummer eigentlich nicht mitmachen. Die Revolution darf nicht sterben! Wir haben schließlich einen Rechtsstaat. Der 4. Senat jedenfalls, an dem dieses Problem in der Regel vorbeigeht, ist weniger vorbelastet und hat einen freieren Kopf als der 10., der sich über Jahre zum Freund der SOKA gemacht hat, indem er eine sehr SOKA-freundliche Rechtsprechung installiert hat.

Allein, es fehlt der Glaube. Die Sozialkassen zu erledigen, wäre, eine echte heilige Kuh zu schlachten. Immerhin: Der 4. Senat hat auch die heilige Tarifeinheit abgeschafft. Die Welt ist nicht untergegangen seither.