Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
17.02.2012

Professoren, Wulff und Mindestlohn

(Reingefallen: Zu Christian Wulff geht es für alle, die an § 615 BGB interessiert sind, hier entlang).

Der Berliner Tagesspiegel (http://www.tagesspiegel.de/) druckt heute eine Karikatur von Klaus Stuttmann. Eine Putzfrau in vollem Ornat steht vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Richter sprechen:

„Ihre amtsangemessene Alimentierung ist evident unzureichend und verstößt gegen das Grundgesetz!“

Bezogen ist das ja auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Besoldung von Professoren (vom 14.2.2012 2 BvL 4/10). Die sind Beamte.

Für eine nichtbeamtete Putzfrau gelten andere Regeln. Denn Beamte werden von Artikel 33 Grundgesetz geschützt. Die Rechtsfrage, die dieser Tage viele als ungerecht empfinden, stellt sich deshalb gar nicht. Die Putzfrau steht eben nicht in einem besonderen Gewaltverhältnis zum Staat. Artikel 33 GG verpflichtet den Staat, mit seinen eigenen Leuten anständig umzugehen. Sie z.B. gemessen am Amt und ihrer Bedeutung zu bezahlen. Jeder muss vor seiner eigenen Tür kehren. Mehr bedeutet diese Vorschrift nicht.

Die moralische Frage der Karikatur – gerne unter dem Stichwort Hunger- und Dumpinglohn diskutiert – wird gerade das Bundesverfassungsgericht nicht für uns lösen. Das ist auch gut so. Dass Ansprüche der Beamten gegen ihren eigenen Dienstherrn aus der Verfassung abzuleiten sind, ist bei näherer Überlegung doch klar. Dass vergleichbare Rechte nicht der Putzfrau gegen ihren privaten Dienstherrn nicht von verfassungs wegen zustehen, auch.

Entrüstet?

Zu Unrecht! Der moralisch gemeinte Hinweis der Karikatur ist doch völlig richtig. Aber die Erwartung, das Bundesverfassungsgericht (also das Grundgesetz) könne etwas gegen zu niedrige Hungerlöhne machen, ist falsch.

Das darf man auch gar nicht wollen. Eine Verfassung, in die alle möglichen Gruppen Geldansprüche hineinlesen, wäre nichts wert. Sie wäre auch undemokratisch. Gegen erkannte Missstände in einem demokratischen Land muss nämlich die Politik zu Felde ziehen. Auf dem Lohsektor wird es höchste Zeit dafür. Allerhöchste. Es wäre ja so bequem: Die Politik könnte in Problemfragen auf die gegenseitige Blockadehaltung und konsequente Nichtstuerei verweisen. Die Politik in Problemfragen erledigen die Gerichte (zuletzt scheiterte ein solcher Versuch, die Lösung jemand anderen machen zu lassen, im Fall der Kettenbefristungen vor dem EuGH). Stellen Sie sich so Demokratie vor?

Wir nicht. Die Mindestlohn-, Lohnuntergrenzen-, Tariflohn etc.-Debatte wird schon lange geführt. Vielleicht sollten da alle Beteiligten mal die ideologischen Scheuklappen ablegen. Es gibt eine Menge Pros und Cons, die alle ausgetauscht sind. Besonders durchdacht ist z.B. der Appell des (vermutlich überhörten) FDP-Wirtschaftspolitikers Martin Lindner. Der hat den Tarifparteien gesagt, sie sollten mal schön selbst Tarifpolitik machen und nicht von der Politik erwarten, dass sie ihre Aufgabe übernehme. Die Politik könne dann ein weitgehend existierendes Anerkennungssystem (z.B. Allgemeinverbindlichkeiten) zur Verfügung stellen. Nicht nur er hat darauf hingewiesen, dass ein einheitlicher Mindestlohn in Ostsachsen und Stuttgart eher befremdlich wirkt. Andere, so auch wir, akzeptieren die Richtigkeit dieser Argumente, meinen aber mit ebenso guten Gründen, dass wohl nur ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn praktikabel ist.

Jetzt wäre die Politik mal dran. Mit Entscheidungen.

Im Grundgesetz stehen keine Lohnerhöhungen drin.