Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
19.09.2012

Mama, ich WILL aber…

Kritik an der Bundesfamilienministerin gibt es genug. Uns soll es nicht (nur) um die Person gehen. Die Ministerin lässt heute aber (etwa im Handelsblatt) folgendes verlauten:

ARBEITSRECHT

Schröder will familienfreundlichere Tarifverträge

19.09.2012, 07:54 Uhr:

Neuer Vorstoß von der Familienministerin. Sie fordert die Wirtschaft auf, die Tarifverträge familienfreundlicher zu machen.

Das ist – atemberaubend. Wirklich.

Erstens, weil es nur eine Überschrift ist. Niemand kann nämlich berichten, was „familienfreundlichere“ Tarifverträge sein sollen. Weil Frau Schröder sich zu solchen Inhalten nicht weiter geäußert hat. Sie sagt „ich will!“. Zweitens unterstellt es, dass die Tarifvertragsparteien der zig Branchen, die in Tarifsysteme eingebunden sind, nie an Familien denken…nun kann man immer noch mehr machen, aber es gibt haufenweise Tarifverträge zu Teilzeit, Heimarbeit, Sonderurlauben, bezahlten Pflegezeiten für erkrankte Kinder…es ist ja nicht so, dass die Tarifvertragsparteien völlig untätig wären.

Frau Schröder ist aber keine Tarifvertragspartei. Sie ist Bundesministerin. Die Bundesrepublik hat z.B. im Grundgesetz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht. Wie steht es denn, ahem, mit familienfreundlichen Gesetzen, Frau Ministerin? Die Einfallstore der Familienfreundlichkeit liegen alle in Ihrer Hand. Da gibt es ein BEEG, das Nachbesserungsbedürftig erscheint. Da gibt es Gesetze wie das TzBfG, das man mit mehr Flexibilität gut verbessern könnte. Da gibt es Dunkelnormen, die z.B. verhindern, dass gesetzlich krankenversicherte Mütter nach Hause können, um ihr krankes Kind zu pflegen (und dafür Geld bekommen) – z.B. in der gar nicht seltenen Konstellation, dass alle anderen Familienmitglieder Privatversichert sind; da gibt es die Bürokratie, außerdem politische Grundsatzdebatten: Heißt „Familienfreundlichkeit“ eigentlich immer, dass man Frauen Teilzeit ermöglicht und Schluss?

Alles keine Debatten für Frau Schröder. Sie schreit nach den Tarifvertragsparteien.

Das macht man gerne so. In der Politik. Beim Reizthema Mindestlohn z.B. Da ist die Politik faul, weil sie denkt: Sollen die Tarifvertragsparteien doch lauter kleine Mindestlöhne machen und dann den Ärger dafür einstecken. Jeder weiß: Dazu haben die Tarifvertragsparteien nicht die Kraft, es ergibt sich bestenfalls ein Flickenteppich und – wie bei Tarifverträgen dieser Art üblich – ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen (Abgrenzungsfragen). Schon jetzt kann man in Berlin am Bau (Tarifmindestlohn) als Säckeschlepper nötigenfalls auch ohne Gehirn über 30% mehr die Stunde bekommen als ein voll ausgebildeter Elektriker (geht nur mit Gehirn, aber auch – ein anderer – Tarifmindestlohn). Wenn der gleiche Mensch jeweils einen Schritt macht und auf einer Brandenburger Baustelle arbeitet: Der Lohn ändert sich sofort. Diesen Wahnsinn kann man nur mit einem bundeseinheitlichen und gesetzlichen Mindestlohn machen.

Wie Frau Schröder aber so schön sagt: Das sollen mal schön die anderen machen. Ich WILL das so.

Auf diesem Weg kommen wir alle sicher gut voran.