Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
05.12.2011

Klau, arbeitsrechtlich straflos

Wenn man in einem Handwerksbetrieb arbeitet, kann einem manches Mal das Wasser im Mund zusammenlaufen. Erstens kann man ja alles ohnehin besser als der Chef. Zweitens liegt das Material, das der Chef bezahlt hat, zum Greifen nah – direkt vor einem, im unmittelbaren Zugriff sozusagen und – kostenlos! Für den Chef zwar nicht, ok; aber wenn man jetzt mal überlegt: Als Dachdecker das eine oder andere Dach decken, mit Material aus der Firma, Geld schwarz einstreichen und für diese Zeit auch noch krank melden – mehr als die doppelte Kohle! Erstklassiges Geschäftsmodell.

Wird man erwischt, geht’s erst zur Polizei, dann zur Staatsanwaltschaft. Dann zu Gericht und hoffentlich oft genug ins Gefängnis (Kollege Hoenig, bitte verzeihen Sie. Manche müssen einfach einfahren!). Was passiert beim Arbeitsgericht?

Der Arbeitgeber kündigt zumeist fristlos und erhebt Schadensersatzklage. „Meine“ Kündigungsopfer haben übrigens stets die Chuzpe, sich dann heftig zu wehren. Gut, hieß es z.B. in einer Güteverhandlung seitens des Arbeitnehmers, Sie haben für 25.000 EUR Material in meiner Garage gefunden. Aber die hatte ich doch dem Kollegen K überlassen, meint er dann. Und das Material darin – das kann man in jedem Großhandel kaufen. Alles Standard! Auf die Umstände des Auffindens (Durchsuchung durch die Polizei) angesprochen, mischt sich der Kollege (Strafverteidiger, jetzt mal beim Arbeitsgericht) ein. Das mit der Durchsuchung sei „alles Stimmungsmache“ von mir.

Beim LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.09.2011 – 5 Sa 159/11) stand jetzt ein Sünder, der noch dreister auftrumpfen konnte.

Der Arbeitgeber hatte den Schadensersatz für schlapp über 3.000 EUR „verbrauchtes“ Material einfach zu spät eingeklagt. Dabei war nicht etwa die recht großzügige Verjährungsfrist verpasst worden. Es gab eine kurze tarifvertragliche Ausschlussfrist für „alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“. Und die zieht – auch bei vorsätzlichen Delikten. Wenn es um den armen Arbeitnehmer geht, hat der 5. Senat des BAG schon mal daran gezweifelt, ob auch Vorsatztaten unter die Ausschlussfristen in einem Arbeitsvertrag fallen (nebenbei in BAG, Urteil vom 28. 9. 2005 – 5 AZR 52/05, auch sonst mit acht Orientierungs- und zwei Leitsätzen eine beachtliche Entscheidung…). Aber bei Tarifverträgen gibt es kein Pardon (z.B. BAG , Urteil vom 30.10.2008 – 8 AZR 886/07) Die greifen auch, wenn man das Dienstfahrzeug vor aller Augen mit der Baseballkeule zertrümmert. Tja.

Dumm ist vor allem, dass man von den Fristen oft gar nichts weiß. Erstens hält sich das Gerücht hartnäckig, sie würden für Vorsatztaten eben nicht gelten (falsch!), zweitens stehen sie manchmal in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen, von denen so mancher Handwerker nichts weiß. Garten- und Landschaftsbau, Bau oder Hotel- und Gaststättengewerbe sind nur ein paar Beispiele, wo es so etwas gibt.

Der Arbeitgeber zweifelt jetzt sicher mal wieder am Rechtsstaat. Und wir wünschen uns, die Rechtsprechung wäre stets so konsequent wie bei den Ausschlussfristen – eine der letzten Bastionen der Rechtssicherheit, die freilich auch mal nach hinten losgehen kann.